Pressespiegel El País, 29.10.: Der Libanon

„DAS SCHWÄCHSTE GLIED IM NAHEN OSTEN DROHT ZU ZERBRECHEN, FALLS ES IN DEN KRIEG EINTRITT

Angriffe der Hisbollah lösen eine Welle von Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Armee aus und erzwingen die Evakuierung Tausender Zivilisten auf beiden Seiten der Grenze

Der Libanon, der seit mehr als drei Jahren in Armut und Misswirtschaft versunken ist, kann sich einen neuen Krieg mit Israel nicht leisten.“

Eine seltsame Vorstellung, daß es Staaten gibt, die sich Kriege „leisten“ können, und andere, die das nicht können.
Diese Vorstellung geht von einer Hierarchie von Staaten aus, die kraft ihrer militärischen Gewalt anderen ihren Willen aufzwingen können.
Wenn sich ein Staat also einen Krieg „leisten“ kann, so darf es ihn auch führen, die anderen müssen kuschen?
Die Absurdität dieser Auffassung zeigt sich z.B. an Afghanistan, gegen die 2 Großmächte Krieg geführt haben, die ihn sich offensichtlich „leisten“ konnten, mit den entsprechenden Verwüstungen, aber beide verloren haben.

„Doch nach dem Konflikt in Gaza, 200 Kilometer südlich der gemeinsamen Grenze, dem anhaltenden Raketenbeschuss und den Einfällen der pro-iranischen Miliz Hisbollah und den gewaltsamen Vergeltungsangriffen der israelischen Armee handelt es sich um die schwersten seit dem bewaffneten Konflikt von 2006 und es droht eine umfassende Konfrontation.“

Das heißt, daß Israel einen 2-Fronten-Krieg führen muß und daß der Iran seine Verbündeten unterstützen könnte.
Und was ist mit der Türkei?
Kann sie sich ein Eingreifen „leisten“?

„»Die Hisbollah wird den schlimmsten Fehler ihres Lebens begehen und wird noch dem Krieg von 2006 nachweinen«, warnte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vor einer Woche an derselben libanesischen Grenze und bezog sich dabei auf einen Konflikt, der in 33 Kampftagen 1.300 Libanesen und 165 Israelis das Leben kostete.“

In diesem Krieg von 2006 wurden im Libanon sämtliche Brücken und ein großer Teil der sonstigen Infrastruktur zerstört. Von den Schäden von damals hat sich der Libanon bis heute nicht erholt.
Damals griffen Syrien und der Iran nicht ein und deswegen hatte die israelische Armee freie Hand bei ihrem Zerstörungswerk. Heute wird das vermutlich nicht so sein.

„Seit drei Wochen ist der Einsatz von Merkava-IV-Panzern, Artilleriebatterien und Infanteriebataillonen im Grenzgebiet von Ober-Galiläa zu beobachten.

Einige Tage später traf sich der Anführer der schiitischen Parteimiliz, Hassan Nasrallah, in Beirut mit Führern der Hamas und des palästinensischen Islamischen Dschihad, um »die Achse des Widerstands [gegen Israel] zu koordinieren, um einen Sieg in Gaza zu erringen«, laut einer Erklärung der Hisbollah.
Das von ihnen angekündigte Kriegsszenario beinhaltet eine Flut von 150.000 bis 200.000 Raketen, die von der pro-iranischen Guerilla im Südlibanon gelagert wurden, und die Mobilisierung von mehr als 20.000 Milizionären, die in mehr als einem Jahrzehnt der Kämpfe an der Seite der Regierungstruppen in Syrien abgehärtet wurden, und Zehntausenden weiteren Kämpfern in der Reserve.

»Technisch gesehen hat der Krieg im Südlibanon bereits begonnen, mit fast täglichen Zusammenstößen zwischen den Streitkräften der Hisbollah [die in ihren Reihen fünfzig Todesopfer erlitten hat] und der israelischen Armee [mit sechs Todesopfern] seit Beginn des Krieges in Gaza«, sagt der libanesische Politikanalyst Nadim el Kak. »Aber ich glaube nicht, dass er sich – zumindest im Moment – auf den Rest des Libanon ausbreiten wird. Es liegt im Interesse des israelischen Militärs, keine weitere Front an der libanesischen Grenze zu eröffnen, was zu möglichen Zusammenstößen mit Syrien führen und von seiner Priorität ablenken könnte: der Beseitigung der Hamas«, sagte dieser Soziologieprofessor an der Amerikanischen Universität in Beirut.“

Es ist aber nicht allein Israel, das über die Ausweitung des Krieges entscheidet.

„Nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2019, die das libanesische Pfund um mehr als 90% abgewertet hat, ist es den libanesischen Parteien nicht gelungen, eine stabile Exekutive zu bilden – der derzeitige Premierminister Nayib Mikati regiert seit mehr als einem Jahr interimistisch.
Die Mehrheit der politischen Kräfte fordert nun die Hisbollah (integriert in die provisorische Regierungskoalition) auf, die Eskalation des Krieges zu stoppen.
»Das Schicksal des Libanon steht auf dem Spiel«, warnte laut Reuters Walid Dschumblatt, Anführer der drusischen Minderheit.
Der erfahrene Führer kann sich seit dem Bürgerkrieg, der sein Land zwischen 1975 und 1990 ausgeblutet hatte, und der israelischen Invasion von 1982, die erst im Jahr 2000 vollständig endete, an keine ernsthaftere existenzielle Bedrohung für sein Land erinnern. Nach dem Krieg von 2006 wurde der Libanon von Europa und den Golfstaaten beim Wiederaufbau unterstützt, aber heute vertrauen nur noch wenige Libanesen darauf, dass sie ihr Land wieder aufbauen können, wenn Israel seine Drohung wahr macht, es zu zerstören und in die Steinzeit zurückzuversetzen.

Die libanesische Wirtschaft ist bereits von den Auswirkungen der Spannungen an der Südgrenze betroffen. Laut der Zeitung L’Orient-Le Jour ist die Aktivität in Cafés und Restaurants im Vergleich zur Woche vor dem Konflikt um 50 bis 80 Prozent zurückgegangen. Der Umsatz von Supermärkten hingegen ist vor allem in den schiitischen Bezirken im Süden Beiruts, Hochburgen der Hisbollah, um bis zu 25 % gestiegen, da die Bürger in Erwartung eines Ausbruchs von Feindseligkeiten Lebensmittel horten. Das Gleiche passiert an Tankstellen.

