Weitere von der Euro-Schuldenkrise betroffene Staaten

ALTERNATIVLOS UND PERSPEKTIVLOS
Sehr wenig hört man in letzter Zeit von Portugal. Seine Schulden sind – ähnlich denen anderer Krisenstaaten – trotz drastischer Sparmaßnahmen gestiegen, da durch die Rezession auch die Einnahmen aus Steuern und Abgaben gesunken sind. Im Oktober versuchte die Regierung eine Umschuldung, bei sie der Anleihen, die 2013 fällig gewesen wären, gegen solche tauschte, die erst 2015 fällig werden. Sie konnte nur einen Teil der solcherart angebotenen Wertpapiere umschulden. Der Premierminister Passos Coelho hat angekündigt, eine Fristverlängerung für die Schuldenreduktion zu beantragen, da die derzeitigen Ziele unerreichbar sind.
Portugal hat zwar alles gemacht, um die Vorgaben der Troika zu erfüllen – das Geld der Pensionskassen einkassiert, den Kündigungsschutz gelockert, Gehälter gesenkt, Beamten entlassen und Steuern erhöht, und eine gewaltige Privatisierungswelle eingeleitet – und steht eben gerade deswegen schlecht da, weil Geschäftstätigkeit und Konsum drastisch zurückgegangen sind.
Trotz aller möglichen und auf keinerlei realen Grundlagen fußenden optimistischen Prognosen, daß sich Ende 2013 eine Besserung der Lage abzeichnen werde, weiß im Grunde jeder, daß das Land perspektivlos ist, umso mehr, als jetzt lange Wintermonate bevorstehen, in denen kaum Tourismuseinnahmen zu erwarten sind. Es fragt sich nur, welche Schlüsse sowohl die internationalen wie auch die nationalen Akteure daraus ziehen werden.
Portugal könnte insofern zu einer Kalamität für die ganze EU werden, weil es eben alle Empfehlungen und Anordnungen der EU, Troika usw. genau befolgt hat und man daher an Portugal sehr deutlich sehen kann, daß diese Maßnahmen weder zu einer Reduktion der Schuld noch zu einer Belebung der Wirtschaft führen – also zur Stabilisierung der Währung und einer Steigerung des Vertrauens in den Euro nichts beitragen.
Zypern, dessen Banken durch den Wertverlust der griechischen Staatsanleihen empfindlich getroffen wurden, hat schon vor einiger Zeit um ein Hilfsprogramm angesucht. Es wäre das vierte Land, das mit auf den gemeinsamen Kredit der EU-Staaten mit Hilfen aus einem europäischen Rettungsfonds gestützt würde. Diese „Hilfe“ wäre natürlich auch wieder ein Kredit, der zu bedienen und irgendwann einmal zurückzuzahlen wäre.
Gerade deshalb, weil mit Zypern diese ursprünglich als Not- und Überbrückungsmaßnahme eingerichtete Rettungsfonds-Wirtschaft sozusagen in Serie gehen würde, und weitere Kandidaten schon in der Warteschlange stehen, zögert die EU und auch die Troika. Denn jedes Hilfspaket für das an und für sich kleine und überschaubare Zypern würde wieder Eckdaten für die anderen Staaten setzen. Schon hat Irland angekündigt, ähnliche Konditionen wie Griechenland zu wollen, vor allem einen Schuldenschnitt. Zypern verlangt Ähnliches.
Also streiten sich EU und IWF hin und her und zögern mit Entscheidungen. Inzwischen hat Rußlands Präsident Hilfe angekündigt. Weder ist sicher, ob Zypern diese annehmen dürfte, sollte sie tatsächlich gewährt werden – damit wäre Rußland mit im Boot der Euro-Rettung – noch ist klar, wie sie aussehen sollte.
Etwas Verwirrung gab es im Herbst um Slowenien, da der Regierungschef plötzlich und zur Überraschung vieler im In- und Ausland ankündigte, daß Slowenien kurz vor dem Bankrott stünde und bald um Hilfskredite von der EU ansuchen müsse.
Wie sich seither herausgestellt hat, hat Jansa etwas übertrieben, um seine projektierten Sparpakete im Inland durchs Parlament zu bringen. Seine Kassandrarufe haben aber das Augenmerk der internationalen Akteure auf Slowenien gelenkt und seine Bonität beschädigt. Es steht zwar besser da als angekündigt, hat aber mit Rezession, einer Immobilien- und Bankenkrise zu kämpfen und hat gerade auch ein Sparpaket verkündet, das vor einigen Wochen die Bevölkerung zu Protestkundgebungen auf die Straßen getrieben hat.
