„IN PLANUNG: EINE SCHWACHE DEUTSCHE GROSSBANK
Seit geraumer Zeit sind die privaten Großbanken in Deutschland am Boden. Das vergißt man gerne, wenn sich die Blicke auf den italienischen oder griechischen Banksektor richten.
Aber die Realität läßt sich nicht wegwischen. Seit der Großen Rezession kommen die beiden führenden deutschen Banken, Deutsche Bank und Commerzbank, nicht mehr auf die Füße. Deshalb häufen sich nun die mehr oder weniger informellen Sondierungen für ein mögliches Zusammengehen.
Die Operation wird von der Bundesregierung und ihrem Finanzminister, dem Sozialdemokraten Olaf Scholz betreut, um einen nationalen Champion zu küren, der dem internationalen Wettbewerb gewachsen ist – da sie bereits im nationalen nicht so recht vorankommen.“
(Die Wortwahl und das Bild sind schon recht frech von dem spanischen Journalisten, der es sich nicht verkneifen kann, zu zeigen: Auch in Deutschland, das uns immer als Vorbild vorgehalten wird, ist nicht alles in Ordnung!)
„Sie wird von einigen großen US-Fonds wie Cerberus – Aktionär beider Banken – unterstützt. Aber andere Geschäftspartner und Analysten haben ihre Bedenken.
Die jüngste Wende“ (eigentlich das Gegenteil einer Wende) „in der Geldpolitik der EZB, die eine Verlängerung der Ära der Zinssätze um null oder sehr niedrig vorsieht, ist ein gewisser Ansporn für die Fusion.
Die Banken im allgemeinen und vor allem die beiden vor sich hin schlingernden deutschen Flaggschiffe tun sich schwer beim Gewinnemachen, wenn der Preis der Ware, mit der sie handeln – dem Geld – sehr niedrig ist.
Der Ausgangspunkt für den Zusammenschluss von Commerz und Deutsche ist die extreme strukturelle Schwäche von beiden. Die Commerzbank musste 2009 mit einer staatlichen Beihilfe gerettet werden, die fast der von Bankia entsprach: 18.000 Millionen.“
(Der gescheiterte Börsengang von Bankia 2012 und die Rettungsaktion des Staates erschütterten den spanischen Banksektor bis in die Grundfesten.)
„In diesem Fall stammten sie jedoch aus der deutschen Staatskasse, die noch 15% ihres Kapitals hält. Die Commerzbank humpelt (sie erzielte eine niedrige Kapitalrendite von 3,4%, 8% mehr als im Vorjahr), schafft es jedoch gerade noch über die Linie.
Der Deutschen Bank geht es viel schlechter. Sie war eine der am stärksten von der Krise der gescheiterten Hypothekarkredite in den USA betroffenen Banken. Sie saß in fast allen Verfahren wegen Korruption bei großen Banken auf der Anklagebank und wurde wiederholt wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Manipulation von Zinssätzen und dergleichen mit hohen Geldstrafen belegt. Im Jahr 2015 verlor sie satte 6.890 Millionen Euro.
Nach verschiedenen Maßnahmen wie der Entlassung von Mitarbeitern (mehr als 6.000 Stellen) und Geldspritzen (mehr als 100 Milliarden von der EZB) wurde 2018 – erstmals seit 2014 – ein positives Ergebnis von 267 Millionen erzielt.
Es ist nicht sicher, ob die Kombination zweier solcher Bausteine eine richtige Festung hervorbringt.“
Quelle
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Man erinnere sich, vor Jahren wollten Unicredit und Intesa Sanpaolo fusionieren, daraus wurde dann doch nichts.
Siehe hierzu auch:
Europas Bankensektor 2016
DIE BANKENKRISE KEHRT ZURÜCK, BZW. WIRD WIEDER MANIFEST
Der Triumph des abstrakten über den konkreten Reichtum
DIE ZINSPOLITIK DER EZB
Kapitalvernichtung steht an, es fragt sich nur: wo?
