VON DEM ÜBEL, ÜBER EINE HARTWÄHRUNG ZU VERFÜGEN
„Die Schweiz gibt ihre Währung frei, um den Untiefen der globalen Geldpolitik auszuweichen“ (Schlagzeile im El País)
Schon die Überschrift der spanischen Tageszeitung verrät, daß sowohl die Akteure der Schweizer Geldpolitik als auch die Kommentatoren dieses Schrittes nicht so recht wissen, was sie tun bzw. was sie dazu sagen sollen.
Man vergißt ein wenig, daß die von der Schweizer NB verfügte Bindung des Franken an den Euro ein Kind der Finanzkrise war. Es handelte sich nicht um so etwas wie die seinerzeitige Bindung des Schilling an die DM – obwohl jetzt in diversen Kommentaren so getan wird, als sei diese „Bindung“ etwas ganz Selbstverständliches, so in der Art: der natürliche Gang der Dinge wird hier umgeschmissen!
Die „Bindung“ war auch nicht, – um abermals das Schilling-DM-Beispiel zu strapazieren, ein Ergebnis einer zwischenstaatlichen Übereinkunft –, sondern beruhte auf dem einseitigen Beschluß der Schweizer NB und auf den durch sie getätigten Stützungskäufen. Die Schweiz stützte also seit Jahresende 2011 den Euro. Und genau das scheint ihr jetzt zu blöd geworden zu sein.
Erstens, was hat das für die Schweizer NB bedeutet? Sie hat jede Menge Franken in die Welt gesetzt, um damit Euro zu kaufen. Das heißt, daß das Gewicht des Franken unter den Weltwährungen zumindest nicht gesunken ist – denn auch auf der Euro-, Dollar und Yen-Seite wurde jede Menge Geld in Umlauf gebracht, um die eigene Ökonomie zu stützen. Die Schweiz stützte mit ihrer Geldvermehrung fremde Ökonomien.
Sie kaufte also Euro ein und was machte sie dann mit diesen Euros? Sie hatte das Problem aller Euro-Besitzer, die nicht so recht wissen, wohin mit ihrem Geld. Welche Anlageformen die SNB gewählt hat, wissen wir nicht – sie kann es sich als nationales Geldinstitut aber vermutlich nicht leisten, in riskante Immobilien-, Rohstoff- oder Derivatespekulationen einzusteigen. Sodaß ihr wieder nur die sattsam bekannten Staatsanleihen übrig bleiben. Ein Teil des Kredites der Euro-Staaten kam also aus der Schweiz.
Bei den Euro-Anleihen wiederum stand die SNB – genauso wie jeder andere Euro-Investor – dem mißlichen Umstand gegenüber, daß die halbwegs verzinsten Staatsanleihen von Staaten an der Stufe zum Ramschstatus wie Italien oder Spanien ausgegeben werden, die sicheren wie die Deutschlands hingegen Negativzinsen haben.
„Die Schweizer Notenbank, von Experten als größter Hedgefonds der Welt bezeichnet, hält vermutlich deutsche Bundesanleihen im Wert von 100 Milliarden Euro … rund ein Zwölftel der gesamten deutschen Staatsschulden.“ (HB, 16.1.)
Die SNB machte also Verluste oder zumindest keinen Gewinn bei ihren Stützungskäufen.
Der Grund dafür, den Euro zu stützen, ist der gleiche wie vor 3 Jahren: die Aufwertung des Frankens im Interesse der Schweizer Exporte zu stoppen. Aber die SNB hat offenbar beschlossen, daß der Preis dafür zu hoch ist.
Vor 3 Jahren schien es, als ob der Euro auseinanderbrechen würde, und deshalb flüchteten viele in den Franken. Es mag sein, daß die Schweizer Währungshüter damals dachten, ihre Stützungskäufe würden helfen, das Vertrauen in den Euro wiederherzustellen. Ein Kassensturz zum Jahresende hat gezeigt, daß das auf lange Sicht ein Irrtum war und der Euro weiterhin gefährdet ist, – schon allein wegen der bald anstehenden griechischen Wahl, aber auch deshalb, weil sich die Eurozone wirtschaftlich keineswegs erholt hat, im Gegenteil.
