Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 20.12.: Rußland macht sich daran, seine Beziehungen zu Afrika auszubauen

DER WESTEN SOLL BILLIONEN AN ENTSCHÄDIGUNGEN ZAHLEN: LAWROW UNTERBREITETE AFRIKA EINEN BEISPIELLOSEN PLAN

Lawrow: Russland ist bereit, Afrika bei der Berechnung der Entschädigungszahlungen für die Kolonialzeit zu unterstützen

Das zweitägige Treffen der russisch-afrikanischen Außenminister ging in Kairo zu Ende. Sergej Lawrow sprach 2x auf dem Forum. Er unterbreitete so viele konkrete Vorschläge – weniger diplomatischer als vielmehr wirtschaftlicher Natur –, dass seine afrikanischen Kollegen kaum den Überblick behielten.

Auch im Westen wurden Lawrows Reden in Kairo aufmerksam verfolgt. Schließlich schlug der Minister vor, Afrika bei der Eintreibung enormer Entschädigungszahlungen von seinen ehemaligen Kolonialmächten zu unterstützen. »Und hier ist unsere Sache gerecht, und der Sieg wird unser sein«, erklärte der russische Außenminister.“

Hier wird irgendwie eine Art Retourkutsche gefahren für die im Westen immer wieder erwähnten russischen Reparationszahlungen an die Ukraine.
Die Verwirklichung ist in beiden Fällen praktisch unmöglich, aber der Rechtstitel wird hochgehalten.

„(Ab-)Rechnung für die Sklaverei

Das Format der russisch-afrikanischen Treffen auf Außenministerebene ist relativ neu. Die gesamte afrikanische Diplomatengemeinschaft »stellte sich vor einem Jahr in Sotschi erstmals gemeinsam mit Lawrow die Uhr«.“

Das heißt, sie nahmen sich eine Art Feldzug vor und berieten über seine Durchführung.

„»Die Staats- und Regierungschefs unserer Länder setzen große Hoffnungen in das heutige Treffen und erwarten von uns konstruktive Beschlüsse und abgestimmte Vorschläge«, sagte Sergej Wiktorowitsch in Kairo zur Eröffnung des zweiten Außenministertreffens.“

Von Sotschi, wo der ganze Prozeß eingeleitet wurde, übersiedelte das Treffen nach Ägypten – zu einem Staat, der gerne eine Führungsrolle in Afrika einnehmen würde.

„Der dreijährige gemeinsame Aktionsplan läuft 2026 aus.“

Dann ist er aber nur zweijährig? Oder er hat bereits vor 2024 begonnen …

„In Kairo machte Lawrow neue, beispiellose Vorschläge: »Wir halten es für wichtig, den auf dem zweiten russisch-afrikanischen Gipfeltreffen gefassten Beschluss zur Schaffung eines ständigen russisch-afrikanischen Dialogmechanismus auf höchster Ebene zur Koordinierung aller Bemühungen im Sicherheitsbereich in die Praxis umzusetzen.«“

Auf gut Deutsch: Eine Art gemeinsames Stabskommando für militärische, politische und wirtschaftliche Fragen.

„Russland ist zudem bereit, afrikanische Länder bei der Entwicklung von Rechtsinstrumenten zur Bewertung und Entschädigung der ihnen während der Kolonialzeit zugefügten Schäden zu unterstützen. Die Kosten werden sich voraussichtlich auf Billionen belaufen.

Der neue Plan wird den Staatschefs auf dem dritten Russland-Afrika-Gipfel, der für nächstes Jahr geplant ist, zur Genehmigung vorgelegt. »Wir sind der Ansicht, dass wir mit konkreten, praktischen Ergebnissen zu diesem Treffen kommen müssen«, betonte Lawrow.

Der genaue Ort des dritten Gipfels ist noch nicht bekannt. In Kairo erklärte jedoch der Außenminister Äquatorialguineas, Simeon Oyono Esono Angue, sein Land sei bereit, die Präsidenten und Premierminister zu empfangen.“

Damit möchte der Präsident dieses nicht allzu bekannten Landes sich und seinen Staat aufwerten. Allerdings hat Äquatorialguinea Ölvorkommen, also ganz arm ist der Staat nicht – und könnte eine solche Veranstaltung durchaus hinkriegen.

„Von Afrika in den Weltraum

Sowohl unsere als auch afrikanische Diplomaten betonen bei nahezu jedem Treffen, dass eine umfassende Zusammenarbeit ohne die Umsetzung konkreter, für beide Seiten vorteilhafter Projekte unmöglich ist. Gleichzeitig setzt der Westen seine Bemühungen fort, Afrika von Russland zu entfremden.

Die westliche Presse stellt fest, dass dank dem wachsenden Einfluss unseres Landes auf dem afrikanischen Kontinent antiwestliche Stimmungen zum Abzug westlicher Truppen aus weiten Gebieten führen.
Der Westen warnt Afrika jedoch davor, dass Moskau Afrika nur aus sicherheitspolitischer Sicht helfen könne. Russland fehle es demnach an Ressourcen und moderner Technologie, um kostspielige und mitunter extrem riskante Wirtschaftsprojekte umzusetzen.“

Das ist wieder die alte Leier, daß in Rußland Mißwirtschaft herrscht und nichts funktioniert – obwohl es der größte Getreideexporteur der Welt ist und seine Rüstungsindustrie für den westlichen Geschmack viel zu gut funktioniert.

„Sergej Lawrow lehnt diesen Ansatz entschieden ab. Er bezeichnete die Entwicklung wirtschaftlicher Projekte mit afrikanischen Ländern als eine der wichtigsten Prioritäten Russlands: »Wir fordern unsere afrikanischen Partner auf, die entsprechenden Abkommen zügig in die Praxis umzusetzen.«

Afrika verfügt beispielsweise über enorme landwirtschaftliche Ressourcen. Lawrow ist überzeugt, dass der Kontinent sich selbst versorgen kann: »Wir sind bereit, relevante Technologien, Erfahrungen und Wissen mit unseren afrikanischen Freunden zu teilen.«
Wahre wirtschaftliche Souveränität, so der Minister, sei ohne innovative Lösungen und entsprechende Fachkräfte unmöglich. Daher beabsichtigt Russland, seinen afrikanischen Partnern modernste Entwicklungen, unter anderem im Bereich der Kernenergie und der Weltraumforschung, zur Verfügung zu stellen.

