Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 29.5.: 40 Milliarden für die Ukraine?

WARUM SELENSKIJ DIE VON DEN USA BEREITGESTELLTEN 40 MILLIARDEN NICHT SEHEN WIRD

Joe Biden unterzeichnete ein Gesetz, das der Ukraine 40 Milliarden Dollar an militärischer und humanitärer Hilfe zusagt. In Kiew reibt man sich schon die Hände angesichts dieser Perspektiven.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Selenskij und seine Freunde werden nicht mehr als 10% dieses Betrags sehen, der Rest geht „nicht auf ihren Namen“, und niemand wird dieses Geld weder heute noch morgen überweisen. KP.RU hat das vom Präsidenten der USA unterzeichnete Dokument sorgfältig gelesen, zusammen mit Alexander Domrin, Professor der Juristischen Fakultät der Wirtschafts-Hochschule HSE.
Es stellte sich heraus, daß die darin enthaltenen Zahlen sehr interpretationsfähig sind.

Ein Teelöffel jährlich

AD: Dies ist das siebte Hilfspaket, das die USA der Ukraine zur Verfügung stellen. Die erste war am 25. Februar. Das heißt, das war ein „Sofort-Paket“, das sie buchstäblich am nächsten Tag nach Beginn unserer Sonderaktion zugeteilt haben. Unterstützung dieser Art geht normalerweise nicht so schnell durch den Kongreß. Es ist ziemlich offensichtlich, daß es im voraus vorbereitet wurde.
Danach gab es zwei Pakete im März und vier im April. Aber das war eine ganz andere Art von Hilfe. Nicht so wie jetzt.

KP: Was ist der Unterschied?

AD: Alles, was vor diesem jetzigen 40 Milliarden-Paket verabschiedet wurde, war auf sofortige Hilfe ausgelegt. Einmalzahlungen, sofort. Wie immer man das nennen will. Jetzt wird die Unterstützung auf Jahre berechnet. Das heißt, die Amerikaner planen, daß dies ein lange andauernder Konflikt wird. Das Gesetz stellt klar, daß diese Zahlungen auf mehrere Haushaltsjahre angelegt sind.

KP: Das heißt, morgen wird kein Flugzeug mit Containern ankommen, mit 40 Milliarden als Geldpakete mit der Aufschrift „für Selenskij“?

AD: Natürlich nicht. Ca. 5 Mrd. entfallen auf die Jahre 2022 und 2023, weitere 9 Mrd. werden bis 2026 kalkuliert. Der Gesamtbetrag beträgt 40 Milliarden US-Dollar, die bis zum Geschäftsjahr 2031 ausgegeben werden sollen.

KP: Erwarten die USA also, daß die Ukraine in den nächsten 10 Jahren nicht entnazifiziert wird?

AD: Sie berechnen nichts, sondern sie planen es so. Sie wollen, daß es ein langfristiger Konflikt wird. Und das Gesetz über die Zuweisung von Hilfen an die Ukraine ist Ausdruck dieses politischen Willens.

KP: Wurscht. Selbst für 10 Jahre ist das viel.

AD: Es gibt bei uns so einen Begriff: „hinterlistige Zahlen“. Nichts dergleichen geschieht, wie der Schein glauben machen will, niemand weist der Ukraine 40 Milliarden zu. Dieses Geld geht an die „Ukraine und andere vom Konflikt betroffene Länder“. Dies ist ein Zitat aus dem bereits unterzeichneten Gesetz.

Das ist für mich, und das ist für mich, das ist wieder für mich

KP: Wofür werden diese 40 Milliarden verwendet?

AD: Das Gesetz ist sehr erstaunlich und es beschreibt klar, für wen das Geld bestimmt ist.
So wie folgt:
3,9 Milliarden Dollar – „Hilfe für das US-Militär in Europa“
Wir ziehen diesen Betrag sofort von denselben 40 Milliarden ab. Natürlich wird dieses Geld nirgends in der Ukraine gehen, es wird in Kiew nicht einmal gesehen werden.

