Pressespiegel El País, 11.11.: Die Mudschahedin-e-Khalq als Teil der europäischen Politik

DIE IRANISCHE ORGANISATION, DIE VOX ÜBER VIDAL-QUADRAS FINANZIERT HAT: OPPOSITIONSGRUPPE, TERRORISTISCHE ORGANISATION ODER SEKTE?

Der Politiker Vidal-Quadras verbindet den Angriff, den er erlitten hat, mit seinen Verbindungen zum »Nationalen Widerstandsrat des Iran«, einer Exilgruppe mit einer langen Geschichte der Gewalt.

Kurz nachdem ihm an diesem Donnerstag in Madrid in den Kiefer geschossen wurde, erklärte der 78-jährige ehemalige Präsident der katalanischen PP und Gründer von Vox, Alejo Vidal-Quadras gegenüber der Polizei, daß dieser Angriff möglicherweise mit seinen Verbindungen zur iranischen Opposition im Exil zusammenhängt. Diese Hypothese wird derzeit laut Quellen aus Polizeikreisen untersucht.
Vidal-Quadras, ehemaliger Vizepräsident des Europäischen Parlaments (1999–2014) verwies auf seine Beziehungen zum Nationalen Widerstandsrates des Iran (NWRI), dem politischen Zweig einer umstrittenen Organisation, den Volksmudschahedin des Iran.
Diese Organisation stand bis 2009 bzw. 2012 auf den Listen terroristischer Gruppen der EU und der USA. Die Präsidentin des NWRI, Maryam Radschavi, beschuldigte Stunden später in einem Tweet den »an der Macht befindlichen religiösen Faschismus des Iran«, hinter dem Angriff zu stecken. Die iranische Botschaft in Spanien hat diesen Vorwurf in einer Erklärung zurückgewiesen, in der sie »jede Form des Terrorismus« ablehnt und der Oppositionsgruppe vorwirft, den Tod von »17.000 unschuldigen Menschen« verursacht zu haben.“

So ganz stimmt das nicht, daß der Iran den Terrorismus ablehnt – hin und wieder hat sich auch der iranische Gottesstaat in diese Niederungen der politischen Auseinandersetzung begeben. Die Kurdenmorde von Wien 1989, das Mykonos-Attentat in Berlin 1992, der Anschlag auf die AMIA 1994, oder das Attentat auf Massud Molavi 2019 gehen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auf das Konto des Iran.
Das ist allerdings alles klein gegen die Anschläge auf Kinos zur Zeit des Schah, die Hunderte Tote forderten und damals und später dem damaligen iranischen Geheimdienst SAVAK zugeschrieben worden waren – während heute bekannt ist, daß sie von Anhängern Chomeinis durchgeführt wurden, die damit den westlichen Einfluß und die Unsittlichkeit bekämpfen wollten.

Gegen die Tätigkeit der Volksmudschahedin verblassen jedoch auch alle diese Attentate. Sie machten sich schon zu Zeiten des Schah einen Namen durch Terrorattentate und wurden später zu einer Art Todesschwadron-Gruppe im Irak, die sich unter Saddam Hussein als Aufräum-Truppe gegen irakische Kurden und Iraner einen Namen machten. Die Volksmudschahedin wurden dort eingesetzt, wo sich die irakische Führung ihrer eigenen Militärs nicht sicher war.

Heute ist ihr Hauptquartier in Albanien, das sie 2010 aufnahm, um sich bei der damaligen US-Führung beliebt zu machen und sie seither nicht mehr los wird.


„Was sind der NWRI und die MEK?

Der Nationalen Widerstandsrat (NWRI) ist eine Organisation, die mehrere Oppositionsgruppen im Exil in der Islamischen Republik Iran vereint und die als bloßes Feigenblatt der Volksmudschahedin des Iran (»Modschahedin-e-Khalq«, kurz MEK) betrachtet wird. Hierbei handelt es sich um eine iranische Oppositionsgruppe mit einer dunklen Vergangenheit.
Die MEK ist nicht nur die größte Oppositionseinheit zum iranischen Regime, das ihr den Tod von 17.000 Menschen zuschreibt. Dieser Gruppe wird auch vorgeworfen, daß sie ihre Mitglieder schweren Menschenrechtsverletzungen und Praktiken der Gedankenkontrolle aussetzt.
Zwei Berichte, einer von Human Rights Watch aus dem Jahr 2004 und ein weiterer im Auftrag der US-Regierung aus dem Jahr 2009, kamen zu dem Schluss, daß die Organisation viele der typischen Merkmale einer Sekte aufwies. Im zweiten Abschnitt wurden Missbräuche wie »autoritäre Kontrolle, Beschlagnahmung von Eigentum, sexuelle Kontrolle (einschließlich Zwangsscheidung und Zölibat), emotionale Isolation, Zwangsarbeit, Schlafentzug, körperliche Misshandlung« und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ihrer Mitglieder detailliert beschrieben.“

So so.
Eigenartig, daß es diese Sekte bis heute gibt und sie sogar ein eigenes »Hauptquartier« hat.

„Wie entstanden die MEK?

Die »Mujahidin e-Khalq« (Volks-Dschihadisten) entstanden 1965 als radikale Abspaltung der nationalistischen Befreiungsbewegung des Iran, die sich gegen die Diktatur von Schah Mohamed Reza Pahlavi wandte. Deren Ideologie war eine Mischung aus marxistischer, maoistischer Philosophie und schiitischer Befreiungstheologie, die sich bei der Verteidigung eines gewaltsamen revolutionären Kampfes trafen.
Die Organisation begrüßte mit Begeisterung die Islamische Revolution von 1979 und die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran im selben Jahr. Diese anfängliche Nähe zum iranischen Regime ging durch die Bedenken des Obersten Führers Ayatollah Chomeini hinsichtlich der Ideologie der Gruppe in die Brüche. Diese Bedenken führten nämlich auch zum Ausschluß der Organisation und ihres damaligen Führers Massud Radschavi von der Machtverteilung in der Islamischen Republik.“

Eine elegante Art, auszudrücken, daß Chomeini und seine engeren Mitarbeiter offensichtlich von den Mudschahedin nichts hielten.

„Waren die MEK eine Terrorgruppe?