Was die zukünftigen Eliten betrifft, hat sich die Zahl der afrikanischen Studierenden in Russland in den letzten 5 Jahren verdoppelt und liegt nun bei über 32.000. Auch die Quote für russische Stipendien für Afrika hat sich fast verdreifacht.

Mehr Botschaften in Moskau

Lawrow schlug afrikanischen Ländern, die noch keine Botschaft in Moskau haben, die Eröffnung eigener diplomatischer Vertretungen vor. Russland baut seine diplomatische Präsenz in Afrika ebenfalls aus. In diesem Jahr wurden Botschaften in Niger, Sierra Leone und Südsudan eröffnet. Als Nächstes folgen Gambia, Liberia, Togo und die Komoren.“

Die Beziehungen zu vielen Staaten Afrikas wurden offenbar bisher aus Kostengründen über Sammel-Botschaften abgewickelt, die mehrere Staaten betreuten bzw. vertraten.

„Bis Ende 2026 werden außerdem russische Handelsvertretungen in 15 afrikanischen Ländern tätig sein: »Es ist klar, dass dies nicht endgültig ist. Die Arbeit wird fortgesetzt.«
Moskau plant weiters, die Zahl der zwischenstaatlichen Kommissionen für Handel, wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern nahezu zu verdoppeln. Derzeit gibt es 19 davon. Geplant ist die Einrichtung von 13 weiteren in naher Zukunft.

Verstärkte Marktpräsenz

In Kairo beschränkte sich die Diskussion nicht auf die Zukunft. »Ich glaube, wir haben den Bürgern unserer Länder bereits etwas zu präsentieren«, betonte Sergej Wiktorowitsch.

Im vergangenen Jahr stieg Russlands Handelsvolumen mit afrikanischen Ländern um rekordverdächtige 13 Prozent auf fast 28 Milliarden US-Dollar. »Ich bin überzeugt, dass die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft sind«, erklärte Lawrow. »Wir laden Sie ein, vielversprechende Marktnischen in Russland und Afrika aktiver zu entwickeln.«

Eine Reihe bedeutender russisch-afrikanischer Projekte wurde bereits begonnen. So wird beispielsweise im Kongo eine über 500 Kilometer lange Ölproduktpipeline gebaut, und in Ägypten befinden sich die russische Industriezone und das Kernkraftwerk El Dabaa im Bau.

»Wir sind entschlossen, das enorme Potenzial unserer praktischen Zusammenarbeit weiter auszubauen«, schloss der russische Außenminister.

Abhängigkeit von Diamanten

»Ich denke, alles beginnt mit Bildung«, bemerkte Jean-Claude Gakosso, Außenminister der Republik Kongo. Er ist überzeugt, dass es die Humanressourcen waren, die der russischen Wirtschaft geholfen haben, den Sanktionen zu widerstehen: »Russland verfügt über alle notwendigen Technologien. Russland hat eine wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit bewiesen, die alle überrascht hat.«“

Man merkt daran, was für einen Eindruck die russische „Sonderoperation“ in Afrika gemacht hat, das in den letzten Jahrzehnten eine leidensvolle Geschichte westlicher militärischer Einmischung hinter sich hat – Angola, Mozambique, Somalia usw.
Der Wille und die Fähigkeit, dem Westen etwas entgegenzusetzen, ruft auf dem afrikanischen Kontinent Beifall hervor.

„Botswana z.B. beabsichtigt, seine Wirtschaft mithilfe russischer Entwicklungen zu modernisieren. »Lange Zeit waren wir von nur einem Rohstoff abhängig – Diamanten«, sagte Fenyo Butale, Minister für Internationale Zusammenarbeit des Landes. »Jetzt planen wir, unsere Wirtschaft zu diversifizieren … In diesem Bereich wollen wir auf Russlands Erfahrungen zurückgreifen.«

Der algerische Außenminister Ahmed Attaf fügte hinzu, dass die russisch-afrikanische Partnerschaft auf die Schaffung einer gerechteren Weltordnung auf der Grundlage des Völkerrechts abzielt. Die Idee, vom Westen Entschädigung zu fordern, fand offenbar Anklang bei den afrikanischen Ministern.“

Währung als Mittel der politischen Kontrolle

BULGARIEN FÜHRT DEN EURO EIN

„Bulgarien bekommt ab nächstem Jahr den Euro – die Einführung nahm heute in Brüssel die letzte Hürde. Doch viele Bulgaren befürchten, dass sich ihre wirtschaftliche Lage verschlechtern wird. (…)
Die Bevölkerung aber ist gespalten: Laut der Politikwissenschaftlerin Genowewa Petrowa, die das Umfrage-Institut Alpha Research in Sofia leitet, herrscht zwischen Befürwortern und Gegner Parität. »Wenn es Bedenken gibt, dann beziehen sie sich auf mögliche erwartete Preissteigerung.«“

Dieser Behauptung der Politikwissenschaftlerin steht allerdings im Widerspruch zur Aussage von Leuten, die damals im Juli 2025 bereits gegen die Einführung des Euro protestierten:

„»Die Eurozone ist das Schlimmste, was den Bulgaren derzeit passieren kann, denn wir sind ohnehin schon ein unterworfenes Territorium (…) Was sind denn diese europäischen Werte? Wir brauchen den Euro nicht. Wozu überhaupt?«“ (Tagesschau, 8.7. 2025)

I. Der Euro überhaupt

1. EU und Euro

Vielleicht einmal eine Rückerinnerung an den Euro und ursprüngliche Einführung in den Jahren 1999-2002:

„Der Euro wurde am 1. Januar 1999 als Buchgeld und drei Jahre später am 1. Januar 2002 als Bargeld eingeführt. (…) Er (…) fungiert als gemeinsame offizielle Währung in 20 EU-Mitgliedstaaten(…) sowie in 6 weiteren europäischen Staaten. Nach dem US-Dollar ist der Euro die zweitwichtigste Reservewährung der Welt.“ (Wikipedia, Euro)

Von den 6 Nicht-EU-Staaten, die den Euro als Währung eigeführt haben: Montenegro, Kosovo, Andorra, Monaco, Vatikanstadt und San Marino – sind dabei nur die zwei ersteren wichtig, die damit an die EU gekettet wurden, nachdem der Euro in diesen Fällen zunächst als ein nicht-militärisches Mittel zur Zerschlagung Jugoslawiens diente.