Aus Angst vor den Folgen der israelischen Bombenangriffe hat die Fluggesellschaft MEA die Hälfte ihrer Flotte in die Türkei in Sicherheit gebracht. Während einige reguläre Flüge noch in Betrieb sind, haben die meisten diplomatischen Vertretungen mit der Evakuierung ihres nicht unbedingt notwendigen Personals begonnen und empfehlen ihren Bürgern, das Land zu verlassen, wenn ihre Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich ist.

Nach der verheerenden Explosion im Jahr 2020, die im Hafen von Beirut mehr als 200 Todesopfer und fast 7.000 Verletzte forderte, geht das Unglück im Land der Zedern weiter. »Der Libanon erlebt die schlimmste Wirtschaftskatastrophe seit einem Jahrhundert, in einem Land, das seit 30 Jahren von einem Warlord-Regime regiert wird. Die grassierende Korruption hat es zu einem gescheiterten Staat gemacht, ohne Dienstleistungen für die Menschen«, bemerkt Carmen Gea, ehemalige Professorin für öffentliche Verwaltung an der Amerikanischen Universität in Beirut, die sich daran erinnert, dass jeder vierte Einwohner des Landes (5,5 Millionen, mit einem brutalen oder knappen Rückgang um die 20 % seit 2015) Flüchtlingsstatus besitzt, die überwiegende Mehrheit sind Syrer und Palästinenser.

„Leider ist der Libanon kein souveräner Staat und wird weiterhin von der Geopolitik der Expansionspolitik Irans in der Region betroffen sein.“

Hier wird sehr tendenziös der Iran für die Lage im Libanon verantwortlich gemacht, während die Bedrohung durch und die offenen Grenzfragen mit Israel unter „ferner liefen“ figuriert, oder die Interventionen der USA und diverser EU-Staaten in Syrien, von der Türkei ganz zu schweigen, überhaupt unter den Tisch fallen.
Dabei verdankt der Libanon diesen verschiedenen Staaten seine Flüchtlingsbevölkerung und letztlich auch die Katastrophe vom Hafen von Beirut, die auch diesen Interventionen zu verdanken ist.

„»Was im Süden des Landes passiert, ist sehr gefährlich. Selbst wenn es sich nicht ausbreitet, setzt es Tausende von Bewohnern dem Risiko des Todes aus, wenn sie in den Konflikt hineingezogen werden«, warnt Gea (…) »Wir wissen nicht, ob es Krieg geben wird, wo er sich auswirken wird oder wie lange er dauern wird, aber diese Situation der Unsicherheit und Bedrohung, die zusätzlich zur wirtschaftlichen Katastrophe hinzukommt, hat negative Auswirkungen auf die psychische Verfassung der Menschen.«“

Nachvollziehbar …

„Die UN-Koordinatorin im Libanon, Joanna Wronecka, stimmt bereits mit der Regierung von Beirut einen Notfallplan für den Konfliktfall ab, berichtet EFE <https://de.wikipedia.org/wiki/EFE>. Die Zusammenstöße und Scharmützel zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee, die seit drei Wochen an der libanesischen Grenze festsitzt, tragen die Merkmale eines Zermürbungskrieges, der die Aufmerksamkeit vom Konflikt in Gaza ablenken soll. Die kleinste Fehleinschätzung kann jedoch einen offenen Flächenbrand auslösen, wie es 2006 beim Einmarsch der schiitischen Miliz geschah, bei dem drei israelische Soldaten starben.“

Damals war Israel der Anlaß willkommen, um einen Feldzug gegen den Libanon zu starten, aber wie das heute aussieht?

„»Ich glaube nicht, dass sich der Krieg ausweiten wird, aber wenn er eine regionale Dimension erreicht, wird er den Libanon und Syrien sowie andere am Konflikt beteiligte Akteure einbeziehen, die alle Waffen an die verschiedenen Parteien schicken«, prognostiziert Nadim el Kak.
Er betont, daß zwar die Mehrheit der Libanesen die Hisbollah nicht unterstützt, aber fast alle den Widerstand gegen Israel unterstützen. »Nach Jahrzehnten der Invasionen, Bombardierungen und Besatzungen in der Vergangenheit ist es wichtig, diese Unterscheidung zu treffen«, betont dieser Experte, »da die Parteimiliz einen faktischen Widerstand darstellt und die libanesische Armee der israelischen Armee nicht direkt gegenübersteht.«“

Eine eigenartige Unterscheidung angesichts der Tatsache, daß der Libanon praktisch keine eigene Armee besitzt, die der Rede wert wäre. Die Armee des Libanon ist die Hisbollah, und ihre Entscheidungen betreffen den Libanon als Ganzes.

„Iranische Operationsbasis

»Die strategische Frage besteht darin, zu wissen, in welchem Ausmaß der Druck aus dem Inneren des Libanon den Iran und die Hisbollah beeinflussen wird«, sagt Zvi Barel, Korrespondent für die arabische Welt der israelischen Zeitung Haaretz.

Welche Akteure gibt es im „Inneren des Libanon“, die „den Iran und die Hisbollah beeinflussen“ könnten?
Die sunnitischen Eliten sind mit Saudi-Arabien verbandelt, die maronitischen mit Israel und der NATO.

Beide sind jedoch gegenüber der Hisbollah inzwischen sehr im Hintertreffen, weil sie wenig Unterstützung ihrer Sponsoren haben, die den Libanon mehr oder weniger in die dritte Reihe ihrer Prioritäten geschoben haben.
„»Obwohl es am wahrscheinlichsten ist, dass beide Verbündete es vorziehen würden, das Land, das Teheran seine Hauptoperationsbasis im Nahen Osten bietet, nicht zu verlieren, wenn es von Israel zerstört wird.«

Die Eskalation des Krieges an der libanesischen Front hat zu einer Flucht von Zivilisten auf beiden Seiten der Grenze geführt. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration der UNO (IOM) sind fast 20.000 Menschen in den Nordlibanon geflohen. »Es gibt Menschen, die den Süden auf der Suche nach anderen Alternativen bereits verlassen haben, aber viele andere wissen nicht wohin. Die Auswirkungen eines Krieges im Libanon auf die Zivilbevölkerung können sehr, sehr negativ sein«, betont Professor El Kak.