In den 1970er Jahren, vor dem Sturz des Schahs, ermordete die MEK zahlreiche Iraner und Westler im Iran. Nach ihrem Bruch mit dem Chomeini-Regime wurden sie im Juni 1981 verboten, als die Behörden ihnen einen Bombenanschlag vorwarfen, bei dem 74“ (angeblich in Wirklichkeit 85) „Menschen starben, darunter die damalige Nummer zwei der Islamischen Republik, Ayatollah Mohammad Beheschti.
Im selben Monat wurde die MEK des Angriffs beschuldigt, der die rechte Hand des derzeitigen Obersten Führers Irans, Ayatollah Ali Chamenei, gelähmt hatte. Im August führte ein neuer Angriff der Nationalen Befreiungsarmee – dem bewaffneten Flügel der MEK – zum Tod von Präsident Mohamed Ali Radschai und Premierminister Mohammed Dschavad Bahonar.“

Bis heute ist allerdings nicht sicher, ob die Volksmudjahidin tatsächlich alle diese Attentate verübt haben oder ob Machtkämpfe innerhalb der sich eben konsolidierenden Islamischen Republik den MEK in die Schuhe geschoben wurden, um nach außen Einheit vorzutäuschen.

„1983 gingen die Führung der Organisation und fast alle ihre Mitglieder nach einer gewaltsamen Repressionskampagne der iranischen Behörden nach Paris ins Exil.

Und heute?

Im Jahr 2012 verzichtete die MEK öffentlich auf Gewalt und wurde dadurch von der US-Liste terroristischer Organisationen gestrichen. Drei Jahre zuvor hatte die EU sie ebenfalls von ihrer Liste gewalttätiger Gruppen gestrichen.
Es besteht jedoch der Verdacht, daß sie an Anschlägen beteiligt waren, bei denen zwischen 2010 und 2012 fünf iranische Nuklearwissenschaftler getötet wurden. Von NBC zitierte US-Beamte gaben an, daß von den israelischen Geheimdiensten ausgebildete Auftragsmörder der Organisation diese Anschläge verübt hätten. Die MEK bestreiten dies.“

Nun ja. Das ist ja Terrorismus für den Westen und daher nicht bedenklich.

„Welche Beziehung haben diese Gruppen zu Vidal-Quadras und Vox?

Der NWRI hat die Partei Vox seit ihrer Gründung finanziell unterstützt, wie Vidal-Quadras selbst gegenüber dieser Zeitung bestätigte.
Die erste Überweisung von iranischen Gegnern (1.156,22 Euro) erhielt die Partei am selben Tag, an dem sie am 17. Dezember 2013 im Register der politischen Parteien des Innenministeriums eingetragen wurde.“

Man fragt sich, warum diese edle Spende?

Gegenüber der hier genannten bescheidenen Summe ist festzuhalten, daß die Unterstützung dieser iranischen Gruppe für Vox beträchtlich war.
Vox, die inzwischen 33 (12%) Sitze im spanischen Parlament hat und seit Jahren in regionalen Parlamenten und Gemeinderäten als Zünglein an der Waage mit der PP regiert, konnte sich ursprünglich nur dank der Spenden des NWRI aus der Bedeutungslosigkeit zum politischen Machtfaktor emporschwingen.
Die Rede ist von einer Summe zwischen einer halben und einer Million Euro.

Die zweite Frage, die sich hier auftut ist, warum diese Organisation über so viel Geld verfügt, das sie ohne weitere Probleme einer obskuren spanischen Mini-Partei hinüberschieben kann?

„Hat diese Gruppe Unterstützung im Iran?

Nein.
Die Ablehnung des NWRI ist einer der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen dem islamischen Regime und vielen seiner iranischen Gegner.
Der Hauptgrund sind ihre terroristischen Aktivitäten im Iran, aber auch das, was viele Iraner als Verrat empfinden: Als Frankreich 1986 die MEK auswies, ließ sich die Gruppe im Irak nieder und ihre Mitglieder kämpften in den Reihen der irakischen Armee Krieg gegen den Iran. Sie arbeiteten auch mit Saddam Hussein zusammen, um abweichende Meinungen und Opposition im Irak zu verfolgen.
Einige Zeugenaussagen haben berichtet, daß die Gruppe sogar“ (offensichtlich nicht-iranische) „Studenten dafür bezahlen muß, sich bei der Großveranstaltung, die sie normalerweise jedes Jahr am Stadtrand von Paris veranstaltet, als Iraner auszugeben.

Wer unterstützt den NWRI?

Die offenbar große Verfügbarkeit von Geldern – mehrere Berichte deuten auf eine angebliche Finanzierung durch Saudi-Arabien hin – hat es dieser Gruppe ermöglicht, unter anderem in den USA, Frankreich und dem UK Lobbyarbeit zu betreiben und die Unterstützung von Parteien und Politikern unterschiedlicher Ideologien zu gewinnen. Diese Lobbyarbeit führte dazu, daß bei den jährlichen Treffen Politiker anwesend waren, die dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump nahe stehen, darunter der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani und der ehemalige Vizepräsident Mike Pence.
Laut Joanne Stocker, einer Journalistin, die MEK-Spenden in den USA untersuchte, hätte der ehemalige nationale Sicherheitsberater der Trump-Administration John Bolton bis zu 180.000 US-Dollar [168.000 Euro] für seine Rede bei einer dieser Kundgebungen erhalten, sagte sie MSNBC. Auch die ehemaligen spanischen Präsidenten José María Aznar (2016 und 2010) und José Luis Rodríguez Zapatero (2013) nahmen an der jährlichen NWRI-Kundgebung teil.“

Diese eigenartige (ex-?)Terror-Sekte ist also bestens vernetzt und mit beachtlichen Finanzen ausgestattet und mischt in der spanischen Parteienlandschaft mit.
Und das, wo heute gerade Einheit gegen den „Terrorismus der HAMAS“ gefordert wird.
Eine beunruhigende Entwicklung.

Pressespiegel El País, 5.11.: Was wird aus dem Gazastreifen?