PLEITEBANKEN ZUSPERREN!
Autor: Nestormachno
Syriens Rückkehr zur Normalität
DAS EINSAMMELN VON DAVONGESCHWOMMENEN FELLEN
Mehr als 8 Jahre seit den ersten Unruhen und mehr als eine geschätzte halbe Million Tote später, nach 11 Millionen Flüchtlingen im In- und ins Ausland, und nach Zerstörung eines guten Teiles der ganzen Infrastruktur und Produktion sieht es so aus, als ob die vereinigten Anstrengungen der syrischen Armee, der Hisbollah, der russischen und iranischen Hilfstruppen und deren logistischer Unterstützung dazu geführt hätten, ihrem Ziel sehr nahe gekommen zu sein: Syrien in seinen Grenzen und die auf die Aleviten gestützte Regierung Baschar El Assads zu erhalten.
Das freut natürlich die USA, die EU und Israel gar nicht, weil sie gerne eine Regierung nach ihrem Gutdünken dort eingesetzt und das Territorium Syriens unter ihre Freunde verteilt, bzw. sich etwas davon genommen hätten.
Die Türkei hatte und hat Ähnliches vor, muß sich jedoch aus verschiedenen Gründen mehr zurückhalten, als es Erdogan und Co. lieb ist.
Eines haben die USA, die EU und die von ihnen unterstützten Dschihadisten jedenfalls erreicht: Syrien ist ökonomisch ziemlich am Boden.
Und dort soll es, wenn es nach diesen westlichen Leuchttürmen der Freiheit geht, auch bleiben.
1. Sanktionen
Die EU hat kürzlich wieder einmal alle bestehenden Sanktionen gegen Syrien bestätigt und verschärft.
Sie beziehen sich auf Import und Export von Energieträgern, Blockierung von Finanztransaktionen, Verbot des Exports von Erdöl- und Kommunikationstechnologie nach Syrien, Flugverbote für syrische Flugzeuge und Flüge nach Syrien, u.a.
Es ist klar, daß damit Syrien die Möglichkeit genommen werden soll, durch Ölverkäufe Devisen zu erwirtschaften, seine eigene Energieversorgung aufrecht zu erhalten und an internationale Zahlungsmittel zu kommen, um Güter aller Art auf dem Weltmarkt zu erwerben.
Diese Sanktionen zielen vor allem darauf, zu verhindern, daß Syrien zu Geld kommt und seine zerstörte Wirtschaft wiederaufbauen kann. Das wird natürlich von den wohlmeinenden Staaten der westlichen Wertegemeinschaft alles nur gemacht, um die armen Syrer von ihrem „Regime“ zu befreien. Alles also letztlich im Interesse des p.t. Publikums.
Diese Sanktionen, ähnlich wie die gegen andere Schurkenstaaten wie Kuba oder den Iran oder Venezuela, rufen im Land zwar Verwerfungen und Versorgungsmängel hervor, haben aber letztlich für die verhängenden Länder zur Folge, daß sie einen Markt verlieren. Das betroffene Land muß sich nach anderen Importquellen umsehen. Und ärgerlicherweise gibt es die. So springen Rußland, China, Katar, Ägypten, der Libanon und andere Länder als Krediteure, Lieferanten und Transitländer ein und machen diejenigen Geschäfte, die das Kapital der die Sanktionen verhängenden Staaten nicht mehr machen kann.
Die Sanktionen sind somit ein zweischneidiges Schwert, und das merken vor allem die EU-Staaten. Der Preis, auf dem US-Markt weiter präsent sein zu dürfen, ist der, andere Märkte aufzugeben. Der Selbsterhalt des EU-Bündnisses und seiner Währung bedeutet also wirtschaftliche Selbstbeschränkung und wachsende Abhängigkeit von den USA.
2. Die Justiz im Reich des Guten, Teil 1: Anklage gegen Dschihadisten geht gar nicht!
Kürzlich hat Trump für einige Aufregung gesorgt, als er die EU-Staaten aufgefordert hat, ihre Dschihadisten zurückzunehmen.
