Pressespiegel El País, 30.8.: Zur Verhaftung Durovs

„LÜGEN, PANIK UND LEAKS IN RUSSLAND NACH DER VERHAFTUNG VON PAVEL DUROV, DEM GRÜNDER VON TELEGRAM

Das Regime befürchtet, daß die Verhaftung die nationale Sicherheit gefährdet, weil es Informationen über den Krieg in der Ukraine oder Geheimnisse aus den dunklen Büros Moskaus hat. Als der Gründer von Telegram letzten Samstag in Frankreich verhaftet wurde, gerieten sowohl der Kreml als auch sein Verteidigungsministerium und letztendlich der allmächtige russische Staat in Panik und gaben ihren Mitarbeitern einen absurden Befehl: »Löschen Sie alle Chats.«

Absurd, weil es genauso wirkungslos wäre wie das Herausziehen der Kabel vom Computer oder das Ausschalten des Telefons: Telegram funktioniert nicht so und die Daten seiner Nutzer bleiben in der Cloud des Unternehmens gespeichert. Diese Geste zeigte jedoch, daß Rußland eine äußerst sensible Angelegenheit der nationalen Sicherheit in die Hände eines Enfant terrible, Pavel Dúrov, gelegt hat: seine Telekommunikation, von der Front bis zu den dunklen Büros Moskaus.“

Was wohl mit diesen „dunklen Büros“ gemeint ist? Offenbar sind für den Autor alle Büros in Rußland dunkel, weil ja Russen drinnen sitzen!

„»Pavel Durov wurde verhaftet. Dieser Angriff auf das Nachrichtensystem, von dem die Hälfte des Militäreinsatzes in der Ukraine abhängt, war vorhersehbar. Hat da bisher niemand an so etwas gedacht?!«, prangerte auf seinem eigenen Telegram-Kanal einer der wenigen russischen Kriegskorrespondenten an, die Putin in seinem Büro empfängt, Alexander Sladkov.“

Offenbar läuft ein guter Teil der Kommunikation zwischen den Kommandostellen und der Front über diesen Dienst.
Sladkov ist Korrespondent des russischen Staatsfernsehens. So wenige sind die Korrspondenten gar nicht, die Putin regelmäßig empfängt, um sich mit ihnen auszutauschen. Er selber hat offenbar auch nicht daran gedacht und einen eigenen Telegram-Kanal betrieben.

„»Es gibt viele Witze darüber, daß die Verhaftung von Pavel Durov mit der Verhaftung des Kommunikationschefs der russischen Streitkräfte gleichzusetzen ist. Nun, ein großer Teil der Kontrolle der Truppen hängt von Telegram ab«, räumte Kremlberater Alexej Rogozin ein. »So verrückt es auch erscheinen mag: Geheimdienstdaten, Artillerieanpassungen, Videoübertragungen aus Hubschraubern und vieles mehr.«“

Die russische Armee hat sich offenbar auf die Verschlüsselungstechniken von Telegram verlassen. Man vergesse nicht, daß die nicht von Pavel, sondern seinem Bruder Nikolaj stammen, der nach wie vor in Rußland lebt.

„Am anderen Ende des Telefons antwortet auf die Anfragen von El País Michail Klimarjov, Direktor der Gesellschaft zum Schutz des Internets.“

Klimarjov ist ein exilierter Russe, der nicht „das Internet“ schützen, sondern russische Internetzensur bekämpfen will, mit seiner Organisation „Internet Without Borders“. Er ist also ein Dissident und, ähnlich wie Durov, ein Anhänger eines „freien“ Internets.

„»Der Einsatz von Telegram für militärische Zwecke zeugt von einem klaren Mangel an Professionalität und einem Scheitern«, sagt der russische Telekommunikationsexperte aus dem Exil.
»Die Ukrainer haben Signal [einen anderen Messaging-Dienst mit offenem Code] übernommen und das Ruder herumgerissen. Sie haben den Code übernommen“

– vermutlich nicht nur übernommen, sondern umgestaltet –

„und ihre eigenen Server bereitgestellt«, erklärt der Aktivist. »Rußland kann es auch schaffen, aber es wird Zeit brauchen. Signal funktioniert nicht so gut wie Telegram und jetzt müssen sich Tausende von Menschen umstellen, die ein anderes Telekommunikationssystem brauchen, aber an Telegram gewöhnt sind«, sagt Klimarjov.

