Nachruf auf Václav Havel

DIE SCHÖNE SEELE DER FREIHEIT IN OSTEUROPA GEHT VON UNS
Was ist bzw. war ein „Dissident“?
Der Begriff Dissident „(von lat. dissidere „nicht übereinstimmen, getrennt sein, widersprechen“), auch Systemkritiker, bezeichnet einen Andersdenkenden.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Dissident)
Damit wurden nach 1945 alle Personen, die mit den Zuständen im ehemaligen sozialistischen Lager unzufrieden waren, in einen Topf geworfen und für „uns“, die Demokratie, die beste aller möglichen Welten vereinnahmt. Mit „Dissident“ wurden nur die Kritiker des falschen Systems bezeichnet – Regimegegner in Lateinamerika, wie Neruda, oder in Afrika, wie Mandela, kamen nicht in den Genuß dieser Hofierung. Wer im Westen als Dissident anerkannt war, bekam eine gute Presse, und galt fraglos als ein Vertreter „unserer“ Werte. Es gab manchmal kleinere Mißtöne, wie im Falle Solschenizyns, der bald nach seiner Ausbürgerung öffentlich bekanntgab, daß er das westliche System – Konsumismus, keine spirituellen Werte! – auch für Scheiße hielt, aber da war in der Gestalt Sacharows schnell ein Ersatz gefunden, an dem man weiter die Unmenschlichkeit des kommunistischen „Systems“ anprangern konnte.
Man muß erwähnen, daß die Gründe, aus denen die verschiedenen Gegner des Realen Sozialismus zu solchen wurden, der westlichen Öffentlichkeit herzlich wurscht waren. Ob sie, wie Solschenizyn, die Abkehr vom Glauben und seinem Wertesystem beklagten, wie Sacharow mit dünner Stimme auf die Einhaltung der Menschenrechte beharrten, wie Milovan Djilas eine wahrhaft sozialistische Gesellschaft ohne „neue Klasse“ der Bürokratie anstrebten, oder wie Jacek Kuron ein „Komittee zur Verteidigung der Arbeiterklasse“ (KOR) einrichteten, tat ihrer Klassifizierung als Dissident keinen Abbruch.
Vor 1989 waren sie bloße nützliche Idioten der demokratischen Propaganda und, sofern sie ihren Staaten den Rücken kehrten und „rübermachten“, Aushängeschilder der demokratischen Meinungsfreiheit, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit das Loblied des Pluralismus singen durften.
Ihre große Stunde schlug jedoch mit dem Systemwechsel 1989, als sie sich auf einmal als die Wir-haben-es-immer-schon-gesagt-Kronzeugen westlicher Werte zu den Anführern der Implantierung des Kapitalismus in Osteuropa machen wollten und durften. Die zu Staatsmännern aufgestiegenen Systemkritiker vereinigten besonders glaubwürdig den Idealismus des Humanisten mit dem Realismus des Politikers, der im Namen höherer Werte seiner Bevölkerung die Scheidung in Arm und Reich, in Proletarier und Kapitalisten verordnete.
Niemand jedoch verkörperte diese Karriere reiner als Václav Havel.
Vom Dramatiker zum Dissidenten
Havel entstammte einer großbürgerlichen Familie, deshalb wurde ihm in der sozialistischen Tschechoslowakei der Zugang zur höheren Bildung verwehrt. Als Autodidakt und nach Absolvierung eines Fernstudiums begann er Theaterstücke zu schreiben. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings erhielt er Publikationsverbot und wurde mehrmals inhaftiert. Er war einer der Mitinitiatoren der „Charta 77“, deren Mitglieder sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der Tschechoslowakei einsetzten, und deshalb von der tschechoslowakischen Regierung als Staatsfeinde behandelt wurden. „Menschenrechte“ hieß für deren Verteidiger in der Tschechoslowakei vor allem: Zulassung von Rockmusik, Dichtung und anderen künstlerischen Ausdrucksformen. Die Charta 77 wendete sich gegen deren „Gängelung“ und strafrechtliche Verfolgung.