Während sich die Medien vor allem auf die negativen Folgen dieses Beschlusses für die Wirtschaft der Schweiz konzentrieren, sollte man auch diejenigen für die Eurozone im Auge behalten: schlimmer als das Wegfallen der Stützungskäufe, also der finanziellen, materiellen Stützung des Euro wiegt die ideelle Abkehr von der europäischen Einheitswährung. Ein Land, das aus guten Gründen als eines der Zentren der internationalen Finanzwelt gilt, läßt den Euro praktisch fallen, und er fällt daher weiter – nicht nur gegenüber dem Franken, sondern auch gegenüber der Weltwährung Dollar.
Das geschwätzige Zeigen auf die Folgen für die Schweiz selbst – Börsensturz, Export- und Tourismus-Rückgang – ist begleitet vom stillen Bangen darum, was das für Folgen für den Euro haben wird. Denn der Fall des Euro hat eine Entwertung der Devisenschätze der Käuferländer zur Folge, die wiederum deren Notenbanken zum Abstoßen von Euro veranlassen könnte, wodurch der Euro weiter fällt.
Da kommt die Ankündigung der EZB, in Zukunft unbeschränkt Staatsanleihen der Euro-Länder aufzukaufen, gerade recht. Vermutlich ist sie bald der einzige Aufkäufer der Kreditzettel diverser Euro-Länder …
Kategorie: öffentliche Schulden (Staaten, Länder, Gemeinden)
Zum Jahresausklang 2014
ZEITENWENDE
Das Jahr 2014 hat einiges an Klarstellungen über das Projekt EU und auch über den seinerzeitigen Systemwechsel in Osteuropa gebracht.
Aus der ganzen EU ist irgendwie die Luft draußen. Der Versuch, Wachstum durch Kredit zu erzeugen, ist weltweit schiefgegangen und hat gezeigt, daß die Weltgelder, so auch der Euro, vor allem auf staatlichen Garantien beruhen.
Der Versuch der EU, durch Einverleibung eines neuen Territoriums und seiner Bewohner in den Binnenmarkt die Rezession und Stagnation zu überwinden und vor allem den Kreditschwindel – d.h. krediterzeugtes Wachstum in wirkliches verwandeln zu wollen – wieder auszuweiten und zu beleben, ist gründlich schiefgegangen und hat unter anderem auch das europäische Kreditwesen zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen: es ist nicht nur die angestrebte Ausweitung des Geschäftes mißglückt, sondern viele bereits vergebene Kredite sind uneinbringlich geworden und vielen weiteren Wertpapieren – ukrainischen und russischen Anleihen – droht die Entwertung.
Die EU hat sich einen Krisenherd vor der eigenen Haustür geschaffen, dessen Bewältigung mit friedlichen Mitteln nicht möglich ist, was Schlimmes für die Zukunft ahnen läßt.
1. Die Ukraine: finanziell ein Faß ohne Boden, politisch ein Pulverfaß
Die Ukraine gefährdet die Energieversorgung Europas. Erstens ist anzunehmen, daß sie ihre Gasrechnung nicht zahlen kann, Gasprom aber auf Zahlung beharrt. Selbst wenn die EU der ukrainischen Regierung das Geld leihen würde, was praktisch einer Schenkung gleichkäme, so ist damit gar nicht garantiert, daß es an Gasprom weitergegeben und nicht für Investitionen in den Gewaltapparat verwendet würde, auf den sich die ukrainische Regierung zwar unverhohlen, aber mit geringem Erfolg stützt. Die Zahlung muß aber über die Ukraine erfolgen, da sie als Kreditnehmer in die Haftung genommen werden soll – ganz ohne eine zumindest formelle Absicherung würde die EU das Geld nicht hinüberschieben.