»Höchstwahrscheinlich werden [die russischen Streitkräfte] versuchen, die Änderung sofort vorzunehmen, aber es ist klar, daß Durovs Verhaftung die Kampfkraft der russischen Armee verringert hat«, bemerkt der Dissident. »Sie sind in einer schwierigen Situation.«

Gesperrt bis 2020

Telegram war in Rußland wegen Nichtkollaboration mit seinen Sicherheitskräften bis zum 18. Juni 2020 verboten – bis zu dem Tag, an dem die Behörde, mit der der Kreml das Internet zensiert, Roskomnadzor, überraschend ihr Veto gegen Durows Plattform aufhob.“

Diese Formulierung ist insofern irreführend, als Telegram nur zwischen Anfang 2018 und Juni 2020 gesperrt war, von seiner Gründung 2013 bis 2018 jedoch legal verwendet werden durfte.

„Wenige Wochen später ersetzte das gesamte Kreml-Staatsnetzwerk seine Kommunikation mit westlicher Software wie WhatsApp und Skype durch Telegram. Es handelte sich um eine allgemeine Anordnung, die sowohl die Organe der Präsidialverwaltung als auch die Fernsehsender betraf, mit denen Putin seine Propaganda im Ausland verbreitet, wie diese Zeitung bestätigen konnte.“

Das ist in der Tat beachtlich, denn Durov saß mit seiner Firma damals bereits in Dubai. Offenbar hielten die russischen Behörden Telegram für sicher und unknackbar und vertrauten auf die Verschlüsselungs-Taktiken.
Daß die physische Person des Betreibers sich als Sicherheitsrisiko erweisen könnte, wurde offenbar von den Gemeindienst-Spezialisten nicht bedacht. Vladimir Vladimirovitsch hat hier gepatzt.
Vermutlich laufen inzwischen in Moskau Versuche, Telegram zu zerstören und die Daten auf den Servern in Dubai und anderswo zu vernichten.

„Margarita Simonjan, Direktorin eines dieser Medien, Russia Today, forderte alle auf, ihre Telegram-Nachrichten zu löschen, sobald die Verhaftung bekannt wurde, und spielte auf einen Mythos über diesen Internet-Dienst an. »Durov wurde festgenommen, um die Schlüssel [zu den Chats] zu stehlen«, schrieb Simonjan präzise auf ihrem Telegram-Kanal.

In Wirklichkeit gibt es keinen »universellen Schlüssel«, mit dem Dritte, also Außenstehende, alle Nachrichten nach eigenem Ermessen lesen können, da ihre Verschlüsselungs–Schlüssel zum Zeitpunkt des Sendens zwischen den Benutzern erstellt werden.“

Ähnlich wie seinerzeit bei der Enigma-Maschine, wird also jede Botschaft neu verschlüsselt.
Am Knacken der Enigma-Maschine waren auch viele Personen beteiligt und es dauerte jahrelang.
Es geht also jetzt ein Wettlauf los. Wer schafft es eher: Die westlichen Geheimdienste, sich Zugang zu den Telegram-Daten zu verschaffen, oder den russischen, sie erstens für sich zu kopieren und nachher Telegram unzugänglich zu machen?

„Diese angeblichen Schlüssel forderte der russische Föderale Sicherheitsdienst 2018 von Durov. Der Besitzer von Telegram antwortete mit einem Brief, der riesige Eisenschlüssel enthielt.“

Sehr neckisch.
Es schadet jedoch nicht, daran zu erinnern, warum die russischen Behörden diesen Zugang zu Telegram wollten: Nach dem Terroranschlag auf die Petersburger U-Bahn 2017 forderten sie den Zugang zu Daten der Hauptverdächtigen, die Telegram benutzt hatten.
Es war die Weigerung Durovs, die zum Verbot von Telegram führte.

„Das eigentliche Problem liegt jedoch in den Servern, die Telegram in seinen Rechenzentren auf der ganzen Welt verteilt hat. »Wir wissen nicht, wie Telegram wirklich funktioniert. Es besteht das Risiko, daß es Zugriff auf Korrespondenz oder gespeicherte Dateien erhalten kann. Telegram wurde als Cloud-Messenger verkauft, in dem Daten über einen längeren Zeitraum gespeichert werden können«, sagt Klimarjov.“

Nur um das richtig zu verstehen: Die ganzen Chats, Videos, Kanäle usw., die auf Telegram gehostet sind, sollen im Prinzip unzugänglich sein, sogar für den Betreiber, und dann „besteht das Risiko, daß es Zugriff auf Korrespondenz oder gespeicherte Dateien erhalten kann“?!
Irgendwas stimmt hier nicht.