Im Grunde haben sich fast alle Staaten der EU verpflichtet, den Euro einzuführen. Ausnahmen waren Großbritannien und Dänemark:

„Beim Abschluss des Vertrags von Maastricht im Jahr 1992, in dem unter anderem die Einführung des Euro beschlossen wurde, handelten sich Großbritannien und Dänemark eine Ausnahmeregelung heraus. Durch diese sogenannte Opting-Out-Klausel waren diese zwei Länder als einzige in der EU rechtlich nicht dazu verpflichtet, den Euro einzuführen.“ (Wikipedia, Pfund Sterling)

Das UK konnte als aus der EU austreten, weil es eine eigene Währung hatte.
Für die Eurozone ist gar kein Austrittsverfahren festgelegt. Sollte also ein Land der Eurozone einen Austritt erwägen, müßte dafür erst ein eigenes Verfahren entwickelt werden.
Was es heißt, in der Eurozone zu sein und in Schwierigkeiten zu geraten, konnte man an der Eurokrise und der Behandlung Griechenlands sehen.
Das sind Gründe, warum andere Staaten der EU den Euro nicht haben und anscheinend auch nicht einführen wollen: Tschechien, Polen, Ungarn, Rumänien, Schweden.
Diese Staaten treten auch absichtlich dem Wechselkursmechanismus II nicht bei, der eine Vorstufe zur Euro-Einführung ist – auch wenn sie, wie Tschechien und Schweden, alle Kriterien erfüllen würden.

2. Dollar und Euro

Was den Status der Reservewährung betrifft, so klafft zwischen Euro und Dollar ein großer Abstand. Der Anteil des Dollar wird derzeit mit 58% angegeben, der des Euro mit 20%. Man merkt die Lücke zwischen Nr. 1 und Nr. 2.
Dazu kommt, daß in den Reserven der Bankschätze wichtiger Staaten inzwischen immer mehr Gold als Reserve aufgehäuft wird, sodaß die Rollen der Reservewährungen allgemein zurückgeht.
Dazu kommt auch noch, daß die wichtigste Rolle des Dollar in seiner Eigenschaft als Handelswährung liegt, wo er dem Euro sowieso haushoch überlegen ist – was sich unter anderem darin äußert, daß Gold selbst international in erster Linie in Dollar gehandelt wird. Ebenso wie wichtige Rohstoffe wie Öl und andere Energieträger, oder Getreide.

Bei der Handelswährung ist aber auch zu beachten, daß auch hier aufgrund von Sanktionen und den Reaktionen darauf viele Staaten auf bilaterale Abrechnung umgestiegen sind und hierbei den Dollar, wenn überhaupt, hauptsächlich als Referenzwährung verwenden.

Die Rolle des Dollar ist also im Laufe der letzten Jahre zurückgegangen, aber damit auch die des Euro, der im Windschatten des Dollar segelt.

II. Bulgarien und der Euro

1. Der Euro als Klebstoff der EU

Während zum Zeitpunkt der Planung des Euro 1992 die Konvergenzkriterien festgelegt wurden, so wurden sie schon damals unterlaufen. Italien z.B. hatte damals wie bei Einführung des Euro 2001 eine höhere Staatsverschuldung als 60%. Über die Tricksereien bei Griechenland erfuhr man anhand der Krise 2015 ff. so einiges – wobei gemeinhin verschwiegen wurde, daß diese von Deutschland gewollt und tatkräftig unterstützt worden waren.
Die Slowakei, die 2009 der Eurozone beitrat und erst recht die baltischen Staaten, die in den Jahren 2010-2015 beitraten, erfüllten diese Kriterien eigentlich nicht, vor allem deshalb, weil ihr BIP so mager ausfiel. Da wurde auch in bewährter Manier getrickst, um diese Entscheidung zu rechtfertigen.

Die Stellung zum Euro bzw. die Bewerbung desselben hatte sich ab 2009 graduell geändert: Von einem Jahrhundertprojekt, das die Dominanz des Dollar ablösen wollte, war er zu einer Art Zwangsjacke geworden, das innerhalb der EU die Führungsrolle Deutschlands als Exportmarkt und Kreditmacht sicherte und ansonsten der EU eine Art von Zusammenhalt verlieh, der auf Abhängigkeit und Not und nicht auf Berechnungen und Hoffnungen beruhte.

Bulgarien trat 2007 der EU bei und 2020 dem Wechselkursmechanismus II, der Vorstufe zur Euro-Einführung.

2. Bulgariens Weg in die EU

Bulgarien hatte vor 1991 sehr enge Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion gehabt. Es gab auch dort keine Proteste, die Wende wurde von der Staatspartei selbst eingeleitet. Nach 1990 setzte aufgrund des Zerfalls des RGW ein wirtschaftlicher Niedergang ein, der die Bevölkerung in Massen in die Emigration trieb.

In der Hoffnung, er könne Wunder wirken, wählten die Bulgaren 2001 mehrheitlich den letzten Zaren Bulgariens. Er versprach viel, was er nicht halten konnte. Simeon von Sachsen-Cobug-Gotha hat sich inzwischen auch wieder aus der bulgarischen Politik verabschiedet. Mit seinem Amtsantritt beginnt jedoch der Aufstieg des Mannes, der inzwischen die bestimmende Figur der bulgarischen Politik ist: Bojko Borissow.