19 Milliarden Dollar laufen als Posten „Militärhilfe für die Ukraine“. Sie bestehen aus:
6 Mrd. $ – Ausbildung der Streitkräfte der Ukraine (Ausbildung von Soldaten, Kauf von Ausrüstung und logistischer Unterstützung).
Die Ausbilder sind Amerikaner, die Waffen sind aus den USA (die sie in ihren Lagern haben), logistische Unterstützung wird von US- und NATO-Streitkräften geleistet.
Washington wird diesen Betrag direkt an seine Fabriken, Einheiten und Spezialisten überweisen. Selenskij wird sie nicht sehen.
9 Mrd. $ – für die Aufstockung der US-Waffenbestände
Im vorigen Absatz verkaufte das Pentagon Waffen aus seinen Lagern an die Ukraine. Jetzt muß nachgefüllt werden. Was werden sie mit diesen 9 Milliarden tun, die die Aufschrift „Ukrainehilfe“ haben?
Diese 9 Milliarden bleiben einfach in Washington.

4 Milliarden Dollar schließlich werden der Ukraine für unabhängige Käufe gegeben.
Dies ist die erste Tranche, die tatsächlich in die Hände der ukrainischen Behörden fallen wird. Mit ihnen kann Selenskij alles kaufen, und von jedem. Nun, seine Handlanger können sich hier die Hände wärmen.

(Falls sich hier jemand mit dem Rechnen schwer tut: Von den 40 Milliarden sind also fast 19 Milliarden Unterstützung des US-Militärs, 4 gehen in die Ukraine für Waffenkäufe. Bleiben also noch 17,1 Mrd.)

Und der dritte Posten lautet: „Allgemeine Hilfe für die Regierung der Ukraine“ – 16 Milliarden Dollar.
Ich zitiere wörtlich aus dem Gesetz für die genauere Beschreibung dieses Betrags: Er ist für „globale humanitäre Hilfe“ und für „internationale Programme zur Minimierung der globalen Folgen des Konflikts in der Ukraine“ vorgesehen. Anscheinend gehen die Amerikaner davon aus, daß es einige globale Folgen des Konflikts in der Ukraine geben wird, und weisen dieses Geld internationalen Programmen zu, um diese Folgen abzufedern. Um was genau es geht, geben sie nicht an. Aber unter anderem werden angeführt:
5 Milliarden US-Dollar für die globale Ernährungssicherheit
2 Milliarden Dollar – „langfristige Unterstützung für NATO-Verbündete“ und „Modernisierung des Verteidigungsministeriums“. Das heißt, das amerikanische Pentagon. Daraus kann man schließen, daß dieses Geld die USA nicht verlassen wird.
(Höchstens in Richtung Polen …)

1 Milliarde US-Dollar, um ukrainischen Flüchtlingen in Europa zu helfen.
(Auch da wird vermutlich Polen den Löwenanteil erhalten.)

364 Millionen Dollar – Studien zur militärischen Situation in der Ukraine.
Diese Nachforschungen werden von einer US-Institution angestellt werden, die im Gesetz nicht genannt wird. Es wird sich aber sicher eine geeignete Institution oder Firma finden. Wir haben bereits gesehen, in welche Korruptionsskandale die Familie Joe Biden verwickelt war, also besteht kein Zweifel, daß sie auch hier Hand anlegen wird. Darüber hinaus müssen wir die Tatsache berücksichtigen, daß 12 % jeder Vertragssumme mit der US-Regierung für Verwaltungskosten aufgewendet werden.

400 Millionen Dollar – „für Dokumentation und Sammlung von Beweisen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von der Regierung der Russischen Föderation in der Ukraine begangen wurden“.
Das heißt „neue Butschas“. Mit diesem Geld werden weitere Provokationen erfunden, produziert, inszeniert, die später als „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet werden, die angeblich von der russischen Regierung in der Ukraine begangen worden sind.
Dieselbe „allgemeine Unterstützung für die Regierung“ der Ukraine umfaßt also Mittel zur Unterstützung von Flüchtlingen, diplomatische Unterstützung und Expertenberatung und so weiter. Ein Teil des Betrags wird auf andere US-Abteilungen und Ministerien verteilt.