„WAS KOMMT NACH DEM KRIEG?: DER GAZASTREIFEN VON ÜBERMORGEN BEUNRUHIGT DIE WELT

Die USA fordern Israel dringend auf, jetzt über Szenarien für den Gazastreifen nachzudenken, der aus den Trümmern entstehen soll.
Experten weisen auf die Schwachstellen des Plans hin, der Gestalt annimmt“

Wie sich im Weiteren herausstellt, gibt es keinen Plan, oder aber einen solchen, der nicht durchsetzbar sein wird: Die vollständige Vertreibung

„Heutzutage hört man in Israel häufig den Ausdruck: »Sobald wir gewinnen.« Es dient dazu, dringende Fragen aufzuschieben oder sich ein besseres Leben vorzustellen, wenn das Land die öffentlich dargelegte Mission erfüllt: die Hamas in Gaza zu liquidieren, die für ihren blutigsten Tag in 75 Jahren Geschichte verantwortlich ist.“

Man fragt sich, wann die israelische Führung eigentlich die HAMAS für „liquidiert“ ansieht?
Zur Erinnerung: Die HAMAS besteht aus vielen dezentralen Teilen. Ihre Anführer leben in Katar oder der Türkei. Sie lassen sich nicht so einfach von Israel liquidieren.
Weiters gehören zur HAMAS außer den Kassam-Brigaden, die den Anschlag nach Israel geplant und durchgeführt haben, auch verschiedene andere Unterorganisationen, die sozusagen den gesamten Sozialstaat im Gazastreifen verwalteten, von Lehrern über medizinisches Personal und Leute, die humanitäre Hilfe besorgten und verteilten, in Zusammenarbeit mit der UNO, dem Roten Halbmond und verschiedenen NGOs. Und auch Polizei, Justiz usw.
Weiters vermute ich, daß die HAMAS keine Mitgliedsbücher und kein Verzeichnis ihrer Mitglieder führt.
Es ist also im Grunde jeder Bewohner des Gazastreifens verdächtig, der HAMAS anzugehören oder mit ihr zu sympathisieren – schon allein deshalb, weil in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten dank der Bedingungen, unter denen die Bewohner des Gazastreifens existieren mußten, an der HAMAS kein Weg vorbei geführt hat.
Das heißt, solange noch Menschen dort leben, kann man nie sicher sein, die HAMAS „liquidiert“ zu haben.

„Auch wenn die Formulierung vage ist und Experten sich über ihren Realismus nicht einig sind, handelt es sich um ein klares Ziel, für das sie unaufhörlich bombardiert (die Zahl der Toten übersteigt 9.000, hauptsächlich Zivilisten) und die Hauptstadt von Gaza mit Panzern umgibt.
Aber was danach?
Wer wird den Gazastreifen regieren, wenn die islamistische Parteimiliz, die dies seit 2007 getan hat, gestürzt ist? Wer wird verhindern, dass der Hass in seinen Trümmern einen neuen Irak nach Saddam Hussein entstehen lässt?
Dies sind Fragen, die Washington – da sein sehr symbolträchtiger Rückzug aus Afghanistan noch lebendig im Gedächtnis ist – und die arabischen und europäischen Außenministerien, besorgt über die möglichen Auswirkungen, wie etwa eine Flüchtlingskrise, Israel dieser Tage privat stellen.“

Eine wohlbegründete Besorgnis. Israel will die Bewohner Gazas vertreiben, und genau das befürchten die Nachbarstaaten, die USA – und auch die EU.

„Letzte Woche reagierte der nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi in einer Pressekonferenz defensiv (»Der Tag danach?«) und betonte, dass es Israels aktuelles Anliegen sei, die mehr als 200 Geiseln zu befreien und der Hamas ein Ende zu setzen.“

Das mit den Geiseln ist ein fertiger Textbaustein, hinter dem keine Ernsthaftigkeit steht.
Die israelische Führung nimmt locker in Kauf, daß diese Leute unter Schutt und Trümmern ihr Ende finden, genauso wie ihre Bewacher.

„»Wenn wir dem Ziel nahe sind, können wir über den Tag danach nachdenken«, betont der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Lior Haiat.

Die USA drängen jedoch ihren Verbündeten, dem sie wirtschaftlich und militärisch helfen, mittel- bis langfristig zu denken. Außenminister Antony Blinken sprach das Thema an diesem Freitag auf einer Pressekonferenz in Tel Aviv an, bei seinem dritten Besuch in Israel seit Beginn des Krieges am 7. Oktober: »Alle sind sich einig, dass es keine Rückkehr zum Status quo gibt, in dem die HAMAS weiterhin Regierungs- und Sicherheitsverantwortung trägt.«
»Aber«, fügte er hinzu, »wir wissen auch, dass Israel die dauerhafte Kontrolle von Gaza, aus dem es 2005 seine Siedler und Soldaten abgezogen hat, das es aber technisch gesehen weiterhin besetzt hat, nicht wieder aufnehmen kann« und das auch »nicht beabsichtigt«. Mit diesen Zielen, fügte er hinzu, führen die USA Gespräche mit ihren regionalen und internationalen Partnern, aus denen sich »mehrere Möglichkeiten und Varianten« ergeben hätten, auf die es jedoch »verfrüht« sei, näher einzugehen.“

Eine davon wäre vermutlich, das Territorium samt Leuten Ägypten zu übergeben und denen dann die Aufsicht über die Bewohner zu übertragen.
Es fragt sich nur, ob das irgendwer will? – in Ägypten, in Israel und in der restlichen arabischen Welt, Palästinenser in der West Bank inbegriffen.

„Die Debatte dominiert jedoch bereits akademische und Sicherheitskreise. »Es ist keineswegs zu früh für die Biden-Administration, über das Thema zu sprechen«, sagte Gerald M. Feierstein, ehemaliger Diplomat und Nahostexperte am »Middle East Institute«, einem US-Analysezentrum für die Region, an diesem Donnerstag in einer Videokonferenz. Feierstein kritisierte, dass sich die gesamte Debatte »immer nur um Gaza dreht«, etwa »wer wird ihn regieren oder wie der Wiederaufbau aussehen wird … Wir müssen erkennen, dass dies eine israelisch-palästinensische Angelegenheit ist, nicht bloß Israel und Gaza, und dass die Lösung politisch und nicht militärisch ist und keine der Parteien durch Gewalt den Sieg erringen wird«, bemerkte er.
In den Gesprächen wird bereits ein Plan skizziert. Sobald das israelische Militär die exekutiven und militärischen Fähigkeiten der Hamas zerstört, würde es eine drei Kilometer lange Sicherheitspufferzone errichten. »Gaza muss am Ende des Krieges kleiner sein […] Wer einen Krieg mit Israel beginnt, muss Territorium verlieren«, sagte Gideon Saar, Minister ohne Geschäftsbereich in der neuen Notstandsregierung, vor der Landinvasion.“

Die ohnehin schon höchst beengte Bevölkerung Gazas würde also in ihren Trümmern noch weiter zusammengedrückt, und dauernd beschossen und bombardiert, weil ja die HAMAS noch nicht endgültig „liquidiert“ wäre.
Es ist klar, daß es sich hier um ein weiteres Vertreibungsszenario handelt, wo den Bewohnern des Gazastreifens das Leben unerträglich gemacht werden soll.