Borissow war in den 80-er Jahren ein wichtiger Mann im bulgarischen Staatsapparat. Er diente als Polizist bei den Truppen des Innenministeriums, was unter den damaligen Bedingungen der Inlandsgeheimdienst war.
Nach 1991 gründete er eine Sicherheitsfirma und wurde später zum Leibwächter von Simeon SCG. Er leitete den greisen Ex-Monarchen, der obendrein Ausländer war, durch die Unwegsamkeiten des bulgarischen Machtapparates. Dabei machte er rasant Karriere und war seither Polizeichef, Bürgermeister von Sofia, Ministerpräsident usw.
Bei ihm liefen und laufen alle Fäden zusammen. Er hat begriffen, daß die einzige Zukunft eines Politikers in Bulgarien die ist, sich zum Statthalter ausländischer Interessen zu machen. Dabei laviert er geschickt zwischen EU und USA.

Nach Bulgariens Teilnahme am Irakkrieg wurde es 2004 in die NATO aufgenommen.
Die EU nahm Bulgarien nicht beim „Big Bang“ 2004 auf, sondern erst gemeinsam mit Rumänien 2007, eine im Vergleich zu den 2004-ern Schmalspur-Mitgliedschaft mit weitaus weniger Unterstützung, aber eine Reaktion auf den Einfluß der USA, dem die EU etwas entgegensetzen wollte.

3. Bulgariens Weg in den Euro

Die Finanzkrise ab 2008 begrub die Ambitionen der EU ein Stück weit und stellte die Eurozone überhaupt in Frage. Es folgte 2020 der Brexit, der zeigte, daß ein Land mit eigener Währung die EU zwar mit Schwierigkeiten, aber doch verlassen kann.

2020 war auch das Jahr, in dem Bulgarien dem Wechselkursmechanismus II beitrat, nachdem Kristalina Georgieva Christine Lagarde 2019 als Direktorin des IWF gelöst hatte.
Georgieva war auch Mitglied der von Borissow gegründeten Partei GERB, die damals und heute die Regierung in Bulgarien stellte.

Die Ablehnung des Euro in breiten Teilen der Bevölkerung wurde von den in solchen Fällen reichlich vorhandenen „Experten“ auf das „Unwissen“ in der Bevölkerung zurückgeführt – man hätte dann endlich eine stabile Währung und hätte ja auch bisher schon einen fixen Wechselkurs zum Euro, usw.

Und jetzt das: Wegen „Korruption“ gehen Leute auf die Straße? Warum jetzt?
Die Borissow & Co.-Gesellschaft, die die Einführung des Euro betreibt, war ja schon öfter wegen des Füllens ihrer Taschen im Zwielicht.

Was der Rücktritt der Regierung eigentlich ausrichten soll, ist unklar.
Es ist anzunehmen, daß Borissow und seine engeren Mitarbeiter mit Hilfe der empörten Massen Ballast abwerfen, um sich nachher sowohl im Inland als auch der EU gegenüber als alternativlos anbieten zu können.
Mit frisch eingeführtem Euro, selbstverständlich.

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Eine ausführlichere Version dieses Artikels findet sich hier.


Siehe frühere Artikel zur Euro-Einführung:

Die Eurozone wächst! (Estland 2010)
Lettlands Beitritt zur Eurozone (2014)
Litauen tritt der Eurozone bei (2015)

Pressespiegel El País, 30.11.: Der internationale Drogenhandel

„LATEINAMERIKA WIRD VON KRIMINELLER TÄTIGKEIT ÜBERWÄLTIGT

Mit zunehmender Drogenproduktion und -schmuggel auf dem gesamten amerikanischen Kontinent diversifizieren sowohl neue als auch etablierte kriminelle Gruppen jeder Größe ihre Geschäftsfelder und verstärken ihre militärischen Kräfte gegenüber Staaten, die zwischen harter Hand und Lähmung hin- und hergerissen werden.

Ein grünes Blatt Papier mit einer in Großbuchstaben geschriebenen Botschaft brachte diese Woche die Kriminalitätsprobleme Lateinamerikas auf den Punkt. Es tauchte in Guerrero an Mexikos gebeutelter Pazifikküste auf, hätte aber genauso gut in Santiago de Chile, Medellín in Kolumbien oder in einem beliebigen Viertel von Guayaquil in Ecuador hängen können.“

Der Autor des Artikels reiht also die Hauptstadt Chiles neben Drogenmetropolen wie Medellín oder Guayaquil ein …

„Es war ein Aushang, ein Zettel, der an Straßenecken und Laternenpfählen angebracht war – eine Drohung an Ladenbesitzer in mehreren Vierteln. Sie wurden gewarnt, dass sie ab Dezember Schutzgeld zahlen müssten. »Dieses Viertel hat einen Chef«, schloss die Warnung, deren Verfasser unbekannt ist.

Quote, Impfdosis, Brautpreis, Happen – allesamt Bezeichnungen für Schutzgeld-Erpressung, eine Geißel, die den Kontinent wie nie zuvor heimsucht und den aktuellen Zustand der Region in Reinkultur darstellt. Die Kriminalität blüht in Amerika, insbesondere diejenige, die mit Gewalt verbunden ist.
Die Mordrate ist weiterhin sehr hoch: über 20 pro 100.000 Einwohner. Der Drogenhandel, der sich immer weiter ausbreitet, hat die Kriminalität vom einst friedlichen Uruguay bis nach Guatemala ausgedehnt, wo dieses Phänomen seit jeher sattsam bekannt ist. Bewaffnete Gruppen, die im Drogenmilieu entstanden sind, suchen überall nach neuen Geschäften, in den höchsten und niedrigsten Kreisen. Nichts scheint so lukrativ wie Erpressung, so einfach wie kaum etwas anderes: Zahl, oder ich bring dich um.