Das Gasproblem ist dabei zweitens heute noch drängender als im Gaskrieg 2009, weil der Ukraine aufgrund des Bürgerkriegs im Donbass die Versorgung mit ihrem eigenen Energieträger, der Kohle, großflächig zusammengebrochen ist. Zum unbezahlbaren Gas kommt jetzt noch die nicht vorhandene Kohle, eine Art Doppel-Loch, das der ukrainischen Bevölkerung bereits zu schaffen macht.
Die Ukraine hat noch ein paar Atomkraftwerke, die ausnahmslos sowjetischer/russischer Bauart sind. Wenn da jetzt Ersatzteile nicht mehr eingekauft, Wartungsarbeiten nicht mehr durchgeführt werden …
Die Ukraine muß ebenso wie Griechenland kreditiert werden, um nicht bankrott zu gehen, und die europäischen Anleihenbesitzer – Banken, Versicherungen usw. – nicht mit einem Haufen entwerteter Papiere sitzen zu lassen. Die EU muß also einmal mehr ihren politischen Kredit strapazieren, Garantien abgeben, die EZB Geld drucken lassen oder sie zu Krediten anregen, – um verschiedene ihrer strategisch wichtigen Geldinstitute vor herben Verlusten zu bewahren, die womöglich einen Bankencrash verursachen könnten.
Die Ukraine fällt als der ursprünglich angestrebte Markt aus, da die schon vorher geringe Zahlungsfähigkeit jetzt durch den Sturz der Hrywna und den Umstand, daß die Kreditvergabe inzwischen völlig zum Erliegen gekommen ist, ziemlich futsch ist. Weder hat jemand Geld für Importprodukte, noch ist die Konvertibilität gewährleistet.
Es ist zwar gelungen, eine neue Regierung und ein neues Parlament zu installieren, von denen aber gar nicht klar ist, inwiefern sie als EU-freundlich zu bezeichnen sind. Die Hampelmänner in Kiew halten gerne die Hand in Richtung EU auf, tanzen aber nach der Pfeife der USA. Außerdem ist auch nicht gewährleistet, daß sie ihr Land im Griff haben. Die abtrünnigen Gebiete sowieso nicht, aber auch den Sicherheitsapparat und die bewaffneten Verbände nicht – Reste des Militärs, Milizen und Nationalgarde, eine gesäuberte und teilweise mit Söldnern bestückte Polizei und einen Staatssicherheitsdienst, der eine Art Unterabteilung des CIA ist. Und wenn sich die Lebensumstände der Ukrainer rapide verschlechtern sollten, wofür alle Anzeichen sprechen, so ist nicht sicher, ob dieser Fleckerlteppich aus Rowdys und Agenten Ruhe und Ordnung im Land gewährleisten kann.
Das ist auch der Haupt-Grund, warum die Ukraine in die NATO will. Die Hampelmänner in Kiew hätten gerne eine Besatzungsmacht, die ihnen ihre Pfründe sichert, die Separatisten im Donbass plattmacht, Rußland hinauskomplimentiert und die eigene Bevölkerung auch noch in Schach hält, während sie sich die Taschen füllen, so gut es geht. Das Modell Bananenrepublik hat es ihnen angetan.
Weltpolitisch hat dieses Jahr vor Augen geführt, daß die EU als Konkurrenz zur Weltmacht Nr. 1 gescheitert ist und nur im Windschatten der NATO und am Gängelband der USA überhaupt weiter bestehen kann.
2. Rußland, der alte-neue Feind
Die Führer der Sowjetunion warfen ihr altes System weg, weil sie es für untauglich zur Erreichung wirklicher Macht und Größe hielten. Eine der Illusionen, von denen dieser Schritt begleitet war, bestand darin, daß sie sich damit die Feindschaft des Westens und damit viele ihrer Rüstungsausgaben ersparen würden.