„Dann bliebe es einige Monate lang mit viel weniger Truppen vor Ort und entschiede sich für häufige Einfälle, um die vorhersehbaren Quellen des Aufstands zu unterdrücken. Westjordanland-Stil, aber ohne Siedler, die es zu schützen gilt.
Parallel dazu würde eine multinationale Streitmacht entstehen, voraussichtlich mit einer wichtigen Rolle aus dem Teil der arabisch-muslimischen Welt, der Israel anerkennt, wie Ägypten, Jordanien, der Türkei oder Marokko.“

Aha. Nur Staaten, die Israel bereits anerkannt haben, dürfen hier mitreden.

„Die laufende Verwaltung des Gazastreifens würde wieder in die Hände der Palästinensischen Autonomiebehörde (ANP) fallen, genau wie in den neunziger Jahren, nach den Oslo-Abkommen und dem Putsch der Hamas im Jahr 2007; und in den Städten des Westjordanlandes, die unter israelischer Militärbesatzung stehen.“

Dieser Plan hat mehrere Haken.
Schon im Westjordanland ist die PLO unpopulär, weil sie als Befehlsvollstrecker Israels angesehen werden. Sie ist auch schon längere Zeit durch keinerlei Wahlen legitimiert.
Ob sich die Bewohner Gazas nach allem, was geschehen ist, den Behörden dieser Gruppierung unterordnen würden, ist fraglich – sie würden als Kollaborateure Israels angesehen werden.
Zweitens ist ja auch im Westjordanland alles offen, nachdem dort die Siedler praktisch machen können, was sie wollen, und die Autonomiebehörde zusieht.

„All dies sollte von den Legitimitätssiegeln der UNO und der Arabischen Liga, einem Geldregen in Millionenhöhe für den Wiederaufbau“ (von wem?) „und einem neuen Vorstoß zur endgültigen Lösung des Konflikts mit der Schaffung eines palästinensischen Staates begleitet sein.

Neben dem sowieso freien Wunschdenken besteht eines der Hauptprobleme dieser Szenarios darin, dass es zwar vielen Anliegen Israels entgegenkommt – das weder wieder das Leben von 2,3 Millionen Palästinensern verwalten noch wieder Hunderte seiner Bürger hilflos sterben sehen will, nachdem sich die ausgefeilte Grenzsicherungsmauer in einen Schweizer Käse verwandelt hat – jedoch nicht auf die Bedenken anderer Akteure eingeht, denen die vorgesehene Beteiligung kaum Vorteile bringt, aber dennoch als selbstverständlich angesehen wird.
Israel wird auch viele Garantien verlangen, bevor es seine Sicherheit in fremde Hände legt.

Die Zwei-Staaten-Lösung

Der Premierminister der ANP, Mohammed Schtajjeh, hat bereits darauf hingewiesen, dass sie nicht »an Bord einer F-16 oder eines israelischen Panzers« auf die Bühne kommen werden, ohne »eine politische Lösung für das Westjordanland« und einen »globalen Horizont des Friedens«, der es ermöglicht, Gaza an den Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung anzubinden. Es wird auch darüber nachgedacht, Mohammed Dahlan aus Dubai zu holen, den umstrittenen ehemaligen Sicherheitschef der ANP, der Israel recht wäre.
Er selbst hat seine Teilnahme bereits ausgeschlossen und besteht, obwohl er Al-Fatah-Mitglied ist, darauf, dass »die Hamas nicht verschwinden wird« und dass sie in der Lage sein sollte, an Wahlen teilzunehmen, um eine technokratische Übergangsregierung im Gazastreifen vorzubereiten.

Die arabischen Staaten ihrerseits »wollten nie Verantwortung für Gaza übernehmen«, erinnerte sich kürzlich Nathan J. Brown, Professor für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der George Washington University und Autor mehrerer Essays über die Politik in der arabischen Welt.
»Und es ist wahrscheinlich, dass dies jetzt noch weniger der Fall ist – sie wollen sich nicht zusammensetzen, um ein Problem zu lösen, das in ihren Augen durch die Rücksichtslosigkeit anderer verursacht worden ist.«“

Ghassan Chatib, ehemaliger palästinensischer Minister und Professor für zeitgenössische Arabistik und internationale Studien an der Universität Bir Zeit im Westjordanland, vertraut auch nicht darauf, daß beide Parteien die heiße Kartoffel akzeptieren. »Israel hat sich nicht aus Gaza zurückgezogen, um dann dorthin zurückzukehren, und ich glaube, dass die arabischen Länder nach dem, was Israel jetzt tut, kein Interesse daran haben, eine Rolle bei der Verwaltung von Gaza zu spielen. Ich glaube auch nicht, dass die Palästinensische Autonomiebehörde dazu bereit ist«, sagt er.“

Nachvollziehbar.

Es geht ja nicht nur darum, Schutt und Asche aufzuräumen und die Toten zu begraben, also um den materiellen Wiederaufbau.
Mit diesem Krieg und Bombardement ist eigentlich jegliches Tischtuch zerschnitten, um mit Israel je wieder zu verhandeln. Die dortige Bevölkerung wird das nicht akzeptieren, ganz gleich, welche Verwaltung man ihr vor die Nase setzt.

