DIE TÜRKEI – EIN KRISENGEWINNER?
„Erstmals seit 19 Jahren steht die Türkei beim IMF nicht in der Kreide. Die Begleichung aller Schulden wird von Ankara als historischer Wendepunkt und als Spiegel weltwirtschaftlicher Gewichtsverlagerungen betrachtet. … Die gegenüber dem IMF aufgetürmten Schulden, die im Nachzug zur Finanzkrise des Jahres 2001 rund 23,5 Mrd. $ betrugen, konnten in den vergangenen Jahren stetig abgebaut und am Dienstag vollumfänglich getilgt werden. … Noch vor wenigen Jahren sah es nicht danach aus, als ob die langjährige Kreditbeziehung zu einem raschen Ende kommen würde.“ … 2009 wurde monatelang „verhandelt, ehe man in Ankara vor dem Hintergrund anhaltend hoher Kapitalzuflüsse zum Schluss kam, auf den IMF nicht länger angewiesen zu sein.“ …
Die Türkei ist inzwischen „vom Schuldner zum Gläubiger mutiert. So hat die Türkei dem IMF im Juni vergangenen Jahres eine Unterstützung von 5 Mrd. $ zugesichert, und zwar zur Eindämmung der Euro-Krise. Dass Ankara damit indirekt Brüssel zu Hilfe kommt, wird in der türkischen Regierung … mit einem nicht zu knappen Mass an Genugtuung registriert.“ NZZ, 14.5. 2013
Ein Staat, der zwischen Griechenland und Zypern liegt, und der EU nicht angehört, hat keine Schwierigkeiten, sich zu finanzieren, sondern ist sogar in der Lage, den in Turbulenzen geratetenen Euro zu stützen, wenngleich diese Hilfe angesichts der Summe, um die es geht, eher symbolischen Charakter hat.
Aber gerade diese Symbolik hats in sich: Das Land, dem seit Jahren bei seinen Beitrittsverhandlungen mit der EU immer wieder auf die Zehen gestiegen wird, gibt satt und selbstzufrieden kund, daß es eigentlich die ganze EU nicht braucht und außerhalb von ihr besser fährt. Gleichzeitig wird der EU großmütig Hilfe gewährt und damit zum Ausdruck gebracht, daß man sie als Handelspartner durchaus schätzt und weiter erhalten möchte.
Dem einstigen Erzrivalen Griechenland, der in einer politisch wie ökonomisch völlig auswegslosen Situation steckt, zeigt man damit so nebenbei, daß er mit „Europa“ aufs falsche Pferd gesetzt hat. Und den Griechisch-Zyprioten, die seinerzeit in einem Referendum die Wiedervereinigung der Insel abgelehnt haben, daß man darüber jetzt beinahe dankbar ist, und sie jetzt allein in der Patsche sitzen, die die EU ihnen verursacht hat.
Zur Rückerinnerung: Die EU nahm 2004 mit Zypern ein Land auf, dessen territorialer Status nicht geklärt war. Der Umstand, daß dies kein Hindernis war, weist darauf hin, daß es offenbar ein starkes Interesse gab, Zypern dabei zu haben. Gegenüber den postsozialistischen Staaten, deren wirtschaftliche Entwicklung eher schleppend verlief, stellte Zypern in den Augen der EU eine echte Verstärkung dar, mit einem Zahlungsbilanzüberschuß und einer quasi Hartwährung. All das dank seines heute angeblich „überdimensionierten“ Banksektors.
Warum steht die Türkei so gut da? Ist der Traum Turgut Özals aufgegangen, der meinte, das 21. Jahrhundert müßte das Jahrhundert der Türkei werden? Er zielte dabei auf den Ausbau der Handelsbeziehungen mit den turksprachigen und ölreichen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der – nicht nur – ökonomischen Vermittlerrolle zwischen Orient und Okzident. Das Erstarken der Türkei ist also ausgelöst worden durch die Auflösung der SU.
Die Türkei hat sich offenbar im Osten durchaus zahlungskräftige Märkte erschlossen und darüber z.B. ihre Bekleidungsindustrie, die durch die EU-Konkurrenz seinerzeit schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, wieder in die Höhe gebracht. Ebenso hat sie auch ihren Finanzsektor saniert und ausgebaut, indem sie mit Know-How über modernes Bankwesen den türkischen Brüdern und Schwestern im Osten unter die Arme gegriffen hat. Als Urlaubsparadies gewinnt sie seit zwei Jahrzehnten ständig an Bedeutung, nicht nur für Gäste aus der EU, sondern auch Rußlands und anderer GUS-Staaten. Schließlich ist sie ein Gewinner der Krisen im Nahen Osten, wo sie inzwischen als sicherer Hafen für Vermögen angesehen wird, das von seinen Besitzern aus dem jeweiligen Land geschaffen wird.