Im Westen war der Siegesjubel groß: Nicht nur das verhaßte System war weg und die ganze Gegend öffnete sich für Kapital und Raubritter aller Art – das große Ding zerfiel auch noch und ruinierte seine produktive Basis. Mitte der 90-er Jahre gab es berechtigte Hoffnung in westlichen Metropolen, daß dieser Prozeß immer weiter fortschreiten würde. Rohstoffreiche Regionen in Sibirien zeigten Unabhängigkeitsgelüste, und der Bürgermeister von Petersburg spielte mit dem Gedanken, eine Art eigenen Stadtstaat auszurufen. Der Bsuff, der für den Restbestand des Reiches zuständig war – „Regieren“ konnte man das nicht nennen, was Jelzin trieb – und seine Kumpane taten auch alles, um die Zerstörung fortzusetzen.
Als sich da ein neuer Mann in den Vordergrund spielte, der sich bemühte, diesem Treiben Einhalt zu gebieten und wieder so etwas wie ein Gewaltmonopol einzurichten, wurde das mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Einerseits herrschte Erleichterung, daß das Waffenarsenal inklusive Atomwaffen wieder von einer halbwegs verläßlichen Zentralgewalt beaufsichtigt wurde. Andererseits fiel den Politikern, Think Tanks und Geheimdiensten unangenehm auf, daß Rußland sich doch wieder zu einem Staat entwickelte, mit den entsprechenden Ambitionen auf internationale Anerkennung und Geschäftsformen. Dieser neue Führer war nicht mit einer Flasche Wodka zur Unterschrift unter alles und jedes zu bewegen, und machte sich daran, die Macht der Oligarchen zurechtzustutzen.
Den westlichen Geschäftsleuten hingegen gefiel der Auftritt Putins auf der politischen Bühne, und vor allem aus denjenigen Staaten, die früher Osthandel getrieben hatten und deshalb eine Kenntnis der Gepflogenheiten besaßen, machten sich viele Unternehmer auf, um wieder in Rußland Fuß zu fassen.
Der heute deutlich gewordene Interessensgegensatz zeichnete sich also schon seit geraumer Zeit ab: Ideologen und Strategen, Medienfritzen und NATO-Beamte warnten vor einer neuen „Diktatur“ da drüben, während Geschäftsleute die großen Möglichkeiten priesen, die Rußland eröffnete. Die Dissonanz steigerte sich bis zu den Winterspielen in Sotschi, die eigenartiger Weise gerade mit der Zuspitzung der Maidan-Proteste und der Absetzung Janukowitschs zusammenfielen. Das Timing war gut – während Eiskunstläufer ihre Pirouetten drehten, andere irgendwelche Gegenstände übers Eis beförderten, Damen im Schi-Freestyle ihre Darbietungen machten, wurden auf dem Maidan ein Haufen Leute erschossen und der gewählte Präsident der Ukraine weggeputscht. Wer immer diese Show auf dem Maidan arrangiert hatte, wußte, daß der russische Bär beschäftigt war und nicht eingreifen konnte. Um so größer der Ärger, als kein Monat verging und er schon ein Stück aus der Ukraine herausgerissen hatte.
Und seither ist Schluß mit lustig. Im Verhältnis EU-Rußland ist viel von der Propaganda von gestern widerlegt worden: es lag gar nicht nur am „System“: jede andere Macht, die sich unserem Expansionsdrang entgegenstellt, stört. Jugoslawien ließ sich noch wegräumen, Rußland ist dafür zu groß. Die Feindschaftserklärung ist dennoch erfolgt, der Fehdehandschuh mit den Sanktionen hingeworfen, und die EU nimmt eine ziemliche Schädigung der eigenen Ökonomie in Kauf, um an diesem Standpunkt festzuhalten.