„Einer der Favoriten des Westens, Salam Fayyad, zwischen 2007 und 2013 Premierminister der ANP, nachdem er die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds durchlaufen hatte, gab letzte Woche in der Zeitschrift Foreign Affairs zwei Warnungen heraus: Man kann »den Palästinensern keine konkrete Vereinbarung aufzwingen« und auch nicht anstreben, daß die schwache und diskreditierte ANP in ihrer derzeitigen Struktur die Verwaltung des Gazastreifens wieder übernimmt. Fayyad schlägt vor, es zusammen mit der PLO – dem gesetzlichen Vertreter des palästinensischen Volkes, zu der weder HAMAS noch Islamischer Dschihad gehören – so umzugestalten, dass sie »das gesamte Spektrum palästinensischer Ansichten darüber widerspiegeln, was ein akzeptables Abkommen wäre«.“

Fayyad möchte also die PLO in ihre alten Rechte einsetzen und wieder als einzigen Verteter der Palästinenser etablieren – und damit den Machtkampf zwischen HAMAS und PLO beenden.
Ein interessanter Vorschlag – man muß sehen, was Israel dazu sagt. Schließlich hat die israelische Führung seinerzeit – im Einklang mit der ähnlichen Politik der USA – die islamistische HAMAS unterstützt, um die PLO zu schwächen und die Palästinenser zu spalten.

„Jack Joury, Kommentator für arabische Angelegenheiten bei der Zeitung Haaretz, stellte an diesem Dienstag fest: »Ohne die Wiederherstellung der ANP und der Institutionen des palästinensischen Volkes werden Mogadischu und Beirut während ihrer jeweiligen Bürgerkriege im Vergleich zu dem, was sich zwischen Jabalia im Norden und Khan Yunis im Süden von Gaza entwickeln wird, wie ein Paradies erscheinen.«
Aber weder westliche Länder noch Israel werden die Präsenz der Hamas in einer palästinensischen Regierung akzeptieren, da sie dadurch eine Art wirksames Veto wie die Hisbollah im Libanon hätte.“

Es ist seltsam, daß dieses Kapitel „2-Staaten-Lösung“ übertitelt ist, wo doch von einem palästinensischen Staat in den Ausführungen gar keine Rede ist.

„Die Spaltung zwischen Gaza und dem Westjordanland

Heutzutage behandelt Israel die ANP wie einen alten Freund, den es jahrelang ignoriert hat und der plötzlich anruft, um ihn um einen Gefallen zu bitten. Die Regierung von Benjamin Netanyahu – deren Koalitionsvertrag »das ausschließliche Recht des jüdischen Volkes« auf Israel und Palästina betont – fördert seit Jahren die Spaltung zwischen Gaza und dem Westjordanland, um die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern; und die ANP zu schwächen, ohne einen Dialoghorizont zu bieten, der sie gegenüber der Hamas legitimiert.
Für die extreme Rechte ist sie auch der Feind, wie der derzeitige Finanzminister Bezalel Smotrich es beschrieb: »Die ANP ist eine Last und die Hamas ein Aktivposten«, denn »niemand wird sie anerkennen, noch wird sie ihr einen Status [beim Internationalen Strafgerichtshof] verleihen, noch wird ihr erlaubt, eine Resolution im Sicherheitsrat der UNO vorzulegen.«“

Es geht aus diesem Zitat nicht hervor, ob Smotrich damit die ANP, die Hamas oder beide meint. Vermutlich beide. Er stellt damit zufrieden fest, daß die Palästinenser keine anerkannte internationale Vertretung haben und Israel daher mit ihnen machen kann, was es will.

„Wenige Tage vor dem Angriff am 7. schrieen die Ultranationalisten laut auf, weil die ANP-Sicherheitskräfte – deren Einsatz in Gaza derzeit erwogen wird – 18 von den USA finanzierte Fahrzeuge erhalten hatten.

Daniel Wajner ist Assistenzprofessor in der Abteilung für Internationale Beziehungen und Europäisches Forum der Hebräischen Universität Jerusalem und spezialisiert sich auf internationale Legitimation und Konfliktlösung. Er schließt drei Optionen aus: dass Israel die zivile Verwaltung des Gazastreifens wieder aufnimmt, dass die ANP dies tut (»selbst wenn sie es wollte, ist sie in ihrer Bevölkerung zu sehr delegitimiert«, argumentiert er) und ein internationales Mandat.
Er schlägt einen vierten vor: die Einbeziehung »zentraler Länder der arabisch-islamischen Welt«, zumindest Jordanien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, die über die Anerkennung Israels verhandelt hatten. »Ich weiß nicht, ob es der beste Plan oder der sicherste ist, aber es ist der am meisten legitimierte«, stellt er klar.“

Man fragt sich, was diese hier ausersehenen Staaten machen sollen? Das zerstörte Gaza wieder aufbauen? Als Besatzungsmacht übernehmen? Was wäre dabei „legitimiert“?

„Wajner besteht darauf, dass die »internationale Einbeziehung«, insbesondere die Unterstützung der Arabischen Liga, wichtiger sei als die Anzahl und Größe der Länder. Was ist, wenn sie es nicht wollen?“

Was genau jetzt sollen sie „wollen“? Die Scherben aufräumen und die Palästinenser ruhigstellen?

„»Das ist die große Unbekannte. »Der Schlüssel wird sein, dass sie verstehen, dass sie davon profitieren können«, antwortet er, worauf er daran erinnert, dass sowohl Kairo – mit leeren Kassen und einer explodierenden Inflation – als auch Amman, das sich in einer besseren wirtschaftlichen Lage befindet, Geld vom IWF erhalten.“

Der IWF ist keine Spendenorganisation, sondern vergibt Kredite. D.h., sowohl Ägypten als Jordanien sind beim IWF verschuldet. Offenbar meint der Interviewte, der IWF sollte als Instrument eingesetzt werden, um diese Staaten dazu zu drängen, sich noch mehr zu verschulden, um Gaza aufzubauen.
Hmmm.
Die Begeisterung dürfte sich in Grenzen halten.

„Vages Konzept

Ein weiteres Problem liegt in der Unbestimmtheit des Konzepts der »Beseitigung der HAMAS«, einer Bewegung, die Gaza verwaltet und Zehntausende Beamte beschäftigt.
Bis zu welcher Hierarchieebene werden sie verhaftet oder eliminiert?

Eyal Hulata, Israels ehemaliger nationaler Sicherheitsberater, plädierte letzte Woche dafür, einen Teil der zivilen Beamten während des Übergangs zu behalten. Ein französischer Vorschlag, über den in der Zeitung Haaretz berichtet wurde, sieht vor, alle von der HAMAS ernannten Beamten durch diejenigen ANP-Mitarbeiter zu ersetzen, die die HAMAS bei Straßenkämpfen ein Jahr nach ihrem Wahlsieg 2006 vertrieben hatte. Die ANP in Ramallah zahlt weiterhin ihre Gehälter, ohne daß sie arbeiten.