Der Aufstieg der Türkei ist auch ein Ergebnis des Abstiegs Europas: Die Türkei kann es sich leisten, der EU nicht beizutreten. Sie macht auch kein Hehl daraus. Im Gegenteil. Die Ambitionen der Türkei gehen auf Schaffung eines Gegengewichtes, eines losen Bündnisses islamischer Staaten, denen sie sich als gelungene Mischung von religiöser Tradition und wirtschaftlichem Aufschwung präsentiert und als Führungsmacht anträgt. Das ist zwar derzeit noch Zukunftsmusik, und hängt davon ab, wie sich die Lage in Syrien, dem Iran und anderen Staaten der Region entwickelt. Und auch davon, wie die USA mit dergleichen Ambitionen umgehen werden.
Aber die Weichen sind gestellt …
Kategorie: Postsozialismus
Die Anschläge von Boston III
DIE ROLLE RUSSLANDS UND DIE INTERNATIONALE DIMENSION DER ANSCHLÄGE
Laut einem Artikel der Nowaja Gazeta war Tamerlan Tsarnajew auch im Visier der russischen Behörden und stand während seines mehrmonatigen Aufenthaltes in Machatschkala im Jahr 2012 unter ständiger Beobachtung. In einem Interview mit dem „Zentrum zur Bekämpfung des Terrorismus“ (ein solches gibt es in jeder russischen Kaukasus-Republik) teilte ein Mitarbeiter der Reporterin mit, daß junge Männer, die sich in letzter Zeit durch ihre Hinwendung zum Islam ausgezeichnet haben, stets im Visier der Antiterrorismus-Bekämpfung stehen, da aus diesen Kreisen die Selbstmordattentäter rekrutiert werden. Tamerlan Tsarnajew konnte nichts anderes nachgewiesen werden als Kontakt zu Personen, die im Laufe dieser 5-6 Monate im Rahmen der Antiterror-Aktionen dieses Zentrums erschossen wurden. Diese Information wurde den amerikanischen Behörden übermittelt, die jedoch nie geantwortet hätten.
Die Eltern der Brüder Tsarnajew sind offensichtlich nicht gewillt, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Subeidat Tsarnajewa hat ein Spendenkonto in Rußland eingerichtet, um Anwaltskosten für ihren Sohn Dschochar bestreiten zu können. Es ist auch möglich, daß sie über die tschetschenische Diaspora in anderen Ländern solche Konten einrichten läßt. In Wien demonstrierten Tschetschenen vor der US-Botschaft für die Unschuld des mutmaßlichen Attentäters. In Groznyj wurden Flugblätter verteilt, die zu seiner Unterstützung aufrufen.
Es ist wahrscheinlich, daß sich die Eltern auch an die russische Regierung gewandt haben und sie auffordern, sich für ihren Sohn einzusetzen.
Die ganze Angelegenheit dürfte bei Vladimir Putin unangenehme Erinnerungen hervorrufen.
Putin verdankt seinen politischen Aufstieg dem vor nicht allzulanger Zeit verstorbenen Boris Beresowski. Seine Berufung an die Spitze des Geheimdienstes geschah auf Betreiben Beresowskis. Mit der Ausrufung des Zweiten Tschetschenienkrieges und der „Heimholung“ Tschetscheniens in den Russischen Staatsverband gelang es Putin, sich als starker Mann zu präsentieren, der Ordnung im Land schafft und den weiteren Zerfall Rußlands verhindert. Diesem Krieg gingen mehrere Anschläge im Sommer und Herbst 1999 auf Wohnhäuser in Moskau, Buinaksk und Wolgodonsk voraus, der Hunderte von Menschen zum Opfer fielen, und mehr als tausend Verletzte zur Folge hatten. Diese Anschläge wurden den tschetschenischen Separatisten zugeschrieben, die ihre Autorenschaft jedoch stets bestritten haben.
Nachdem zwei Mitglieder einer Untersuchungskommission zur Aufklärung dieser Anschläge erschossen wurden, stellte diese ihre Arbeit ein. Beresowski hat im Exil ein Enthüllungsbuch zu diesen Anschlägen publiziert, in dem er Putin und den FSB der Autorenschaft bezichtigte. Das sollte seiner eigenen Entlastung dienen, da es wahrscheinlich er selbst war, der mit Hilfe seiner mafiösen Verbindungen diese Anschläge organisiert hat, um seinem Schützling Putin ein ordentliches Profil als Terrorismusbekämpfer zu verschaffen.
Und jetzt soll Putin bzw. die russische Regierung in der Frage der Tsarnajew-Brüder Stellung beziehen.