In Slowenien ist nämlich damit der Erfolgsweg vorbei, den dieses Land mit der von seinen Politikern aktiv betriebenen Zerschlagung Jugoslawiens begonnen hat: mit seiner weltmarktfähigen Industrie, seinem gut positionierten Bankensektor und seinen Verbindungen zu den Nachfolgestaaten Jugoslawiens als Bindeglied zwischen der EU und den einstigen Mitbürgern zu fungieren und an allen Geschäften, die durch Slowenien gehen, etwas mitzunaschen. Das war auch lange die Grundlage des Erfolges der slowenischen Banken, die wegen ihrer Pionierfunktion in beide Richtungen sehr kreditwürdig waren und mit diesem Kredit groß ins Immobiliengeschäft einstiegen – wie andere Banken Europas auch. Die Hypo Alpe Adria läßt grüßen.
Diesen 3 Staaten ist im Grunde ihre Staatsräson abhanden gekommen. Portugal ist – ähnlich wie Griechenland – auf die Rolle eines Vollstreckungsgehilfen für fremde Zwecke reduziert. Den anderen steht das noch bevor. Es ist abzuwarten, wie diese Regierungen damit umgehen werden.

Demokratie, Antifaschismus und Antisemitismus heute

JUDEN IM PARLAMENT?!
Der Jobbik-Abgeordnete Márton Gyöngyösi hat unlängst – im Zusammenhang mit einer Debatte, wie sich Ungarn zur jüngsten Attacke Israels auf Gaza positionieren sollte – im ungarischen Parlament verkündet, man müßte einmal feststellen, wieviele Juden in Ungarn in Parlament und Regierung sitzen, weil sie die nationale Sicherheit gefährden. Später hat er diese Äußerung dahingehend modifiziert, daß er sich dabei auf Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft, ungarischer und israelischer, bezogen habe.
Diese Äußerung wurde in der internationalen Presse so kolportiert, als ob er eine neuerliche Registrierung aller Juden in Ungarn gefordert habe.
Bei dem internationalen Aufschrei um diesen neuen barbarischen Akt des Antisemitismus ist völlig die Frage untergegangen, in welchem Zusammenhang diese Äußerung mit der parlamentarischen Debatte stand, und was Gyöngyösi eigentlich dabei gemeint hat.
Zunächst ist einmal festzustellen, daß z.B. Österreich die Doppelstaatsbürgerschaft verbietet und ein Abgeordneter im österreichischen Parlament sein Mandat verlieren würde, falls sich herausstellen sollte, daß er noch eine andere Staatsbürgerschaft besitzt. Ebenso gab es vor einigen Jahren eine Debatte in Deutschland um die zweite Generation der türkischen Gastarbeiterkinder: ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollten, weil ihre Loyalität gegenüber den „deutschen Werten“ zweifelhaft sei, es aber umgekehrt vom Standpunkt der deutschen Staatsraison ebenso unzweckmäßig wäre, sie als weiterhin als türkische Staatsbürger auf deutschem Boden zu dulden, weil sie dann noch unsicherere Kantonisten wären.
Es ist offensichtlich ein Bedürfnis jeden Staates, seine Bürger in In- und Ausländer zu scheiden und da eine genaue Trennlinie zwischen den „unsrigen“ und den „anderen“ zu ziehen. Die Frage ist dabei, wie sehr sie dem Staat, der Nation dienen – im friedlichen Handel und Wandel ebenso wie bei letzten, höchsten Dienst, die ein Staat seinen Bürgern abverlangt, als Kanonenfutter im Krieg.
Während ein Staat wie Deutschland oder sogar Österreich dieses Bedürfnis in Gesetzesform gießen und exekutieren und diskutieren darf, ist das offenbar einem Staat wie Ungarn verwehrt. Es ist den „neuen“ EU-Staaten mehr oder weniger vorgeschrieben, daß so etwas wie ein nationales Eigeninteresse nur dann zugelassen ist, sofern es den Bedürfnissen des internationalen Kapitals nicht zuwiderläuft. Dazu gehört auch, Ausländer – beileibe nicht nur aus Israel, wie die Jobbik meinen – zu hofieren, gegebenenfalls einzubürgern und ihnen alle Freiheiten zu gewähren, sobald sie sich als Investoren betätigen.
Und da meinte Gyöngyösi offenbar, daß Ungarn sich nicht einmal eine eigenständige Außenpolitik leisten kann, sobald es um die Nahostfrage geht, weil vitale Interessen der ungarischen Ökonomie berührt sind.