Angesichts dieser Entwicklungen ist den Granden der EU nichts anderes übriggeblieben, als sich wieder an den Rockzipfel der USA zu klammern, was diese gnadenvoll und hocherfreut verbucht haben.
3. Die USA, der alte-neue Freund
Die USA haben ihre eigenen Pläne mit der Ukraine, die nicht ökonomischer, sondern strategischer Natur sind: Sie wollten und wollen die Ukraine als Verbündeten und Aufmarschgebiet gegen Rußland einsetzen. Man erinnere sich, daß das „Partnership for Peace“-Programm, der Vorhof zur NATO-Mitgliedschaft, seinerzeit – 1994 – von Clinton in Kiew vorgestellt wurde. Der Ärger, in fast 20 Jahren diesem Ziel nicht nähergekommen zu sein, veranlaßte die jetzige Regierung, einmal kräftig die Brechstange einzusetzen, um eine mißliebige Regierung auszuhebeln und eine den USA genehme zu installieren. Besonders gern hätten sie sich auf der strategisch wichtigen Krim eingenistet, umso größer daher die Empörung, als diese Möglichkeit durch Rußland zunichte gemacht wurde. Aber derzeit laufen sicherlich Verhandlungen zum Einrichten von Basen in der Ukraine, es ist auch durchaus möglich, daß da schon konkrete Schritte gesetzt wurden. Ob das Modell Kosovo – eine Marionetten-Regierung, keine legale Ökonomie, und bewaffnete Ex-Milizionäre als Sicherheitskräfte – sich auf die Ukraine, ein Land mit 43 Millionen Einwohnern an der Grenze zu Rußland übertragen läßt, wird erst die Zukunft weisen.
Gleichzeitig, – und das ist ein fast noch größerer Erfolg als das in der Ukraine Erreichte – ist es gelungen, die EU auf die Gegnerschaft zu Rußland zu verpflichten und den ganzen bunten Haufen hinter der Weltmacht USA zu versammeln.
Die enttäuschten Freunde der EU, die ihre mangelnde Souveränität und Unterordnung unter die US-Interessen beklagen, seien allerdings daran erinnert, daß die ganze Einmischung in der Ukraine ein seit der Unabhängigkeit dieses Staates betriebenes EU-Projekt war. Die Ukraine stand auf der Wunschliste der EU, die mit gierigen Augen die Möglichkeiten dieses Staates (groß, bevölkerungsreich, ein Riesen-Markt!) betrachtete, ohne sich mit der Wirklichkeit dieses Gebildes zu befassen. (Kein Kapital, keine nationale Einheit, ein kaputtes AKW, eine Richtung Rußland gerichtete Industrie, keine Grundbücher und ungeklärte Eigentumsverhältnisse, und eine außergewöhnlich skrupellose Führungsschicht, die Land und Leute auf jeden Fall für die eigene Bereicherung verwenden wollte, ohne andere nationale Ziele zu verfolgen.) Die EU hat sich also keineswegs von den USA zu diesem Schritt drängen lassen, sondern der entsprach ihren Interessen, und auch ihrer inneren Logik.
4. Die Aussichten für die EU
Die Politik der EU, die sich bis zur Krise 2008 als Erfolgsstory präsentierte, bestand nämlich darin, in einem fort bestehende Volkswirtschaften möglichst zu ruinieren und zu desindustrialisieren – wozu unter anderem die Assoziationsabkommen dienten –, um sie dann mittels Kredit in zahlungsfähige Märkte zu verwandeln. Der europäische Finanzsektor, allen voran deutsche und österreichische Banken, pumpten jede Menge Konsumentenkredite in diese Länder, mit teilweise abenteuerlichen Konstruktionen, sie füllten ihre Portfolios mit Staats- und Kommunalanleihen der europäischen Staaten und warfen sich medienwirksam in die Brust, wie geschäftstüchtig sie seien. Dieser Schwung brach mit der Finanzkrise ab, und die ersten Kredit-Kartenhäuser fielen zusammen. Die Ukraine erschien als eine Möglichkeit, das Spiel von vorne zu beginnen, und da haben sich alle gründlich verrechnet. Während der Kredit in der Eurozone keineswegs wiederhergestellt worden ist, brechen jetzt die nationalen Kredite und Wertpapiere der Ukraine und Rußlands weg.