Diejenigen IS-Kämpfer und ihre Familien, die bei den Kämpfen der letzten Jahre von den kurdischen mit ihnen verbündeten arabischen Milizen Milizen im Nordosten Syriens gefangenengenommen wurden, vor allem vor und nach dem Fall von Rakka, sitzen dort nämlich in Lagern herum und niemand weiß, wohin mit ihnen. Die Vertreter der Kurden haben schon öfter verlangt, von diesem menschlichen Ballast befreit zu werden. Sie haben nämlich weder das Interesse noch die Kompetenz, sie vor Gericht zu stellen. Erst als Trump die Sache zur Sprache brachte, kam eine Reaktion aus der EU. Seither wälzen diverse Politiker, die Medien und „Experten“ aller Art die Frage, ob man denn das könnte oder wollte?
Wessen sollen sie eigentlich angeklagt werden? Halsabschneiden, Dienst in einer fremden Armee, Unterstützung einer terroristischen Vereinigung?
Alles gaaanz schwierig. Für dort begangene „Gräueltaten“ brauchte man Beweise, um diese Gotteskrieger verurteilen zu können. Man müßte mit kurdischen Milizen und syrischen Behörden zusammenarbeiten.
Nur das nicht!
Was die Kurden anginge, so wären sie damit von der EU ein Stück weit als halbstaatliche Autorität anerkannt, die Türkei wäre sauer, und es könnte zu Verwicklungen aller Art kommen.
Und erst die syrischen Behörden! Man müßte den Unrechtsstaat und den „Schlächter“ als Regierung anerkennen, um mit syrischen Behörden zusammenarbeiten zu können.
Auch der „Dienst in einer fremden Armee“ als Tatbestand hat es in sich. Damit wäre der IS als Staat anerkannt, was ja auf keinen Fall sein soll.
Schließlich ist es auch mit der „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ nicht ganz einfach. Was heißt „Unterstützung“? Wenn diverse Frauenzimmer sich darauf berufen, doch nur für ihren Schatz gekocht und ihm die Wäsche gewaschen bzw. sich ihm als Beischläferin zur Verfügung gestellt zu haben, können sie dafür verurteilt werden?
Die Dschihadisten wiederum rasieren sich ihren Bart ab, nehmen wieder eine westliche Ästhetik an und beteuern, nur Sanitäter gewesen zu sein bzw.in der Küche Kartoffeln geschält zu haben.
Um ihnen nachzuweisen, daß das nicht so war, sind kostspielige Untersuchungen notwendig, Befragung von Milizmitgliedern, Einsatz von Dolmetschern, Juristen, Reisen in Gebiete, wo man sich auch heute noch nicht ganz sicher fühlt und womöglich in sehr bescheidenen Unterkünften hausen muß, weil die 4 Stern-Hotels alle dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen sind.
Die mit so einem Fall befaßten Juristen könnten sich da ein recht genaues Bild davon machen, wie die Aufständischen in Syrien gehaust haben, und es ist nicht sicher, ob das für die deutsche oder französische oder andere Regierungen angenehm wäre. Immerhin könnte man da anfangen, über Gründe und Hintergründe des Krieges nachzudenken und ein unerfreuliches Bild über die Beteiligung diverser EU-Staaten gewinnen.
Diese Variante – heimholen und hier vor Gericht stellen – ist aber auch deswegen die populärste und naheliegendste, weil Väter und Mütter der Dschihadisten und ihrer Dulcineas mehr oder weniger laut fordern, doch ihre lieben Kinder und die herzigen Enkerln, die oftmals auch schon Halsabschneider-Kurse durchlaufen haben, bei sich haben zu können.
Die nächste Idee, die aufkam, war die, dortselbst Gerichte einzurichten und die über das konsularische Personal zu betreuen.