Auf israelischer Seite haben eine ganze Stadt und Dutzende Kleinstädte einen militärischen Evakuierungsbefehl erhalten. Mehr als die Hälfte der 23.000 Einwohner von Kyriat Schmona, die zwischen der libanesischen Grenze und den Golanhöhen festsitzen, sind bereits abgereist, um bei Verwandten oder von der Regierung finanzierten Hotels unterzukommen.
»Ein Viertel der Bevölkerung weigert sich immer noch, ihre Häuser zu verlassen, trotz der Gefahr, die von der Nähe zum Kampfort ausgeht«, erklärte in dieser Woche die Stadträtin für soziale Dienste von Kyriat Schmona, Aviva Rihan-Whitman.
Am selben Samstag bombardierten israelische Flugzeuge Hisbollah-Stellungen im Südlibanon, von wo aus Stunden zuvor Raketen und Panzerabwehrraketen in Richtung Israel abgefeuert worden waren.“

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„»Blauhelme« im Fokus

Als im Krieg 2006 die Waffen schwiegen, waren an der Blauen Linie, die die trennende Grenze markiert, 10.800 Soldaten aus 40 Ländern im Einsatz, darunter mehr als 600 Spanier. Seitdem sind sie Teil einer internationalen Puffer-Truppe, der Interim Force of Nations for Lebanon (UNIFIL).
Auch der aktuelle Konflikt trifft diese Mission. An diesem Samstag traf ein Projektil das Hauptquartier in Naqura. »Glücklicherweise explodierte es nicht und niemand wurde verletzt, aber unsere Basis wurde beschädigt«, sagte UNIFIL in einer Erklärung.
Es war nicht das erste Mal. Am 15. Oktober fiel eine Rakete in der Nähe des Kommandopostens des Missionskommandanten, des spanischen Generals Aroldo Lázaro, der die gegnerischen Parteien zu größter Zurückhaltung und Koordination mit dem UN-Militärkontingent aufrief, um eine militärische Eskalation zu verhindern. Der Großteil des spanischen Einsatzes konzentriert sich in der Nähe der Stadt Mardsch Uyun, im östlichen Teil der Grenze, im israelischen Gebiet Metula und Kyriat Schmona sowie auf den Golanhöhen, einem syrischen Plateau, das seit 1967 von der Armee besetzt ist.
Dort starb im Jahr 2015 der spanische Unteroffizier Francisco Javier Soria Toledo, der der UNIFIL zugeteilt wurde, aufgrund des Einschlags eines israelischen Projektils, das angeblich gegen eine Hisbollah-Hochburg gerichtet war.

7 Gedanken zu “Pressespiegel El País, 29.10.: Der Libanon

  1. „Saleh al Aruri, Hamas-Verhandlungsführer und gleichzeitig ein freies Element in der islamistischen Organisation

    Der bei einer Explosion in Beirut getötete Palästinenserführer hatte Gespräche mit der Fatah und mit dem Iran verbundenen Akteuren geführt und außerdem Angriffe auf eigene Faust angeordnet

    Der Tod von Saleh al Aruri in Beirut – bei einem Angriff, bei dem sogar die USA die Hand Israels sehen, obwohl die israelische Regierung ihre Verantwortung nicht offiziell bestätigt – “

    Wer sonst, bitte?

    „bedeutet für die … HAMAS den Verlust eines ihrer fähigsten Kader im Exil: Einer, der Verhandlungen mit anderen palästinensischen Fraktionen, mit israelischen Behörden und mit verschiedenen internationalen Verbündeten geführt hatte, sowie einer der Hauptverantwortlichen für ihre Finanzen.
    Es handelte sich auch um ein sehr selbstständiges Mitglied der Organisation, das selbst bewaffnete Aktionen anordnete, ohne den Rest der Führung zu konsultieren.

    Anstelle einer vertikalen Führung und einer strengen Hierarchie verfügt die Hamas aufgrund ihrer Doppelnatur – politische Bewegung und bewaffnete Gruppe, und der unterschiedlichen Regionen und Umstände, in denen ihre Führer agieren, – über verschiedene Macht- und Entscheidungszentren. Sie stellt immerhin die Regierung von Gaza, die geheime Opposition im Westjordanland, und betreibt mehr oder weniger öffentliche Aktivitäten im Exil: abhängig von dem Land, in dem sie sich befinden, und der jeweiligen politischen Konjunktur der Beziehungen dieser Länder zu Israel.
    Daher scheinen die Aussagen ihrer Führungskräfte manchmal widersprüchlich zu sein, und in vielen Fällen weiß die linke Hand der Organisation nicht, was die rechte tut. Al Aruri war einmal die eine und einmal die andere.

    Er wurde 1966 in Ramallah geboren und engagierte sich Ende der 1980er Jahre während seines Studiums an der Universität Hebron in der islamischen Bewegung. Er war auch einer der HAMAS-Führer, die zur Gründung des bewaffneten Flügels der Organisation, der Ezedin al-Kassam-Brigaden, im Westjordanland beigetragen haben – wie aus der Aufstellung der palästinensischen Führer und Organisationen des think tanks Rat für Auswärtige Angelegenheiten hervorgeht.

    Al Aruri wurde mehrmals von den israelischen Behörden festgenommen und verbrachte lange Zeit im Gefängnis, die längste zwischen 1992 und 2007, als er Sprecher der palästinensischen Gefangenen und Gesprächspartner der israelischen Gefängnisbehörden wurde.
    Nach seiner Freilassung – während der Verhandlungen zwischen Fatah und HAMAS über eine gemeinsame Regierung – erklärte Al Aruri in einem Interview mit der britischen Zeitung »The Telegraph«, dass seine Organisation aufhören sollte, Zivilisten anzugreifen und »von einer militärisch orientierten Partei … zu einer politischen Bewegung« werden sollte.« Dies hinderte Israel nicht daran, ihn bald darauf erneut für fast drei Jahre einzusperren und ihn am Ende ins Ausland abzuschieben.

    Der islamistische Führer landete in Damaskus, wo sich damals das Politbüro befand, also die zivile Führung der Hamas – unter dem Schutz des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad – und rückte auf den zweiten Platz nach dem damaligen politischen Führer der HAMAS, Chaled Maschal. Doch im Jahr 2012 distanzierte sich die HAMAS – eine sunnitisch-islamistische Organisation – von der Unterdrückung des schiitischen syrischen Regimes gegen die im Vorjahr begonnenen Demonstrationen und stellte sich auf die Seite der überwiegend sunnitischen Rebellen.“

    Inwieweit die Aleviten Syriens Schiiten sind, ist eine knifflige Frage.