„Es war nie bekannt, ob es 2020 irgendeine Art von Vereinbarung mit der Regierung gab, gerade dann, als die Einführung von Durovs Kryptowährung TON in den USA scheiterte, aber es gibt dafür mehrere Anzeichen.“

Hier bringt der Autor etwas durcheinander. Die geplannte Kryptowährung Durovs hätte „Gram“ geheißen und wurde von einem US-Gericht nicht zugelassen, siehe hier.
Der Toncoin ist eine tatsächlich existierende Kryptowährung, mit der man jedoch nur innerhalb Telegrams bestimmte Inhalte bezahlen kann.

„Trotz seiner angeblichen Neutralitätspolitik gegenüber den Inhalten seiner Nutzer löschte Telegram im Jahr 2021 einen Bot aus dem Team des Dissidenten Alexej Nawalnyj, Smart Vote, der den Russen Wahlkreis für Wahlkreis empfahl, welchen alternativen Kandidaten sie wählen sollten, um die Partei Putins »Einiges Rußland« bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr zu schlagen. Von dieser Zensur am stärksten betroffen war die Kommunistische Partei, die jedoch Putin treu blieb und nicht protestierte.“

Das automatisierte Programm Navalnyjs hätte also die RKP an die Macht gebracht, wenn das Programm Smart Vote nicht von Telegram gelöscht worden wäre?
Navalnij als Steigbügelhalter der RKP?
Oder waren sowieso beide chancenlos, es ging nur um einen Demonstrationseffekt?

Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Unbeliebtheit Navalnyjs und darauf, daß ein gutes Abschneiden seiner Partei bei Wahlen sowieso nie zu erwarten war, weshalb von seinen westlichen Sponsoren immer gleich auf Wahlfälschungsvorwürfe und Unruhen gesetzt wurde.

Erinnert irgendwie an Venezuela …

„Ein weiterer Hinweis war die Entfernung oppositioneller Telegram-Kanäle in der Region Baschkortostan in diesem Jahr während der Proteste gegen die Inhaftierung eines Umweltdissidenten.“

Die Eingriffsmöglichkeiten des Betreibers beschränken sich also auf die Entfernung bestimmter Inhalte, Kanäle usw., sollen aber keinen Einblick in sie selbst ermöglichen?
Hmmm.

„Dennoch versucht Durov durch laxe Moderation seiner Plattform seine Unabhängigkeit zu bewahren. »Der Staat verlangt, daß man sich an seine Gesetze hält, aber jeder Staat hat seine eigenen Vorstellungen davon, was illegale Inhalte sind«, betont der Journalist Andrei Zacharov auf seinem Telegram-Kanal.

Telegram war diesen Monat das Ziel eines Blockierungsversuchs in Rußland und der Kreml hat angeordnet, daß sich alle Kanäle mit mehr als 10.000 Abonnenten registrieren müssen. Einige bekannte Persönlichkeiten aus dem Ukraine-Krieg, wie etwa der Kommandant Alexander Chodakovskij – der mehr als eine halbe Million Abonnenten hat – haben angekündigt, nicht mehr zu schreiben.

Die große Lüge

Die Kernfrage ist, in welchem Ausmaß Putin und Durov zusammengearbeitet haben.

»Es gibt kein Zurück, insbesondere nachdem ich mich öffentlich geweigert hat, mit den [russischen] Behörden zusammenzuarbeiten«, sagte der Unternehmer bei seinem angeblichen Abschied von seinem Heimatland im Jahr 2014. Der Geschäftsmann verließ das Land, nachdem er sich geweigert hatte, dem Kreml die auf VK gespeicherten Daten über die Ukrainer zu übergeben, die an den Maidan-Protesten teilgenommen haben.
VK wurde 2014 an Geschäftsleute aus dem Umfeld des Kreml verkauft und wird seither von ihnen betrieben.

Ein Jahrzehnt später prahlte der Geschäftsmann erneut damit, ein vermeintlicher Staatsgegner zu sein: »Ich reise an Orte, von denen ich glaube, daß sie unseren Werten entsprechen.“

Man fragt sich, was hier unter „unser“ läuft, also welche Werte und wessen Werte da gemeint sind?