Das ist natürlich eine besondere Schnapsidee. Erstens haben weder die syrische Regierung noch die kurdische Verwaltung ein Interesse, sich zu Handlangern der europäischen Justiz zu machen. Ansonsten gibt es in Syrien Wichtigeres zu tun, als langwierige Gerichtsverfahren gegen fanatische Killer zu führen.
Der Irak, der die Angeklagten oder auch nur Verdächtigen in Schnellverfahren zu Tode verurteilt – und auch hinrichtet –, ist kein Vorbild für Syrien. Weder die syrische Justiz noch die Behörden Rojavas haben vor, es ihm gleichzutun. Diese Henker-Tätigkeit lehnen sie ab.
Zweitens ist es eine Illusion und auch eine Frechheit, anzunehmen, Syrien oder die kurdischen Behörden würden so etwas wie eine exterritoriale Jurisdiktion bei sich dulden, also die Rechtssprechung fremder Länder bei sich zulassen.
Und schließlich haben Konsulatsbeamte keine strafrechtliche Ausbildung oder Kompetenz.
Ein weiterer Vorschlag lautete, doch einen internationalen Gerichtshof einzusetzen. Auch dieser Vorschlag prosperiert nicht.
Die internationalen Gerichthöfe betreffend Ruanda und Ex-Jugoslawien verdanken ihr Zustandekommen einer außerordentlichen Konstellation, als Rußland und China auf Kooperation mit den USA und der frischgebackenen EU setzten und deshalb im Sicherheitsrat einem solchen Gerichtshof zustimmten. Diese Situation ist aber heute nicht mehr gegeben. Ohne ein solches Mandat läßt sich aber ein solcher Gerichtshof nicht mehr einrichten.
Darüber hinaus war der Untersuchungsgegenstand dieser Gerichte ein anderer. Da ging es um die Aburteilung eines sozialistischen Staates als Verbrechen überhaupt, und um die Zurechtstutzung der Nachfolgestaaten zu subalternen Hinterhöfen der EU. Oder, im Falle Ruandas und Burundis, um die Aburteilung eines Genozids, um so etwas überhaupt einmal durchspielen zu können, durchaus mit Absicht auf etwaige Folge-Prozesse.
In Syrien schaut das ganz anders aus.
Ein Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen in Syrien könnte sich nicht nur auf den IS beschränken. Die meisten Staaten sind aber nicht daran interessiert, Al Nusra-Front-Mitglieder, Weißhelme und ähnliche auf die Anklagebank zu setzen, weil sie teilweise von ihnen unterstützt wurden und werden. Großbritannien würde da nicht gut aussehen, die Türkei schon gar nicht, und Saudi-Arabien wäre gar nicht erfreut, wenn auch nur ein Teil seiner IS-Unterstützung ans Licht käme. Und erst die USA …
3. Die Justiz im Reich des Guten, Teil 2: Anklage gegen Freunde der Kurden oder der Regierung Assad geht schon!
Deutschland möchte sich offenbar im Spiel halten für einen Regime Change in Damaskus und an seiner Feindschaft gegen Assad festhalten.
Nachdem es seinerzeit nicht gelungen ist, den internationalen Gerichtshof in Den Haag für dieses Projekt zu gewinnen, ist die deutsche Justiz selber tätig geworden.
Sie zieht eine eigene Gerichtsbarkeit gegen Assad auf, wo frühere Mitglieder von Geheimdiensten, Regierung usw. vor Gericht gestellt werden sollen. Das alles mit Fotodokumenten und Zeugen, und möglicherweise auch besonders behandelten Kronzeugen unter den Flüchtlingen, die, hmmm, zu gewissen Aussagen überredet oder sonstwie gebracht werden sollen. Immerhin kriegt man sicherer Asyl, wenn man sich als vom Assad-Regime als verfolgt bezeichnet …
Um die Sache weiterzubringen, werden auch Verhaftungen vorgenommen.
Auch für syrische Juristen, die sich dafür einspannen lassen, gibt es bei diesem Gericht Jobs.