    „Also verließ die HAMAS Syrien. Damit wurde einer der Grundbestandteile der sogenannten Achse des Widerstands, angeführt vom Iran und artikuliert von Syrien, der libanesischen Parteimiliz Hisbollah und den schiitischen Milizen des Irak sowie palästinensischen islamistischen Gruppen, zerschlagen.“

    Dieser Effekt des Syrienkrieges auf die Palästinenserfrage ist in den Medien ziemlich untergegangen. Man kann sagen, daß sich die HAMAS damit geschwächt hat, und die syrische Regierung übrigens auch. Der Aufstand in Syrien trieb also einen Keil in die Anti-Israel-Allianz …

    „Zuflucht in der Türkei

    Einige der HAMAS-Führer ließen sich in Katar nieder; andere, wie Al Aruri, landeten in der Türkei, wo ihnen die Regierung des gemäßigten Islamisten Recep Tayyip Erdogan Zuflucht bot. Die Ankunft der HAMAS-Führer erfolgte laut lokalen Analysten im Rahmen eines Pakts zwischen den türkischen und israelischen Behörden nach Vermittlung Ankaras, im Fall des israelischen Soldaten Gilad Shalit, der 2006 von der HAMAS entführt und im Austausch für die Freilassung von mehr als 1.000 palästinensischen Gefangenen 2011 freigelassen wurde. (Auch Al Aruri nahm an diesen Verhandlungen teil).

    In Istanbul begann Al Aruri, Macht anzuhäufen. Er leitete die HAMAS-Delegation bei aufeinanderfolgenden, von der Türkei geförderten Versuchen, sich mit der Fatah und der Palästinensischen Autonomiebehörde zu versöhnen.
    Zu dieser Zeit wurden auch die Grundlagen für die Investitionen der HAMAS in der Türkei geschaffen (kürzlich haben die USA das türkische Bauunternehmen Trend GYO auf ihre Sanktionsliste gesetzt, dem vorgeworfen wird, ein Finanzierungsinstrument der Organisation zu sein).

    Obwohl nicht klar ist, welche Rolle die Nummer zwei der HAMAS in diesen Verhandlungen spielte, nahm ihn das US-Finanzministerium 2015 auf seine schwarze Liste auf und betrachtete ihn als einen der wichtigsten Wirtschaftsmanager der HAMAS, der »für die Überweisung Hunderttausender Dollar zum Kauf von Waffen« an die Zellen der Gruppe im Westjordanland verantwortlich sei.
    Etwa zu dieser Zeit begann Al Aruri auch, selbständig zu handeln. Im Juni 2014 wurden im Westjordanland drei israelische Teenager entführt und ermordet. Israel behauptete, die Verantwortlichen seien Mitglieder der HAMAS, ließ gegenüber der Presse durchsickern, dass Al Aruri der Initiator des Angriffs gewesen sei und startete einen Bombenangriff auf Gaza, bei dem mehr als 2.000 Menschen ums Leben kamen, die meisten davon Zivilisten.“

    Die 3 toten Burschen kamen zu einem Zeitpunkt, als HAMAS und Fateh über eine Vereinigung verhandelten. Das wollte die israelische Führung auf keinen Fall.
    Es gab daher berechtigte Zweifel, ob die 3 wirklich durch die HAMAS zu Tode gekommen sind.

    „Die HAMAS-Führung in Katar bestritt, dass ihre Gruppe etwas mit dem Angriff zu tun hatte, doch zur Überraschung vieler berief Al Aruri eine Pressekonferenz in der Türkei ein, auf der er die Verantwortung anerkannte: »Der Volkswille […] gipfelte in der Operation. … Heldenhafte Aktion der Al-Qasam-Brigaden bei der Inhaftierung der drei Hebron-Siedler.«

    Ein Jahr später erklärte das türkische Außenministerium kategorisch: »Al Aruri ist nicht in der Türkei.«

    Auf Druck der USA und Israels – einem Staat, mit dem die Türkei versuchte, diplomatische Beziehungen wiederherzustellen – hatte Ankara beschlossen, ihn auszuweisen.

    Die Nummer zwei der HAMAS ging jedoch nicht nach Doha, wo die anderen Schwergewichte der Organisation ansässig waren, sondern ließ sich im Libanon nieder.
    Dort stellte er als Leiter des HAMAS-Büros in Beirut erneut sein Verhandlungsgeschick unter Beweis und erschien 2017 nach aufeinanderfolgenden Interviews mit iranischen und libanesischen Vertretern mit dem Anführer der Hisbollah, Hasan Nasrallah, um die Wiederaufnahme der Beziehungen anzukündigen, die wegen der Differenzen aufgrund des syrischen Bürgerkriegs zerbrochen waren.
    Damit wurde ein grundlegendes Puzzleteil des iranischen Einflusses in der Region neu zusammengesetzt.“

    Auch eigenartig – die Beziehungen der HAMAS zu Syrien liegen offenbar nach wie vor auf Eis.

    (El País, 3.1.)

  2. Gaza wird weiter plattgemacht, jetzt ist der Libanon dran:

    „Medienbericht: USA bereiten Evakuierung für Kriegsfall im Libanon vor

    Die USA bereiten sich angesichts der zunehmenden militärischen Auseinandersetzung zwischen Israel und der proiranischen Hisbollah auf
    die mögliche Evakuierung von Amerikanern aus dem Libanon vor.

    Hierzu seien ein zusätzliches Kriegsschiff sowie eine Marineexpeditionseinheit zur Verstärkung der US-Truppen in der Region ins Mittelmeer verlegt worden, berichtete der US-Sender NBC am Donnerstag unter Berufung auf drei mit den Plänen vertraute US-Verteidigungsbeamte sowie einen ehemaligen US-Beamten.

    Der Schritt diene auch zur Abschreckung, um eine Eskalation des Konflikts
    zu verhindern. US-Beamte seien besorgt, dass Israel in den kommenden Wochen verstärkt Luftangriffe und sogar eine Bodenoffensive im Libanon durchführen könnte, hieß es.“

    (Standard, 28.6.)

    Alles offenbar mit Billigung und Unterstützung der USA.

  3. Jetzt wird es ernst:

    „Israel hält an der Grenze Tausende Soldaten gegen eine mögliche Bodeninvasion im Libanon bereit

    Die Armee kopiert die Gaza-Strategie und zwingt Tausende libanesische Familien zur Flucht inmitten der heftigsten Bombenanschläge gegen die Hisbollah. Unterdessen warten drei aus dem Gazastreifen versetzte „hochqualifizierte und motivierte“ Divisionen auf den Befehl zum Angriff auf das Nachbarland

    Israel ist in den letzten Stunden aufs Gaspedal getreten und alle seine militärischen Anstrengungen auf die Nordfront konzentriert, inmitten einer Spirale der Gewalt, die laut der neuesten Aktualisierung der libanesischen Behörden am Montag 558 Tote im Libanon forderte.“

    Wo ist die „Spirale“? Israel schickt sich an zur Besetzung des Libanon.

