NORMALITÄT ODER AUSNAHMEZUSTAND?
Zum Artikel von S. Kaufmann in der FR
In einem bemerkenswerten Artikel weist Kaufmann auf die Widersprüche in der Berichterstattung zur angestrebten wirtschaftlichen Erholung „nach Corona“ hin. Manche Gedanken sind es wert, weitergedacht zu werden.
Er zitiert die optimistische Prognosen der UBS, immerhin einem Global Player mit gewisser Betriebserfahrung:
„Dies mache 2021 zum „Jahr der Erneuerung“, so die Schweizer Bank UBS. Die Unternehmen fassten wieder Vertrauen und investierten mehr. Einen Schub erhält der private Konsum, da die Menschen im vergangenen Jahr hohe Ersparnisse aufgebaut hätten und dieses Geld nun in die Geschäfte tragen würden.“
Die UBS meint also, durch die Lockdowns sei Kaufkraft geschaffen worden.
In Wirklichkeit ist es doch umgekehrt: Kaufkraft wurde vernichtet. Die Arbeitslosenzahlen sind angestiegen, auch die in Österreich übliche Kurzarbeit bedeutet teilweisen Einkommensverlust.
Das kann der UBS nicht unbekannt sein.
Das Märchen von dem vielen Geld in den Matratzen ist erstens ein volkswirtschaftlicher Dauerbrenner, demzufolge es keine armen Menschen gibt, sondern nur zu sparsame. Menschen ohne Geld bzw. ohne Kaufkraft existieren nämlich in der Volkswirtschaft nicht.
Zweitens kann das Märchen dennoch wahr werden, indem Wohltäter wie die UBS einspringen und Konsumentenkredite erteilen. Da helfen sie erstens den Konsumenten, ihren in Lockdown-Zeiten aufgestauten Kaufdrang zu befriedigen. Gleichzeitig stellen sie sicher, daß König Kunde auch seiner – vom Standpunkt der Wirtschaft – Kaufpflicht nachkommen kann, weil sonst wäre nämlich auch das „Vertrauen“ der Unternehmen futsch und sie würden nix investieren!
„Ende des Jahres dürfte die Wirtschaftsleistung in den großen Industriestaaten wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben.“
Das hat was von einem Wiegenlied an sich, mit dem die UBS sich und andere Akteure der Börsen in den Schlaf singt.
„Eine Fortsetzung des Booms wird nicht erwartet, das potenziell mögliche Wachstum hat sich durch die Corona-Krise eher noch weiter abgeschwächt.“
Also erst erfindet man einen möglichen Boom, dann ist man damit beschäftigt, die Prognose etwas zu dämpfen, damit sie nicht ganz unglaubwürdig wird. (Für wen?)
„Die Staaten sind daher weiter als Finanziers und Stützen des Aufschwungs gefragt.“
Das heißt, der Aufschwung – zumindest in der EU und den USA – war die letzten 10 Jahre aus Staatskredit finanziert.
Das ist zwar kein Geheimnis für Brancheninsider und Finanzexperten, wird aber selten offen ausgedrückt.
Nicht ganz klar ist dieser Satz:
„Bereits 2020 hat sich weltweit die Staatsschuldenquote um 20 Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung erhöht.“
Man kann ihm zumindest entnehmen: Die Staatsschulden sind gestiegen.
„2021 geht es weiter: In den USA steht ein neues Konjunkturpaket über 900 Milliarden Dollar an, in Europa geht der 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbaufonds an den Start, die Bundesregierung plant mit einem Defizit von 180 Milliarden. »In den meisten anderen Euro-Ländern dürften sich die Fehlbeträge gemessen an der Wirtschaftskraft in einer ähnlichen Größenordnung bewegen«, prognostiziert die Commerzbank.“
Wieso eigentlich „Fehlbeträge“? Als der Euro aus der Taufe gehoben wurde und bis 2008 galten die Staatsschulden eigentlich nicht als etwas, wo etwas fehlt. Sie waren Ausweis der Verschuldungsfähigkeit der Staaten. Freude war angesagt: Das internationale Finanzkapital vertraut uns und dem Euro!
Daß die Staatsschuld inzwischen als „Fehlbetrag“ angesehen wird, deutet darauf hin, daß den Akteuren der Verschuldung und auch ihren Kreditgebern nicht so wohl in ihrer Haut ist. Die Commerzbank hat nämlich im letzten Jahrzehnt ziemliche Geldsummen aus der deutschen Staatskasse und von der EZB bekommen, sie weiß genau Bescheid, daß der Staatsverschuldung eine Bankverschuldung gegenübersteht, eine Art leerer Kreislauf – ein Blinder stützt sich auf einen Lahmen. Oder, ein besseres Bild: Zwei Übergewichtige halten einander mit ihrem Fett über Wasser.
„Möglich und finanzierbar bleiben die steigenden Schulden wegen der niedrigen Zinsen.“
Das ist irreführend. Natürlich sind die niedrigen Zinsen besser als hohe, wenn man sich schon verschulden muß. Möglich wird das alles aber nur, weil die heutigen Währungen auf Schulden beruhen und die politische Macht und das Finanzkapital einander beglaubigen. So entsteht eine Art perpetuum mobile der Geldschöpfung, immer mehr losgelöst von tatsächlichen Gewinnen aus der nationalen und internationalen Geschäftssphäre. Die Betreiber dieser eigenartigen Zusammenarbeit, die Politiker, Notenbanker und Privatbanker, haben begründete Zweifel, daß diese sich unbegrenzt fortsetzen läßt.