Auch Israel hat es nicht leicht, zu einer Einigung gelangen, was das Ziel sein soll. Das Fiasko vom 7. hat Netanjahus politische Zukunft aufs Spiel gesetzt, und die für den Krieg gebildete Notstandsregierung birgt heikle Positionen, die von denen, die eine Stärkung der ANP befürworten, die vor einem Monat noch Teil der Opposition waren, bis zu denen reichen, die eine Möglichkeit sehen, in Gaza zu bleiben und die Siedlung Gush Katif wieder aufzubauen, die 2005 evakuiert wurde.
Letzteres ist der Fall von Simja Rotman, der Vorsitzenden der parlamentarischen Justizkommission und Galeonsfigur der umstrittenen Justizreform, die den Sieg so definierte: »Dass ein jüdisches Kind durch die Hauptstraße von Gaza gehen kann.«“

Mit einem Wort, ein palästinenserfreies Gaza.

„Ein durchgesickertes Arbeitsdokument des Geheimdienstministeriums schlägt beispielsweise vor, die Bevölkerung von Gaza gewaltsam und für immer in den ägyptischen Sinai zu vertreiben.“

Das wäre natürlich der Traum von Netanjahu und Co., aber das wird sich unter den gegebenen Umständen nicht verwirklichen lassen.

„»Auf die Frage: ‚Wie soll Gaza regiert werden, wenn der Krieg vorbei ist?‘ gibt es möglicherweise keine guten Antworten und ist möglicherweise nicht einmal ein guter Ausgangspunkt«, fasste der Experte Brown in einem Artikel zusammen, der diesen Freitag im Carnegie Center über den Nahen Osten veröffentlicht wurde. »Es wäre besser zu fragen: Was bedeutet es, eine Partei wie Hamas von der Macht zu entfernen, wenn sie alle Regierungsebenen in Gaza dominiert? Was bedeutet es für Israel, zu versuchen, die militärischen Fähigkeiten der Hamas zu zerstören, einer sozialen Bewegung mit einem militärischen Arm, die auch die öffentliche Sicherheit, die Verwaltung und andere Regierungsfunktionen überwacht, insbesondere wenn sie über und unter der Erde [durch das unterirdische Tunnelnetz] operiert? Was bedeutet ,Sieg‘? Und was wird Israel tatsächlich erreichen, Ziele hin oder her? Und woher soll jemand wissen, dass der Krieg vorbei ist?«“

Schöne Aussichten …

Pressespiegel El País, 22.10.: Balanceakt für einige arabische Regierungen

„DIE GAZA-KRISE ERSCHÜTTERT DAS SCHACHBRETT DES NAHEN OSTENS

Der Angriff der Hamas und die Offensive im Gazastreifen verändern die Spielregeln in der Region, bringen einige ihrer Regime in Schwierigkeiten und stoppen die Normalisierung Israels

Ende September betrat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Bühne der UN-Generalversammlung mit der Absicht, vor den Teilnehmern in New York eine weitere seiner einzigartigen Reden zu halten. Zu diesem Anlass brachte Netanjahu ein Plakat mit zwei Karten des Nahen Ostens mit, eine auf jeder Seite.
Das erste Bild mit dem Titel »Israel 1948« zeigte sein Land allein und in blauer Farbe, das das gesamte Gebiet des historischen Palästina einnahm. Auf der anderen Seite wurden auch die Länder der Region, zu denen sie inzwischen Beziehungen aufgenommen haben oder gerade dabei sind, in Grün angezeigt. Diese zweite Karte trug den Titel »Der Neue Nahe Osten«.“


Die Karte hat es in sich.
Israel ist nämlich als Ganzes in Blau eingezeichnet, – das Westjordanland, der Gaza-Streifen und die Golanhöhen erstrahlen in dem gleichen Dunkelblau – ein palästinenserfreies befriedetes Israel wird hier abgebildet, und 5 Staaten in der Umgebung, die offenbar diesen Status und dieses Israel akzeptieren.

Das ist natürlich rundherum verlogen.

Selbst diejenigen Staaten, die Israel bereits anerkannt haben – das auf dieser Karte nicht abgebildete Marokko, Bahrain und die VAE – haben es in dem heutigen Zustand anerkannt, in dem seine Grenzen nicht definiert sind und die Palästinenser nach wie vor in den 3 Bereichen leben, die nicht als Teil Israels anerkannt sind.
Dieser unbescheidene Wunsch wurde der Welt vor nicht allzulanger Zeit präsentiert – Netanyahu machte sich offenbar daran, ihn auch zu verwirklichen. Der HAMAS-Aufstand war ein höchst willkommener Anlaß.
Nur so viel zur Frage: Why didn’t they see it coming?

„Nur einen Monat nach dieser Rede erscheint die von Netanjahu dargestellte Realität in der Region viel verschwommener und fließender. Seit dem überraschenden“

– überraschend vielleicht für die Leser der Zeitung –

„Angriff der Hamas auf israelisches Territorium am 7. Oktober und insbesondere infolge der israelischen Militärkampagne und Belagerung des Gazastreifens wurde dieses Spielbrett stark erschüttert. Und die Krise droht weitreichende Auswirkungen auf den gesamten Nahen Osten zu haben.

Neue Spielregeln

Obwohl die iranischen Behörden eine besonders kriegerische und sehr energische Rhetorik bezüglich der israelischen Offensive gegen Gaza an den Tag legten, waren sie in der Praxis vorsichtiger, was viele auf ihre innenpolitische Legitimitätskrise, ihre wirtschaftlichen Probleme und ihre Abneigung gegen eine direkte Konfrontation mit den USA zurückführen.
Mitte September hatten sich Teheran und Washington sogar auf einen Gefangenenaustausch und die Freigabe von rund sechs Milliarden Dollars im Besitz des Irangeeinigt, die in Südkorea beschlagnahmt worden waren, in einer seltenen Demonstration der Diplomatie, obwohl der zweite Teil des Abkommens nach den Ereignissen in Israel nun auf Eis liegt.“

Welch ein Glück für die USA, die derzeit ohnehin gerade Finanzierungsprobleme haben!
Obwohl das Geld vielleicht in Südkorea doch relativ sperrig geparkt ist …

„Trotz dieser relativen Vorsicht sind der Iran und Israel seit Jahren in einen Schattenkrieg verwickelt, von dem beide glauben, dass sie ihn bewältigen können, ohne dass er ihrer Kontrolle entgeht. Aber die aktuelle Spirale der Gewalt und die damit verbundene Volatilität erhöhen das Risiko einer Fehleinschätzung und eines Fehltritts, wie es in Gaza passiert ist, insbesondere wenn Teheran beschließt, die Verwundbarkeit Israels auszunutzen, um zu versuchen, die Spielregeln neu zu definieren und zu einer weiteren Schädigung seines Images und seiner Abschreckungswirkung beizutragen.“

Das ist relativ kompliziert gedacht und formuliert. Der Iran wird wie eine Art Tretmine dargestellt, die jederzeit hochgehen kann, und Israel als geschwächt und verletzlich, und das alles mit einem doppelten Konjunktiv.
Es ist klar, wer hier in dieser komischen Logik der Akteur und wer das Opfer wäre.