    „Regierung und Armee zeigen sich offenbar entschlossen, die Infrastruktur der Hisbollah zu zerstören und ihren Anführer Hasan Nasrallah zu umzingeln, der ihrer Meinung nach zunehmend isoliert ist, nachdem sie den größten Teil seiner militärischen Führung ermordet haben.
    Dies stellt offenbar den Sprung in eine neue Phase des Krieges dar. (…)

    Die jüngsten israelischen Bewegungen zeigen, dass die Armee beschlossen hat, gegenüber der libanesischen Zivilbevölkerung dieselbe Strategie anzuwenden, die in Gaza seit Beginn des Konflikts am 7. Oktober entwickelt wurde. (…)
    Durch SMS, Flugblätter, Medien und soziale Netzwerke werden sie aufgefordert, ihre Wohnorte zu verlassen, was Tausende Familien an diesem Montag taten, um nicht Ziel der Bomben  zu werden. Die libanesische Regierung hat einen Notfallplan angekündigt, um sie zu versorgen. (…)

    Israelische Kampfflugzeuge bereiteten sich in der Nacht zum Montag auf die größte Offensive des aktuellen Konflikts gegen ihren nördlichen Nachbarn vor.
    Israel zeigt seine Stärke vor allem aus der Luft, aber ein Militäroffizier betont, dass es auch in der Lage sei, sofort eine Bodeninvasion durchzuführen. (…)“

    (El País, 24.9.)

    All das mit viel Pressearbeit Israels, um den Angriff als „gerechten Krieg“ darzustellen und alles ganz offensichtlich mit Rückendeckung von USA und EU.

  4. „Die Ausweitung des Krieges durch Israel mobilisiert alle vom Iran unterstützten Gruppen

    Mit der Hisbollah und Teheran verbündete Milizen verstärken ihre Angriffe auf israelische und US-amerikanische Ziele im Irak, in Syrien und im Jemen, um den Druck auf den Libanon etwas zu verringern

    Im Schatten der israelischen Offensive im Libanon und der Häufung von Rückschlägen für die Hisbollah haben bewaffnete Gruppen in der Region, die mit der libanesischen Milizpartei verbündet sind und vom Iran unterstützt werden, in den letzten Wochen ihre Angriffe auf Israel verstärkt, um Israel offenbar dazu zu zwingen, einen Teil ihrer Aufmerksamkeit und Ressourcen auf andere Fronten lenken.

    Die Zunahme ihrer Aktivitäten, die sich in geringerem Maße auch gegen US-Stellungen in der Region richteten, erfolgte, nachdem dieselben Gruppen in den letzten Monaten ihre Zusammenarbeit und Koordination ihrer Aktionen als Reaktion auf die Offensive der Israelis in Gaza vertieft hatten.

    Die Hauptgruppen, die die vom Iran angeführte sogenannte Achse des Widerstands bilden, darunter die Hisbollah, die Huthi-Bewegung im Jemen und irakische Fraktionen, verfügten bereits vor dem Krieg gegen Gaza über einen gemeinsamen Operationsraum, um ihre regionalen Aktionen zu koordinieren, die sich hauptsächlich gegen die USA und Israel richteten.
    Aufgrund dieses Konflikts haben sie jedoch in den letzten Monaten ihre Beziehungen und Zusammenarbeit gestärkt, einschließlich hochrangiger Treffen, die kürzlich in Teheran und Bagdad stattfanden.

    Einer der Bereiche, in die sie offenbar die größten Anstrengungen unternommen haben, ist die Entwicklung der Fähigkeiten der irakischen Kombattanten in Form von Raketen und Drohnen, die ihnen als wichtigste Mittel zum Angriff auf Israel zur Verfügung stehen.

    Nach Angaben iranischer Medien wurde im Juli ein Huthi-Drohnenkommandeur bei einem US-Angriff auf einen irakischen Stützpunkt in der Nähe von Bagdad getötet. Und einen Monat zuvor behaupteten die Huthis und der Islamische Widerstand im Irak, eine vom Iran unterstützte Guerillakoalition, zum ersten Mal einen gemeinsamen Drohnenangriff gegen Israel unternommen zu haben.
    Die islamischen Widerstandsgruppen im Irak waren genau diejenigen, die in den letzten Tagen die Zahl der Angriffe auf Israel am stärksten erhöht haben – obwohl manche ihrer Behauptungen über Angriffe nicht überprüfbar sind.
    An diesem Montag erklärten sie …, dass sie 4 Ziele in Israel mit Raketen und Drohnen getroffen hätten, darunter zwei in Haifa. Doch trotz angeblicher Dutzender Angriffe ist es den irakischen Milizen bisher nicht gelungen, für Israel eine ähnliche Bedrohung wie die Huthis oder die Hisbollah darzustellen.

    Mitglieder des Islamischen Widerstands im Irak haben kürzlich auch damit gedroht, ihre Angriffe auf US-Stellungen im Irak wieder aufzunehmen. Zwischen Oktober 2023 und Januar wurden mehr als 170 Angriffe gegen US-Streitkräfte im Irak und in Syrien registriert, weil Washington Israel unterstützte und versuchte, seinen Rückzug aus der Region zu erzwingen.

    Diese Aktionen wurden nach einem Angriff auf einen Militärstützpunkt in Jordanien, bei dem drei amerikanische Soldaten getötet wurden, weitgehend ausgesetzt, wurden jedoch Mitte Juli wieder aufgenommen und drohen nun zuzunehmen.
    Seit der Ausweitung der israelischen Offensive im Libanon haben auch irakische Kämpfer ihre Bereitschaft erklärt, Hilfe und Truppen an die Hisbollah zu schicken.
    Einige dieser irakischen Gruppen scheinen auch hinter den jüngsten Angriffen auf US-Stellungen in Syrien zu stecken, darunter mindestens zwei, die ihnen von syrischen Medien in der zweiten Septemberhälfte zugeschrieben wurden.
    Parallel dazu berichteten syrische Oppositionsmedien am Samstag über mehrere nicht beanspruchte Luftangriffe auf Stellungen und Ziele von Guerillas, die vom Iran unterstützt werden, in der Provinz Deir Ezzor im Osten des Landes.

    Und in den letzten zwei Wochen hat Israel, das seit Jahren Syrien bombardiert, zugegeben, in der Nähe von Damaskus einen Luftangriff durchgeführt zu haben, bei dem ein führendes Mitglied einer irakischen Miliz getötet wurde. Unter dem Vorwand, die Nachschublinien der Hisbollah abschneiden zu wollen, bombardierte die israelische Armee kürzlich auch Punkte an der Grenze zwischen Syrien und dem Libanon.“

    Es geht aus dem Artikel nicht hervor, ob diese Angriffe der irakischen Milizen überhaupt irgendeinen Schaden anrichten.