„Bereits 2020 brachte eine »nie dagewesene Fusion von Fiskal- und Geldpolitik«, so die UBS.“
Es mag ja sein, daß die Verschränkung der beiden Seiten vorher geringer war, aber vom Himmel ist sie nicht gefallen. Das „nie dagewesen“ bezeichnet nur eine Steigerung der jeweiligen Geldflüsse und Garantien, aber das System selbst ist nicht neu.
„Die Defizite der Regierungen summierten sich auf elf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung, während allein die bedeutendsten Zentralbanken zwecks Zinssenkung fünf Billionen Dollar in den Markt pumpten.“
5 Billionen sind, nur der Information halber, 5000.000,000.000 oder 5000 Milliarden. Die oben erwähnten 3stelligen Milliardensummen für Konjunkturpakete passen da gut dazu.
Was die 11 % betrifft, so sind darin nur die Summen versammelt, die offiziell sind, durch die Parlamente gehen und in die Statistiken eingehen. Daneben gibt es aber auch noch jede Menge Bürgschaftskredite, Regionalschulden, als Gebühren verbuchte Zahlungen, als Zahlungen getarnte Subventionen und ähnliches, was dann bei Rettungsaktionen à la Griechenland oder Argentinien plötzlich in irgendwelchen Bilanzen auftaucht und schnell wieder in einem anderen virtuellen Kasten versteckt werden muß, bevor diese Zusatz-Schulden die ohnehin angeschlagene Bonität des Schuldners endgültig kippen könnten.
„Dies bewerkstelligten sie, indem sie Massen an Staatsanleihen und anderen Schuldscheinen aufkauften und sich so indirekt als Finanziers betätigten.“
Warum eigentlich „indirekt“?
Die Zentralbanken – also die Fed, die EZB, die Bank of Japan – finanzieren die Staaten, indem sie ihre Anleihen aufkaufen.
Die Fed macht das ganz direkt, wobei die dezentrale Struktur der Fed die Unterschiede zwischen Schuldner und Gläubiger oft verwischt.
Die Bank of Japan stellt eine Art Stützung der Unternehmensbanken sicher, die immer von oben mit Liquidität ausgestattet werden und daher auch problemlos im Gegenzug die Staatsanleihen aufkaufen. Lange war das ein geschlossenes System, aber inzwischen hat sich eingebürgert, daß die japanischen Anleihen auch von US-Banken, in Zusammenarbeit mit der Fed, aufgekauft werden, als eine Art politökonomische Hilfeleistung – um Japan gegen China enger an die USA zu binden und gleichzeitig dem Dollar durch den Yen zusätzliche internationale Stützung zu verschaffen.
Die EZB hat es sich in ihre Statuten geschrieben, daß sie keine Staatsanleihen direkt aufkaufen darf. Das „indirekt“ gilt also strenggenommen nur für die EZB. Durch das Aufkaufen von Staatsanleihen über die kommerziellen Banken verschafft sie denen durch den Aufschlag auf den Einkaufspreis ein Geschäft, was diese Banken gut brauchen können, da es bei ihnen seit geraumer Zeit gar nicht rund läuft.
„Ende kommenden Jahres wird die EZB voraussichtlich 43 Prozent der deutschen Bundesanleihen halten und zwei Fünftel aller Anleihen des italienischen Staates.“
Das heißt, daß die EZB mehr Prozent an deutschen Staatsanleihen als an italienischen hält, weil zwei Fünftel sind 40%.
Deutschland, das sich als Vorbild und solide schwäbische Hausfrau hinstellt, finanziert sich also zu einem höheren Prozentsatz aus der EZB als das krisengeschüttelte Italien.
Vermutlich nach dem Motto: Wer hat, dem wird gegeben.
„Ihre Politik hat die Zinsen so weit gedrückt, dass mittlerweile auch Staatspapiere des ehemaligen Euro-Krisenlandes Portugal unter null Prozent gefallen sind.“
Portugal konnte bereits im Frühjahr 2019 Negativzinsen verlangen, das wurde allerdings von den internationalen Medien nicht groß aufgegriffen. Vermutlich verstanden sie erstens nicht, warum und wollten zweitens durch eine solche Meldung nicht Zweifel an der allgemeinen Fiskal- und Sparpolitik der EU nähren.
Der Artikel Kaufmanns gibt noch einiges her, aber lassen wir es einmal gut sein.
Kategorie: Geld & Kredit
Imperialismus heute, Fortsetzung, 30.12.
DIE KONKURRENZ DER NATIONEN VOR DEM HINTERGRUND DES CORONAVIRUS
Wer macht die bessere Figur und kann die Schwäche der anderen für sich nützen?
Impfstoff und Einflußsphären, ein ganz neues Kapitel in der imperialistischen Auseinandersetzung.
Hier wurde wieder eine neue Pinnwand fällig, ich habe auch die letzten beiden Posts hierher übertragen.
Ökonomie nach und mit Corona
KRISE ALLERORTEN
Daß die Lockdowns und Quarantänen und Schulschließungen usw. sehr viel an Geschäft und Einkommen vernichtet haben, steht außer Zweifel.
Allerdings stand die Gschaftlmacherei weltweit seit der Finanzkrise 2008 ff. sowieso nicht unter dem besten Stern, vor allem in der EU.
Die CV-Krise verstärkt also nur Stagnation und Abbau von Arbeitsplätzen, die vorher auch schon gelaufen sind, und jetzt teilweise der Corona-Krise zugeschrieben werden, um an staatliche Subventionen zu kommen.