„Ich besuche nicht die großen geopolitischen Mächte oder andere Länder wie China, Rußland oder sogar die USA«, sagte Durov im April dieses Jahres … Tucker Carlson.“

Wer wohl die großen geopolischen Mächte sein sollen, wenn sie unter „andere Länder“ laufen? Bzw., wenn nur die Reihenfolge verkehrt ist, was wären dann die „anderen Länder“?

Aber Durov hat … gelogen. Ein großes Leck in einer Datenbank des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB, Nachfolger des KGB) hat ergeben, daß der Besitzer von Telegram zwischen 2015 und 2017 mehr als 50 Mal nach Rußland gereist ist, und ein weiteres Mal am 18. Juni 2021, als Telegram in Rußland wieder zugelassen wurde.“

Das war 2020, siehe weiter oben, nicht 2021.

Durov hatte versprochen, extremistische Inhalte zu löschen, darauf wurde das Verbot aufgehoben.
Man merkt übrigens – das Ganze ging durch die Duma –, daß es in Rußland ein starkes Interesse an der Nutzung von Telegram gab.

„Kein Medium konnte bestätigen, ob es nach diesen Reisen zu irgendeiner Art von Verpflichtung gegenüber dem Kreml kam. »Das ist ein sehr schlechtes Zeichen«, sagt Klimarjov. »[Telegram] wurde blockiert und Durov erschien ruhig in Rußland, auch wenn er möglicherweise Angst vor einer Verhaftung hatte. »Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß es irgendeine Art von Verhandlung gab«, erklärt der exilierte Aktivist.

Klimarjov steht seit 2022 auf der Fahndungsliste der russischen Behörden. »Sobald ich die Grenze überquere, stecken sie mich ins Gefängnis. Und obwohl es jetzt etwas anders ist,“

– was darauf hinweist, daß auch ihm von Seiten Rußlands Angebote gemacht werden –

„stellt sich heraus, daß Durov es machen konnte. Und er konnte es nicht nur, er tat es auch. Niemand hat ihn eingesperrt. Natürlich stellen sich Fragen«, schließt er.“

Pressespiegel El País, 10.8.: Ukrainische Offensive

„RUSSLAND EVAKUIERT TAUSENDE EINWOHNER VON KURSK UND WEITET DEN NOTSTAND AUFGRUND DES UKRAINISCHEN EINMARSCHES AUF ZWEI WEITERE REGIONEN AUS

Mindestens 76.000 Einwohner der russischen Provinz Kursk, die an der Grenze zur Ukraine liegt, seien am fünften Tag der Kämpfe zwischen Moskauer und Kiewer Truppen in dieser Region evakuiert worden, so ein Sprecher des Ministeriums für Notsituationen in der Region in einer Erklärung gegenüber der Nachrichtenagentur AFP Nachrichtenagentur TASS.

Auch in zwei weiteren Provinzen der Region hat der Kreml den Ausnahmezustand ausgerufen. Unterdessen hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, allerdings ohne Kursk zu zitieren, eingeräumt, daß die Streitkräfte des Landes Operationen durchführen, um Russland auf seinem Territorium zu schaden: »Der Chef des Generalstabs, Oleksander Syrskij, hat bereits mehrfach über die Front berichtet und darüber, wie wir den Krieg auf das Territorium des Angreifers übertragen können. (…) Die Ukraine zeigt, daß sie weiß, wie sie … den nötigen Druck auf den Angreifer ausüben kann«, schrieb er in einer Nachricht in seinen sozialen Netzwerken.“

Man muß sagen, daß dieser Angriff und seine Dauerhaftigkeit den Überraschungseffekt auf ihrer Seite hat.
Nachdem nicht nur in russischen, sondern auch in westlichen Medien der Tenor der war, daß die Ukraine zu wenig Soldaten hat, daß die frisch Mobilisierten zu wenig ausgebildet und motiviert seien usw. – fragt man sich einerseits, woher diese doch offenbar motivierten und bewaffneten Truppen auf einmal kommen?
Zweitens hat die russische Militäraufklärung offenbar geschlafen, weil so ein Angriff muß ja irgendwie vorbereitet, Truppen müssen zusammengezogen werden usw.

„Russland kämpft seit dem 6. August in Kursk gegen Kiews Truppen, was als der größte Einmarsch der Ukraine in das Territorium ihres Feindes seit Beginn der Invasion des Landes im Februar 2022 gilt.