Keine einfache Sache ….
Die Anschläge von Boston II
DIE ROLLE DER MEDIEN UND DES INTERNETS
Die Rolle der Medien im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag ist sowohl bemerkenswert in ihrer Uniformität als auch entscheidend bei der Verbreitung der Sichtweisen, die zu diesem Bombenanschlag weltweit eingenommen werden sollen. Man darf nicht vergessen, daß in Folge der Anti-Terror-Gesetze der USA die Medien praktisch unter Kriegsrecht gesetzt sind und jede Zeitung oder Internet-Site in den USA Repressalien aller Art, die ihre Existenz gefährden, zu gewärtigen hat, wenn sie etwas publiziert, das den Behörden nicht genehm ist. Sie riskieren Hochverratsprozesse, Konfiskation von Auflagen usw.
Das erklärt teilweise die Zurückhaltung der US-Medien im Publizieren von Informationen, die unangenehme Fragen aufwerfen, und die Bereitwilligkeit, sich an Panikmache und Vorverurteilung zu beteiligen.
Weniger klar ist die Motivation der internationalen Medien, es ihnen nachzutun und sich gleichsam in vorauseilendem Gehorsam der Konstruktion eines Täterbildes hinzugeben. Vor allem der getötete Tamerlan Tsarnajew wird aufgrund aller möglichen Hintergrundinformationen – deren Quelle teilweise unklar ist, die aber auf die starke Observation des FBI hinweisen – als Wolf im Schafspelz dargestellt, der Frauen unterdrückte und vor Rachegefühlen gegen Nicht-Muslime brannte.
Bei diesem Propaganda-Feldzug kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die eigentliche Beweislage äußerst dürftig ist und daher Geständnisse und Psychogramme den Mangel an Beweisen kompensieren sollen.
Es ist aber auch offensichtlich, daß sich die Flaggschiffe diverser Medienimperien oder auch mit ökonomischen Schwierigkeiten kämpfende einstige Qualitätsblätter nicht mit den US-Nachrichtendiensten, der US-Innenpolitik und der US-Justiz anlegen wollen. Die Pressefreiheit wird sehr konsequent als eine Freiheit begriffen, diejenigen Informationen zu publizieren, die die Redaktionen selber für opportun und verbreitungswürdig halten. Hier ist die Parteinahme für die überlegene Gewalt der imperialistischen Führungsmacht auf jeden Fall Grundlage der Berichterstattung.
Die einzigen Medien, die sich dem Mainstream widersetzen, sind die Asia Times, einige Blogs und Aufdecker-Seiten, sowie die Website des Kaukasus-Emirates.
Diese Website, die es sichtlich als Herausforderung begreift, soliden Aufklärungs-Journalimus zu betreiben, und zu zeigen, daß man mehr ist als ein bloßes Dschihadisten-Blattl, hat nicht nur auf die offensichtlichen Widersprüche der Berichterstattung der US-Medien hingewiesen. Sie haben auch den Eltern der beiden Verdächtigen Raum gegeben ihre Sicht der Dinge darzustellen, die meinen, ihren Söhnen sei eine Falle gestellt worden, um dann eine große Show zu inszenieren.
Auf Kavkazcenter wird auch darauf hingewiesen, daß der Onkel der Tsarnajew Brüder, Ruslan Tsarni, der sich sofort von seinen Neffen distanziert hat, als sie ins Visier der Ermittlung gerieten, höchstwahrscheinlich Mitarbeiter des CIA ist und für diesen in mehreren mittelasiatischen Republiken tätig war.
Das lenkt den Blick des Lesers auf die Immigrations- und Einbürgerungspolitik der USA, die diversen Flüchtlingen aus der ehemaligen SU, besonders aus dem Kaukasus Asyl oder Einwanderung mit der Absicht ermöglich, diese Leute dann auf Missionen aller Art als Agenten in Rußland oder den GUS-Staaten einzusetzen. Muslimische Personen bieten sich dafür aufgrund ihrer Ressentiments gegenüber Rußland besonders an. Sie sind also aus mehreren Gründen im allgemeinen Gegenstand von Observation,und stehen oft auch unter beachtlichem Druck von Seiten der Behörden.
Obwohl Kavkazcenter nur einen Teil der Artikel auch auf Englisch publiziert, den Rest nur auf Russisch, so ist diese Website als Loch in der US-konformen Berichterstattung bereits unangenehm aufgefallen.
Im US-Senat gab es eine Anhörung eines Uni-Professors, ob das Kaukasus-Emirat (das ohnehin bereits als terroristische Vereinigung eingestuft ist), eine Gefahr für die InteressenAmerikas darstelle?
Fortsetzung: Die Rolle Rußlands und die internationale Dimension der Anschläge