Amerika im Allgemeinen und Lateinamerika im Besonderen durchlaufen eine heikle Phase. … Sie sehen die Diversifizierung und Fragmentierung der kriminellen Unterwelt als Risiko für die Länder der Region.
Der Drogenhandel setzte die kriminelle Maschinerie in Gang, aus der Dutzende von Banden hervorgegangen sind, die jeweils nach Marktlogik operieren und um ihren Anteil am Kuchen kämpfen. Erpressung ist der einfachste Weg; Drogen sind eine Möglichkeit, aber nur eine von vielen.
Amerika verfügt über einen beeindruckenden Reichtum an Bodenschätzen, und das Verbrechen, durstiger denn je, wartet nur auf seine Chance. Wie eine moderne Version der mythologischen Hydra von Lerna schütteln die Banden die vielen Köpfe des Ungeheuers, um ihre Operationen auszuweiten.“

Der Grundtenor dieses Artikels ist recht typisch und widerwärtig: Die kriminellen Bandenmitglieder werden als eine Art Tier besprochen, Erscheinungsformen des Bösen, die ohne Grund und aus reiner Schlechtigkeit und Geldgier anderen das Leben schwer machen.
Der Autor verschwendet keinen Gedanken auf die unschönen Seiten der normalen Marktwirtschaft, auf die Profitinteressen der nicht kriminellen Unternehmer, auf die unerfreulichen Entwicklungen auf dem ganzen Kontinent – Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen und Staatsbankrotte. Nein, das Verbrechen wächst einfach wie ein Monster und ergießt sich über den guten Teil der Menschheit.

„Die Länder der Region scheinen, in ihrer Nabelschau versunken, zu ignorieren, dass der räuberische Drang der Mafia überall derselbe ist, von den Anden bis zum Amazonas.“

Es ist unklar, worauf sich diese Anschuldigung bezieht?
Natürlich hätten es Staat und Individuum lieber, wenn die Killer woanders tätig würden und nicht in ihrem Land, aber das als „Nabelschau“ zu bezeichnen, ist doch sehr unpassend.

„In Mexiko stehlen Kriminelle Treibstoff aus staatlichen Ölpipelines oder importieren ihn unversteuert und fälschen dabei Zollerklärungen; in Peru, Ecuador und Kolumbien plündern Kriminelle Goldminen und andere Bodenschätze ohne Genehmigung; in Brasilien fällen Diebe und Schmuggler unerbittlich Bäume, um die weltweite Nachfrage nach Holz zu befriedigen …

Und all dies mit Unterstützung staatlicher Akteure. »Das ist gerade bei Umweltverbrechen sehr deutlich zu sehen«, sagt Cecilia Farfán, Leiterin des Nordamerikanischen Observatoriums bei GITOC, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die transnationale organisierte Kriminalität untersucht.
Neben Drogenhandel und Erpressung existieren diese neuen kriminellen Machenschaften auch neben traditionelleren, aber äußerst lukrativen Bereichen der organisierten Kriminalität: Menschenhandel, sowohl mit Migranten als auch mit anderen, und Waffenhandel.

In ihrem vor wenigen Wochen veröffentlichten Bericht zur globalen Kriminalitätslage hebt die GITOC insbesondere die Verbreitung von Schusswaffen in der Region als Mittel zum Tötungsdelikt hervor. Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele Morde mit Schusswaffen verübt wie in Lateinamerika und der Karibik. »Im Vergleich zu vor 20 Jahren verfügt die organisierte Kriminalität über mehr und bessere Waffen, so dass viele glauben, sie seien besser als die der Streitkräfte«, bemerkt Farfán.
In dieser Logik wird Gewalt sowohl als Werkzeug als auch als Botschaft etabliert: als Mittel, aber auch als Selbstzweck. Mit allen notwendigen Ausnahmen“

– warum „notwendig“?–

 – wie dem Mord an dem DEA-Agenten Enrique Camarena in Mexiko in den 1980er Jahren oder die bleigeschwängerten Jahre von Pablo Escobars Herrschaft in Kolumbien zu Beginn des folgenden Jahrzehnts, begann der Drogenhandel nicht mit Gewalt.
Um die Hauptmärkte, die USA oder Europa, zu erreichen, war Geheimhaltung unerlässlich. Bestechung und Ordnung – das hätte das Motto des Geschäfts sein können. Doch die Zerschlagung der alten Drogenkartelle und die Auflösung ihrer Schutznetzwerke, die stets von staatlichen Sicherheitskräften geschützt oder direkt in diese eingebunden waren, veränderten die Lage grundlegend.

In Amerika herrschen heute kleine, dynamische kriminelle Gruppen vor, die mit größeren kriminellen Organisationen verbunden oder auch nicht verbunden sind. Diese Organisationen können im Drogenhandel und Einzelhandel tätig sein. Sie erpressen Schutzgelder und versuchen, die Umwelt und die natürlichen Ressourcen zu ihrem Vorteil auszubeuten. Wo es Bergbau gibt, nehmen sie sich die Bodenschätze; wo es Wälder gibt, nehmen sie das Holz; und wo es Städte gibt, bedienen sie sich an Unternehmen, der öffentlichen Verwaltung und den Verkehrswegen.
All dies geschieht in einem Umfeld extremen Wettbewerbs, in dem Gewalt als gängige Währung eingesetzt wird, um Geschäftshindernisse wie etwa Umweltschützer auszuschalten oder um Botschaften an tatsächliche oder potenzielle Feinde zu senden. »Das ist die größte Bedrohung auf dem Kontinent: die Diversifizierung des Verbrechens und die Zersplitterung krimineller Banden«, sagt Marcelo Bergman, Professor an der Universität 3. Februar in Argentinien und einer der führenden Experten für kriminelle Dynamiken in der Region.

Das Kokain ist zurück

Säcke aus Packpapier, versteckt in einem gewöhnlichen Schuppen. Das war die Tarnung für die 14 Tonnen Kokain, die kolumbianische Behörden erst vor 8 Tagen im Hafen von Buenaventura an der Pazifikküste beschlagnahmten. Der Straßenverkaufswert der Droge hätte laut Nationalpolizei rund 400 Millionen US-Dollar betragen – ein außergewöhnlicher Erfolg in der jüngeren Geschichte des Landes. Der Polizeichef erklärte, es handele sich um die größte Beschlagnahmung der Droge in den letzten 10 Jahren.
Die schlechte Nachricht für die Behörden: Diese 14 Tonnen entsprechen laut den jüngsten Schätzungen der UNO lediglich 0,4% der jährlichen Kokainproduktion in der Region.