Zum Beispiel:
Das Außenministerium erhält 110 Millionen Dollar, um die Sicherheit der Botschaften in der Ukraine und den Nachbarländern zu organisieren und zu stärken. (Diese 100 Mill. werden direkt überwiesen).
Das Finanzministerium erhält 52 Millionen Dollar, um das Eigentum russischer Oligarchen aufzuspüren und zu lokalisieren. Das heißt, das US-Finanzministerium wird nach russischen Oligarchen in den USA Ausschau halten. Bitte beachten Sie, daß hier die Ukraine mit keinem Wort erwähnt wird.

Das sind Details, die zu diesen 40 Milliarden Dollar aufscheinen, die angeblich in die Ukraine gehen. Sie bleiben größtenteils entweder in den USA oder gehen zu ihren Verbündeten.

(Ungefähr 8 Mrd. bleiben noch, über deren Bestimmung man gar nichts erfährt.)

Wer zahlt für dieses Gelage?

Die Frage bleibt offen, stellt Domrin fest.

Auf jeden Fall muß Kiew 6 Milliarden Dollar mit Zinsen für die „Ausbildung der Streitkräfte der Ukraine“ und 4 Milliarden Dollar für „unabhängige Einkäufe“ zurückgeben. Biden äußert sich stets vage über den Rest. Er spricht gerne über Lend-Lease, aber er spricht nie über die Bedingungen. Aber glauben Sie mir, die USA schauen darauf, daß sie selbst nicht zu kurz kommen.

Unterdessen hat die renommierte Ratingagentur Moody’s das langfristige Rating der Ukraine auf Caa3 herabgestuft, was „Schulden von sehr niedriger Qualität und hohem Risiko“ bedeutet. Die Agentur stellte fest, daß sich die Ukraine bisher aufgrund internationaler Unterstützung über Wasser hält, aber dies erhöht die Staatsverschuldung erheblich.

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Ein guter Teil dieser Summe wird sich auf die US-Staatsverschuldung schlagen, so viel ist auch sicher. Die USA verschuldet sich also weiter, um unter dem Titel „Ukraine“ ihre eigene Rüstungsindustrie, ihr Militär und andere US-Ministerien und sonstige US-Institutionen und -Firmen finanziell zu unterstützen.

Die USA können sich das leisten, weil der Dollar relativ unangefochten immer noch den ersten Platz unter den Weltwährungen einnimmt.

Es ist aber nicht sicher, wie sich ein etwaiger Regierungswechsel in den USA auf die Verschuldungspolitik und damit auch auf dieses Hilfspaket auswirken wird.

Mit diesem Gesetz wurde zusätzlich eine Grauzone geschaffen, um besonders geschätzte Verbündete innerhalb der NATO bevorzugt mit Mitteln zu bedenken, ohne daß dies irgendwie bei NATO-Institutionen zur Sprache kommen muß. So wie die Sanktionen die EU spalten, so richtet dieses sogenannte Ukraine-Hilfspaket eine „NATO der zwei Geschwindigkeiten“ aus.

Frieden gegen Gebietsabtretungen?

GEOPOLITIK UND MORAL

Ein ukrainischer Freund hat mir folgende Frage gestellt:

„Ich möchte deine Meinung bezüglich der Ukraine wissen. In letzter Zeit sind einige westliche Führungsfiguren der Ansicht, man müsse Rußland Gelegenheit geben, das Gesicht zu wahren. Was soll man darunter verstehen, angesichts dessen, was Rußland bereits getan hat? Und warum kommt eine solche Meinung überhaupt auf? Vielleicht, weil die Großkonzerne keine Gewinne einbüßen und die Geschäftsbeziehungen mit Russland wiederherstellen wollen?
Was denkst du dazu?“

Ich habe ihm geantwortet:

„Zunächst einmal und ganz prinzipiell gesagt: Diese westlichen Politiker sind draufgekommen, daß man Rußland nicht zerstören kann und daher mit ihm leben muß.
Dazu tragen die Erfahrungen der letzten drei Monate bei: Es hat sich unangenehmerweise herausgestellt, daß weder die USA noch die westeuropäischen Staaten mehr die Dirigenten des Weltgeschehens sind, sondern daß sie mächtige Gegenspieler haben.
Das ist eine bittere Erkenntnis, aber sie läßt sich nicht verscheuchen.