    „Aus dem Jemen bekannten sich die Huthis am Wochenende zu drei Angriffen auf Israel, darunter einem gegen Tel Aviv und den nahegelegenen internationalen Flughafen Ben-Gurion sowie einem vierten gegen drei US-Kriegsschiffe im Roten Meer. Sie wurden alle abgefangen. Nach Angaben des örtlichen Gesundheitsministeriums bombardierte Israel am Sonntag den Jemen und tötete dabei mindestens 4 Personen. Bei einem ähnlichen Schlagabtausch im Juli starben in Israel eine Person und im Jemen mindestens 14 Personen.

    Im Rahmen ihrer erklärten Kampagne, Druck auf Israel und seine Verbündeten auszuüben, um den Krieg gegen Gaza zu beenden, haben die Houthis seit November letzten Jahres nicht aufgehört, Handels- und Kriegsschiffe im Roten Meer, einer der wichtigsten Handelsadern der Welt, anzugreifen. Mitte September war der Seeverkehr über diese Route infolge dieser Maßnahmen im Vergleich zum Vorjahr um fast 70 % zurückgegangen, wie aus Daten der Plattform Portwatch hervorgeht, die vom IWF und der Oxford-Universität verwaltet wird.“

    (El País, 1.10.)

  5. „Nach Angaben des Libanon sind bei israelischen Angriffen fast 2.000 Menschen getötet worden

    Die libanesische Regierung hat versichert, dass bei den Angriffen, die Israel seit Anfang letzter Woche auf mehrere Städte im Libanon, insbesondere im Süden und Osten, verübt, mindestens 1.928 Menschen ums Leben gekommen sind.

    Laut einem Bericht der Präsidentschaft des libanesischen Ministerrats wurden weitere 8.704 Menschen verletzt, hauptsächlich im Südlibanon und in den Vororten von Beirut, insbesondere in Dahiye, im Süden der Stadt und einem Gebiet, das als Festung der … Hisbollah gilt.
    Durch israelische Bombenangriffe wurden zudem 1,2 Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Viele haben in Zweitwohnungen, Hotels, Mietwohnungen und in den 867 von den nationalen Behörden eingerichteten Unterkünften Schutz gesucht.

    Nach Angaben der UNO sind ebenfalls rund 128.000 Menschen vom Libanon nach Syrien geflüchtet, um Zuflucht zu suchen.
    Ebenso strömten Hunderte Vertriebene in Beirut an die Strände der Stadt, wo sie in Notunterkünften oder im Freien schlafen.“

    (El País mit Berufung auf EFE, 2.10.)

    Dahieh (arabisch الضاحية الجنوبية, DMG aḍ-Ḍāḥīya al-Ǧanūbīya, französisch Banlieue Sud de Beyrouth, Dâhiye de Beyrouth) ist ein mehrheitlich von schiitischen Muslimen bewohnter Vorort Beiruts. Er befindet sich südlich von Beirut, im Distrikt Baabda und des Gouvernements Libanonberg in Libanon. Dahieh besteht aus mehreren Ortschaften und Gemeinden.

    Es gibt eine Minderheit koexistierender sunnitischer Muslime und ein palästinensisches Flüchtlingslager mit mindestens 20.000 Einwohnern. Seit dem Bürgerkrieg in Syrien kommen in diesem Flüchtlingslager auch Syrer unter.
    Nördlich vom Rafiq-Hariri-Flughafen gelegen führt die Autobahn M51, welche Beirut mit dem Flughafen verbindet, durch Dahieh. Bereits vor dem Libanonkrieg 2006 war der Vorort ein Wohngebiet und Ort des Handels. Er enthielt Einkaufszentren, Geschäfte und Souks.

    Dahieh wurde in der Vergangenheit als »Hochburg« der Hisbollah bezeichnet. Sie hat Standorte in Haret Hreik, Hadath und Bourj el-Barajneh, wo Anhänger der Partei sich zu besonderen Anlässen treffen.

    Während der Belagerung von Tel-el-Zaatar seitens der Falangisten 1976 wurde das hauptsächlich schiitisch bewohnte Naba'a Viertel in Ostbeirut von diesen angegriffen. Etwa 100.000 Schiiten wurden vertrieben. Viele von ihnen zogen nach Dahieh.
    Diese Fluchtbewegungen hielten mindestens bis in die 1980er an, nicht zuletzt auch aufgrund der israelischen Einmärsche in den Südlibanon von 1978 und 1982. Wegen dieser Einmärsche flohen Hunderttausende aus ihren Dörfern. Tausende tote Zivilisten und die Zerstörung von bis zu 80 % der Dörfer im Südlibanon besiegelten eine dauerhafte Umsiedlung der Bevölkerung.

    Nach dem Einmarsch Israels 1982 war Dahieh größtenteils zerstört. Als Israels Streitkräfte den Rand Beiruts erreichten und die Stadt belagerten, wurden Dahieh und dessen Randbereiche weitflächig bombardiert, dabei wurden zahlreiche Zivilisten getötet.
    Am 1. August, als „Schwarzer Sonntag“ bekannt, veranlasste Israel, von Marine und Artillerie unterstützt, 210 Bombardierungen über Dahieh. Rund 185.000 Sprengsätze fielen hier innerhalb von 14 Stunden. Am 12. August führte Israels Armee 200 Luftangriffe durch, bei denen über eine Zeitspanne von elf Stunden über 1.500 Sprengsätze über Dahieh detonierten. Zwischen Oktober 1983 und Juni 1984, besonders während der 'Sechster Februar Intifada', wurde Dahieh erneut intensiv von den US-Kriegsschiffen New Jersey und USS Virginia attackiert. Es kamen dem ABC-News-Korrespondenten Charles Glass zufolge hunderte von Zivilisten um ihr Leben; es handelt sich hierbei um eine der stärksten Marinebombardierungen seitens der USA seit dem Koreakrieg.

    Im August 1985 bombardierten die Libanesischen Streitkräfte, damals noch unter Amin Gemayel, Dahieh per Artillerie. Zudem wurde im April 1996 ein Großteil von Dahiehs Infrastruktur durch die israelische Militäroffensive Operation Früchte des Zorns zerstört. …

    Um 1986 lebten über 800.000 Schiiten in Dahieh, dies entsprach der Mehrheit aller Schiiten im Libanon. (…)“

    (Wikipedia, Dahieh)

    „Der UNO-Generalsekretär António Guterres hat sich an den Sicherheitsrat gewandt, der im Rahmen eines Briefings über die Eskalation des Krieges im Nahen Osten tagte, um zu warnen, dass die politischen Brennpunkte in der Region »mit großer Geschwindigkeit in ein Inferno verwandeln«.