Deutschland maßt sich da eine Jurisdiktion über eine fremde Staatsgewalt an, das ist schon recht gewagt. Offenbar will es aus den vielen syrischen Flüchtlingen politisches Kapital schlagen. Da es aber gar keine Mittel hat, um die etwaigen Urteile gegen syrische Verantwortliche auch zu vollstrecken – sofern sie sich nicht in Deutschland befinden – haben derartige Verfahren auch etwas Lächerliches an sich. Man merkt sowohl den Anspruch als seine Haltlosigkeit.
Auch linke Kämpfer, die auf Seiten der YPG gekämpft haben, kommen vor Gericht.
Immerhin ist die PKK in Deutschland offiziell als terroristische Vereinigung eingestuft, die YPG-Milizen gelten als ihre syrische Filiale, und daß da jemand sich sozusagen Revolutions- und Aufstands-Unterricht holen könnte, das gefällt den Behörden gar nicht.
Auch in Spanien werden Mitglieder einer linken Gruppe, die nach Rojava sind, um dort den IS zu bekämpfen und sich Tips für den bewaffneten Kampf zu holen, vor Gericht gestellt, weil sie sich dort Milizen angeschlossen haben, „die von der terroristischen Organisation PKK-KCK abhängen“.
Fazit
Man merkt, die Bekämpfung des IS war und ist nicht erste Priorität vieler EU-Staaten.
Man merkt auch, der System-Change in Syrien ist nicht gelungen, wird aber dennoch gerade von Deutschland nicht aufgegeben.
Die Außenpolitik der EU-Staaten in Syrien und Umgebung ist zusätzlich kopf- und auch zahnlos geworden, seitdem die USA ihren Rückzug angekündigt haben.
Die Justiz erweist sich als ein eher mattes Mittel der Außenpolitik und kann Armeen und Waffensysteme nicht ersetzen.
Die EU verliert durch ihre Bündnistreue zu den USA jedes Jahr mehr Gewicht in der Welt.
Serie „Lateinamerika heute“. Teil 9: Allgemeines
KONZESSIONIERTE SOUVERÄNITÄT UND DEREN WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN UND FOLGEN
Anläßlich der derzeit sehr strapazierten Beschwerde über die Verletzung der Souveränität Venezuelas ist es angebracht, einmal zu untersuchen, wie die Souveränität vieler Staaten in der postkolonialen Epoche eigentlich aussieht, und warum sie überhaupt existiert.
Die politische Geschichte Lateinamerikas seit der Unabhängigkeit und die USA
Entgegen populären Vorstellungen, daß der Staat und seine Institutionen entweder vom Himmel fallen oder aus den Menschen herauswachsen, ist die Entstehung jedes Staates eine Gewaltfrage, und zwar sowohl nach innen als auch nach außen.
So haben sich die meisten Staaten Lateinamerikas im Zuge der Unabhängiskeitskriege 1810-1822 und später gegeneinander konstitutiert. Deshalb gibt es dort bis heute verschiedene offene Grenzfragen. Die Monroe-Doktrin 1823 erklärte die Entkolonialisierung für unumkehrbar und ernannte gleichzeitig die USA zur Schutzmacht der frischgebackenen Nachfolgestaaten der spanischen und portugiesischen Kolonialreiche.
Vor allem Mexiko bekam diesen in dieser Beschützerfunktion ausgedrückten Appetit im 19. Jahrhundert zu spüren: Erst verlor es ausgedehnte Gebiete an die USA, dann wurde es gegen die französische Invasion unterstützt, um nachher um so mehr ins Visier von wirtschaftlichen US-Interessen zu geraten.
1829 schrieb Simón Bolívar an einen amerikanischen Oberst: „Die USA scheinen von der Vorsehung dazu bestimmt zu sein, Amerika im Namen der Freiheit mit Elend zu überziehen.“
Während die USA den Besatzungs-Aktivitäten Großbritanniens in Lateinamerika nichts entgegensetzten, versuchten verschiedene US-Regierungen und ihre Agenten, sich ebenfalls dort festzusetzen, vor allem in der Karibik und in Mittelamerika. Sie nützten die Machtkämpfe in den Nachfolgestaaten des spanischen Kolonialreiches aus, um entweder eigene Staaten dort zu gründen, oder zumindest den US-Interessen zum Durchbruch zu verhelfen, indem sie willige Marionetten an die Macht brachten.