Man sieht auch, wie kommod für andere im Parlament vertretene Parteien der Antisemitismus-Vorwurf ist, mit dem man diesen Einwand vom Tisch wischen kann. Es käme sonst zu einer gerade für die Regierungskoalition unangenehmen Debatte darüber, was Ungarns Staatsraison eigentlich ist und welchen Interessen diese Regierung genauso wie die Vorgängerregierung verpflichtet ist – in einem Land, in dem in jedem Winter Leute erfrieren und das inzwischen wieder dort ist, wo es in der Zwischenkriegszeit war – mit 3 Millionen Bettlern, die zwar nicht betteln, aber unter dem Existenzminimum leben und sich mit Hilfe von öffentlichen Ausspeisungen und Kleinkriminalität über Wasser halten.
Die Jobbik als tatsächlich „neue Kraft“ machen es sich natürlich auch leicht, indem sie in typisch bürgerlicher Manier auf Schuldsuche gehen und für die Übel Ungarns regelmäßig ein sehr unbestimmtes „Ausland“, meistens Israel oder Brüssel, verantwortlich machen und im Inneren jede Menge „Andersartige“ dingfest machen, die sich in der einen oder anderen Form als Agenten volksfremder Interessen betätigen.
Die in den Medien praktizierte Art von Umgang mit einer Äußerung wie der Gyöngyösis ist allerdings ein sicheres Mittel, den Jobbik in Ungarn weitere Sympathisanten zu schaffen und ihrer Sichtweise populär zu machen.

Der Bankrott der Gemeinden 2

DIE GEMEINDEAUTONOMIE IN UNGARN
Ungarn war durch die Wende 1990 praktisch pleite. Die RGW-Märkte waren verlorengegangen, und der Westhandel wurde von den kapitalistischen Staaten gestoppt, weil er seinen Zweck, die Aufweichung des sozialistischen Ostblocks, erfüllt hatte. Der IWF und zahlreiche westliche Berater griffen der ersten frei gewählten ungarischen Regierung unter József Antall unter die Arme und bestärkten sie darin, alle Wirtschaftszweige weiter zu ruinieren und möglichst rasch zu privatisieren.
Die Idee der Gemeindeautonomie stammte eigentlich von einer damals in Opposition befindlichen (und heute nicht mehr existenten) Partei, den Freien Demokraten, sie wurde aber von der Regierung gerne aufgegriffen und als Gesetz verabschiedet, weil es der Regierung die Möglichkeit verschaffte, sich von den Kosten zu entlasten, die ihre Gesellschaft verursachte. In vielen Artikeln der neu entstandenen freien Presse wurde die Einführung der Gemeinde- (und auch der Komitats-) Autonomie als ein Befreiungsschritt besprochen, der den Behörden und der Bevölkerung vor Ort die Möglichkeit gab, endlich! selbst über ihre eigenen Angelegenheiten zu bestimmen.
Der Pferdefuß, der immer den Debatten über Zentralismus und Föderalismus anhaftet – was für ein gesellschaftliches System die Ziele vorgibt, über die dann oben oder unten entschieden werden soll – war natürlich auch hier die Grundlage dieser neuen Freiheit. Es ging um Marktwirtschaft, um die Herrschaft des Profits, und das gab den Rahmen vor, innerhalb dessen sich diese Gemeindeautonomie entwickelte.
Die neuen Gemeinderäte und Bürgermeister hatten wenig Mittel zur Verfügung, um die anstehenden Aufgaben – Aufrechterhaltung der Infrastruktur, der Straßenbeleuchtung, soziale und kulturelle Aufgaben – zu erfüllen. Schon Mitte der 90-er Jahre gab es bankrotte Gemeinden. Der Tourismus am Balaton, der vor der Wende floriert hatte, brach zusammen, und viele Gemeinden dort, die ihr Budget auf Tourismuseinnahmen aufgebaut hatten, sahen durch die Finger. So konnte sich z.B. Siófok einmal keine Rettungsautos mehr leisten. Woanders konnte das Straßennetz, oder die elekrischen Leitungen nicht erneuert werden, usw. usf. Als Lösung vieler finanzieller Löcher, die dann immer wieder notdürftig gestopft wurden, erschien der EU-Beitritt, die Fördertöpfe und der Kredit, der nach 2004 reichlich floß, vor allem durch die auch hierzulande beliebten Fremdwährungskredite.
Das Schema der Kreditaufnahme war in vielen Gemeinden gleich: Die Gemeinde nahm einen Fremdwährungskredit, meistens in Schweizer Franken bei einem lokalen Geldinstitut auf. Diese Summe hinterlegte sie in einem anderen Geldinstitut als Forint-Einlage. Aus der Zinsdifferenz generierte sie die Eigenmittel, die für EU-Projekte verlangt wurden, und aus den dann von der EU zur Verfügung gestellten Fördergeldern renovierte sie entweder sanierungsbedürftige Gebäude, oder errichtete neue Kultureinrichtungen. Besonders beliebt waren – oftmals von Stararchitekten geplante – „Erlebnisbad“ genannte Thermen, die den örtlichen Tourismus beleben sollten.
