Lesenswertes

LINKE PUBLIKATIONEN
Mein Internet-Gedankenaustausch rund um den Blogeintrag zum Sozialstaatsbuch von Dillmann/Schiffer-Nasserie
hat mir gezeigt, daß die Gegnerschaft zu diesem Buch lokal begrenzt ist.
Diese Erkenntnis freut mich sehr.
Das nehme ich zum Anlass, einmal alle Publikationen von Leuten aus dem Dunstkreis des GSP hier aufzulisten, damit alle Interessierten wissen, was es da so gibt.
1. Renate Dillmann / Arian Schiffer-Nasserie
Der soziale Staat
https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/der-soziale-staat/
Das China-Buch von Renate Dillmann soll wieder neu herausgegeben werden. Falls etwas daraus wird, so werden wir das allen Interessierten mitteilen.
2. Hermann Luer
Warum verhungern täglich 100.000 Menschen?
ISBN: 9781 7979 5720 3
Der Grund der Finanzkrise
ISBN-13: 978-3865827982
Kapitalismuskritik und die Frage nach der Alternative
ISBN-10: 398171380X
ISBN-13: 978-3981713800
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3. Suitbert Cechura
Unsere Gesellschaft macht krank
ISBN 978-3-8288-4149-9
Inklusion: Ideal oder realistisches Ziel?
ISBN 978-3-7841-2755-2
Kognitive Hirnforschung (vergriffen)
(vergriffen) ISBN 978-3-89965-305-2
dazu seine Website, wo man auch vergriffene Bücher als PDF herunterladen kann.
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sowie:
5. Ulrich Schulte
Herrschaftszeiten. Geschichten vom Herrn Keiner
ISBN13: 9783981522600
dazu meine Publikationen:
6. Amelie Lanier
Über Geld und Kredit: Texte zur Finanzkrise und Eurorettung
ISBN-13: 978-3200059061

und
Neue Gesichter unter alten Hüten?: Texte einer Konferenz in Budapest
ISBN-13: 9783732245376
https://www.bod.de/buchshop/neue-gesichter-unter-alten-hueteno-9783732245376

Pressespiegel: Hírklikk, 27.7. 2019 – Teil 2

ES IST ZWAR WIDERWÄRTIG, WAS IN UNGARN PASSIERT, ABER ES HERRSCHT ORDNUNG

G.M. Tamás im Gespräch mit Péter Németh – Fortsetzung des Interviews

Hältst da das alles für uninteressant?

Wenn Fidesz verurteilt wird, genauer: die ungarische Regierung, noch genauer: das Orbán-Regime – was passiert dann? Ungarn wird nicht aus der EU ausgeschlossen werden, obwohl das die einzige ernsthafte Strafmaßnahme wäre. Man kann mit verschiedenen schwachbrüstigen rechtlichen Prozeduren lästig sein, Rügen erteilen, aber damit richtet man nichts aus, das ist jedem inzwischen langweilig. Im Grunde will jeder Stabilität, weil der Westen hat nicht die Macht, in Osteuropa Veränderungen zustandezubringen, da er ja auch in der eigenen Gesellschaft nichts zuwege bringt, außer Zerfall, Dekadenz, politischem Absterben. Wir befinden uns weltweit in einer erschreckenden Lage, und das leistet den zerstörerischen Kräften Vorschub. Das schlimmste diktatorische System ist nicht in Ungarn, sondern in der Türkei – anders zwar, aber wirklich schauderhaft. Weißt du, was der große Unterschied zwischen der Türkei und Ungarn ist? Dort gibt es Widerstand, hier nicht.

Das heißt, aus Budapest wird nicht Istanbul.