Der Inhalt der Kritik von Václav Havel am sozialistischen System war vor allem philosophischer Natur: Er wendete sich gegen die Realität der vom sozialistischen System verkündeten Ideale, und bezichtigte die Politiker der Heuchelei. Er warf ihnen vor, sie predigten Wasser und tränken Wein. Dieses langweilige Evergreen untertäniger Meckerei, die übrigens systemübergreifend ist, ist eine rein moralische Kritik an den Zielen der Machtausübung, die sie an ihren eigenen Kriterien mißt und für zu leicht befindet. Weder die Ziele des Sozialismus und deren unbestreitbare Errungenschaften, wie eine flächendeckende Versorgung und Bildung der Bevölkerung, noch deren häßliche Seiten und Widersprüche waren für ihn Thema, sondern das Auseinanderklaffen von Ideal und Realität: Seine Kritik arbeitete sich unter anderem daran ab, daß z.B. die Tschechoslowakei wie alle sozialistischen Staaten den Frieden propagierte, und gleichzeitig eine beachtliche Rüstungsindustrie unterhielt.
Um den Fehler dieser Art von Kritik kurz zu skizzieren:
Warum unterhielt die Tschechoslowakei eine solche gewaltige Rüstungsindustrie, während sie gleichzeitig das Ideal des Friedens propagierte?
War es, um den Sozialismus zu verteidigen, oder diente sie nicht vielmehr der Erwirtschaftung von Devisen? (Die Tschechoslowakei war der 7-größte Rüstungsproduzent der Welt. Ihre Waffen wurden unter anderem in den Iran und den Irak exportiert, während des zwischen den beiden Staaten von 1980-88 ausgefochtenen Krieges.)
Warum braucht ein sozialistischer Staat unbedingt Devisen? Um beim Klassenfeind Waren einzukaufen?
Warum braucht man die von der westlichen ausgebeuteten Arbeiterklasse erzeugte Waren? Weil man die selber nicht herstellen kann?
Warum kann die sozialistische Ökonomie diese Waren nicht herstellen? Obwohl sie angeblich den Widerspruch zwischen Produktionsmitteln und Produktionsverhältnissen aufgehoben hat?
Hat sie vielleicht andere Widersprüche eingerichtet, die die Produktion behindern? Unter anderem den Hauptwiderspruch, für Versorgung und gleichzeitig mit Geld zu produzieren?
Aber solche Fragen, die auf eine Analyse der bestehenden Verhältnisse hinauslaufen, kommen gar nicht auf, wenn jemand immer nur das Sollen einer besseren Welt gegen das Sein der schlechten Wirklichkeit in Anschlag bringt. Das ist übrigens keine Besonderheit des Dissidententums, sondern gehört zum guten Ton demokratischer Kritik.
Präsident der Tschechoslowakei
Mit Bauchweh – man ist schließlich Intellektueller und nicht Politiker – übernahm Havel zur Zeit der Wende das Präsidentenamt der Tschechoslowakei. Und er setzte einige Maßnahmen, aus denen man ersehen kann, daß Schöngeister nur mäßig für das Amt des Politikers geeignet sind.
Er verkündete eine Generalamnestie. Er ging davon aus, daß alle Menschen, die zum Zeitpunkt der Wende in Gefängnissen saßen, Opfer des sozialistischen Systems waren und sofort freigelassen gehörten. (Es gab zwar einige Einschränkungen für Gewaltverbrecher, aber im Grunde wurden ein Großteil der Häftlinge amnestiert.) Erstens verlor dadurch die Autofabrik Skoda einen Teil ihrer „Mitarbeiter“, die aus Häftlingen bestand, und mußte die Produktion beträchtlich zurückfahren. Zweitens, und das war schlimmer, kümmerte sich Herr Havel & Co. überhaupt nicht darum, was aus diesen Leuten, die durch den Gefängnisaufenthalt aus ihren vorherigen Verhältnissen herausgerissen worden waren, geschehen sollte. Die Amnestie wurde ohne Auffang- und Reintegrationspläne durchgeführt, mit dem Ergebnis, daß jede Menge gescheiterte Existenzen plötzlich auf der Straße standen, ohne Wohnraum und Jobs, und naturgemäß (wieder) kriminell wurden. Sie kamen noch dazu in eine Welt der Entlassungen und der flächendeckenden Verarmung, und verunsicherten den Rest der Bevölkerung. Havel wurde schlagartig unpopulär.