Beispiel 2: Esztergom
Esztergom hat 31.000 Einwohner, liegt im Donauknie und war jahrhundertelang der Sitz des ungarischen Erzbischofs. Ebenso ist es im Prinzip der Sitz des ungarischen Verfassungsgerichtshofes. Weder der VGH noch der Erzbischof residieren jedoch dort: sie bevorzugen die Hauptstadt und nicht diesen als „Pfaffennest“ apostrophierten, aber etwas abgelegenen lieblichen Ort.
Esztergom hat einige touristische Attraktionen, so die größte Kathedrale Ungarns und eine der größten Europas. Außerdem ist es eine interessante Destination für türkische Touristen, die dort die Ausdehnung des osmanischen Reiches bestaunen können, anhand eines Minaretts und eines Grabmals eines türkischen Helden. Schließlich besitzt es seit 2005 die für aufstrebende ungarische Gemeinden unentbehrliche Erlebnistherme
Vor allem jedoch gibt es in Esztergom eine Autofabrik, die über 4000 Leute beschäftigt. Dieser Umstand wirft ein bezeichnendes Licht auf die Art und Weise, wie der Kapitalismus nach der Wende in Ungarn implantiert wurde: Suzuki errichtete dieses Werk 1991 und erhielt anscheinend völlige Steuerbefreiung. Es ist nicht klar, ob Suzuki heute irgendwelche Steuern zahlt, aber wenn ja, so offensichtlich nicht ins örtliche Gemeindebudget.
Esztergom ist seit über einem Jahr zahlungsunfähig. Im vorigen Jahr wurden die Brunnen abgedreht, die Stadtbeleuchtung zurückgefahren, und die örtlichen Parkanlagen von Gemeinderatsmitliedern freiwillig von Müll befreit. Die Aufrechterhaltung der Feuerwehr war in Gefahr, ebenso die Müllabfuhr. Dann wurde eine Zeitlang die Schulspeisung ausgesetzt. Der öffentliche Verkehr in Esztergom wurde eingestellt. Seither betreibt die britische Supermarktkette Tesco eine Art Notdienst, eine abgespeckte Variante des öffentlichen Verkehrs, um Kunden in ihr am Stadtrand von Esztergom gelegenes Einkaufszentrum zu befördern.
Das hat zu administrativen Eigenartigkeiten geführt. Im Gemeinderat von Esztergom hatte immer Fidesz die Mehrheit, und stellte lange auch den Bürgermeister. Der Volkszorn über die Unzulänglichkeiten der Stadtverwaltung kanalisierte sich aber nicht darin, die oppositionellen Sozialisten oder Jobbik an die Macht zu befördern, sondern in der Wahl einer parteiunabhängigen Bürgermeisterin. Das wiederum hat den Fidesz-dominierten Gemeinderat dazu bewogen, seit über einem Jahr alle Initiativen der Bürgermeisterin zu blockieren. So konnten auch die Schulden bei den Banken nicht neu verhandelt werden.
Mit Berufung auf die unmöglichen Zustände in Esztergom holte die ungarische Regierung zu ihrem nächsten großen Schlag in der Neuordnung des Staatsapparates aus: Der Liquidierung der Gemeindeautonomie. Ein entsprechendes Gesetz, das „Lex Esztergom“ heißt, wurde voriges Jahr im November beschlossen. Demzufolge übernimmt der Staat die Aufgaben und die Schulden Esztergoms und ernennt dann die Beamten, die sich in Zukunft um die Belange der Stadt zu kümmern haben.
Esztergom ist ein Pilotprojekt für die „Verstaatlichung“ der Gemeinden.
Erstens werden laut Gesetz nicht alle Schulden übernommen, nur die „institutionellen“. Was das konkret heißt, wird erst noch mit den Geldinstituten auszustreiten sein. Sie werden vermutlich gezwungen werden, Abstriche zu machen. Die rechtliche Situation ist unklar, aber es sieht nicht gut aus für die Kreditinstitute: Das Subjekt, das ihr Schuldner war, die Gemeinde, hat sich ja in Luft aufgelöst.
Zweitens sind alle Verträge mit Gemeindebediensteten und Versorgerfirmen hinfällig. Auch da gibt es Einsparungs- und Verhandlungspotential.
Der nächste Kandidat für die Anwendung des Gesetzes ist das Komitat Pest …