Nehmen wir an, daß Gergely Karácsony zum (Ober-)Bürgermeister von Budapest gewählt wird, und auch der Stadtrat und die Bezirksräte eine mehrheitlich oppositionelle Mehrheit erhalten würden. Der Hauptstadt wurde jedoch schon seit längerer Zeit jeder wichtige Einflußbereich weggenommen. (Die Behörden der Stadt) werden nichts anderes machen können als jammern, daß Orbán ihnen für dieses und jenes kein Geld gibt. Istanbul hingegen hat jede Menge Geld und Macht. In der Türkei passieren schreckliche Dinge, Journalisten und Oppositionelle werden eingesperrt – aber gleichzeitg wurden die Grundrechte nicht angetastet. Es gibt eine Zensur, aber das ist weniger gefährlich als die Übernahme oder das Zusperren sämtlicher nennenswerter Medien. Freie Zeitungen mit weißen Flecken – das gabs auch in der österreichisch-ungarischen Monarchie, dennoch konnte dort ein damals revolutionäres Blatt wie die sozialdemokratische Népszava (= Volksstimme) erscheinen. Ihre Redakteure saßen in einem fort im Gefängnis in Vác (1), aber es gab eine freie Öffentlichkeit. Diese Presseprozesse und zensurierten Artikel waren winzige Nadelstiche im Vergleich zur heutigen Situation, wo der Zensor selbst das staatliche Fernsehen redigiert und – mit einer einzigen Ausnahme – jede Zeitung, hundert Portale (2), Blogs und Fakeseiten die staatliche Hasspropaganda in den Raum schmettern. Hierzulande wurde jeder bewegungsunfähig gemacht. Soweit sind sie in der Türkei noch nicht. Dort werden gefährliche Schritte zur Einschränkung der persönlichen Freiheit unternommen, Leute werden ins Gefängnis gesteckt, aber die Macht des Präsidenten ist nicht vollkommen. Bei uns ist es umgekehrt: Keiner wird verhaftet (nicht daß ich das möchte!), aber der Regierungschef macht, was er will.

1988 wurdest du verhaftet …

Ein paar Stunden lang.

Aber du wurdest doch verfolgt.

Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der mich Geheimdienste nicht bespitzelt und sekkiert hätten. (3)

Jetzt hingegen wirst du nicht einmal abgehört.

Wozu auch? Sie sehen ja meine Emails und Chatprotokolle.

Die sehen sie?

Natürlich sehen sie sie, wie denn auch nicht, sofern sie das wollen. Ich glaube aber nicht, daß sie Zeit haben, sie zu lesen. So wichtig bin ich nicht. Gedanken bedeuten keine Gefahr für dieses System – im Unterschied zum Realsozialismus, der eine Staatsdoktrin besaß und in dem die Intelligenzia eine führende Rolle einnahm. Diese Rolle ist vorbei, die spielen die Intellektuellen nirgends mehr. Jetzt gibt es eine allgemeine Krise, in der ist Ungarn ein Faktor und Beispiel. Die Krise kann verschiedene Formen haben. Die eine schaut so aus, daß es viel Lärm gibt und das Parlament brennt. Die andere besteht darin, daß niemand etwas macht, alle sitzen einsam im stillen Kämmerchen, und die, die an der Macht sind, haben freie Hand.

Ist es eine politische oder eine ökonomische Krise?

Die Wirtschaftskrise hält seit 2008 an, aus der die rechtsgerichtete ungarische Regierung nach 2010 einen Teil der Mittelklasse erfolgreich herausgefischt hat. Darüber gibt es keinen Zweifel. Es ist eine verlangsamte Krise, sie ist nicht so heftig wie 2008. Daraus entwickelte sich eine langsame Rezession der ganzen Weltwirtschaft. Die Propaganda der ungarischen Regierung beginnt jetzt zu erkennen, daß sich das Wachstum in Ungarn auch verringen wird – vor allem, wenn die Autoindustrie wegen der Klimakrise auf Grund fährt. In ganz Europa herrscht Krise, Rezession, Verfall. Noch dazu geht die klimatische Situation schneller den Bach hinunter, als man bisher annahm. Um diese Entwicklung auch nur zu verlangsamen, bedürfte es einer Art von internationaler Zusammenarbeit, die wegen des vorherrschenden Chauvinismus, des Rassismus, des Zerfalls der staatlichen Strukturen unvorstellbar ist. Die politische Krise hängt wie immer mit der ökonomischen und kulturellen Krise zusammen.

Was birgt die Zukunft?