Dazu kommen noch die Sanktionen, die die Rezession in der Eurozone noch verstärken werden. Mit den Sanktionen und der Zahlungsunfähigkeit der Ukraine gehen große Märkte verloren, für die kein Ersatz in Sicht ist.
Die Absicht der EU, über die ökonomische Leistungsfähigkeit den USA den Rang als Weltmacht abzulaufen, ist endgültig gescheitert. Diverse EU-Häuptlinge machen inzwischen dem großen Bruder der Reihe nach ihre Aufwartung und betonen mit Augenaufschlag, daß das doch alles nie böse gemeint war. Mit dem Einschmeicheln in Amerika versuchen sie in der EU-internen Konkurrenz zu punkten und ihre Vormachtsstellung zu wahren bzw. auszubauen. Hauptsache, man kann auf dem eigenen Misthaufen lauter krähen als die anderen!
Die EU ist in jeder Hinsicht am Ende. Sie hat keine Perspektive mehr, aber mit der Ukraine einen teuren und unberechenbaren Betreuungsfall am Hals. Ähnlich wie bereits einigen ihrer krisengeschüttelten Mitgliedsstaaten ist ihr die Staaträson abhanden gekommen. Es geht nur mehr um Selbsterhalt: Verhindern des Auseinanderbrechens, Verhindern des Zerfalls des Euro, Kampf gegen den sich abzeichnenden weiteren Abstieg als weltpolitischer Faktor. Sollte sie wirklich das Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnen, so wäre dies ein weiteres Eingeständnis ihrer Niederlage in der Konkurrenz gegenüber den USA, und würde den Abstieg der EU beschleunigen.
2015 wird zeigen, wie die Bevölkerung Europas darauf reagieren wird. Damit sind nicht nur die Armen und Entrechteten, sondern auch die rechtsradikalen Parteien und die über der EU-Politik zusehends ungehaltenen Unternehmer gemeint.
Griechenland durch die Brille des Handelsblatts
„DIE PLEITE IST WIEDER DA!“
Es ist unglaublich, wie sich einst seriöse Medien an dummen Sprüchen überbieten und ihr Publikum für blöd verkaufen wollen:
„Griechenland schien nach der existenzbedrohenden Schuldenkrise schon gerettet.“ (HB, 17.12.)
Wem schien es „gerettet?“ Und wovor? Es handelt sich anscheinend vor allem um die Gläubiger, also Besitzer griechischer Staatsanleihen, die sich vor einem drohenden Bankrott sicher wähnten. Mit Griechenland selbst hat das wenig zu tun.
„Der Jahreswechsel sollte die Erlösung bringen, versprach der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras seinen Landsleuten: Die Griechen sprengen die Ketten der Troika, das Land befreit sich aus der Vormundschaft der internationalen Gläubiger und steht wieder auf eigenen Füßen. So das Szenario, das Samaras den Hellenen seit Monaten ausmalte.“ (ebd.)
Was will das Handelsblatt damit sagen? Daß Samaras recht hatte? Daß Samaras ein Depp ist? Oder daß er sich auf die Einseiferei seines Volkes gut versteht? Daß es im Sinne des Handelsblattes = des Finanzkapitals ist, wenn der griechische Regierungschef seinen Landsleuten ein X für ein U vormacht?
