VOM WESEN DES KREDITS
Den Bankern der Hypo wird ja inzwischen alles Mögliche vorgeworfen, z.B. Insidergeschäfte.
Aber an allem, was über diese bankrotte und deshalb verstaatlichte Bank jetzt herauskommt, kann man einiges über die politische Dimension von Kredit lernen.
Wie einem Artikel aus dem Standard unlängst zu entnehmen war, hat die Hypo im Grunde die Entstehung des kroatischen Staates kreditiert.
Der jetzt im Sommer relativ überraschend und scheinbar grundlos zurückgetretene kroatische Premierminister Ivo Sanader hatte dem Artikel zufolge in Innsbruck noch vor der Anerkennung Kroatiens durch die EU in Österreich einen Zweig der HDS (Kroatische Demokratische Partei, die Partei Tudjmans) gegründet und mit dem Chef der Hypo, Wolfgang Kulterer, Kontakte geknüpft.
Die Hypo „finanzierte“ mit einem beträchtlichen Kredit (wann?) das damals angeblich erst im Entstehen befindliche Kroatien. Zu einem Zeitpunkt also, als weder in der EU noch international Konsens darüber herrschte, wie mit dem Krisenfall Jugoslawien zu verfahren sei, und es keineswegs durchgesetzt war, daß dieser Staat zerschlagen werden müsse, machte sich die Hypo zum Pionier der „Serbien (=Jugoslawien) muß sterbien“-Devise der damaligen österreichischen Außenpolitik, persönlich repräsentiert durch den Außenminister Mock.
Die Hypo – deren Kontakte zu Sanader laut Standard über die FPÖ vermittelt waren – agierte somit als eine wirtschaftliche Speerspitze des kleinen bescheidenen österreichischen Imperialismus.
Nebenbei beförderte sie damit den Aufstieg Sanaders zum Premierminister, mischte also auch in der kroatischen Innenpolitik mit. Aber lassen wir das einmal.
Was lernen wir daraus?
Eine Bank ist nicht in erster Linie eine Institution, die „der Wirtschaft“ hilft, unter die Arme greift, und schaut, daß die Produktion flutscht – wie es uns die Apologeten unseres Wirtschaftssystems in einem fort einreden wollen. Sie macht ihr Geschäft mit wem sie kann, und politische Kredite können für eine Bank viel einträglicher sein als solche, die sie produktiven Unternehmen gewährt. Und zwar deswegen, weil ein Kredit an ein Unternehmen irgendwie aus dem Profit dieses Unternehmens bedient werden muß, also ein Verhältnis zu dem hat, was das betreffende Unternehmen am Markt für seine Produkte erlöst. Die Bedienung des Kredites ist also an alle möglichen Faktoren des Wirtschaftslebens geknüpft: Zahlungsfähigkeit der Kunden, Konjunktur oder Krise, Entwicklung des Marktes, Innovationen, Rationalisierung, Konkurrenz anderer Unternehmen. So ein Kredit an ein Unternehmen ist also mit zahlreichen Risiken verbunden, für das Unternehmen in erster Linie, aber auch für die Bank.
Ein politischer Kredit, also ein Kredit für eine Regierung – ob die eines österreichischen Bundeslandes oder eines sich gerade erst konsolidierenden Staates, wie es Kroatien 1990/91 war – birgt andere Risiken, aber auch ganz andere Sicherheiten. Das hat sich unlängst am Poker um die Hypo gezeigt: Kann die Bundesregierung Kärnten pleite gehen lassen? Nein, kann sie nicht! Weil dann ist Österreich pleite. Also müssen die Kredite, die die Hypo vergeben hat, irgendwie abgedeckt und weiter bedient werden.
Ein anderes va-banque-Spiel war Kroatien. Geht alles schief, und Jugoslawien bleibt eine Einheit – Pech gehabt, die Kredite muß man in den Rauchfang schreiben. Wird Kroatien jedoch ein eigener, selbständiger Staat – na dann wird man doch diejenigen, die in schweren Zeiten auf das Staatswesen vertraut haben, nicht im Regen stehen lassen! Die Hypo hat also mit der Kreditierung dieses Staatswesens viel höhere Gewinne gemacht, als sie es in „der Wirtschaft“ je geschafft hätte.