Nix. Es gibt keinen Staat, der über eine ernstzunehmende, von allen angesehene, wagemutige und stabile Führung verfügt.

Frankreich?

Mit dem unbeliebtesten Präsidenten seiner Geschichte? Ein allseits verhasster Mensch, den Gendarmerie und Militär in seinem Palast schützen.

Von Macron kann man also nichts erwarten?

Wer vertraut ihm? Gibt es da wen? Ich höre dergleichen von dir zum ersten Mal. Macron ist im Grunde nicht blöd, aber er wird sich nicht lange an der Macht halten. Er häuft Fehlentscheidungen an, und jede Initiative von ihm endet mit einem Fiasko.

Aber es gibt viele, die an die deutsch-französische Zusammenarbeit glauben.

Na klar: Das sind zwei reiche, mächtige Staaten, mit viel Bildung und Tradition, die einander gut verstehen. Sie haben Bedeutung. Aber erstens ist die deutsche Führung unsicher, weil Merkel bei den gegenwärtigen Umständen unersetzbar ist. Sie muß aber ersetzt werden, weil sie nicht gut beisammen ist und zurücktreten will. Mit ihr geht aber alles Bisherige unter. Und da war auch nicht alles in Ordnung. Gegen Macron ist jedoch ganz Frankreich in Aufruhr. Er spielt relativ geschickt alle gegeneinander aus und versucht seine Gegner zu ermüden – mit Hilfe der dienstbereit an seiner Seite stehenden Medien – aber das alles reicht nicht aus.

Du meinst, wir haben keine Zukunft?

Das ist offensichtlich. Jeder weiß das. In den westlichen Medien lese ich nichts anderes. Aus, vorbei – das lese ich.

Welchen Ausweg gibt es?

Den Faschismus.

Das meinst du aber jetzt nicht ernst.

Was denn sonst!

Also noch einmal das Gleiche?

Nein, es wird nicht so. Das Wieder-Auferstehen des klassischen Faschismus, wie es Bolsonaro in Brasilien versucht, ist unmöglich. Die totalitären Methoden der seinerzeitigen faschistischen Diktaturen kann man nicht wiederholen. Es ist auch nicht notwendig.

Die Diktaturen modernisieren sich?

Vor fast 20 Jahren erschien mein Essay „Postfaschismus“, in neun Sprachen, auch auf Ungarisch. Schon damals erkannte ich, daß sich die faschistischen Systeme unter Umgehung der gewalttätigen, totalitären Methoden zwischen demokratischen Kulissen verwirklichen lassen. Damals (im Jahr 2000) war das noch eine überraschende Behauptung. Leider hatte ich recht. Leider.

Was für Perspektiven siehst du, außer daß alles aus ist? Weil das ist recht wenig.

Wenig? Das nennst du wenig, daß deine Kinder wie die Wurst in der Pfanne braten werden? Ist das nichts?

Du beziehst dich auf die Klimaveränderung?

Ja, genau. Das könnte man lösen. Wenn die Großmächte Führer hätten. Und wenn es ein politisches System gäbe, das zu rationalem Handeln imstande wäre, um die Menschheit zu retten. Bitteschön, schauen und hören wir uns irgendeine Rede von Donald Trump an. Zum Beispiel diesen Dienstag (den 23. Juli). Da machte er eine farbige Kongreßabgeordnete mit Migrationshintergrund ohne irgendeinen Grund nieder, mit erfundenen, aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen, vor einem kreischenden, begeisterten und völlig außer sich befindlichen Publikum. So könnte man bei uns nicht einmal in einem heruntergekommenen Wirtshaus in Soroksár mit einer Darts-Zielscheibe reden. Gibt es noch irgendwo ein Niveau? Wenn ja, so in einer wirklich totalitären Diktatur – in China. Dort reden sie wirklich nicht so, dort gibt es Niveau, Qualität, Ruhe, Ausblick in die Zukunft, Vernunft, dort wird geplant, und die Wissenschaft gilt etwas und erfreut sich großen Ansehens. Die technische und wirtschaftliche Entwicklung ist beeindruckend. Das ist derzeit der erfolgreichste Staat, gleichzeitig die fürchterlichste Diktatur, wo es kein Atom von Freiheit gibt. Das Gegenteil all dessen, woran ich glaube. Nun ja, nichts ist ewig, und diese schreckliche heutige Zeit wird auch vorübergehen, aber aufgrund der klimatischen und gesellschaftlichen Krise läuft uns die Zeit davon. Wenn das nicht so wäre, würde ich sagen: Na gut, in Ordnung, wir werden sterben, aber unsere Enkel werden schon etwas Besseres hervorbringen. Aber die Forschungen der UNO stellen fest, daß die Generation meiner heute 14-jährigen Tochter kürzer leben wird als die meinige Nachkriegsgeneration.