„In diesem Sinne testen die israelische Armee und die libanesische Miliz Hisbollah seit mehreren Tagen ihre jeweiligen roten Linien mit einem Hin und Her begrenzter Angriffe relativ geringer Intensität, die an der Grenze zwischen beiden Ländern maßvoll zugenommen haben. Im Moment scheint die Hisbollah nicht offen in den Kampf eintreten zu wollen, aber Israels Fehler bei der Einschätzung der Absichten der HAMAS vor ihrem unerwarteten Angriff am 7. Oktober, der sie völlig überraschte, verstärkt ihre Zweifel.“

Wessen Überraschung?
Was für Zweifel, und bei wem?

„In den letzten Tagen wurden US-Streitkräfte außerdem an mindestens zwei Punkten in Syrien und auf zwei Militärstützpunkten, auf denen US-Truppen und -Personal im Irak stationiert sind, mit Drohnen angegriffen.“

Da man seit Jahren über den Irak nichts mehr erfährt, so weiß man auch nicht, ob das etwas Übliches oder Unübliches ist.

„Am Donnerstag teilte die US-Marine mit, sie habe eine Raketen- und Drohnensalve abgefangen, die von der jemenitischen Huthi-Bewegung gegen Israel abgefeuert worden sei.“

Wers glaubt, wird selig.
Die Huthis haben andere Sorgen und auch keine Drohnen, die so weit fliegen.
Man fragt sich, warum eine seriöse Zeitung diesen Schmarrn überhaupt druckt.

„Der Zusammenhang zwischen diesen Angriffen und der Krise in Gaza ist jedoch nicht ganz klar.“

Es gibt keinen. Was immer im Jemen losgelassen wurde, galt sicher nicht Israel.

„»Dieser Konflikt wird nur eingedämmt werden können, wenn alle Parteien ein Interesse daran haben, einen regionalen Krieg zu vermeiden.“

Man fragt sich, was ein „regionaler Krieg“ wäre?
Das Bombardement von Gaza offenbar nicht.

„Im Moment scheint dieser Zustand zu gelten. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, daß dies auch in Zukunft der Fall sein wird«, schrieb Dalia Dassa, Forscherin für internationale Beziehungen an der University of California, in einer aktuellen Analyse für das Magazin Foreign Policy. »Die Situation vor Ort ist unbeständig, und Änderungen im strategischen Kalkül Israels, Irans oder beider Länder könnten ihre Führer zu der Annahme verleiten, dass die Vermeidung eines größeren Konflikts eine größere Gefahr für ihr Überleben darstellt als der Beginn eines Krieges«, schloss sie.

Getrübte Normalisierungsaussichten

Der intensive Militäreinsatz gegen Gaza und die zunehmende regionale Instabilität stellen auch einen großen Rückschlag für die arabischen Golfmächte dar, die sich in den letzten Jahren für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel entschieden haben. Diese Länder setzten darauf, daran zu arbeiten, die Spannungen in der Region abzubauen, diplomatischen Kanälen Priorität einzuräumen und die palästinensische Sache in die Enge zu treiben,“

– man fragt sich, wie das aussehen sollte: Alle Palästinenser ins Meer werfen? –

„um sich auf ihre interne wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren zu können.“

Mit einem Wort, Handel mit Israel treiben zu können und israelische Investitionen an Land zu ziehen. Und um möglicherweise in Israel Überwachungstechnologie gegen die eigene Bevölkerung einkaufen zu können.

„Die bemerkenswerteste Bewegung an dieser diplomatischen Front wurde von den VAE, Bahrain und Marokko mit der Normalisierung der Beziehungen zu Israel durchgeführt, die im Jahr 2020 begann. Dennoch handelte es sich bei den Abraham-Abkommen um einen elitären Pakt, der nie nennenswerte Unterstützung in der Bevölkerung der arabischen Unterzeichnerstaaten fand, was dazu geführt hat, dass sich deren Regierungen in der aktuellen Krise eher zurückhaltend verhalten. In Marokko und Bahrain kam es sogar zu Solidaritätsprotesten mit dem palästinensischen Volk und Verurteilungen der israelischen Offensive in Gaza, bei denen auch ein Ende der Normalisierung gefordert wurde.

»Die Unterzeichner-Staaten des Abraham-Abkommens sind sehr besorgt und beunruhigt«, bemerkt Hussein Ibish, ein Forscher am Arab Gulf States Institute in Washington, der darauf hinweist, daß »sie die Hamas nicht unterstützen«, sie aber auch keine »besonderen Befürworter der Regierung von Netanjahu sind … Der Konflikt bringt sie sicherlich in eine schwierige Situation, die sie gerne vermieden hätten«, fügt er hinzu.
Ibish glaubt, dass die Abkommen »wahrscheinlich überleben können«, wenn Israel keine »wirklich völkermörderischen Verbrechen oder völlige ethnische Säuberungen oder extreme Gewaltttaten« begeht und die Gewalt nicht auf das besetzte Westjordanland und Ostjerusalem übergreift.“

Sehr bezeichnend, daß das Wort „überleben“ auf Abkommen angewandt wird und Israel eigentlich jede Menge an Gewaltanwendung zugestanden wird – die Latte liegt recht hoch und ist auch sehr elastisch.

„Aber er warnt: »Wenn Israel zu weit geht, könnten sie einen Rückzieher machen, die Zusammenarbeit einfrieren, Botschaften schließen oder so etwas in der Art.“

Klingt relativ undramatisch.