Es gab und gibt nämlich überhaupt keinen Grund, daß Griechenland „wieder auf eigenen Füßen“ stehen könnte. Es hat nach wie vor keinen Kredit, die Wirtschaftsleistung ist gesunken, die Staatsverschuldung steigt wieder (– nachdem sie 2012 durch den Schuldenschnitt gesunken war), das zunehmende Elend und der dadurch verursachte Rückgang der Zahlungsfähigkeit macht Griechenland als Markt und Standort ziemlich uninteressant, und die Jubelmeldungen über einen Tourismusrekord können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Locken mit Billigangeboten zwar die Zahl der Nächtigungen hat steigen lassen, aber unterm Strich weniger Einnahmen aus dem Tourismus für ein Land gebracht hat, dem alle anderen Wirtschaftszweige schon ziemlich weggebrochen sind.
Lügen haben eben kurze Beine, kann man nur sagen.
Das Handelsblatt macht munter weiter:
„Alles, wofür die Griechen in den vergangenen fünf Jahren große Opfer gebracht haben, steht nun wieder auf dem Spiel. Das Schreckgespenst der Staatspleite schien längst verscheucht – jetzt ist es auferstanden. Die Pleitegeier kreisen wieder über der Akropolis.“
Im Klartext: die Griechen haben gedarbt, damit die Gläubiger ihre Papiere nicht abschreiben mußten. Letzteres ist jetzt möglicherweise vorbei.
Dann werden die seinerzeit vom Handelsblatt selbst in Umlauf gebrachten Falschmeldungen zitiert, um zu beweisen, daß es doch wirklich aufwärts ging:
„Dabei schien Griechenland gerade die Kurve zu kriegen. Nach vierjähriger Pause konnte die staatliche Schuldenagentur im April und Juli wieder Staatsanleihen zu vertretbaren Konditionen am Markt platzieren – erstaunlich.“
Gar nicht erstaunlich. Das Handelsblatt wußte selber, daß das eine Propagandaaktion zur Beruhigung der „Märkte“ war. Die eigenen Lügen werden also zur Berufungsinstanz für einen Erfolg, den es gar nicht gegeben hat.
Als nächstes werden wieder neue Falschmeldungen aufgetischt:
„Erstmals nach sechs Jahren Rezession wächst die Wirtschaft nun wieder, sogar schneller als in allen anderen EU-Staaten.“
Was an dem Wachstum dran ist, wird sich erst weisen. Vermutlich handelt es sich wieder einmal um eine Erfindung von Goldmann Sachs. Außerdem ist es angesichts der Rezession in der Eurozone nicht schwierig, Zahlen zu produzieren, die höher liegen als in anderen Staaten.
„Auch beim Beschäftigungszuwachs liegt Griechenland an der Spitze.“
Natürlich, bei mehr als 25 % Arbeitslosigkeit kann man es als Erfolg werten, wenn irgendwo 5 Klitschen aufsperren und ein paar Leute einstellen.
„Die Staatsfinanzen sind endlich im Griff.“
Was immer das heißen mag. Wenn kein Geld da ist und keiner einem Kredit gibt, so kann man auch nix ausgeben.
„Beim Haushaltsdefizit steht Griechenland um Längen besser da als Italien, Spanien, Portugal, Irland oder Frankreich.“
Hierbei handelt es sich nur um die Neuverschuldung, wo ja jede Tranche aus dem EU-Hilfsfonds von der Troika genehmigt werden muß. Es ist also keine Kunst, die niedrig zu halten – es liegt ja gar nicht im Ermessen Griechenlands, was es braucht und kriegt.
Die Gesamtschulden Griechenlands im Verhältnis zum BIP, die in den Maastricht-Kriterien als einer der Gradmesser des wirtschaftlichen Erfolges mit höchstens 60 % festgelegt wurden, betragen im Fall Griechenlands 173 %. Es ist damit eines der höchstverschuldeten Länder der Welt.