    Diese Aussagen erfolgten, nachdem Israel Guterres zur Persona non grata erklärt und ihm die Einreise verboten hatte.“

    (El País, ebd., 2.10.)

  6. „Mossad-Spione, versteckte Milizionäre … die israelische Offensive löst bei den Libanesen Psychosen aus

    Die Welle vertriebener Schiiten löst in einigen Gemeinden Angst aus, dass ihre Gebäude bombardiert werden könnten, während Hisbollah-Sympathisanten befürchten, dass Ausländer Informationen an den Feind weitergeben

    Ali blickt auf die Trümmer des in der Nacht zuvor bombardierten Gebäudes. Die Wucht der Druckwelle warf ihn zu Boden, als er sich auf dem Geländer eines angrenzenden Gebäudes befand. Er ist wütend, aber weniger auf denjenigen, der es getan hat (die israelische Armee), sondern auf die Hisbollah, weil sie einen Krieg ins Herz der Hauptstadt »gebracht« hat, den sie, wie er sagt, nicht gewinnen kann.
    »Das passiert, wenn man mit dem Teufel spielt«, protestiert er leise, wohl wissend, dass um ihn herum nur der »verräterische zionistische Feind« (wie Israel oft genannt wird) für den tödlichsten Angriff des Krieges in Beirut verantwortlich gemacht werden kann: 22 Tote und 139 Verletzte. „

    »Was hast du erwartet?«“ sagt er. »Dies ist ein Krieg und sie haben F-16, Truppen und Panzer; und wir, nichts […] Es ist Zeit für sie, dieses Papier zu unterschreiben. Es ist Zeit.«

    Es bezieht sich auf die Verpflichtung der Hisbollah, ihren Teil der UN-Resolution 1701 zu erfüllen (keine Milizsoldaten oder Waffen südlich des Litani-Flusses zu haben), die den Krieg von 2006 beendete und aufgrund der Nichteinhaltung sowohl Israels als auch des Libanons lediglich auf dem Papier blieb.“

    Es ist den Medien der letzten Monate nicht zu entnehmen, daß Israel seinen Feldzug gegen die Hisbollah von der Erfüllung dieser Abmachung abhängig gemacht hätte …

    „Ali hat einen unter Schiiten gebräuchlichen Namen, er betont jedoch, dass er Sunnit sei. Beide Gemeinschaften leben zusammen im Basta-Viertel, das seit zwei Jahrzehnten nicht mehr angegriffen wurde. Es genügt, Vertretern beider Hauptströmungen des Islams in den letzten Wochen zuzuhören, um zu bestätigen, daß die … israelische Absicht, Gegensätze in diesem Land zu schüren, durchaus erfolgreich ist. EDer Libanon verfügt bekanntermaßen über ein kompliziertes Gleichgewicht der Bevölkerungsgruppen und hat 15 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Viele Sunniten und Christen bringen schnell ihre Angst zum Ausdruck: Es sei unmöglich zu wissen, wer unter den Hunderttausenden Vertriebenen aus schiitischen Gebieten im Visier Israels sei. Und wenn sie sich ein Gebäude (mit einem solchen Flüchtling) teilen, sitzen alle Nachbarn, ohne es zu wissen, in der Todeszelle.

    Genau das bereitet der 68-jährigen Mona Sorgen. »Ich bin wütend. Wir kennen die Zionisten bereits, ich erwarte nichts von ihnen. Aber die anderen (Hisbollah) wissen, dass sie Ziele sind, deshalb müssen sie nicht in der Nähe der Leute sein.«“

    Wo sollen sie sonst hin, fragt man sich?
    Immerhin sind sie ja auch „Leute“.

    „»Sie kommen mit ihren verdächtigen Autos mit getönten Scheiben hierher … Heutzutage ist jedes Gebiet, in dem es Vertriebene gibt, nicht mehr sicher. Früher wusste ich, wer alle meine Nachbarn waren. Jetzt nicht mehr. Und natürlich habe ich Angst. Lassen Sie sie in ihren Gebieten bleiben. Dort schon, hier nicht«, sagt sie und zeigt auf die anderen Gebäude, die letzte Nacht angegriffen wurden. Es handelt sich um Gebäude im nahe gelegenen Viertel Ras al Nabaa, wo die Zerstörung drei Gebäude betrifft: das Ziel und zwei, in denen die Generatoren zur Stromerzeugung explodierten, erklärt ein Soldat.

    Gerade Menschen wie Mona oder Ali sprach der Kommunikationschef der Hisbollah, Muhammad Afif, an diesem Freitag indirekt an und wies auf einer Pressekonferenz in Beirut darauf hin: »Denken Sie immer daran, dass Israelis nie für Sie arbeiten, sondern nur für ihre eigenen Interessen.«

    Die Anwesenheit unbekannter Milizsoldaten ist die neue Obsession derjenigen, die der Hisbollah misstrauen (oder sie direkt hassen). Oder diejenigen, die Israel zwar hassen, aber glauben, dass der Abschuss von Tausenden von Raketen und Drohnen auf das Land, um es zu zwingen, die Bombardierung von Gaza einzustellen, eine Fehleinschätzung war, die am Ende zur Zerstörung des Libanon führen wird, der sich sowieso bereits im Zangengriff befindet.

    Sie denken, dass der Fluss Wasser führt, wenn er rauscht. Das heißt, es ist Israel egal, ob es Dutzende Zivilisten tötet, aber wenn es ein bestimmtes Gebäude bombardiert, dann aus einem bestimmten Grund.
    Wie im Fall dieses Donnerstags die Ermordung des Leiters der Verbindungs- und Koordinationseinheit der Hisbollah, Wafiq Safa, laut israelischen Medien. Es war tatsächlich die erste Frage der Journalisten an den Hisbollah-Abgeordneten Amin Sherri, als er diesen Freitag den Ort des Bombenanschlags besuchte. »Es gab hier absolut keine [Hisbollah-]Widerstandsführer. In keinem der beiden Gebäude«, beharrte er hingegen.

    »Unsere Pflicht ist es, im Süden zu kämpfen, nicht sich unter Menschen zu verstecken. Hisbollah-Leute verfügen über eigene Mittel zur Überwachung von Vertreibungen und Unterkünften. Und Hisbollah-Kommandeure auf allen Ebenen haben ihren Platz gegenüber dem Feind.“

    Das klingt nicht sehr überzeugend. Natürlich versuchen sich die Hisbollah-Kämpfer dort zu verstecken, wo niemand sie vermutet.