Wegen der Klimakrise?

Auch wegen des Hungers. Offensichtlich wird es am schlimmsten in Afrika, aber auch hier ist mit Tragödien zu rechnen. Die Leute planen ihren nächsten Urlaub, aber was auf die wartet, sind Hitze, Tornados, Dürre, Waldbrände, ausgetrocknete Flüsse, Anwachsen des Meeresspiegels, Hunger und Durst, Kriege und Bürgerkriege, und Millionen von Menschen auf der Flucht. Warum wandern die Leute von hier aus? Genau deshalb, weil sie sehen, daß sie hier keine Zukunft haben. Sie haben völlig recht. (Die Armen vergessen nur, daß sie woanders auch keine haben.) Es ist traurig, aber die Emigration aus Ungarn beginnt erst jetzt wirklich.

Wirklich?

In der Tat. Die Bevölkerung Rumäniens war vor 10 Jahren 23 Millionen – heute sind es 17 Millionen. Neueren Daten zufolge ist auch diese Zahl zu optimistisch. Angeblich fehlen in Rumänien nicht nur 5-6, sondern 9 Millionen. Es gibt ganze Landkreise, wo niemand mehr lebt, verfallende Dörfer, von den Kirchen fällt der Putz ab, die Bahnhöfe sind mit einem Vorhängeschloß versperrt, und überall sind Ratten. Gleichzeitg arbeiten Staaten daran, daß sich die Lage verschlimmert. Ich rede z.B. von denjenigen Regierungen, die die Klima-Konventionen nicht unterschreiben. Wie die ungarische, oder die amerikanische. Und diejenigen, die den UNO-Pakt zur Migrationsfrage nicht unterschreiben.

Warum wohl unterschreibt Orbán diese Pakte nicht?

Aus Überzeugung.

Was ist seine Überzeugung?

Er sagt viel, was er nicht glaubt, aber es ist sicher, daß er die Migration, d.h. die geopolitisch bedingte Rassenfrage als Haupt-Problem betrachtet. Den Umstand, daß dunkelhäutige, arme Leute mit anderer Religion und Sprache hierher kommen. Was natürlich ein großes Problem ist, nur ist es nicht die Ursache, sondern die Folge (anderer Probleme).

Deshalb, weil die hierherkommen, sobald Ungarn den Klimapakt unterzeichnet?

Nein. Sondern deshalb, weil Ungarn mit dessen Unterzeichnung diejenigen Organisationen bestärken würde, die es in der Migrationsfrage unter Druck setzen. Die Orbán-Regierung muß aufgrund ihrer eigenen Logik jegliche Art von Zusammenarbeit zurückweisen. Sie lehnte die Kooperation im Falle der Ermordung der maltesischen Journalistin ab und verhinderte eine gemeinsame Eklärung (der EU) gegen die Unterdrückung der Ujguren. Die ungarische Regierung nimmt in internationalen Organisationen die Haltung des Bojkotts, der Verhinderung, des Vetos ein. Sie ist damit nicht allein. Präsident Trump ist dabei für weit mehr verantwortlich. Dessen Regime nimmt sich die Vernichtung der internationalen und föderalen Strukturen vor. Die UNO ist sehr kompetent, aber alles, was sie verkündet, ist ein Ruf in der Wüste. Diese bedeutende Organisation mit vielen Unterorganisationen hat heute keinen Einfluß mehr. Man könnte diese ganze heruntergekommene Bude einfach zusperren. Niemand hört mehr auf sie. Die UNESCO bemüht sich, Ungarns Kulturerbe zu bewahren, während die ungarische Regierung es zerstört. Vergebens. Alles wird vernichtet.