Kokain ist wieder im Trend. Abgesehen von der Kontroverse um die Zahlen (dazu gibt es eine hitzige Debatte in Kolumbien, dessen Regierung den UN-Zahlen widerspricht) steigt die Produktion jährlich, ebenso wie die Anbaufläche für Kokablätter, die Basis der Droge. Kolumbien ist der größte Produzent, gefolgt von Peru mit deutlichem Abstand und Bolivien noch weiter hinten. Von den 3.708 Tonnen Kokain, die die Region laut UN-Schätzungen im Jahr 2023 produzierte, stammten 2.664 Tonnen aus Kolumbien. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl für Kolumbien auf 3.001 Tonnen, eine Zahl, die diese Zeitung vor wenigen Tagen veröffentlichte und die den oben erwähnten Streit auslöste.

Der Anstieg des Kokainkonsums in Südamerika und seinen Märkten sowie die weltweit steigenden Beschlagnahmungen, ebenfalls laut UN, verdeutlichen eine regionale Tendenz: die Ausweitung von Drogenproduktion und -handel. Dies betrifft praktisch alle Drogen, mit Ausnahme des aus der Mode gekommenen Heroins und des inzwischen weitgehend legalisierten Cannabis. Die übrigen erleben einen Boom … – eine Situation, die an das goldene Zeitalter des Medellín-Kartells und die Kokain-Luftbrücke über die Karibik und Florida Mitte der 1980er Jahre erinnert, die Jahre von Scarface und Miami Vice.

Neue Drogen befeuern den Anstieg des Drogenhandels in nördlicheren Regionen. Kaum eine Droge ist auf dem Kontinent so verbreitet wie Fentanyl und Methamphetamin. Das Opioid und das Crystal Meth verdrängten in Mexiko die traditionellen Mohn- und Cannabis-Anbauflächen und überzogen den Westen des Landes mit Laboren. Diese sind abhängig von der unstillbaren Nachfrage des nördlichen Nachbarn – trotz des seit 5 Jahrzehnten andauernden »Kriegs gegen Drogen«, der von verschiedenen US-Regierungen, von Richard Nixon bis Donald Trump, geführt wurde. Der aktuelle US-Präsident versucht, die Regierungen der südlichen Nachbarstaaten durch Androhung von Zöllen und Bombardierungen der Seewege unter Druck zu setzen und den Drogenhandel zu beenden. Trumps Raketenangriffe in der Karibik und im Pazifik, die den Kokainhandel eindämmen sollen, haben bisher über 80 Menschenleben gefordert.

Abgesehen davon, dass diese Vorgehensweise aus Sicht der Opferrechte höchst fragwürdig ist,“

– hier merkt man, wie unsinnig die Rechtsfrage ist, wenn bereits gewaltsam durchgegriffen wurde –

„erinnert die Logik, Drogenrouten durch Bombardierungen zu unterbrechen, an das Sprichwort »Mit Kanonen auf Spatzen schießen« – nur in einer modernen und absurden Dimension. Wie viel Kokain haben diese Bombardierungen tatsächlich daran gehindert, amerikanische Konsumenten zu erreichen?“

– Die anderen Drogen kommen direkt aus Mexiko –

„Ohne offizielle Informationen lässt sich das schwer sagen. Es erscheint jedenfalls unwahrscheinlich, dass diese Maßnahmen Auswirkungen auf die Nachfrage haben werden.

»Trotz jahrzehntelanger Bemühungen, den Kokainkonsum einzudämmen, hat die Nachfrage nach Kokain ihren Höhepunkt erreicht«, bestätigt Angélica Durán, Professorin an der Universität von Massachusetts und Autorin zahlreicher Studien und Bücher über Gewalt und illegale Märkte.“

Woher weiß die Dame, daß es nicht weiter hinauf geht?

„Der Kreis schließt sich. Drogenmärkte, die ursprünglich nicht oder nicht so gewalttätig waren wie heute, schufen angesichts des wachsenden Wettbewerbs und des Niedergangs oder der Unfähigkeit der alten Netzwerke eine Nachfrage nach neuen Schutznetzwerken.
Gleichzeitig suchten die neuen Gruppen nach anderen Betätigungsfeldern, was zu Diversifizierung, Erpressung usw. führte.
Regierungen, wie beispielsweise in Kolumbien, Mexiko und Brasilien, versuchten, diese Gruppen, wie die gewalttätigen Zetas, durch vereinzelte Verhaftungen zu eliminieren. Doch in der Praxis zersplitterten die Gruppen, und die Überreste führten unter neuen Namen ihre kriminellen Aktivitäten fort. Die Nachfrage nach Drogen blieb gleich oder stieg sogar. Und so erreichen wir das Jahr 2025.

Diese Logik beschränkt sich nun nicht mehr nur auf traditionelle Produktionsländer, sondern zeigt sich mit katastrophalen Folgen auch in Transitländern wie Ecuador, wo die Mordrate von weniger als acht (pro 100.000 Einwohner) im Jahr 2020 auf über 45 im Jahr 2023 anstieg, oder in Ländern der Karibik.
Noch vor wenigen Jahren galt Ecuador, das Bindeglied zwischen Kolumbien und Peru, als gewaltfreie Oase auf dem Subkontinent, insbesondere im Vergleich zu Kolumbien. Doch in den letzten 5 Jahren hat es sich zu einem der wichtigsten Kokain-Umschlagplätze Südamerikas entwickelt – eine Situation, die auch in Costa Rica zu beobachten ist. Kriminelle Netzwerke erleichtern dort den Drogenhandel nach Europa und nutzen dabei Ecuadors Position als weltweit führender Bananenexporteur aus.

Als weltweit führender Kokainproduzent ist Kolumbiens Fall beispielhaft und ergänzt den Ecuadors, da er den gesamten Zyklus umfasst.“

Der Autor bezieht sich hier offenbar auf die von ihm skizzierte Entwicklung der Zersplitterung der großen Kartelle.