    „Angstmache und Spaltungsstrategie

    Sherri sieht das so: Israel bombardiert absichtlich Wohngebäude, um Zivilisten zu töten, als eine Strategie, Angst und Spaltung zu schüren, da es nicht in der Lage ist, im Grenzgebiet vorzudringen.“

    Will Israel das überhaupt?

    „»Die Kämpfe finden im Süden statt, aber die Morde finden im ganzen Land statt«, fasst er zusammen. Und das libanesische Volk wird nicht in die Falle tappen, denn es ist »einig« in der Unterstützung des Widerstandes.

    Der Abgeordnete definierte Beirut als eine »islamische Stadt«, “

    Nach Schätzungen sind ein Drittel der Bevölkerung des Libanon Christen, wobei sich diese ohnehin unsichere Zahl nicht auf Beirut umlegen läßt.

    die »seit seit der israelischen Besatzung von 1982 den Feind vertrieben hat«, obwohl sie unterschiedliche Konfessionen beherbergt und sich die Meinungen über die Hisbollah zwischen einer Straße und einer anderen um 180 Grad ändern können.

    In Basta, wo der Anschlag eine riesige Lücke hinterlassen hat, in der drei Jugendliche persönliche Gegenstände sammeln, äußern sich die schiitischen Betroffenen ähnlich.
    So wie Ali Hamadeh, 48, der von der Explosion in seinem Auto überrascht wurde, als er darauf wartete, dass seine Familie die Treppe herunterkam. Freunde und Bekannte kommen vorbei und scherzen, dass das Auto durch die Druckwelle zerstört worden sei und er nur ein geschwollenes Handgelenk habe. Er schließt sich an: »Ich bin ein lebender Märtyrer«, sagt er lachend.

    Er bringt seine 7 Zwetschken zu einer nahegelegenen Schulunterkunft, weil sein Haus, wie er sagt, beschädigt wurde und er kein Geld hat, es zu reparieren. Aber er macht sehr deutlich, daß ihm das egal ist: »Alles, was uns passiert, ist ein Opfer für Sayyed Hassan«, die Ehrenbezeichnung, die Hisbollah-Führer Hasan Nasrallah erhielt.
    Oder Ali Hamud, der erfolglos versucht, seine Tränen über den Tod seines Onkels und zweier seiner Neffen zurückzuhalten. »Sie kamen aus dem Süden hierher und dachten, sie wären in Sicherheit. Der ganze Planet hat jetzt erkannt, was das wahre Gesicht Israels ist«, sagt er und hält ein Foto seines Onkels in der Hand.

    Während für einige die neue Obsession die Nachbarn aus dem Süden sind, sind es für die Sympathisanten der Hisbollah und der anderen schiitischen Fraktion Amal (weniger umsichtig und beliebt) eine andere: Spione. Vor allem, wenn es sich um Ausländer handelt. Oder syrische Flüchtlinge: Einige sind in den letzten Monaten aus dem Süden geflohen, als sie dort kollektiv als trojanisches Pferd des Mossad bezeichnet wurden.

    Unter ständigem Verdacht

    Es bestand bereits ein dauerhafter Verdacht, bevor Israel und die Hisbollah am 8. Oktober 2023 die gegenseitigen feindseligkeiten aufnahmen. Aber die Explosion tausender Pager und Walkie-Talkies durch den Mossad im vergangenen Monat, die die Hisbollah bestellt hatte, hat diejenigen bestärkt, die überall die Hand der israelischen Geheimdienste gesehen haben.
    Die anschließende Mordserie an Anführern von Parteimilizen – vor allem Nasrallahs, der als unversehrbar galt – und die Bestätigung des immensen Ausmaßes der Infiltration (menschlicher und technologischer Art) durch Israel haben daraus eine Psychose gemacht.

    Einige Videos spiegeln die Natur der Situation wider. Sie begannen kurz nach dem Doppelbombenanschlag am Tag zuvor in den Netzwerken zu zirkulieren. Man sieht, wie zwei Personen mit blutigen Gesichtern am Boden liegend mißhandelt werden.
    Sie wurden gerade von einer Gruppe junger Männer zusammengeschlagen, die davon überzeugt waren, dass sie gerade auf frischer Tat ertappt worden waren, als sie Informationen an den Feind weitergaben.
    Sie hatten Videos von vorher und nachher vom Ort des Bombenanschlags auf ihrem Handy, und das schienein Beweis dafür zu sein, daß damit der Mossad das Ergebnis des Angriffs vor Ort überprüfen konnte.

    Der Verdacht erstreckt sich auch auf ausländische Journalisten. Es war schon immer schwierig, viele Minuten in einem schiitischen Viertel zu verbringen, ohne dass junge Leute in Schwarz zur auftauchen und heimlich Fotos machen und diese in einer WhatsApp-Gruppe teilten.

    Inzwischen kann es leicht passieren, daß die Dinge mit einem Verhör in einem Keller enden, nach einer Irrfahrt im Auto, um die Orientierung zu verlieren, und einer Inspektion des Mobiltelefons und des Computers.
    Letzte Woche prügelte eine Gruppe Männer einen Journalisten des belgischen Fernsehsenders VTM, Robin Ramaekers, und schoss seinem Kameramann Stijn De Smet ins Bein. Ihnen wurde vorgeworfen, für Israel zu arbeiten.

    Das Misstrauen beschränkt sich nicht nur auf diejenigen, die einen ausländischen Pass besitzen: Ein libanesischer Fotograf, Pierre Mouzannar, wurde diesen Freitag freigelassen, nachdem er über Nacht verhört und festgehalten wurde, weil er allein in einem sensiblen Bereich der Hauptstadt Fotos gemacht hatte.“

    (El País, 12.10.)

    Angesichts der anläßlich der Ermordung Nasrallahs bekanntgewordenen Vermutung, daß die israelischen Geheimdienste Beirut infiltriert und mit Überwachungskameras überzogen haben, ist diese Paranoia nicht verwunderlich …

  7. Inzwischen wird vermutet, daß Israel es auf einen Teil des Libanon abgesehen haben könnte und die Erweiterung des israelischen Territoriums eines der Ziele des Feldzuges gegen den Libanon ist.

    Das ist um so wahrscheinlicher, als inzwischen auch die leisesten Kritiken gegenüber der israelischen Führung aus den USA verstummt sind und es von dort nur mehr Schulterklopfen und Waffenlieferungen gibt.

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