Kannst du auch irgendwas Positives vermelden?

Na klar. Die Menschen wollen frei und glücklich sein, und auf ihre Art und Weise werden sie das verweigern, was hier abläuft. Man kann viele Leute in Angst und Schrecken versetzen, und es ist leicht, eine Atmosphäre des Hasses zu schaffen, aber das alles hat eine innere moralische und geistige Grenze. Wie lange kann man das Volk glauben machen, daß die Juden, die Araber, die Zigeuner, die Piresen (4), der Westen, die Liberalen, die Marxisten, die Freimaurer, die Muslime, die Schwulen, die Außerirdischen, die Pazifisten, die Feministinnen, oder die Reptil-Menschen schuld an allem sind? Wenn wir genug Zeit hätten, würde ich mir keine Sorgen machen. Weil, lieber Gott, es gab immer wieder schlimme Zeiten in der Menschheitsgeschichte, und sie sind vorübergegangen. Aber jetzt kommt für uns das Aus. Beziehungsweise nicht für uns, sondern für unsere unglücklichen Kinder und Enkel. Um uns (und in uns) verrottet und verbrennt alles.

So so, das sind also deine positiven Gedanken.

Ich kann den verehrten Lesern nichts anderes empfehlen als daß sie sich beeilen sollten. Wenn der heutige Kapitalismus mitsamt seiner wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, technischen, politischen, kulturellen, moralischen und – als Folge all dessen – ökologischen Krise aufrecht bleibt, so brauchen wir uns nicht mit der Zukunft beschäftigen, weil wir haben keine.

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(1) Das Vácer Gefängnis wurde 1854 eröffnet und diente zunächst zur Abwicklung der Repression für die Aufständischen von 1848/49. Es etablierte sich damit als eine Art Hochsicherheitsgefängnis speziell für politische Häftlinge, die es später auch in wechselnden Gesellschaftsformen beibehielt.

(2) Portal-Websites als Kombination von Werbung, Shopping-Seiten, Blogs und Nachrichten sind in Ungarn sehr verbreitet, weil sie angesichts der Neuausrichtung der Mediengesetzgebung beim Aufkommen des Internets gegenüber reinen Informationsmedien steuerlich begünstigt waren.

(3) G.M. Tamás stammt aus Cluj, gehört zur ungarischen Minderheit in Rumänien und haute in den 70-er Jahren vor der Verfolgung der Securitate nach Ungarn ab, wo er als Dissident ins Visier des ungarischen Geheimdienstes geriet.

(4) Die Piresen sind eine erfundene Ethnie, die vom Meinungsforschungsinstitut Tarki in die Welt gesetzt wurden, um die Ausländerfeindlichkeit in Ungarn zu testen. „Würden Sie zustimmen, daß die Piresen nach Ungarn kommen und sich hier niederlassen dürfen?“ – was von ca. 60% mit „Nein“ beantwortet wurde.