„Nach dem Zusammenbruch der Medellín- und Cali-Kartelle in den 1990er-Jahren änderten die Gruppen, die den Drogenhandel übernahmen, ihre Taktik. Sie stellten den Transport nach Mexiko ein und begannen, das Kokain gleich an der Grenze zu verkaufen. Der Gewinn war geringer, aber auch die Probleme. Gleichzeitig verzeichnete die UNO bis 2013 einen anhaltenden Rückgang der Kokablatt- und Kokainproduktion.
Doch der darauffolgende Anstieg war brutal: von damals 50.000 Hektar Anbaufläche auf heute über 250.000 Hektar. In diesen Jahren schritt die Fragmentierung der kriminellen Gruppen, zunächst als „Bacrim“ (kriminelle Banden) und später als „GAO“ und „GDO“ (organisierte bewaffnete Gruppen) bezeichnet, stetig voran. Ebenso ihre Diversifizierung. »Je nach Preislage wechseln sie nun vom Kokaanbau zum illegalen Goldabbau«, sagt Daniel Mejía, promovierter Wirtschaftswissenschaftler der Brown University und ehemaliger Direktor des Zentrums für Sicherheits- und Drogenforschung an der Universität Los Andes (Bogotá).

Mejía verweist, wie Marcelo Bergman, auf die extreme Gefahr von Situationen wie in Kolumbien, Mexiko, Teilen Brasiliens und Ecuador, wo die mit Gewalt verbundene Kriminalität ein extrem hohes Niveau erreicht. »Die Ausbreitung krimineller Gruppen in Lateinamerika beschränkt sich nicht mehr allein auf die Kontrolle des Drogenmarktes oder des Bergbaus. Vielmehr entwickeln sie sich hin zu einer Art krimineller Herrschaft«, erklärt Mejía.“

Das Gewaltmonopol des Staates geht verloren, wenn solche Sub-Regierungen sich ausbreiten.

„»Wenn Situationen wie in Mexiko erreicht sind – 30.000 Morde jährlich, zunehmende Erpressung, Plünderung von Minen und Wäldern, Treibstoffdiebstahl –, hat sich die Kriminalität so stark diversifiziert und es sind so viele kriminelle Akteure beteiligt, dass die abschreckende Wirkung des Staates schwindet«, bemerkt Bergman.

Die Rache und der Wald

Es wird im Folgenden nicht ganz klar, worauf sich der Begriff „Rache“ bei der Polizeiaktion in Rio bezieht.

„An einem frühen Morgen Ende Oktober 2025 begaben sich Bewohner einer Favela in Rio de Janeiro in den Wald, um Leichen zu bergen. Während im pulsierenden Süden der Stadt, an den Stränden von Copacabana und Ipanema, das Leben seinen gewohnten Gang ging, stiegen Dutzende Männer und Frauen aus der Favela Penha im Landesinneren in den Wald oberhalb des Armenviertels, um nach den Leichen ihrer Angehörigen zu suchen, die Stunden zuvor von der Staatspolizei in einer weltweit schockierenden Operation getötet worden waren. Reporter, die später auf dem Platz des Viertels eintrafen, beschrieben grauenhafte Szenen: Dutzende Leichen lagen in Reihen, die Körper verstümmelt und mit provisorischen Planen bedeckt.

Obwohl die endgültige Zahl der Todesopfer der Polizeioperation weiterhin unklar ist, gehen die konservativsten Schätzungen von 121 aus. Während der Präsident einer globalen Supermacht wie den USA den Mord an einem Journalisten als »eines dieser Dinge, die eben passieren« abtut,“

– mit diesen Worten erklärte Trump auf Anfrage einer Reporterin den Mord an Jamal Kashoggi, der von saudischen Geheimpolizisten im Konsulat in Istanbul ermordet und nachher zersägt und/oder verbrannt wurde, um alle Spuren zu beseitigen, für erledigt,

„reagierte Rio de Janeiros Gouverneur Claudio Castro ähnlich auf das Massaker in den Favelas. Laut Castro war die Operation ein Erfolg, da 78 der Opfer schwere Vorstrafen hatten. Obwohl es verwundert, bestätigten Umfragen in den darauffolgenden Tagen die Unterstützung der Operation und der Aussagen des Gouverneurs. Der harte Kurs, eine in der Region stets problematische Politik, setzte sich mit überwältigender Mehrheit durch.

Das Massaker in den Favelas von Penha und Alemao, das schlimmste in der Geschichte des Landes,“

– vielleicht das bisher schlimmste in einem Armenviertel einer Großstadt, aber sicher nicht das schlimmste Brasiliens, da gab es schon einige andere Gemetzel –

„spiegelt einen Trend auf dem gesamten Kontinent wider: die Verzweiflung der Bevölkerung angesichts von Unsicherheit und Gewalt und die Suche nach vermeintlichen Wundermitteln.“

Gewalt gegen Gewalt – ein „Wundermittel“?
Eher schon die altbewährte Antwort des Gewaltmonopols gegen seine leichtergewichtigen Konkurrenten.

„Ähnlich verhielt es sich mit Nayib Bukeles Vorgehen in El Salvador, der vor einigen Jahren – nachdem Verhandlungen mit Banden gescheitert waren – die Kriminalität abrupt beendete, indem er den Rechtsstaat außer Kraft setzte.
Dies geschieht in Mexiko und Ecuador, aber auch in Ländern mit deutlich niedrigeren Raten an Gewaltverbrechen, wie etwa Chile, dessen Mordrate bei etwa 6 pro 100.000 Einwohner liegt – im regionalen Vergleich niedrig, aber doppelt so hoch wie vor 10 Jahren.

»In Lateinamerika gab es schon immer die Forderung nach ,harten Lösungen’, einem Sammelbegriff für viele Formen von Gewalt«, sagt Angélica Durán von der Universität von Massachusetts.
Beispiele dafür gibt es viele. Ähnliche Fälle gab es zu Beginn des Jahrhunderts im nördlichen Dreieck Zentralamerikas, in Honduras und El Salvador. Es handelte sich dabei um reaktive Ansätze zur Verbrechensbekämpfung, die nicht auf Planung, sondern auf einer Krise beruhten. »Es besteht die Tendenz, dass die Akzeptanz solcher Maßnahmen steigt, wenn schwere Verbrechen und Straflosigkeit wahrgenommen werden. Und Staaten greifen leichter darauf zurück, selbst wenn die Maßnahmen nicht effektiv sind, da sie kurzfristig den Eindruck erwecken, dass etwas unternommen wird«, fügt die Expertin hinzu.