Für die evakuierte Bevölkerung haben die russischen Behörden nach Angaben der Generaldirektion des Ministeriums für Notsituationen 60 provisorische Unterkünfte eingerichtet, in die mehr als 4.400 Menschen aus den Grenzgebieten von Kursk verlegt wurden. Darüber hinaus hat das Rote Kreuz eine Telefon-Hotline zur Bearbeitung möglicher Fälle von Verschwindenlassen bei Überführungen eingerichtet und Moskau hat eine Hilfeleistung in Höhe von 10.000 Rubel (ca. 100 Euro) für die Betroffenen bewilligt.

Die ukrainische Offensive überraschte Moskau und veranlasste den Kreml, an diesem Samstag neben Kursk, wo er am Freitag eingerichtet wurde, in zwei weiteren an die Ukraine angrenzenden Regionen – Belgorod und Brjansk – den föderalen Ausnahmezustand auszurufen.

Die Ausrufung des Ausnahmezustands ist ein Instrument, das der Armee und den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse bei Anti-Terror-Einsätzen verleiht … Damit können militärische und personelle Ressourcen ohne Einschränkungen entsendet, aber auch die Sicherheit an wichtigen Orten verstärkt, Bürgerbewegungen eingeschränkt, Telefongespräche abgehört, Fahrzeuge beschlagnahmt und Zufahrtsverbotszonen erklärt werden.

Das Nationale Anti-Terror-Komitee meldete den Beginn dieser Operationen in den drei betroffenen Regionen, »um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten und die Bedrohung durch Terroranschläge feindlicher Sabotagegruppen einzudämmen«, wie es den ukrainischen Einmarsch beschrieb. Die hohe Zahl der Evakuierten steht im Gegensatz zu den Informationen, die der Chef des russischen Generalstabs, Waleri Gerassimow, Präsident Wladimir Putin vor zwei Tagen übermittelte, als er ihm versicherte, daß der ukrainische Vormarsch unterbrochen worden sei.“

Der Hut brennt also noch immer, mit einem Wort.

„In die gleiche Richtung gehen die in den letzten 24 Stunden vom russischen Verteidigungsministerium übermittelten Mitteilungen über die Fortsetzung der Kämpfe. In seinem Telegram-Account versichert er, daß die Operation zur Zerstörung von Einheiten der ukrainischen Streitkräfte weitergeht, nennt hohe Verlustzahlen auf der Gegenseite – bis zu 1.120 Soldaten und 140 gepanzerte Fahrzeuge – und verbreitet Videos von angeblichen bewaffneten Einsätzen mit Panzern und Flugzeugen diejenigen, die dank des Einsatzes von Artillerie, Luftfahrt und Bodentruppen »den Feind vernichten«. …“

Selbst wenn nur die Hälfte dieser Zahlen stimmt, so ist dennoch bemerkenswert, daß es offenbar eine Menge ukrainische Soldaten bei dieser Offensive gibt.
Eine weitere Möglichkeit wäre, daß tatsächlich NATO-Soldaten als Verstärkung eingetroffen sind und entweder die anderen Frontabschnitte stabilisieren oder aber direkt an dieser Kursker Offensive beteiligt sind.

„In Kursk deuten von Kriegsanalysegruppen überprüfte Satellitenbilder darauf hin, daß die ukrainische Armee etwa 35 Kilometer in russisches Territorium eingedrungen ist.

Die amerikanische Denkfabrik »Institute for War Studies« (ISW) stellt jedoch fest, daß das russische Militärkommando, um der Situation entgegenzuwirken, bisher lediglich auf bereits im Grenzgebiet stationierte und andere im Hinterland verfügbare Einheiten zurückgreift, die größtenteils aus Rekruten und Milizionären, also vor Ort organisierten bewaffneten Einheiten bestehen. »Diesen Einheiten wurde zunächst die Abwehr überlassen, obwohl die russische Militärführung beschlossen hat, zusätzliche, erfahrenere Einheiten von anderswo zu verlegen«, sagt er in seiner täglichen Analyse. Sie geht davon aus, daß das russische Militärkommando möglicherweise dem operativen Druck widersteht, Truppen von anderen Fronten zu verlegen und zu verhindern, daß der ukrainische Einmarsch seine Offensive in der Ostukraine unterbricht, wo Moskau in den letzten Wochen wichtige Fortschritte gemacht hat.“

Der Standpunkt der russischen Führung war bisher, daß es sich in Kursk um einen reinen Entlastungsangriff handelt, der den Vormarsch russischer Truppen an verschiedenen Frontabschnitten stoppen soll.
Man muß allerdings sagen: Gut gelungen!