Pressespiegel El País, 21.7.: Negativzinsen

DIE ZAHL DER UNTERNEHMEN, DIE BANKEN FÜR EINLAGEN BEZAHLEN, WÄCHST
20% der Einlagen von Unternehmen in der Eurozone müssen aufgrund der von der EZB festgelegten negativen Zinssätze bereits Zinsen an Unternehmen zahlen
Die Welt steht kopf. Die Praxis des Bezahlens beim Geldverleih hat sich etabliert. Früher war es für die Bank normal, für Einlagen Zinsen zu bezahlen. Und dann konnte die Bank dieses geliehene Geld zu einem höheren Zinssatz verleihen und so einen Gewinn erzielen.
Jetzt ist das kompliziert geworden – aufgrund von der EZB festgelegten negativen Zinssätze, die die Banken für ihre Liquidität bestrafen. Bis zu dem Punkt, dass in der Eurozone nach Angaben der Eurobank bereits 20% der Einlagen von Unternehmen der Bank Zinsen zahlen.
Daher empfiehlt die von Mario Draghi geleitete Organisation den Banken nachdrücklich, für die Aufbewahrung des Geldes der Unternehmen zu kassieren. Im Falle von Privatpersonen rät die EZB davon ab, da diese dann das Geld aus der Bank abziehen und unter die Matratze stecken könnten.
Zur Bewältigung der Krise hat die Europäische Zentralbank dem Finanzsystem insgesamt Liquidität zugeführt. Der Geschäftsgang der Banken war jedoch schlecht, sie gingen kein Risiko ein und borgten daher nichts her. Das Geld, das die EZB ihnen gab, zirkulierte nicht.
Diese überschüssigen liquiden Mittel legten sie in den Kassen der Eurobank ab, wo sie sich ansammelten, ohne in der Realwirtschaft anzukommen. Die Zentralbank musste darauf reagieren und setzte eine Strafzahlung von -0,4% für diese Einlagen fest, den sogenannten Negativsatz.
Das veranlasste die Banken, sich nach anderen Möglichkeiten umzusehen, um ihr Geld zu deponieren. Vor allem, weil sie einander immer noch nichts verleihen.“
Dieser Satz ist sehr wichtig, weil er besagt, daß der ganze Interbankenhandel zum Erliegen gekommen ist. Seit der Krise verdächtigt jede Bank die andere, jeden Augenblick zahlungsunfähig zu sein. Gerade ihresgleichen vertrauen die Banken also kein Geld an.
Das heißt weiter, daß die EZB mehr denn je als lender of last resort gefragt ist.

Die Banken verleihen kein Geld aneinander und borgen sich nichts voneinander aus.
„Umso eher, falls sie in verschiedenen Ländern domiziliert sind.
In diesem Zusammenhang bemühen sich die Unternehmen seit Mitte 2014, diese Liquidität in öffentliche Schuldtitel zu investieren, die ihre Bilanzen nicht mit Strafzahlungen belasten. Aber auch Versicherer und Pensionskassen müssen Geld sicher verwahren.
Und auch sie investieren es in öffentliche Schuld. Sobald darüber hinaus große Unsicherheit über die Konjunktur besteht, drängen sich weitere Anleger auf den Markt für Staatsanleihen. Die Situation ist so weit gediehen, daß mehr als die Hälfte der Staatsanleihen in der Eurozone negative Zinsen bieten.“
„Verlangen“, müßte es eigentlich heißen, weil als Angebot kann man dieses Begehr nicht bezeichnen.
„Die Banken könnten das Geld als Banknoten bei sich aufbewahren, um die Strafzinsen durch die EZB zu vermeiden. Aber das ist teuer, es erfordert Sicherheitvorkehrungen und verursacht immense logistische Probleme, um es dorthin zu bringen, wo es gebraucht wird. Geld ist heute nämlich eine elektronische Angelegenheit, die sich in großen Mengen besser digital verschieben lässt.“
Ja, das liebe Bargeld, nix wie Gescher hat man damit.
„Und Unternehmen haben das gleiche Problem mit ihrem Barvermögen. Sie müssen die Zahlung an Zulieferer, die Auszahlung der Gehälter, ausstehende Zahlungen usw. verwalten. Wenn sie nur das Geld sicher aufbewahren wollten, könnten sie Anleihen kaufen. Das erlaubt ihre Situation aber nicht.
Da die EZB über weitere Zinssenkungen nachdenkt, hat sie eine Studie erstellt, in der sie die Gültigkeit dieser Negativzinsen verteidigt. Und er argumentiert, dass Banken den Unternehmen ihre Einlagen in Rechnung stellen können.“
Auch nicht schlecht. Die Unternehmen, die teilweise ohnehin mit heraushängender Zunge der Konjunktur nachlaufen, sollen jetzt den Banken für die Verwaltung ihrer Liquidität außer den ohnehin bereits anfallenden Gebühren auch noch Zinsen auf ihr Konto-Plus zahlen.
Die EZB sieht die Negativzinsen als bleibenden Gast und versucht den Banken einzureden, auch damit ließen sich Geschäfte machen.