Es gibt seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Heartland-Theorie MacKinders, die im Grunde besagt: Wer Rußland beherrscht, hat den Schlüssel zur Weltherrschaft in der Hand. Den russischen Eurasiern (Dugin & Co.) gilt das als Chance und Sendung, den westlichen Politikern als ein ständiges Schreckgespenst, das sie dazu drängt, Rußland isolieren zu wollen.

Man darf auch die Situation nicht vergessen, als die EU im Dezember 1991 gegründet wurde: Damals ist die SU zerfallen und die europäischen Politiker dachten, sie können jetzt diese abgetretene Macht beerben und sich nach Osten ausdehnen, Ende nie. Jelzin war ihnen als Politiker ganz recht: Je mehr er kaputt macht, um so besser für die EU und überhaupt den Freien Westen. Seit Putin versucht, den Laden zusammenzuhalten, sind sie sauer und sehen ihre Felle davonschwimmen.

Mit dem Ukraine-Krieg ist eine Situation eingetreten, wo für beide Seiten gilt: Kopf oder Zahl? Zusammenarbeit oder Untergang?
Die Isolation Rußlands gelingt nicht, und alle Seiten wissen, daß einen Atomkrieg niemand gewinnen kann.

Hier in Portugal, wo ich mich derzeit aufhalte, gibt es jeden Donnerstag abend eine politische Diskussionssendung, die heißt „Die Achse des Bösen“, und dort hat gestern eine Teilnehmerin klar gesagt: Bei den derzeitigen Energiepreisen und den dadurch verursachten Preissteigerungen wird Europa in eine schwere Rezession verfallen und darüber möglicherweise die EU auseinanderbrechen. Man muß daran arbeiten, dieses Szenario zu verhindern.
Auch die militärische Situation sollte man nicht unterschätzen. Die Republikanische Partei hat mit Trump klargestellt, daß sie für Europa keinen Finger rühren wird. Die Demokraten haben keinen Kandidaten für die nächste Wahl, also wird 2024 die Republikanische Partei wieder an die Macht kommen und das heißt, daß dann Europa auf sich gestellt ist.
Schließlich wies die Dame darauf hin, daß es nicht im Interesse der EU ist, wenn die ukrainische Regierung auf die große Pauke haut und sagt, sie werden keine Gebiete hergeben und auch die Krim wieder zurückerobern – das heißt Krieg auf Jahre hinaus, vor der Haustür der EU. Flüchtlinge, Energie- und Lebensmittelengpässe, und Zerstörungen, die eigentlich wer wieder reparieren wird?
Du hast ja selber einmal gesagt: Wer soll all das wieder aufbauen, was jetzt niedergebombt wird?

Will die EU gegen Rußland Krieg führen? Es zeigt sich schon bei den Sanktionen, daß die einige Staaten nicht wollen. Manche stellen sich offen dagegen, andere unterlaufen sie.
Will Deutschland gegen Rußland Krieg führen?
Will Polen gegen Rußland Krieg führen, auch wenn es von den USA dabei unterstützt wird? Kann Polen nach 2024 überhaupt auf diese Unterstützung zählen?
Und wie soll das alles finanziert werden?
Wer zahlt eigentlich die Waffen, die der Ukraine versprochen und teilweise auch geliefert werden?
Das alles bei sicherer Rezession hüben und drüben des großen Teiches …

Gegen diese Fakten nützen die ganzen moralischen Schreie nichts, daß man Putin einschränken muß, daß er verrückt ist usw.

Putin hat genau diese Situation schaffen wollen, wo sich Europa entscheiden muß. Und man muß sagen, die US- und europäischen Politiker haben ihrerseits auch alles dazu getan, den Krieg zu provozieren und damit die Frage der Wahrung der russischen Sicherheitsinteressen auf die Tagesordnung zu stellen.“

Pressespiegel El País, 15.5.: Russische Offensive in der Ukraine

ÜBER GETREIDE UND HUNGER

„PUTINS KRIEG IN DER UKRAINE LÖST EINE GLOBALE NAHRUNGSMITTELKRISE AUS

Der Konflikt in der Ukraine verschärft den Anstieg der Lebensmittelpreise, der eine Krise des Mangels an Nahrungsmitteln, politische und soziale Turbulenzen, neue Migrationsströme und geopolitische Spannungen auszulösen droht.
Die russische Offensive hat die angespannte Lage in einem Markt verschärft, der auch vorher schon bedeutende Preissteigerungen verzeichnet hat.“

Eine seltsame Ausdrucksweise. Erstens „Putins Krieg“, als ob er ihn alleine führen würde und nicht eine ganze Armee. Zweitens, Spannungen allerorten, die durch den Krieg „verschärft“ werden, also offenbar nicht durch ihn hervorgerufen werden.