„In diesem Zusammenhang hebt das ISW die Informationen eines russischen Militärbloggers hervor, der vermutete, daß das russische Militärkommando möglicherweise Einheiten transferiert, die es für eine Offensivoperation im Norden der Region Charkiw angesammelt hatte. »Wenn das wahr ist, dann hat das Militärkommando vielleicht entschieden, daß die Unterbrechung der Offensivoperation im Norden der Region Charkiw ein notwendiges Opfer ist«, analysiert das Institut, das auch einen breiteren Einsatz russischer Truppen für wahrscheinlich hält. … In den kommenden Tagen werden vermutlich weitere kampfbereite Fronteinheiten in Kursk eintreffen.“

Die Frage ist für die russische Führung offenbar derzeit, von wo sie die Truppen abziehen werden. Zunächst war der Tenor der russischen Medien nämlich der, daß das nicht notwendig sei, da die vor Ort stationierten Rekruten und Milizen mit diesem Einmarsch locker fertig werden würden.
Auch hier muß sich fragen, woher diese Unterschätzung der ukrainischen Invasionstruppen, oder auf der anderen Seite, woher diese Gefechtsfähigkeit bei Letzteren?

Pressespiegel El País, 1.8.: Ungarn tanzt weiter aus der Reihe

„UNGARN VERURSACHT UNRUHE IN DER EU, WEIL ES ARBEITSVISA FÜR AUSLÄNDER AUF RUSSEN UND WEIßRUSSEN ERWEITERT

Ungarn vertieft seine Beziehungen zum Kreml. Die jüngste Entscheidung der Regierung … Orbán, ihre Arbeitsvisum-Bestimmungen flexibler zu gestalten, um sie auf Bürger Russlands und Weißrusslands auszudehnen, … bereitet Brüssel Sorgen.

Die Europäische Kommission prüft, ob das ungarische Programm in den Anwendungsbereich der EU-Regelungen fällt fällt. Budapest betont, dass die Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen in die nationale Zuständigkeit fallen und hat jegliche Bedenken der EU zurückgewiesen.“

Das ist auch richtig. Da kann die EU prüfen, was immer sie will.
Das Ausstellen von Visa – und auch von Staatsbürgerschaften! – fällt in das nationale Recht. Diesbezüglich gab es schon öfter Stirnrunzeln in Brüssel, als baltische Staaten, Zypern oder auch Österreich Visa oder Staatsbürgerschaften gegen Investitionen an Nicht-EU-Bürger vergaben. Auch derzeit gibt es entsprechende Programme in Griechenland, Portugal und Spanien.
Bedenken und medialer Lärm kommen allerdings erst dann auf, wenn Ungarn das macht.

„Mit der Lockerung des sogenannten »Nationalen Karte«, einer neuen Einrichtung, die bisher nur Bürgern Serbiens und der Ukraine zur Verfügung stand, wird Budapest Russen und Weißrussen ermöglichen, für zwei verlängerbare Jahre in Ungarn zu arbeiten, ohne dass eine Sicherheitsgenehmigung erforderlich ist.“

Was darunter wohl zu verstehen ist?
Für keinerlei Visa ist eine solche Genehmigung explizit erforderlich, auch in anderen Staaten nicht.
Visaanträge werden geprüft und nach Ermessen der jeweiligen Behörde genehmigt oder abgelehnt.
Hier wird der Anschein erweckt, als ob in Ungarn diese Prüfung entfallen würde und sozusagen ein Automatismus einträte.
Das ist aber unrichtig und kann getrost als Fake News eingestuft werden.

„Sie können ihre Familien mitbringen und nach drei Jahren eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis beantragen.
Die ungarischen Behörden haben erklärt, dass die Öffnung“

– es handelt sich nicht um eine „Öffnung“ – weder war die Einreise für die jetzt einbezogenen Nationalitäten bisher „geschlossen“, noch steht sie jetzt unbegrenzt offen. Es geht um eine Visaerleichterung, aber die dargebotene Sichtweise der Autorin ist, daß jetzt dem Eindringen dieser falschen Fuffziger in die EU Tür und Tor geöffnet würde.

„für Russen und Weißrussen – sie bezieht auch Bosnien, Moldawien und Nordmazedonien ein – es Mitarbeitern aus diesen Ländern ermöglichen wird, beispielsweise am Ausbau des Kernkraftwerks“ (in Paks) „des russischen Konzerns Rosatom zu arbeiten; einem sehr kontroversen Projekt.“

In Ungarn ist dieses Projekt nicht besonders kontrovers.
Aber in der EU, wo zunehmend die Atomenergie ungeachtet ihrer bekannten schädlichen Auswirkungen und Risiken als „saubere“ Energie betrachtet wird, ist es natürlich überhaupt nicht gerne gesehen, sich für so etwas mit den Russen zusammenzutun.