Also: Kredit ist etwas sehr Politisches. Mit Krediten werden Staaten ins Unglück gestürzt, andere aus der Taufe gehoben. Kredit bestimmt die Politik und die Wirtschaft. Die Banken sind die Königsmacher von heute. Sie sind nicht, wie die oberschlauen Kritiker des „Neoliberalismus“ meinen, Dienstleister der Wirtschaft, die nur an ihre „eigentliche“ Rolle erinnert gehören, mit entsprechenden Kontrollen. Nein, sie sind die Herren der Ökonomie, aber auch des Staatskredites und der Währungen, sie sind die Garanten des Geldes als Maß der Werte, und deswegen werden sie auch um jeden Preis gestützt.
Rumänien 1989
Das Ende des Vampirs
Dieser Tage sind die Zeitungen voll mit den rumänischen Ereignissen von 1989 und dem Ende des Conducators. Besonders in den ehemaligen sozialistischen Ländern wird um diese Revolution, wie sie genannt wird, im Rückblick viel Aufhebens gemacht: Da es für die meisten Bewohner dieser Länder auch heute nicht viel zu lachen gibt, so ist es um so wichtiger, ihnen klarzumachen, daß das Vorherige so schlimm war, daß sie sich über das Heutige gar nicht mehr beschweren dürfen.
Und da eignet sich natürlich niemand so gut wie Ceausescu.
Klein, von niedriger Herkunft, ungebildet, größenwahnsinnig, hat dem Land eine Hungersnot verursacht, einen besonders grauslichen Geheimdienst kommandiert, und wurde schließlich vom gerechten Volkszorn gestürzt, von einem ad hoc-Gericht verurteilt und hingerichtet. Ein Diktator wie aus dem Bilderbuch.
Angesichts dieser Feinbildpflege ein paar Tatsachen über den rumänischen Sonderweg und sein Ende:
Im 1949 gegründeten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) vertrat Rumänien sehr bald die Position, daß diese Institution für Rumäniens nationale Ambitionen ungeeignet war. Die unter Chrustschow erfolgte Neudefinition der „Arbeitsteilung“ in Agrarländer und Rohstofflieferanten einerseits, und Industrieländer andererseits sah die rumänische Führung als einen Angriff auf die nationale Entwicklung an und verringerte sukzessive die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit den RGW-Mitgliedern, während es diejenigen mit kapitalistischen Ländern und solchen in der 3. Welt steigerte. Das geschah alles noch unter Ceausescus Vorgänger, Gheorghe Gheorghiu-Dej. Besonders intensive Beziehungen pflegte Rumänien mit dem Iran, als Öllieferanten.
Diese eigenständige nationale Politik hatte auch Auswirkungen auf die Außen- und Militärpolitik. Seit deren Abzug 1958 waren in Rumänien keine sowjetischen Truppen mehr stationiert. Rumänien beteiligte sich 1968 nicht am Einmarsch in die Tschechoslowakei. Es war das erste sozialistische Land, das dem IWF beitrat, 1972. Seine Führung pflegte demonstrativ gute diplomatische Beziehungen zu den wichtigen imperialistischen Staaten.
All das brachte Rumänien viel Applaus in westlichen Medien ein. Der „größenwahnsinnige Diktator“ der 80-er Jahre war in den 70-er Jahren in der Presse ein mutiger und freiheitsliebender Politiker, der sich von Moskau nicht gängeln ließ und dafür Bewunderung verdiente.
Rumänien war ein Pionier und deshalb auch das erste Opfer des Ost-West-Handels. Die Idee, Maschinen und Know-How aus dem Westen zu importieren und damit ihre Industrie zu entwickeln, war allgemein populär in der rumänischen Führung. Sie scheiterte nur an den Devisen, die man dafür brauchte, aber nicht hatte. Also griffen die rumänischen Politiker gerne zu der ihnen großzügig angebotenen Kredithilfe und begannen sich über den IWF und private Geldinstitute zu verschulden.
Der Wendepunkt kam 1981. Die Polenkrise ließ Kredite an sozialistische Staaten als unsichere Investition erscheinen. Rumänien wurden Kredite verweigert. Bei der Bedienung der Altschulden traten auch Schwierigkeiten auf: Veränderte Weltmarktpreise, der Sturz des Schah und damit das Ende der Öllieferverträge trafen die petrochemische und andere Industrie schwer. Aus Mangel an Devisen mußte jede Menge an Produktion eingestellt werden. Viele Industriegiganten standen still oder liefen auf einem Bruchteil ihrer Kapazitäten.