Die formelle Anerkennung lateinamerikanischer Staaten hatte von den USA also immer das Ziel, schwache Souveränitäten zu schaffen, die sich von US-Kapital und Militärs benutzen ließen. Nur deshalb wurde dort Souveränität eingerichtet, anerkannt und gegen Spanien verteidigt.
Das System des Hinterhofes, wenn es funktioniert, ist für den Besitzer des Vorderhauses viel effizienter als das der Kolonie, wo die Kosten für Verwaltung und Besatzung vom Mutterland getragen werden müssen. Die Beherrschten verwalten sich mittels ihrer einheimischen Eliten selbst, überlassen gegen entsprechendes Bakschisch dem ausländischen / US-Kapital ihre natürlichen Reichtümer und streiten sich um die Plätze an den Futtertrögen, verschulden sich und bleiben dadurch wehrlos gegen gewaltmäßige Eingriffe von außen.
So ließe sich die neuere Geschichte Lateinamerikas zusammenfassen.
Diese Art der Benutzung bedingt eine sehr einseitige Ausrichtung der Wirtschaft dieser Länder, mit der der dortigen Bevölkerung nicht gedient ist.
Welche ökonomische Ausrichtung verordnen die USA Lateinamerika?
Im 19. Jahrhundert kristallisierte sich bereits die Arbeitsteilung heraus, die zum Kapitalismus dazugehört: Die Kolonien/Hinterhöfe haben die Rohstoffe zu liefern, die in den Heimatländern des Kapitals verarbeitet werden. Ob es sich jetzt um agrarische oder mineralische Rohstoffe handelt: Her damit! Und möglichst billig, bitte! Weil wir, die Kapitalbesizer, die wir Fabriken aller Art betreiben, wollen unsere Waren günstig verkaufen und deswegen geringe Einkaufspreise haben.
Wenn das Öl, das Eisenerz, das Kupfer, das Getreide und Fleisch und was immer benutzt und verarbeitet worden ist, so hat der Unternehmer das nächste Problem: Wohin damit? Die Kaufkraft der eigenen Bevölkerung ist begrenzt, weil hohe Löhne will ja keiner zahlen, und die meisten Nachbarstaaten haben eine ähnliche Situation. Also verkauft man das Zeug, was in der Nähe nicht weggeht, eben in die Ferne. Die Rohstofflieferanten-Staaten haben ja nicht nur Rohstoffquellen, sondern auch Bevölkerung, die Nahrungsmittel, Autos, Kühlschränke und Kleidung braucht. Und so erfüllen die Staaten Lateinamerikas (und auch anderswo) ihre zweite wichtige Rolle, nämlich als Markt für die verarbeiteten Produkte des Kapitals derjenigen Staaten, die sich gerne international als die Zuständigen für Recht und Freiheit benehmen. Das Recht des Stärkeren und die Freiheit des Kapitals.
Für die Rohstofflieferanten und Markt-Länder geht sich die Sache natürlich nie aus. Sie kriegen für ihre Exportprodukte immer viel weniger, als sie für die verarbeiteten Produkte zahlen müssen. Deswegen machen sie Schulden, es gibt Putsche und Regierungswechsel, galoppierende Inflation und Aufstände. Regelmäßig finden kleinere oder größere Massaker statt, um die Menschen, die bei diesem für sie unvorteilhaften Hin und Her unter die Räder kommen, auch ruhig zu halten.