„Bei der »Nationalen Karte« haben die ungarischen Behörden keine Quoten oder sonstigen Begrenzungen eingeführt. Laut ungarischen Quellen nutzen derzeit einige Dutzend Menschen aus der Ukraine und Serbien diese Art von Visum.“

Der ungarische Arbeitsmarkt ist aufgrund der dort gezahlten niedrigen Gehälter mäßig attraktiv.
Aber es ärgert offenbar die Brüsseler Behörden und die EU-Politiker der alten EU, daß das als Hinterhof und Arbeitskräftereservoir vorgesehende Ungarn sich jetzt eigene Gastarbeiter- und Einwanderungsregeln verpaßt.

„Der ungarische Außenminister Peter Szijjartó versicherte an diesem Mittwoch, dass diese Art von Genehmigungen kontrolliert werden.“

Diese Versicherung ist nur deshalb notwenig, weil entgegen den Tatsachen überall verbreitet wird, daß Ungarn keine Kontrollen ausüben werde.
Bei anderen Staaten (Polen hat seit Jahren Gastarbeiter-Regelungen für Ukrainer, von den Visa-Bestimmungen Deutschlands oder Österreichs ganz zu schweigen) wird das als selbstverständlich vorausgesetzt.

„Die Episode verschärft die Krise zwischen Budapest und der EU durch Orbáns Nähe zu Russland, die Blockierung von Militärhilfegeldern für die Ukraine und vor allem durch seine Besuche bei Putin in Moskau, beim chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Peking und Donald Trump … in Florida.“

Dergleichen Reise-Tätigkeit ist offenbar westeuropäischen Politikern vorbehalten …

„Die Treffen zur Diskussion der Ukraine im Rahmen einer angeblichen »Friedensmission«, die mit dem Beginn der halbjährlichen EU-Ratspräsidentschaft Ungarns zusammenfielen, haben die Gemeinschaftsinstitutionen und die meisten Hauptstädte verärgert.“

Unter „die meisten Hauptstädte“ muß man sich Berlin, Paris, die Benelux-Staaten und das Baltikum vorstellen, vielleicht noch Madrid und Warschau. In den restlichen Mitgliedsstaaten hielt sich die Entrüstung in Grenzen …

„Die Union und das Europäische Parlament haben zu Vergeltungsmaßnahmen gegen Budapest aufgerufen und boykottieren bereits hochrangige Treffen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft.“

Was nicht wirklich tragisch ist.
Das El País bläst diese Maßnahme, die von Borrell verkündet wurde, über die Maßen auf, um zu zeigen: Die EU tut was!

„Nach der Kontroverse, aufgrund derer Budapest wegen dieser Treffen Rechenschaft ablegen musste, habe Ungarn diese »Friedensmission« abgeschlossen, heißt es in einer Mitteilung des ungarischen Ministers für Europaangelegenheiten, Janos Boka, an die Mitgliedstaaten, wie aus mehreren diplomatischen Quellen hervorgeht.“

Nachdem die Rest-EU weiter auf Krieg drängt, geht natürlich in dieser Sache nichts mehr weiter, die Rückmeldung aus Budapest ist daher angemessen.

„Die Hauptstädte bezweifeln, dass es wahr ist und glauben, dass Orbán, ein großer Provokateur, dieses Manöver »reaktivieren« kann, wenn er will.“

Das ist auch begreiflich, weil falls aus den USA ein anderer Wind blasen sollte, wird sich Orbán gerne als Vermittler betätigen.

Risse in der Einheit der EU

Diese neue Öffnung mit ungarischen Visa für Russland und Weißrussland … hat nicht nur Sicherheitsbedenken in der EU geweckt, wo der Schengen-Raum Freizügigkeit ohne Passkontrolle ermöglicht, sondern darüber hinaus vor allem durch die Tatsache, dass es die Kluft innerhalb der EU vergrößert, in dem Orbán zunehmend als Kreml-U-Boot wahrgenommen wird.“

Wenn von einer „Kluft“ die Rede ist, so ist offenbar Orbán nicht der Einzige, der mit der EU-Politik unzufrieden ist.