In einer Zeit, in der der Populismus in der Region an Boden gewinnt, insbesondere der Rechtspopulismus, mit Bolsonaros, Mileis, Bukeles und Konsorten am Bug ihres ideologischen Flugzeugträgers, wächst die Versuchung, vermeintliche Wunderlösungen anzubieten. Alle befragten Experten warnen einhellig: Das Bukele-Modell ist nicht übertragbar. »Sie konnten es nur, weil es ein kleines Land ist, das die Banden sehr schnell unter Kontrolle gebracht hat«, sagt Bergman. Um etwas Ähnliches zu versuchen, müssten Länder mit 10, 15 oder 20 Millionen Einwohnern mehr als 100.000 Menschen inhaftieren. Im Falle Mexikos wären es 1,5 Millionen, in Brasilien mehr als 2 Millionen.

Aus medialer Sicht mag die Idee zwar wirkungsvoll sein – welcher angehende Autokrat gerät nicht ins Schwärmen angesichts der Vorstellung, riesige Gefängnisse zu errichten, in denen Hunderttausende mutmaßliche Kriminelle in ärmlicher weißer Unterwäsche vor sich hingammeln? –, doch sie könnte kontraproduktiv sein.

In seinem wegweisenden Buch »Das Geschäft mit dem Verbrechen« weist Bergman darauf hin, dass sich die Gefängnispopulation in Lateinamerika in den letzten zwei, fast drei Jahrzehnten praktisch verdoppelt hat, die Kriminalität aber nicht zurückgegangen ist. Dies hat zwei Gründe: Erstens, weil die im kriminellen Milieu Festgenommenen leicht zu ersetzen sind, und zweitens, weil die prägende Wirkung des Gefängnisses die Insassen nicht etwa resozialisiert, sondern sie im Gegenteil darauf vorbereitet, mit neuem Elan in die kriminelle Welt zurückzukehren.

Was also tun? Daniel Mejía liefert eine mögliche Antwort. Der Hochschulabsolvent Mejía wurde 2016 Bogotás erster Sicherheitsminister, zu einer Zeit, als sich im Stadtzentrum ein riesiges Kriminalitätsgebiet namens El Bronx entwickelte. Sollte es sich weiter ausbreiten, könnte es zu einem massiven Problem werden. »Es umfasste 5 Häuserblöcke, wo die Polizei nicht eindringen konnte, lag aber in unmittelbarer Nähe der Gerichte und des Bürgermeisteramtes. Unser Grundprinzip war, dass es keine solchen Sperrzonen geben durfte«, erklärt der Experte. Mejía schleuste Agenten nach El Bronx ein, koordinierte 6 Monate lang Geheimdienstoperationen und setzte bei seinem Angriff alle verfügbaren Kräfte ein.

»Wir setzten 2.500 Polizisten sowie Armeeangehörige ein, die die Sicherheitsabsperrungen sicherten«, erläutert er. »Es ging nicht darum, übermäßige Gewalt anzuwenden, sondern sie zu vermeiden. Wir setzten so viele Kräfte ein, dass die Täter gar nicht erst an Gegenwehr denken würden.«
Und so geschah es. Es gab keine Schießereien oder Todesfälle. Innerhalb weniger Minuten besetzte die Polizei über 140 Lokale in dem Gebiet, in denen unter anderem Drogen verkauft wurden. Obwohl die besonderen Umstände die Anwendung der Strategie erschweren, scheint die Lehre klar: Um Vergeltungsaktionen des organisierten Verbrechens zu verhindern, sind Informationen, Vorbereitung und eine starke Polizeipräsenz notwendig. Mejía warnt: »Gewalt ohne strategische Planung führt zu vielen Fehlern.«“

Die Gewalt muß überlegen sein, meint der Mann.
Das Problem ist, daß die Lage inzwischen so zu sein scheint, daß diese überlegene Gewalt oftmals gar nicht vorhanden ist.

„Die Prognose ist nicht gut, aber auch nicht hoffnungslos. »Die Kriminalität wird nicht verschwinden, aber wir müssen uns bemühen, sie einzudämmen«, argumentiert Cecilia Farfán. Diese Aussage verschleiert eine gewisse Komplexität. Die Eindämmung ist nicht einfach, wenn die Regierungen jahrzehntelang lediglich reagiert haben. Und nicht nur das. »Das Hauptproblem ist, dass die Macht in Lateinamerika in den Staaten im Allgemeinen sehr zersplittert ist und es viele kriminelle Gruppen gibt, sodass jede Politik äußerst kompliziert ist. Hinzu kommt die mögliche Verbindung dieser Gruppen zu Teilen des politischen Establishments«, sagt Angélica Durán. Auch kulturell ist der Kampf komplex. Begriffe wie Regierung oder Politik haben viel von ihrem Reiz verloren. Unzufriedenheit herrscht vor, und in einem solchen Kontext treten andere Akteure auf den Plan.

Schlechtes zieht an; man muss sich nur den Erfolg der Narco-Corridos ansehen, eines Subgenres der mexikanischen Musik, die zu einem globalen Phänomen geworden sind. Kriminalität wird heutzutage nicht mehr so sehr aus Notwendigkeit, sondern oft aus Rache begangen. »Es herrscht eine weitverbreitete Enttäuschung darüber, dass der legale Weg, Bildung und Arbeit keine Antworten bieten«, sagt Bergman. »Und so drängen sich diese nihilistischen, rebellischen, gewalttätigen Wege auf… Nun, heute scheint der größte Reiz darin zu liegen, sich eine Waffe zu besorgen, andere zu verletzen, eine schreckliche Kindheit zu rächen, das, was einem angetan wurde. Die Zahl der Menschen, die bereit sind, sich einem Leben in der Kriminalität zuzuwenden, weil sie auf anderem Wege keine Antworten finden, ist ein ernstes Problem«, schließt er.“

Es ist aber auch die einzige Möglichkeit, zu den ganzen schönen Konsumartikeln zu kommen, die einem täglich angepriesen werden.
„Lieber kurze Zeit ein König, als lebenslang ein Bettler“ sagt ein Drogenhändler in einem Film über dieses Genre, und dagegen ist schwer ein „Wundermittel“ zu finden.