Patrioten suchen Auswege aus dieser Situation
Wenn dann Politiker an die Macht kommen, denen diese internationale Arbeitsteilung sauer aufstößt, so denken sie oft, aber nicht ausschließlich, an die Armen und Elenden in ihrem eigenen Land, die immer wieder niederkartätscht werden. Aber zunächst einmal haben sie meistens den Staat selbst vor Augen: Das Militär ist schlecht ausgerüstet, es fehlt an Devisen, alles muß man aber um ebendiese Devisen im Ausland einkaufen. Die Devisenerlöse gehen jedoch größtenteils für den Schuldendienst drauf. An den Aufbau eigener Produktion ist wiederum nicht zu denken, weil alles dazu fehlt.
Viele der Gründer des IWF in Bretton Woods waren lateinamerikanische Staaten, deren Regierungen darauf hofften, durch Verschuldung Kapitalakkumulation im eigenen Land anleiern zu können, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen. Das führte zu einigen Schuldenkrisen und einem ganzen Staatsbankrott. Aber auch zu gewissen Erfolgen in jüngerer Vergangenheit, die vor allem dem Auftreten Chinas auf dem Weltmarkt geschuldet sind.
Es ist aber aus dem Bisherigen klar, daß es die USA und die EU-Staaten stört, wenn lateinamerikanische Regierungen selber eine Industrie anleiern, ihre Rohstoffe im eigenen Land verarbeiten und die verarbeiteten Produkte im eigenen Land absetzen. Das entzieht ihrem Kapital Energie und Komponenten für die Produktion oder verteuert sie, und es beraubt sie ihrer Absatzmärkte.
Deswegen zielt die imperialistische Politik dieser Zivilisationshüter immer darauf, solche Entwicklungen zu verhindern oder rückgängig zu machen.
„Schwellenländer“ zurück an den Start!
Ein Land, an dem diese Politik sehr deutlich sichtbar war und ist, ist Argentinien. Unter Perón, der wirklich kein Linker war und jeder Menge Nazis Unterschlupf gewährte, wurde eine eigene Industrie aufgebaut. Er wollte die „Hemdlosen“ nicht nur mit Hemden versogen, sondern sie für wirtschaftliche Autarkie einsetzen, und erreichen, daß die Hemden in Argentinien hergestellt würden, und vieles andere auch. Er bzw. seine Witwe wurden gestürzt, und seither wurde erst während der Militärdiktatur und nachher unter Menem mit tatkräftiger Hilfe des IWF, der Chicago-School und sonstigen „Wirtschaftsexperten“ alles getan, um diese Produktion im Land wieder herunterzufahren, die Fabriken zuzusperren und Argentinien zu einem Lieferanten für Agrarprodukte und Gas zurückzustufen. Dafür wird der Pleitekandidat auch als G 20-Mitglied hofiert und kann Gipfeltreffen veranstalten.
Inzwischen laufen in ganz Südamerika Versuche, unter dem Stichwort „Korruption“ jede Menge Unternehmen zu ruinieren, die sich als Konkurrenz für amerikanische und europäische Multis unangenehm bemerkbar gemacht haben. Da ist Brasilien im Visier, aber auch Kolumbien, Peru, usw.
Und Venezuela soll überhaupt ganz klein gemacht werden, damit es nicht auch noch andere Staaten in ihren Versorgungsökonomien bestärkt, und allen vorzeigt, daß sie ihr Öl nach ihrem Gutdünken hergeben, an so unbotmäßige Staaten wie Kuba oder völlig überflüssige wie Haití.
Das ganze ist auch immer aggressiver und unverschämter, die imperialistischen Politiker und ihre medialen Sprachrohre bedienen sich grober Lügen und Drohungen, weil wir im Jahr 11 der Krise sind: Das Wachstum ist schleppend, der Kuchen ist kleiner geworden, und mit aller Gewalt sollen die subalternen Staaten auf ihre Rolle zurechtgestutzt werden, damit sie wieder der Kapitalakkumulation der USA und ihrer guten Freunde in Europa dienen.
Da werden Reviere beansprucht, die auch anderen Mächten ein Anliegen sind, die nicht untätig zusehen.