„»Es ist ein weiteres Zeichen der Harmonie mit Moskau, das der Kreml erfreut zur Kenntnis nimmt«, betont eine hochrangige EU-Quelle.
Russlands Spionagedienste erlitten nach der groß angelegten Invasion der Ukraine einen schweren Schlag, als die Mitgliedsstaaten Hunderte von Agenten auswiesen, die sich unter diplomatischem Deckmantel in der EU aufhielten.

Seitdem baut der Kreml sein Spionagenetzwerk wieder auf und hat seine Taktik geändert. Europäische Geheimdienstquellen weisen darauf hin, dass die Möglichkeit des Zugangs zum Gemeinschaftsgebiet mit weniger Einschränkungen, die das neue ungarische Visum mit sich bringt, möglicherweise neue Möglichkeiten bietet, aber vor allem Moskau für seinen spaltenden Diskurs Treibstoff liefert.

Ungarns Visaregelungen, etwa das sogenannte Goldene Visum, das den Zugang zu einer Aufenthaltserlaubnis gegen den Kauf von Immobilien ermöglicht, haben bereits Kontroversen im Zusammenhang mit Russland ausgelöst. Der Sohn von Sergei Naryschkin, dem Chef eines Geheimdienstes des Kremls,“

– es handelt sich um den russischen Auslandsgeheimdienst –,

hatte durch ein Goldenes Visum eine Aufenthaltserlaubnis in Ungarn (und damit Bewegungsfreiheit in der EU).“

Die Vorstellung, durch Visabeschränkungen und Ausweisungen Spionage verhindern zu können, ist etwas blauäugig.

„Abgesehen von den Sanktionen gegen Hunderte von Personen … können russische Staatsbürger mit einem Visum für einen EU-Mitgliedsstaat innerhalb der EU frei reisen. Allerdings ist es für sie aufgrund bürokratischer Schwierigkeiten schwieriger geworden, ein Visum zu erhalten und auch in das Gebiet der EU zu reisen, da es russischen Fluggesellschaften verboten ist, über den EU-Luftraum zu fliegen, und Fluggesellschaften der EU ihre Flüge nach Russland eingestellt haben.

Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, hat den Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, gebeten, das Thema beim nächsten Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs im Oktober zur Sprache zu bringen. Weber versichert, dass die neue ungarische Formel russischen Spionen die Tür zum Gemeinschaftsgebiet öffnet und ist der Ansicht, dass die übrigen Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen sollten.“

Herr Weber macht sich Illusionen über die Fähigkeit der EU, ausländische Spionage zu beschränken.
Allerdings auch auf der Grundlage, daß die eigene geheimdienstliche Tätigkeit in der EU nach Quantität und Qualität schwach ist.

„»[Das Öffnen Ihrer Hand könnte] möglicherweise einer großen Zahl von Russen die Einreise nach Ungarn mit minimaler Aufsicht ermöglichen, was ein ernstes Risiko für die nationale Sicherheit darstellt«, sagt Weber in seinem Brief an Michel, der von der Financial Times vorgelegt wurde.

Die EU-Kommission bekräftigte an diesem Mittwoch, dass der Kreml ein Risiko für die Union darstelle und dass er Budapest um Aufklärung gebeten habe. »Russland stellt eine Bedrohung für die Sicherheit der EU dar und daher müssen alle Instrumente auf der Ebene der Union und der Mitgliedstaaten die Sicherheit der Union gewährleisten und auch die Sicherheit von Schengen berücksichtigen«, betont eine Sprecherin der Europäischen Kommission.“

Man merkt hier an dem inflationären Gebrauch des Wortes „Sicherheit“, daß eine gewisse Verwirrung darüber herrscht, was das eigentlich ist.
Außerdem wird leicht hysterisch nach einem Rechtstitel gesucht, um sich in nationale Belange Ungarns einmischen zu können.

Der Sprecher der ungarischen Regierung, Zoltan Kovács, hat gegenüber Weber erklärt, er führe einen »heuchlerischen Angriff« gegen die ungarische Regierung und beschuldigt den deutschen konservativen Politiker und die EU (die er als die »liberale Kriegstreiber-Elite« bezeichnet), »Millionen illegaler Migranten nach Europa zu schicken«. »Das ungarische Einwanderungsregime ist das strengste in der EU«, sagte Kovács in den sozialen Medien.“

Die EU schickt diese illegalen Migranten zwar nicht und hat mit ihnen auch keine Freude, aber die Replik Ungarns ist dennoch pikant, weil sie auf die Schwächen der EU-Abschottungspolitik hinweist.