„Aber sie wollen nicht ausgerechnet der HAMAS eine Art Vetorecht über ihre Außenpolitik und ihre unabhängige Entscheidungsfindung einräumen.«

Das Krönung dieser von den USA geförderten diplomatischen Offensive Israels in der arabischen Welt sollte Saudi-Arabien sein, die Hauptmacht in der Region.“

In Konkurrenz mit dem Iran, der keineswegs hinter Saudi-Arabien zurückstehen will.
Das ist eben die Crux, daß Saudi-Arabien nicht „die“ dominierende Regionalmacht ist, und daran arbeiten sich viele Subjekte seit geraumer Zeit ab.

„In den Wochen vor dem HAMAS -Angriff auf Israel erklärte der saudische Kronprinz und starke Mann des Königreichs, Mohamed bin Salman, sogar, dass man einer Einigung »jeden Tag näher« sei, doch seitdem lautet die Botschaft aus Riad, dass die Normalisierung auf Eis gelegt wurde.
Einige sind der Ansicht, dass das aktuelle Szenario dennoch Saudi-Arabien zugute kommt, da es dadurch in eine stärkere Position versetzt wird, von der aus die Verhandlungen in Zukunft wieder aufgenommen werden können.

Umer Karim, Experte für saudische Politik am King Faisal Center for Research and Islamic Studies, stellt fest: »Solange das regionale Umfeld in der gegenwärtigen Phase bleibt, werden die Saudis ihre Rhetorik beibehalten, Israel verurteilen und auf der Notwendigkeit bestehen, einen Waffenstillstand und die Achtung der internationalen Gesetze, um auf der richtigen Seite der Geschichte stehend wahrgenommen zu werden.

Aber sobald diese Episode vorbei ist, werden sie bereit sein, den Prozess wieder aufzunehmen, obwohl ihre Bedingungen für eine Normalisierung mit Israel viel strenger sein werden und zweifellos mehr Bestimmungen im Zusammenhang mit der Palästinenserfrage enthalten werden, – weil sie inzwischen verstehen, dass sie in Zukunft genauso wie die anderen Golfnachbarn (die Teil des Abraham-Abkommens sind,) ins Rampenlicht geraten könnten, falls es wieder zu einer Eskalation in dieser Frage kommt«, fügt Karim hinzu und weist darauf hin, dass Riad auch »den Iran nicht mehr verärgern will«.

Ehemalige Verbündete

Der Flächenbrand in Gaza ist besonders besorgniserregend und stellt eine große politische Herausforderung für Ägypten und Jordanien dar, die Nachbarn Palästinas und Israels sowie die Staaten in der Region mit den längsten Beziehungen zum jüdischen Staat.
Beide Nationen haben von Anfang an versucht, die Spirale der Gewalt zu stoppen, da sie sich bewusst waren, dass die Offensive auf Gaza sie in eine kompromittierte Lage bringt und sie dazu zwingt, ein immer schwieriger werdendes Gleichgewicht zwischen ihren Beziehungen zu Israel und den USA und der sozialen Unterstützung für die Palästinenser aufrechtzuerhalten.
Die Verschlechterung der Situation in ihren Hinterhöfen kommt noch dazu in einem Augenblick, in dem beide Länder heikle interne Krisen, insbesondere wirtschaftliche, durchmachen, so dass die Angst vor einer internen Ansteckung der kollektiven Wut besteht, die durch die Krise in Gaza ausgelöst wird.

In Jordanien, wo etwa die Hälfte der Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist, kam es zu großen Demonstrationen für Palästina, die freitags nach dem Mittagsgebet besonders gut besucht waren.
Diese Demonstrationen nötigten die Sicherheitskräfte des Landes zum Eingreifen, um sensible Punkte wie die Botschaften der USA und Israels sowie das Grenzgebiet zum besetzten Westjordanland zu schützen.

Tuqa Nusairat, ein Jordanien-Experte am Forschungszentrum Atlantic Council, erklärt: »Die weit verbreiteten Proteste erfordern, dass die jordanische Regierung eine feste Haltung zur Unterstützung der Palästinenser einnimmt, was bisher in scharfen Verurteilungen seitens der höchsten Ebenen und in Erklärungen König Abdullahs zum Ausdruck kam, und in der Absage des Gipfeltreffens letzte Woche, bei dem Präsident [Joe] Biden sowie ägyptische und palästinensische Führer [in Amman] zusammenkommen sollten.«
Und er fügt hinzu: »Die jordanischen Behörden werden ihre amerikanischen Amtskollegen wegen der Bedrohung ihrer inneren Sicherheit und der regionalen Stabilität im Allgemeinen unter Druck setzen, wenn die USA weiterhin Israels Angriffe auf Gaza unterstützen und es vermeiden, die Grundursachen des Konflikts anzugehen.«

In Ägypten, wo Demonstrationen seit einem Jahrzehnt praktisch verboten sind, kam es in den letzten zwei Wochen ebenfalls zu Protesten. Angesichts dieser Situation scheinen die Behörden vorerst geneigt zu sein, diese Empörung der Bevölkerung auf kontrollierte Weise zu kanalisieren, wobei viele Proteste von regierungsnahen Sektoren gefördert werden, die die Figur des Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi in den Mittelpunkt stellen.
Aber es ist ein riskantes Spiel, da einige dieser Märsche bereits ihrer Kontrolle entgangen sind und andere unabhängige Märsche organisiert wurden. Am Freitag gelang es Hunderten Demonstranten trotz eines starken Polizeieinsatzes, den berühmten Tahrir-Platz in Kairo zu erreichen, das Herzstück der Revolution des Landes im Jahr 2011.
Der ägyptische Analyst Maged Mandour weist darauf hin, dass »[as-Sisi] versucht, den Kurs der kollektiven Wut zu glätten, um ihn zur Legitimierung des Regimes zu nutzen und sich als Verteidiger der nationalen Sicherheit Ägyptens und darüberhinaus der palästinensischen Sache darzustellen.«“

Man fragt sich, worin diese „Verteidigung der palästinensichen Sache“ besteht? Im Durchlassen einiger LKW mit Lebensmitteln nach Gaza?

„Aber es sei, fügt er hinzu, »ein sehr schwieriger und heikler Balanceakt, weil man versucht, die Straße zu mobilisieren, nachdem man zehn Jahre damit verbracht hat, sie zu unterdrücken, – sodaß sie leicht außer Kontrolle geraten kann.«“