Nachdem das Handelsblatt mit einem Sammelsurium von irreführenden Behauptungen, Lügen und tendenziösen Interpretationen dargelegt hat, daß in Griechenland eigentlich alles zum Besten stünde, malt es den Teufel an die Wand, der jetzt alle diese Leistungen zunichte machen könnte. Dabei wird mit Bildungselementen und dramatischen Beschwörungen nicht gegeizt:
„Man fühlt sich an die Geschichte des alten Griechen Sisyphos erinnert, der bereits glaubte, den Todesgott Thanatos besiegt zu haben. Dann wird er aber doch in die Unterwelt verbannt, wo er einen Felsblock immer und immer wieder einen Berg hinaufwälzen muss. Doch kurz vor dem Gipfel entgleitet ihm der Fels jedes Mal und rollt wieder ins Tal.“
Eine vorgezogene Präsidentenwahl – vermutlich will man nicht, daß der derzeit 85-jährige Amtsinhaber im Amt verstirbt, weil die Märkte! die könnten das als schlechtes Signal auffassen! – ist es, die den Sisyphos-Stein ins Rollen gebracht hat.
„Bis Ende Dezember soll das Athener Parlament einen neuen Staatspräsidenten wählen. Erreicht kein Kandidat die erforderliche Mehrheit, muss die Volksvertretung Anfang Januar aufgelöst und eine Neuwahl angesetzt werden. Wahrscheinlicher Gewinner: Oppositionsführer Alexis Tsipras und seine radikal-linke Partei Syriza, die in allen Meinungsumfragen führt. Tsipras will die Kreditverträge aufkündigen, den Sparkurs beenden, Privatisierungen rückgängig machen und auch die meisten anderen Reformen zurückdrehen.“
Oh Schreck oh Graus! Die Anleger beginnen bereits wieder zu zittern und knabbern verzweifelt an ihren Anleihen.
„Es ist ein Spiel mit dem Feuer.“
Die Frage ist nur, was dabei brennert wird. Der wacklige europäische Finanzsektor, in dem ja immer noch griechische Staatspapiere als Aktiva herumliegen? Der Euro selbst? Die EU? Die Sache mit dem Dominoeffekt hat ja was für sich …
„Es könnte dazu führen, dass die Griechen den Euro abgeben müssen.“
Das wäre nicht nur für die Griechen schlimm, wie das Handelblatt suggeriert, sondern auch das Ende des Euro.
Man erinnere sich: ein Austritt aus dem Euro ist in den Statuten der Eurozone nicht vorgesehen. Um den Euro zu verlassen, müßte Griechenland zuerst aus der EU austreten.
Es mag sein, daß der Text inzwischen geändert wurde. Am Kern der Sache ändert es jedoch nichts: verläßt ein Land die Eurozone, so wäre sie damit gescheitert, mit unabsehbaren Folgen.
Dabei hat Samaras alles so gut gemanagt, aber am Schluß doch wieder vergeigt:
„Samaras hat sie“ (= die derzeitige Krise) „selbst herbeigeredet. Mit seiner überhasteten Ankündigung, Griechenland werde zum Jahresende die Troika vor die Tür setzen, das Hilfsprogramm beenden und sich wieder am Markt refinanzieren, jagte Samaras den Anlegern und den Gläubigern Griechenlands einen Schrecken ein.“
Ach so. Die Erfolgsmeldungen über Griechenlands Erholung, die das Handelsblatt selber verbreitet, sollten doch nicht ernst genommen werden? Man kennt sich gar nicht mehr aus. Was denn jetzt? Gehts bergauf oder nicht?
Juncker hat schon die Griechen davor gewarnt, ja nicht die Falschen zu wählen. Da steht medialen Schönrednern und Politikern noch einiger Streß bevor.
Aber selbst, wenn die Griechen die „Richtigen“ wählen sollten, so werden die – nach innen wie nach außen! – in Erklärungsnotstand kommen, warum sie weitermachen müssen wie bisher. Innerhalb der EU hat Griechenland nämlich gar keine andere Wahl.