„»Ein Prinzip der modernen Wirtschaft besagt, dass die Geldpolitik nicht mehr viel erreichen kann, wenn sich die Zinssätze […] Null nähern, weil die Marktakteure das Geld in bar ansammeln«, erinnert sich der Bericht der Eurobank.“
Ein schönes Eingeständnis der Ohnmacht der Zentralbanken. Alle schönen Grundsätze aus Lehrbüchern sind wertlos, wenn Faktoren eingetreten sind, die dort nicht vorkommen. Die allgemeine Überschuldung und der reichliche Kredit der EZB halten zwar die Ökonomie aufrecht, verhindern einen Crash, aber das wars dann auch schon. Mehr Pulver haben sie nicht zum Verschießen.
„Die Experten der EZB verwenden dieses Dokument jedoch, um diese Behauptung zu widerlegen. Ihrer Meinung nach funktionieren die Negativzinsen. So sehr, dass in der Eurozone bereits 20% der Geschäftseinlagen Zinsen an die Bank zahlen – 5% der gesamten Einlagen.“
Man fragt sich, wer die anderen Einlagen sind, die entweder auch oder nicht Strafzinsen zahlen. Der EZB-Bericht läßt die Zinssituation der restlichen 95% der Einlagen offen. Sind es kleine Sparer, sind es dicke Anleger, sind es Institutionen? Erhalten die noch Zinsen auf ihre Einlagen?
„Die Situation ist regional sehr unterschiedlich: In Deutschland werden bei bis zu 50% der Einlagen von Unternehmen – 15% der gesamten Einlagen – Zinsen an die Bank gezahlt. In den Peripherieländern hingegen machen diese Einlagen kaum 5% der der gesamten Unternehmenseinlagen aus.“
Surprise, surprise. Unternehmen, die ordentliche Gewinne machen, können sich diesen Aderlaß noch leisten, aber diejenigen, die ohnehin schon in Schwierigkeiten sind, wohl kaum. Das heißt natürlich, daß auch die Banken in Krisenländern diese Einnahmequelle nicht anzapfen können, um ihre Bilanzen zu verbessern.
„Der Präsident der BBVA, Carlos Torres, gab 2016 zu, daß in einigen Fällen von der Bank Zinsen eingehoben worden waren. Und derjenige von Bankia, José Ignacio Goirigolzarri, sagte dasselbe vor einigen Wochen. Es handelt sich hier um Unternehmen, die ihre flüssiges Vermögen bei der Bank einlegen und mit denen sie keine Verträge über Dienstleistungen oder Kredite abgeschlossen haben, für die sie Gebühren erheben können. In keinem Fall geht es hier um Einzelpersonen.“
Man fragt sich, um was für Firmen es sich hier handelt, – die ihr Geld auf die Bank tragen und dann nicht mehr anrühren? Auch das Dementi, es seien keine Einzelpersonen, ist eigenartig.
„In ihrem Bericht möchte die EZB nachweisen, dass Banken einen erheblichen Teil der Einlagen von Unternehmen in Rechnung stellen können. Und das liegt daran, »dass Unternehmen ihre Geschäfte ohne Bankeinlagen nicht ohne weiteres betreiben können«, wird dort angeführt.
Vor allem dann rät der Bericht dazu, wenn die Banken gesund sind. Tatsächlich hätten dort die Einlagen aufgrund des Bedürfnisses nach Sicherheit zugenommen. In der Peripherie hingegen fürchten die Banken, ihre Hauptfinanzierungsform zu verlieren, und nur wenige Banken heben Negativzinsen ein, steht weiters in dem Bericht.“

Die EZB meint, die sogenannten „gesunden“ Banken könnten ihre Geschäftskunden sozusagen erpressen, weil die keine andere Wahl haben, als auf ihre Hausbank zu setzen. Die EZB drängt förmlich, doch die Blutegel auf ihre Firmenkundschaft anzusetzen.
Abgesehen davon, daß die Unternehmen dadurch nicht unbedingt zahlungsfähiger würden, ist auch zu fragen, welche Banken denn jetzt als verläßlich angesehen werden? Und von wem?