Sein zweiter Beschluß war, die Rüstungsindustrie zuzusperren. Er wollte ein Friedensbringer sein.
Damit ging der einzig konkurrenzfähige Teil der tschechoslowakischen Industrie flöten. Der Rest der Wirtschaft war auch in Nöten, aber dieser Beschluß Havels hatte besonders verheerende Folgen für die Slowakei, wo ein Großteil der Rüstungsindustrie konzentriert war. Die Privatisierungspolitik von Václav Klaus und die friedenstaubenmäßigen Maßnahmen von Havel führten zur Abspaltung der Slowakei, die in der internationalen Presse als Ergebnis der nationalistischen Verbohrtheit der Slowaken dagestellt wurde.
Havels politisches Vermächtnis ist also die Spaltung der Tschechoslowakei, eines Staates, der
1918 in Pittsburgh in den USA von Tomás Masaryk und seinen Haberern gegründet,
1939 von den Nationalsozialisten besetzt und aufgelöst, und
1945 von den Siegermächten des II. Weltkriegs wiedereingerichtet worden war.
Präsident der Tschechischen Republik
Nach der Trennung von der Slowakei 1993 wurde Havel wieder zum Präsidenten der Tschechischen Republik gewählt, ein Amt, das er bis 2003 innehatte.
Er erhielt jede Menge Auszeichnungen und Preise für die Verteidigung von Freiheit und Frieden, und die Einrichtung und Verteidigung der Zivilgesellschaft. Besonders gewürdigt wurde sein Beitrag zur Einigung Europas.
Seinen letzten großen internationalen Auftritt hatte er 2003 kurz vor seinem Rückzug ins Privatleben. Zusammen mit den ehemaligen Dissidenten Adam Michnik (Polen) und György Konrád (Ungarn) befürwortete er eine militärische Invasion des Iraks. Er unterzeichnete damals sogar den „Brief der 8“ (neben Aznar und Blair), die diesen Krieg forderten.
Eine perfekte Karriere eines „Andersdenkenden“: Aus der Friedenstaube wurde ein Kriegstreiber, am Schluß im besten Einvernehmen mit den Chefs der Weltordnung, den imperialistischen Schlächtern von heute.

Pressespiegel: El País, 9.12. – Einfrieren von Sparguthaben?

ANGST VOR DEM „CORRALITO“
Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige Problem, dass die Menschen beunruhigt. Eine andere verborgene und stetig anwachsende Angst macht sich inzwischen breit: der Argwohn, daß die Ersparnisse nicht sicher sind. Vor 10 Jahren wurde der „Corralito“ (eine Art Laufstall) eingeführt, was bedeutete, daß Millionen von Argentiniern von einem Tag auf den anderen ihre Bankkonten gesperrt wurden. Die Sorge davor, daß sowas auch in Spanien passieren könnte, wächst: ein Einfrieren der Sparguthaben mit Zugangsbeschränkungen, oder, noch schlimmer: die Vorstellung eines Endes des Euro als Währung und die Umwandlung von Einlagen in die neue Währung (Peseten) – was in Argentinien der „Corralón“ (ein kleines Gehege) hieß – ist heute mehr als ein bloßes irreales Planspiel für Ökonomen.