„Die Konsequenzen sind schwerwiegend.“

Na sowas!

„Zunächst einmal für Millionen von Personen, die neu in den Teufelskreis von Hunger und Unterernährung geraten.“

Bodenlos.
Vorher war noch von einem Markt die Rede, also einer von Menschen gemachten und betriebenen Einrichtung. Jetzt ist es auf einmal ein „Teufelskreis“, also etwas völlig Selbsttätiges.
Diese Vernebelung ist notwendig, damit dann der Ukraine-Krieg und Putin für den Hunger verantwortlich gemacht werden können und nicht etwa die Marktwirtschaft, die jedem das Hinlegen von Geld aufnötigt, um an Nahrung zu kommen.

„Im Weiteren wegen der Perspektive sozialer Proteste und politischer Instabilität, die in fragilen Staaten (???) mit solchen Umständen einherzugehen pflegen;“

Was macht eigentlich diese „fragilen Staaten“ so empfindlich für dergleichen soziale Proteste und welche Staaten fallen unter diese Einstufung?
Wie es aussieht, täglich mehr.

„sowie wegen der Zunahme von ungeordneten Flüchtlingsbewegungen;“

Welche Fluchtbewegungen sind eigentlich „geordnet“?

„und den Reibungen (?) zwischen Staaten, die in einer Position der Stärke sind und denen, die der Krise inmitten protektionistischer Manöver, internationaler Sanktionen und anderen Hochspannungs-Bewegungen ausgesetzt sind.“

Dümmer gehts kaum mehr. Alle möglichen verhatschten Bilder werden aufgewendet, um die Sanktions-Politik der EU und der USA als eine Art Sachzwang darzustellen, der die Staaten in Form einer Naturkatastrophe trifft. Schuld daran ist natürlich Putin.

„Der Anstieg der Lebensmittelpreise hat mannigfaltige Gründe, viele von ihnen waren schon vor der (russischen) Invasion zugegen. Aber diese spielt eine entscheidende Rolle bei der Zuspitzung der Krise wegen zweier grundlegender Faktoren: Sie hat den Energiemarkt erschüttert, was starke Auswirkungen auf die Landwirtschaft hat, und hat die Exportströme von Rußland und der Ukraine verändert, die zwei wichtige Player auf dem Agrarmarkt sind. Diese ungünstige Entwicklung tritt noch dazu in einem Augenblick auf, in dem sich viele Staaten und ein guter Teil der Weltbevölkerung aufgrund der Auswirkungen der Pandemie geschwächt sind.
(…) So bemerkte Antonio Guterres anläßlich der Präsentation einer Studie zu dem Thema: »Die Lebensmittelpreise waren noch nie höher, wir sehen einer Hungerkatastrophe von ungeahntem Ausmaß entgegen.« Die Studie zeigt auf, daß die Zahl der Personen in kritischer Ernährungssituation“

Was das wohl heißen mag?

„in den meistbetroffenen 50 Staaten von 155 Millionen 2020 auf 193 Millionen 2021 angewachsen ist. Eine an und für sich schon schlimme Tendenz, die jedoch die Auswirkungen des Krieges noch nicht wiedergibt.
Und diese Auswirkungen haben es in sich. Die Weltbank schätzt, daß für jeden Prozentpunkt in der Erhöhung der Lebensmittelpreise 10 Millionen Menschen in extreme Armut geraten.“

Wirklich eine Rechnerei der Art Handgelenk mal Pi.
Ein Prozentpunkt in der Erhöhung welcher Lebensmittelpreise? Getreide? Gemüse? Hülsenfrüchte? Man müßte einmal präzisieren, um welche Lebensmittel es sich handelt. Auch die 10 Millionen und der schwammige Begriff „extreme Armut“ machen zwar auf hysterisch, sagen aber nicht viel aus über die Anzahl und Lage der Betroffenen.
Ähnlich schwammig und hysterisch sind die Angaben der FAO, die von 20 und 30 Prozent Steigerung schreibt, aber man erfährt nicht, wovon.