„Auseinanderdriften des Finanzsektors
Die spanischen Bankfachleute meinen, daß sich der Banksektor zwischen Zentrum und Peripherie sehr unterschiedlich entwickelt: Als sicher gelten die Banken von starken Staaten, die sie unterstützen können.“
Oh oh. Das sind ja Erinnerungen an das Wallersteinsche Weltsystem.
„Da ist z.B. die Deutsche Bank, die eine schwierige Phase durchläuft, aber hinter der das deutsche Finanzministerium steht.
»Die EZB – Studie ist etwas optimistisch. Die Daten der Eurozone sind durch die deutschen Zahlen verzerrt. Und Einlagen von Unternehmen sind insgesamt nicht so wichtig«, sagt Francisco Vidal, Chefökonom bei Intermoney.“
Man fragt sich, welche Einlagen eigentlich wichtig sind? Die EZB will die Banken auf eine mögliche Finanzierungsquelle hinweisen, von der die meisten von ihnen offenbar nichts wissen wollen.
„Der Bericht der EZB besagt auch, dass die Investitionen zunehmen, weil Unternehmen ihre Einlagen an andere Ziele verlagern. Die Investitionsdaten weisen jedoch weder in der Eurozone noch in Deutschland auf diesen Trend hin.“

Das heißt, die Unternehmen haben gar keine überschüssige Liquidität, oder sie tragen sie nicht auf die Bank.

„Risiko für die Banken
Eine Studie der spanischen Nationalbank geht davon aus, dass negative Zinssätze die Kreditvergabe nicht nachteilig beeinflusst haben. Obwohl der Geschäftsgang der Banken nicht berauschend ist, läßt sich im Moment auch nicht feststellen, dass die negativen Zinsen ihre Renditen stark belastet hätten. Zinsmargen leiden, aber im Moment hat es geholfen, dass Banken Anleihen hatten und mit ihren Wertsteigerungen verdienen.“
Mit einem Wort, daß sie Anleihen kaufen und mit Gewinn an die EZB weiterverkaufen. Das scheint heutzutage eines der Hauptgeschäfte der Banken der Krisenstaaten zu sein. Sie hängen also alle am Tropf der BZE mit ihrem Anleihenaufkaufprogramm.
„Die Niedrigzinsen begünstigen das Wachstum, dadurch werden säumige Zahler in die Lage versetzt, ihre Kredite zu bedienen, faule Kredite werden verkauft und Rückstellungen aufgelöst. Darüber hinaus verbessern die Banken ihre Leistungsfähigkeit durch Verschlankung des Personalstandes und technologische Neuerungen.“
Leute entlassen und stärkere Server anschaffen – dadurch wächst die Zahlungsfähigkeit der Kundschaft nicht unbedingt. Die bestimmt aber den Geschäftsgang der Banken.
„Aber all dies könnte eine Grenze haben und die Rentabilität beeinträchtigen, warnen Stimmen aus dem Banksektor. Um so mehr, als das Bankgeschäft in Spanien sehr auf Einlagen und variablen Zinssätzen basiert.
Bei geringem Wachstum, in dem keine Nachfrage nach Krediten besteht, besteht das Risiko, daß das Vertrauen in die Bezahlbarkeit der Rechnungen schwindet, was zu finanzieller Instabilität führt. Der Börsenkurs liegt bereits unter dem Buchwert. Um den Banken nicht zusätzlich zu schaden, überlegt die EZB die Staffelung von Einlagen: Dann würden die Banken die 0,4% Zinsen nur für einen Teil der Einlagen bei der EZB zahlen.“
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Das heißt, die EZB rechnet damit, weiter als Parkplatz für Liquidität der Banken herhalten zu müssen, weil sie weder Anlagesphären finden noch einander vertrauen wollen.
Dieser Bericht wirft kein gutes Licht auf den Zustand des europäischen Banksektors.
Der Titel des Artikels gibt eher das Wunschdenken der EZB wieder, daß die Banken sich doch eine Finanzierung außerhalb der EZB erschließen mögen, obwohl es dafür keine Grundlage gibt.