Inzwischen ist die Debatte bereits auf der Straße angekommen. Und in den Filialen der Banken. Sparer sind von Haus aus furchtsam, umso mehr, um je geringere Beträge es sich handelt. Auf Internet-Foren gewinnt die Frage „Was mache ich mit meinem Geld?“ immer mehr Anhänger. Die Vorschläge, wie man seine Spargroschen in Sicherheit bringen könnte, sind mannigfaltig:
– ein Konto in einer Fremdwährung (Dollar, Pfund, Yen) anlegen,
– ein Konto in einem Land, das noch Kredit hat, anlegen, in der Annahme, daß ein solches im Falle eines Eurozusammenbruchs zum harten Kern derjenigen Länder gehören wird, deren Währung stabil ist (Deutschland, Frankreich oder Holland, um die geographisch nächsten zu nennen)
– ein Konto in einem Nicht-EU-Land eröffnen (Schweiz, USA …)
– das Geld in Form von Edelmetallen in einem Tresor aufbewahren,
– in Gold investieren.
Es gibt noch mehr, und der Königsweg ist keiner davon.
Ein „Corralito“ oder die Rückkehr der Peseta in Europa bzw. Spanien sind unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Das Treffen der europäischen Staats-und Regierungschefs in Brüssel gestern sollte dazu dienen, diese Gefahr zu bannen, den Euro zu stabilisieren, die Schuldenkrise in den Griff zu kriegen und Liquidität für das Finanzsystem zu schaffen.
Es gibt jedoch Gründe für Misstrauen. Die Beschlüsse der vorherigen Gipfel im Juli und Ende Oktober wurden nicht umgesetzt. Und die Glaubwürdigkeit derer, die sie getroffen haben, ist nicht sehr hoch: sie haben ja auch seinerzeit bestritten, dass Griechenland zahlungsunfähig wäre oder dass Portugal und Irland ein Rettungspaket brauchen würden, und behauptet, dass der Euro nicht in Gefahr sei.
Die Europäische Bankenaufsicht (EBA) bestätigte gestern, dass unter den europäischen Banken die spanischen nach den griechischen das meiste zusätzliche Kapital benötigen (26.170 Millionen Euro), um im Rahmen der neuen Vorschriften ihre Zahlungsfähigkeit zu gewährleisten.
Das griechische Beispiel gibt auch zu denken. Seit Januar 2010 schrumpften die gesamten Einlagen bei griechischen Banken um fast 25% (wie in Argentinien in den acht Monaten vor vor der Verhängung des „Corralito“). Allein zwischen September und Oktober wurden 14.000 Millionen Euro abgezogen. Zu Beginn der Krise waren es die großen Vermögen und die Konzerne, die Gelder verschoben haben. Inzwischen ist es die Mittelschicht, die ihre Einlagen aufkündigt, und es ist nicht ungewöhnlich, dass Kunden in ihre Filiale kommen, um Beträge zwischen 100.000 und 500.000 € abzuheben und zu Hause in die Matratze zu stecken. Als eine der ersten Maßnahmen der Regierung Monti in Italien wurden Barauszahlungen über 1.000 € verboten, um Geldbewegungen im Inland überwachen zu können.
In Spanien gab es keinen massiven Abfluss von Einlagen, obwohl in den letzten Monaten ein erheblicher Rückgang festzustellen ist. Seit dem Höchststand im März dieses Jahres (1.425.834 Mio.), haben die Haushalte und Firmen in den letzten sechs Monaten Einlagen in Höhe von 33,197 Millionen zurückgezogen. Alle Experten sehen jedoch die Hauptursache für den Abzug in der höheren Rentabilität von Staatspapieren und anderen Anlageformen.
Es gab gelegentlich Momente der Panik im Falle von Banken, die dann gerettet werden mussten. Bei der Caja Mediterraneo (CAM) wurden seit dem Ausbruch der Krise im Februar und ihrer gescheiterten Fusion mit anderen Banken mehr als 5 Milliarden abgezogen. Nur eine Geldspritze der spanischen Nationalbank verhinderte den Zusammenbruch der Bank. Davor mußte die Caja Castilla-La Mancha (CCM) gestützt werden, da innerhalb eines Monats 500 Millionen Euro abgezogen worden waren.
In der neuesten Studie von Merco (Monitor Empresarial de Reputación Corporativa, Firma für die Erhebung von Daten über Unternehmen) wird festgestellt, daß nur ein Drittel der Bevölkerung an die Erholung der Finanzbranche glaubt, und daß 13% aus Sorge über eine mögliche Insolvenz ihr Geldinstitut gewechselt haben. Der Direktor von Merco, Justo Villafañe, stellt fest, daß „Zahlungsfähigkeit derzeit der wichtigste Aspekt für alle Bankkunden ist“.
Noch alarmierender ist die diese Woche durchgeführte Umfrage der Finanzagentur Bloomberg bei 1.100 ihrer Firmenkunden (Investmentbanken, Fonds, Kapitalgesellschaften und Fachpresse). 40% der Befragten halten einen Bankrott von Spanien für „wahrscheinlich“. Es ist bemerkenswert, daß sie den spanischen Markt als riskanter einstufen als Argentinien oder Irland. Dem Euro vertrauen sie auch nicht. 57% von ihnen sagten, sie würden ihre Euro-Positionen reduzieren.
Ein weiteres Zeichen des Misstrauens in die Banken ist die steigende Nachfrage nach Tresoren, sodaß die Erzeugerfirmen bereits Wartelisten haben.
José Maria Mollinedo, Generalsekretär der Fachleute-Abteilung des Finanzministeriums sieht die Gründe für dieses Phänomen allerdings nicht nur in der Angst vor dem „Corralito“, sondern auch in der Anhäufung von Schmuck und Schwarzgeld. Das Finanzministerium erwägt die Erstellung eines Registers aller Tresorbesitzer – ungefähr 20.000 in ganz Spanien –, ohne natürlich ihren Inhalt überprüfen zu können.
Theoretisch hätten die Kleinanleger nichts zu befürchten, da der Einlagensicherungsfonds Einlagen bis 100.000 Euro im Falle von Zahlungsunfähigkeit eines Geldinstituts garantiert. Im Falle einer allgemeinen Bankenkrisen-Panik wie in Argentinien oder vorher, in den Vereinigten Staaten während der Großen Depression von 1929, kann man sich dergleichen Sicherheiten allerdings in die Haare schmieren. Der Fonds ist mit 6593 Millionen Euro dotiert (Oktober-Daten), das entspricht ungefähr 0,5% der gesamten spanischen Bankeinlagen.
„Im Falle eines massiven Bankenkrachs, mit dem wir nicht rechnen, wäre die Situation sehr ernst und man müßte zusätzliche Maßnahmen ergreifen“, meint Santiago Pérez von der Vereinigung der Banken, Sparkassen und Versicherungen (Adicae). Er fügt hinzu, daß sich die Anfragen bezüglich der Zahlungsfähigkeit der Geldinstitute häufen, vor allem im Falle solcher, bei denen die Behörden interveniert haben.
Der Fonds übernimmt zudem keine Garantie für alle Finanzprodukte. Wie zum Beispiel Vorzugs-Anteilscheine, die Direktoren der Banken und vor allem Sparkassen Kleinanlegern zwischen 2008 und 2010 verkauft haben, als ob es sich um längerfristig gebundene Spareinlagen handeln würde, während sie in Wirklichkeit nicht einmal die ursprünglich eingezahlte Summe garantieren, da ihre „Performance“ an diejenige des Kreditinstitutes und die Kalkulationen seiner Betreiber gebunden ist. Die Beschwerden der Zeichner dieser Anteilsscheine, die ihr Geld zurückfordern, haben sich vervielfacht. Die Adicae bezeichnet die Lage von Tausenden von kleinen Sparern, die nicht über ihre Einzahlungen von insgesamt 12 Milliarden Euro verfügen können – zu denen sie mit „falschen Informationen“ veranlaßt wurden – als eine Art „Corralito“.
Sperrung oder Zugangsbeschränkungen von Einlagen wären allerdings ein Klacks im Vergleich zum Verschwinden des Euro und den verheerenden Auswirkungen, die die verpflichtende Umwandlung der Ersparnisse in Peseten (oder eine neue nationale Währung) hätte. Genau das geschah nämlich in Argentinien. Vom Augenblick der Verfügung des „Corralito“ am 3. Dezember 2001 konnten die Besitzer der Einlagen nicht mehr als 250 Dollar pro Woche abheben, aber ihre Ersparnisse waren noch da. Ein Jahr später kam die Verordnung des „Corralón“, mit der Aufhebung der automatischen Konvertierbarkeit zwischen Dollar und Peso (Verhältnis von 1 bis 1), was die Abwertung der Währung und die allgemeine Verarmung der Sparer zur Folge hatte.
Wenn sich dieses Szenario in Spanien wiederholt, was von fast allen als unwahrscheinlich – aber nicht unmöglich – bezeichnet wird, würden Einlagen und Schulden automatisch in Peseten umgewandelt, mit allgemeinem Wertverlust. Die neuesten Meldungen von UBS und Citigroup schätzen, dass eine Wiedereinführung der Drachme, Lira oder Peseta zu einer Abwertung von 40% und 60% führen würde, was bedeutet, dass die Einleger plötzlich rund die Hälfte ihrer Ersparnisse verlieren.
Die Unterschiede zwischen der Situation in Argentinien vor einem Jahrzehnt, und der Euro-Zone heute sind enorm, beginnend mit der Größe ihrer Wirtschaft oder die Widerstandsfähigkeit der Europäischen Zentralbank. Aber es gibt einige beunruhigende Ähnlichkeiten: Argentinien ging unter, als der IWF sich weigerte, weiterhin Mittel zur Verfügung zu stellen, genau wie es Griechenland passiert ist und was in Italien oder Portugal geschehen würde, wenn die EZB sich weigern würde, sie weiter zu unterstützen. Die vom IWF (vor dem Bankrott) verordneten Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung in Argentinien beschleunigten die Rezession und die Unfähigkeit, die Schulden zu refinanzieren – genau was jetzt in Griechenland geschehen ist, und in Italien oder Spanien ebenso auf die sogenannten Sparpakete folgen kann. Schließlich stritt die argentinische Regierung bis zum Überdruss ab, daß sie eine Aufhebung der Dollar-Peso-Parität anstreben würde, – genau wie die EU-Politiker bis vor ein paar Tagen abgestritten haben, daß der Euro in Gefahr sei.
Guillermo Ambrogi, Präsident der spanischen Handelskammer in Argentinien, sieht einige Parallelen zwischen der EU und dem südamerikanischen Land: „Es gibt drei Momente, vor denen man die Augen nicht verschließen kann: eine schwere Rezession, eine sehr hohe öffentliche und private Verschuldung im Vergleich zum BIP jedes Mitgliedslandes, und schließlich eine Geldpolitik, die den Wert der Währung über das Wachstum der Wirtschaft stellt. “ Allerdings erscheint es weder „sinnvoll noch notwendig“, zu Maßnahmen wie dem „Corralito“, also einer Beschränkung oder Einfrieren der Depositen zu greifen, da die EZB andere Instrumente zur Verfügung hat, wie die Ausgabe von Euro.
Das Misstrauen gegenüber dem Euro ist nicht auf Wertpapierfirmen beschränkt. Die Rockbands Metallica und Red Hot Chilli Peppers haben ihre Europa-Tourneen vorverlegt wegen der Befürchtung, dass der Euro verschwindet und ihre Gagen in abgewerteten Währungen gezahlt werden. Beide Gruppen planen Konzerte in Spanien.
„Ist ein „Corralito“ in Spanien möglich? Diese Frage habe ich in den letzten Monaten oft gehört. Meine Antwort war immer: Nein“, sagt Antonio Argandoña, Professor an der IESE (Instituto de Estudios Superiores de la Empresa, Postgraduate Business-School der Universität von Navarra) auf seinem Blog. „Und ich denke, das ist die richtige Antwort, wenn die Frage lautet, ob in Spanien eine Finanzkrise im Ausmaß derer von Argentinien im Jahr 2001 absehbar ist, wo die Menschen ihr Geld nicht von den Banken abheben konnten und das ganze Finanzsystem paralisiert war . Aber wenn die Frage ist, ob es passieren kann, das heißt, ob nicht physisch oder metaphysisch unmöglich ist, ist die Antwort eindeutig ja. “