„Die in Deutschland versammelten Außenminister der G7 gaben eine Erklärung ab, in der sie den Ernst der Lage betonen und Rußland auffordern, Bombardements der ukrainischen Infrastruktur zu unterlassen, um Exporte zu ermöglichen. Die deutsche turnusmäßige Präsidentin spricht von einem von Moskau losgetretenen „Krieg des Weizens“, der eine globale Hungerkrise auslösen könnte.“

Um diese Weizenexporte gibt es sehr widersprüchliche Meldungen.

Rußland exportiert sehr viel mehr Weizen als die Ukraine. Ob die Weizenexporte Rußlands zurückgegangen sind, läßt sich derzeit noch nicht feststellen. Es könnte sein, daß Rußland Beschränkungen erläßt, um die Ernährungssicherheit im Land sicherzustellen. Es kann auch sein, daß manche Staaten Bedenken haben, Rußland Weizen abzukaufen, weil sie dann den Zorn der USA oder der EU und etwaige Sanktionen auf sich ziehen.

Die Weizenexporte aus der Ukraine haben erst in den letzten Jahren die derzeitigen Ausmaße erreicht, nachdem Agrarkapital aus der EU, hauptsächlich aus Deutschland und den Niederlanden, dorthin geflossen ist. Einerseits gibt es viel Land Grabbing, wo regelrechte Plantagen mit hohen Zäunen betrieben werden. Man fragt sich, wie das eigentumsrechtlich aussieht – immerhin wurde erst vor ein paar Jahren und gegen viel Widerstand in der Rada ein Gesetz zum Verkauf von Agrarland an Ausländer erlassen. Möglicherweise Pacht auf 50 oder 100 Jahre, mit Option auf Verlängerung?

Andererseits ist aber auch viel EU-Fördergeld in die Landwirtschaft geflossen und auf Basis von Agrarkredit à la Raiffeisen sind dort mittelgroße bäuerliche Wirtschaften entstanden, die jetzt als Opfer der russischen Invasion durch die Medien gehen: Fleißige Landwirte, um die Frucht ihrer Bemühungen gebracht. Dabei ist vermutlich der größte Teil ihrer Ernte bereits an den Kreditgeber verpfändet.

Schließlich ist das Haupt-Export-Outlet der Hafen von Odessa. Abgesehen davon, daß der sofort am Anfang der Invasion von den ukrainischen Verteidigern vermint und gesperrt wurde, um seine Einnahme vom Meer zu verhindern, hat sich die Region um Odessa aufgrund ihrer Grenznähe zum NATO-Staat Rumänien zum Haupt-Import-Loch für Waffen und Treibstoff entwickelt. Deswegen wurde im Laufe des Krieges die dortige Infrastruktur durch russische Angriffe in Mitleidenschaft gezogen, mit Ausnahme der noch immer funktionierenden Eisenbahn.

Exporthäfen öffnen hieße also Waffenimport erleichtern.

Nach einer Reportage des Ukraine-Korrespondenten Wehrschütz im österreichischen Fernsehen waren damals im April das Hauptproblem der ukrainischen Getreidehändler die vollen Speicher. Man müsse die leerkriegen, meinte ein vom Reporter befragter Agraringenieur, bevor die nächste Ernte kommt. Die ukrainische Agrarwirtschaft baut hier vermutlich noch auf dem Erbe der sowjetischen Kolchosenwirtschaft auf, oder es wurde von westlichen Firmen noch in zusätzliche Speicherkapazitäten investiert, um die Fülle der Erträge der fruchtbaren Schwarzerdeböden des Wilden Feldes zu fassen.