Und da hatte Ceausescu eine Einsicht: Er begriff, daß Kredit eine ökonomische Waffe ist, mit der Staaten in Abhängigkeiten gezwungen werden. Er stellte fest, daß er auf das falsche Pferd gesetzt hatte, um Rumänien voranzubringen. Und er machte einen Schwenk um 180 Grad: Rumänien habe sich von der Kreditlast zu befreien, um seinen eigenen Weg gehen zu können – das wurde das Leitmotiv der rumänischen Wirtschaftspolitik der 80-er Jahre.
Die gesamte rumänische Volkswirtschaft wurde in die Pflicht genommen, um den Schuldendienst zu bewältigen. Hauptexportschlager waren Lebensmittel. Ausgerechnet die Landwirtschaft, die in der Zuteilung von Mitteln stets sehr stiefmütterlich behandelt worden war – denn Vorrang hatte der Ausbau der Industrie – und entsprechend unproduktiv war, mußte herhalten, um Rumänien aus der Schuldenfalle herauszuführen. Und die Rumänen hungerten. Rumänische Tomaten, die man auf Wiener Märkten kaufen konnte, suchte man auf rumänischen Märkten vergebens.
Noch rasanter als der Absturz der rumänischen Wirtschaft war der des Rufes von Nicolae Ceausescu. Diverse Projekte, vor allem das der Dorfzerstörung, wurden nicht als Ergebnis einer zugegebenermaßen etwas schiefen, aber doch Staatsräson behandelt, sondern als bloßes Vernichtungswerk eines kranken Geistes. Die leeren Geschäfte dienten als Bebilderung von „Mißwirtschaft“, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wo diese Waren eigentlich hingekommen waren, und aus welchen Gründen – daß nämlich damit die Geschäfte westlicher Banken finanziert werden mußten.
Auf einmal wurde die Securitate „entdeckt“. Methoden der Vernichtung mißliebiger Staatsbürger, Folter – alles Dinge, die im vom Westen gleichsam hofierten Argentinien der 70-er Jahre gang und gäbe, und leider in Rumänien auch keine neue Einführung waren, wurden dem p.t. Publikum von der Presse schon fast genüßlich aufbereitet.
Es war klar: Der Typ ist unmöglich und gehört weg. Als es dann soweit war, war großer Jubel angesagt.
Was lernen wir daraus, 20 Jahre später?
1. Jede Alternative zu Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft ist ein Verbrechen und wird früher oder später bestraft.
2. Alles, was in Rumänien heute fehlt und weswegen Leute darben, ist das Erbe der Vergangenheit und nicht das Ergebnis des Kapitalismus.
3. Drittens, wir leben in der besten aller bestmöglichen Welten. Für alles Elend ist die unzulängliche Menschennatur zuständig.
Marktwirtschaft im Postsozialismus
Verkaufserfolge bei einem Mobiltelefon
In der Népszabadság erschien heute ein Artikel mit folgendem Titel: „Die armen Ungarn reißen sich um das Millionentelefon. Die Ungarn kauften ca. 100 Stück des Luxustelefons. Wo ist hier die Krise? Von dem Tag Heuer Meridiis Telefon, das 1 Million Forint (= 3.612 Euro) kostet, wurden bereits 100 Stück verkauft … Es wird in begrenzter Stückzahl und händisch gefertigt.“
Was lernen wir daraus?
Erstens: Es gibt ein teures Handy, das für Leute, die Wert auf Statussymbole legen, verkauft wird. Weil telefonieren kann man ja schnell einmal mit einem Handy. Die Funktion ist offensichtlich nicht das, worauf es ankommt. Aber eines, das mit Diamanten besetzt ist, und wegen einer teuren Speziallegierung garantiert kratzfest ist, hat eben nicht jeder, sondern nur der, der es sich leisten kann. Und die leisten es sich, damit sie damit zeigen können: Wir sind keine Loser, sondern wir haben die Zeichen der Zeit verstanden, und es durch unsere persönliche Tüchtigkeit zu etwas gebracht.
Zweitens: Der Artikelschreiber der Népszabadság (es ist kein Autor angegeben, der Artikel ist also in völliger Übereinstimmung mit der Blattlinie) meint einen Widerspruch zwischen dem allgemein schlechten Zustand der ungarischen Wirtschaft und der Armut im Lande einerseits und dem Verkauf dieses Mobiltelefons andererseits festhalten zu müssen.
Das ist eine wirkliche ideologische Schweinerei.
Ungarische Paupers und Sozialhilfeempfänger, aufgemerkt: Ihr seid gar nicht arm, weil es gibt im Lande Reiche, die für einen teuren Schmarrn jede Menge Geld hinlegen.
Nach zwanzig Jahren Kapitalismus im Land hat sich in Ungarn, genauso wie anderswo auch, eine Klassengesellschaft entwickelt. Es gibt Eigentümer, Unternehmer, die aus Handel und Ausbeutung von Lohnabhängigen Geld verdienen und reich geworden sind. Die haben jede Menge Kohle, und ihre Geschäfte gehen so gut, daß sie Geld in solchem Überfluß haben, daß sie es für jeden Tand zum Fenster hinauswerfen können.
Das erscheint dem Autor der Népszabadság als Widerspruch. Er will offenbar damit die Illusion nähren, daß Kapitalismus, pardon, Marktwirtschaft, etwas ist, das jedem im Lande zugutekommt. Wenn es nicht so ist, so muß es korrupte Politiker oder sonstige Betrüger geben, die die Segnungen der Marktwirtschaft verhindern.
„Krise“, darüber belehrt uns die Népszabadság, ist ein nicht vorhergesehender Betriebsunfall des besten aller Wirtschaftssysteme. Im Grunde, so tut der Artikel, gibt es ja gar keine Krise, sondern Geld ist eh da. Es wird nur für das Falsche ausgegeben.
Schließlich fällt der Tonfall dieses Artikels auch in den Chor derjenigen ein, die meinen, die Menschen hätten sowieso die falschen Bedürfnisse. Es wäre ja genug für alle da, aber die Leute geben ihr Geld für irgendeinen Unfug aus, und deshalb haben sie kein Geld für Milch, Brot und Schuhe. Die Botschaft ist die: Wären die Leute doch vernünftig, so gäbe es gar keine Armut, und jeder könnte sich alles leisten. Aber weil das Volk so deppert ist, deswegen fehlt es vielen am Nötigsten.
Es werden also die Luxus- und Angeberei-Bedürfnisse der frischgebackenen Kapitalisten und demokratisch gewählten Politiker Ungarns für eine Beschimpfung des blöden Völkes verwendet.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Népszabadság meint, die Sache mit der Armut in Ungarn ist einerseits erfunden, eigentlich hätte eh jeder Geld. Weiters, sofern doch vorhanden, ist sie selbstverschuldet, weil im Grunde kann man sich das Geld, das man hat, ja einteilen. Das schaffen aber die dummen Ungarn nicht, und deswegen kommen sie zum Handkuß. Im Grunde ist der Artikel eine Publikumsbeschimpfung, und zwar der Armen über die Bedürfnisse der Reichen.
Dieser Artikel behandelt die angebliche Unfähigkeit des postsozialistischen Bürgers für die Marktwirtschaft anhand des Konsums. Es gibt immer wieder auch Artikel, die die Unfähigkeit des Ungarn für Geschäftstätigkeit behandeln. Vielleicht find ich dafür auch einmal etwas für diesen Blog. In beiden Fällen geht es um den gleichen (rassistischen) Beweis: Die Ungarn sind für die Marktwirtschaft deformiert, aufgrund ihres langen Schmachtens unter dem Joch des Sozialismus. Das ist der Grund, warum es in Ungarn Armut und Elend gibt: Die Leute können einfach dieses Super-Wirtschaftssystem nicht begreifen und seine Vorzüge nicht anwenden und verwerten. Umso mehr sind wir, die Apologeten der Marktwirtschaft, dazu aufgerufen, dieses feine System weiter zu propagieren und zu versuchen, die armen verkümmerten Ungarn dazu zu erziehen!
Für Leute, die sich in Ungarn nicht auskennen: „Népszabadság“ bedeutet „Volksfreiheit“. Die Népszabadság war das offizielle Parteiorgan der „Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei“, der Staatspartei Ungarns. (Von Kommunismus wollten diese Partei in ihrer Namensgebung nix wissen.) Im ungarischen Medienspektrum gilt sie als „links“, sogar als die linke Tageszeitung per se.
Ha magyar anyanyelvűek is szeretnének részt venni ebben a blogban, de nem tudnak eléggé jól németül – semmi gond! Nyugodtan szóljanak hozzá magyarul, én majd fordítom és németül válaszolok.
Für Deutschsprachige: Der obige Text heißt nur, daß Ungarn sich auch beteiligen sollen.