Der von Wehrschütz befragte Agrarier erwähnte in dem Gespräch auch noch, daß Odessa als Exporthafen eigentlich nicht ersetzbar ist, weil der Transport über Land mit dem Zug viel zu teuer ist, und auch von den Kapazitäten her nie die Mengen aufnehmen kann, die der ukrainische Boden hergibt. Immerhin fahren die Züge ewig lang bis zur polnischen Grenze und müssen dann auch noch zu einem polnischen Hafen gelangen, weil die näher gelegenen russischen will man ja keinesfalls verwenden, übrigens auch schon vor dem Krieg nicht. Außerdem bestehen die ukrainischen Lebensmittelexporte nicht nur aus Getreide, sondern auch aus leichter verderblichen Gütern.

Schließlich wird den russischen Besatzungsbehörden vorgeworfen, Getreide in großen Mengen zu klauen und über Sewastopol in die große weite Welt zu verschippern. Die russischen Experten für Katastrophenschutz (!) wollen auch möglichst schnell den Hafen von Mariupol wieder in Gang kriegen, um von den von ihnen eingenommenen Territorien Getreide und andere Agrarprodukte zu verschieben.
Na, so werden wenigstens die Speicher leer, könnte man sagen.
Man merkt an dieser Klage, daß die vorgeschobenen verletzten Eigentumsrechte der Ukraine bzw. der Ukrainer nur die tatsächlich verletzten Eigentumsrechte der westlichen Agrarfirmen verdecken, die durch den Krieg zu Schaden gekommen sind.
Dabei ist der von den Russen geklaute Weizen nur ein Klacks. Durch den Krieg selbst wird an vielen Orten nicht gesät und geerntet, nicht bewässert und das Unkraut und die Schädlinge nicht vertilgt. Die kommenden Ernten werden also auch wesentlich magerer ausfallen, sofern sie auf weder umkämpften noch verminten Gebieten überhaupt eingefahren werden können.

Die russische Seite weist darauf hin – jeder sieht den Splitter im Auge des anderen – daß auch von den in ukrainischer Hand verbliebenen Gebieten Getreide exportiert wird, eben über Polen. Die russischen Medien machen sich deshalb Sorgen um die Lebensmittelsicherheit in der Ukraine selbst.

Damit ist ein weiteres Problem des ukrainischen Agrarsektors angesprochen: Die reichen Ernten der Ukraine sind nicht für die Ukraine selbst gedacht. Die ohnehin relativ geringe Kaufkraft der ukrainischen Geldbörsen gibt nämlich nur die schwachbrüstige Hriwna her. Die gewinnorientierten Agrarfirmen verkaufen deshalb lieber gegen Devisen in das immer von Unterernährung gezeichnete Afrika. Dort brauchen sie den Importweizen tatsächlich wie das liebe Brot, weil die eigenen landwirtschaftlichen Flächen für Cash Crops wie Baumwolle, Kakao, Ananas oder Avocado benutzt werden. Die landwirtschaftliche Produktion dieser Staaten ist nämlich auch nicht für die eigene Bevölkerung da, genauso wie in der Ukraine!
Marktwirtschaft allerorten.
Ein weiterer zahlungskräftiger Kunde ist inzwischen die Hungerhilfe der UNO. Deshalb macht sich Guterres solche Sorgen. Afghanistan, Somalia, der Irak, der Libanon u.a. – lauter Staaten, die sich einige Jahrzehnte und auch einige Kriege früher selber ernähren konnten, hängen jetzt am Tropf der UNO, um großflächiges Verhungern zu vermeiden. (Kleinflächig wird übrigens vielerorten ge- und verhungert.) Und die UNO zahlt Weltmarktpreise, ist also durchaus marktwirtschaftkompatibel.

In der Ukraine wiederholt sich teilweise die Geschichte. Einer der Gründe für den Holodomor war nämlich der Export von konfisziertem Getreide gegen Devisen, um damit eine Industrie mit Hilfe von westlichem Know-How und Maschinenimporten aufzubauen, u.a. in der Ukraine.
Diese Einkäufe von Maschinen durch die SU kamen Europa und den USA in der Zeit der Weltwirtschaftskrise sehr gelegen, weshalb sich ihre Eliten nicht sehr für die – durchaus vorhandenen – Berichte über den Hunger in der SU interessierten …

Heute wird damit der Krieg finanziert, auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung.