Serie Daten und Statistiken, Teil 3

DAS BRUTTOINLANDSPRODUKT

Das BIP ist ein Begriff, mit dem man in den Medien dauernd konfrontiert ist und der sozusagen zu einer Selbstverständlichkeit des politisch-ökonomischen Denkens gehört.

Um zu verstehen, was in diesem Begriff alles enthalten ist und was er über unser Gesellschaftssystem aussagt, ist es nötig, sich einmal der Entstehung der Volkswirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften zu widmen.
Alle Leute, die mit der Entstehung von Wirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik in Verbindung gebracht werden – William Petty, Adam Smith, die Physiokraten und Merkantilisten, und viele andere mehr – waren Staatsdiener oder Höflinge, die ihrem König, ihren Eliten erklären wollten, was sie machen müßten, um die Einnahmen in den Staatssäckel zu erhöhen – um sich zum Beipiel Kriege leisten zu können.

Die Entstehung des BIP und anderer Statistiken ist daher auch eng verknüpft mit der Entwicklung der allgemeinen Besteuerung.

Es beginnt auch damals, daß „Wohlstand“ nicht mit gutem Leben der Massen zu verwechseln war – wenn es um Wohlstand ging, so war dabei immer die Absicht, den Leuten etwas für staatliche Ziele wegzunehmen. Sie mußten also genug haben, damit man bei ihnen als Steuereintreiber etwas holen konnte. Und in allen diesen Fällen – im Unterschied zum Zehent und zu den Roboten der Feudalzeit – ging es um Geld. Die Staatskasse, der Kriegsrat, die Hofkammer und die gekrönten Häupter selbst waren nicht interessiert an Kartoffeln oder Eisenstangen, die ihnen Großgrundbesitzer oder Bergwerksbetreiber liefern konnten – nein, sie brauchten Geld, um ihre eigenen Ausgaben bestreiten zu können.

Die Volkswirtschaftslehre ist daher eine Dienst-Wissenschaft des Staates, wo statistikbeflissene Experten den Politikern sagen, was sie machen müssen, um diejenige Art von Wirtschaft zu fördern und zu unterstützen, die der Staatskasse Einnahmen bringt.
Der Ehrgeiz, dem Staat Einnahmen zu verschaffen, hat überhaupt erst die Statistik als Hilfswissenschaft des Staates ins Leben gerufen.

Man kann sagen, die BIP-Berechnung ist historisch eine Art Geburtshelfer der Marktwirtschaft und des dieselbe betreuenden Staates.

Wohlstand und Konsum

Ebenfalls charakteristisch für die Vorläufer der Volkswirtschaftslehre und der BIP-Berechnung ist der Umstand, daß „Wohlstand“ mit Konsumtion gleichgesetzt wird.
Je mehr materielle Güter jemand aufhäufen kann, als um so reicher gilt er.

Marx wies auf etwas anderes hin. Während sich der Reichtum in unserer, der kapitalistischen Gesellschaft, als eine „ungeheure Warensammlung“ präsentiert, ist das, was das Leben eigentlich schön und lebenswert macht, die Muße, der man sich hingeben kann, also diejenige Zeit, die man zu seiner freien Verfügung hat. Das heißt nicht nur, am Strand liegen und nichts tun, oder Kartenspielen und Schifferl versenken, sondern auch Lesen, ein Musikinstrument spielen, oder sich der Wissenschaft verschreiben. Um das alles tun zu können, braucht es frei verfügbare Zeit, „disposable time“:

„Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maß des Reichtums. … Die entwickeltste Maschinerie zwingt den Arbeiter daher, jetzt länger zu arbeiten, als der Wilde tut oder als er selbst mit den einfachsten, rohesten Werkzeugen tat.“ (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, S. 604)

Was immer sich Marx unter den „Wilden“ vorstellt – in verschiedensten vorkapitalistischen und außereuropäischen Wirtschaftsformen gab es diese Muße, die heutzutage zur „Freizeit“ heruntergekommen ist – also die Zeit, die man nicht arbeiten muß, sich aber wieder fürs Arbeitsleben fit zu halten hat.

Nach dieser Einleitung jetzt zu dem, was das BIP ist und wie es berechnet wird.

Abstrakter Reichtum

Das BIP berechnet den abstrakten Reichtum einer Gesellschaft, also das, was an in Geld gemessenem Gewinn auf dem Territorium eines Staates erwirtschaftet wird.

Während in der Frühzeit der ökonomischen Statistiken noch tatsächliche Kühe und Schweine, oder Tonnen Weizen oder Eisen erfaßt wurden, so interessiert die BIP-bezogene Statistik heute nur das, was diese Dinge für einen Preis haben, zu dem sie veräußert worden sind. Es muß etwas nicht da sein, vorhanden sein, sondern verkauft worden sein, um in die Statistik einzugehen. Und es ist gar nicht wichtig, um was für eine Ware es sich handelt, sondern sie muß nur verkäuflich sein. Im Verkaufsakt, der sich in einem dafür erlösten Preis ausdrückt, ist der zum Verkauf anstehende Gegenstand völlig gleichgültig. Im BIP sind Rinder, Computer, Wertpapiere, Haarschnitte oder Reinigungsdienst miteinander gleichgesetzt und damit auch in ihrer Besonderheit gelöscht. Sie interessieren nur als Verkaufsakte.

So ist es überhaupt möglich, daß Börsen- und Wertpapiergeschäfte, Kredite und Warentermingeschäfte in die volkswirtschaftliche Berechnung eingehen und einen beträchtlichen Teil des Reichtums der Nationen ausmachen. Weltweit gesehen, machten zumindest bis vor 10 Jahren dergleichen windige Geschäfte die überwiegende Mehrheit der weltweiten Transaktionen aus, ein großer Teil davon ist jedoch exterritorial, schlägt sich also in keinen nationalen Bilanzen nieder.

So ist es auch möglich, daß z.B. ein Land wie das Vereinigte Königreich einen Großteil seines BIP in der City of London, hmmm, macht.
Man kann auch sagen, „erwirtschaftet“, weil das Geld, das da über Server wandert und vor Ort als Transaktion verbucht wird, ist auf der einen Seite sehr real. Es ist das universelle Maß des Reichtums, eine Devise wie das Pfund zählt zu den Weltwährungen.

Von einer anderen Seite betrachtet, bleibt an den Händen der Banker und Börsenhändler der City ein guter Teil des Reichtums der Welt kleben, der in Form von Agrarprodukten oder Rohstoffen dort seinen Weltmarktpreis erhält und den Besitzer wechselt. Der Reichtum, der über die City nach Großbritannien – oder über die Wall Street in die USA, usw. – gelangt, stellt also eine Art modernes Raubrittertum dar, wo allerdings die Produzenten ihren Reichtum freiwillig hinliefern.

Schließlich, drittens, ist viel von diesem Reichtum sehr fiktiv in dem Sinne, als er auf Spekulation, auf zukünftig zu machenden Geschäften beruht. Das im Auge zu behalten, ist auch wichtig, weil er kann sich deshalb auch sehr schnell in Luft auflösen.

Kartoffeln oder Kaffeebohnen muß man erst physisch vernichten, ins Meer kippen oder verbrennen. Bei Aktien, Anleihen, Optionen usw. genügt ein Sturz des Pfundes oder derjenigen Währung, in der die Transaktionen verbucht wurden, damit sie sich aus den Datenbanken vertschüßen..
Auch der Absturz eines Rohstoffpreises vernichtet einiges an Kapital und läßt Währungen wackeln, wie man derzeit am Öl beobachten kann. Vieles von dem geförderten und irgendwo gelagertem oder in Tankern schwimmendem Öl löst sich vom Standpunkt des BIP in Luft auf.

Die Berechnung des BIP und die berechnenden Behörden

Die Berechnung des BIP ist, wenn man sich ein wenig durch das Internet durchliest, eine hochkomplexe und recht unsichere Angelegenheit, ähnlich wie der Wetterbericht. Die ersten Zahlen beim Jahresende – auf die alle „Analysten“ (!) sehnlichst warten, – beruhen zu einem guten Teil auf Schätzungen. Sie werden dann nach und nach ergänzt. Bis zu 4 Jahre kann es dauern, bis ein BIP halbwegs sicher die Wirtschaftsleistung des betreffenden Jahres wiedergibt.

Es gibt verschiedene Berechnungsmethoden, von denen manche in manchen Staaten gar nicht anwendbar sind, weil dort die ihnen zugrunde liegenden Daten nicht erhoben werden. Genauso wie bei Bevölkerung und Sterblichkeit ist also die BIP-Berechnung sehr von der Qualität der Datenerhebung abhängig.
Je schlechter die Datenlage, um so mehr wird geschätzt. Dabei gibt es von allen Seiten die Neigung, die Wirtschaftsleistung höher einzuschätzen, als sie nach allen vorliegenden Daten sein kann. Der jeweilige Finanzminister, die OECD, der IWF sind professionelle Gesundbeter, die die Lage immer viel positiver darstellen, als sie ist, weil sonst die ganze Geschäftswelt vom Kater befallen wird und aus dem betroffenen Land abzieht.
Das alles ist deshalb bemerkenswert, weil sich ja auf das BIP wiederum recht viele Dinge stützen, wie das jeweilige Budget, die Steuerpolitik, die Berechnung der Verschuldungsrate, die im jeweiligen Rating ausgedrückte Kreditwürdigkeit usw. Alle diese scheinbar so objektiven, in Zahlen repräsentierten Summen und Posten sind also praktisch auf Sand gebaut.

Soviel nur zur Rationalität unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Das bezieht sich zunächst einmal auf so „ordentliche“ Staaten wie Deutschland, Benelux-Staaten, Österreich, skandinavische Staaten.

In den meisten Staaten der Welt geht in die BIP-Schätzungen jedoch auch der sogenannte „informelle Sektor“ ein, der, wie man zugibt, auch große Geldmengen bewegt. Das sind Schwarzarbeit, Drogenhandel, Menschenhandel, Prostitution, Organhandel, Geldwäsche, Geldfälschung usw.
Auch das ist bemerkenswert. Es handelt sich um illegale Tätigkeiten, also Dinge, die nach dem Recht dieses Landes verboten sind.

Erstens wird mit ihrer schätzungsweisen Einbeziehung in das BIP zugegeben, daß Verbote nix bringen und die verbotenen Dinge trotzdem gemacht werden. Die Einberechnung des informellen Sektors ist also das Eingeständnis, daß das gesamte Strafrecht der Bekräftigung des Gewaltmonopols des Staates dient, aber nicht der Verhinderung des Verbrechens.

Zweitens werden diese illegalen Tätigkeiten damit auch anerkannt als volkswirtschaftlicher Faktor. Eine gewisse Kumpanei des Rechtsstaates mit seinen Kriminellen ist damit eingestanden: Besser, Leute verkaufen ihren Körper oder handeln mit Organen als sie liegen dem Staat auf der Tasche.

Die zuständige Behörde für alle Statistiken, also auch für das BIP, ist das jeweilige Statistische Zentralamt. Dieses wiederum stützt sich vor allem auf die Finanzämter.
(Historisches Detail: Als sich die BRD anschickte, mittels Währungsunion die DDR zu übernehmen, stellten die westdeutschen Politiker, an der Spitze Thilo Sarrazin, mit Befremden, sogar mit einer Art Schock, fest, daß es in der DDR keine Finanzämter gab!
Bei aller geheimdienstlichen Tätigkeit war ihnen dieser Umstand entgangen.
Deshalb hatten sie überhaupt keine Kalkulationsgrundlage für die Abwicklung der DDR und so sah dann die ganze Tätigkeit der Treuhand auch aus.)

Die Finanzämter, die Melkmaschinen des Staates an der Volkskuh, müssen also die Daten liefern, die dann zum BIP verarbeitet werden. Aus dem Vergleich der verschiedenen direkten Steuern mit der Umsatzsteuer läßt sich dann erahnen, wie viel Geld an der Steuer vorbei verdient wurde. Fix ist aber auch da nix, weil z.B. mit der KEST, der Kapitalertragssteuer, bekanntermaßen viele linke Dinge gedreht wurden, wie man an den Cum-Ex-Geschäften sehen kann.

Aber auch bei der Körperschaftssteuer kann dank der großzügigen EU-Gesetzgebung die Steuer irgendwo in der EU entrichtet werden, auch wenn dort weniger Geschäft anfällt. Verluste einer Filiale in Ungarn können in Frankreich vom Gewinn abgezogen werden, und dann kommt möglicherweise eine 0 heraus, also wird keine Steuer gezahlt. Manche Firmen halten sich extra deshalb Töchterfirmen in manchen EU-Staaten Osteuropas und des Balkans, um dergleichen Manöver abzuwickeln.

Das alles zu kontrollieren ist unmöglich, da bräuchte jeder Staat ein Mehrfaches des jetzigen Finanzbeamten- und Juristenbestandes. Außerdem heißt es dauernd vielerorten, es gäbe zu viele Beamte, die schnarchen nur am Schreibtisch, also Abbau, Verschlanken.

Man gewinnt fast den Eindruck, als ob die Geschäftswelt regelmäßig Werbeeinschaltungen für Beamtenvernichtung macht, um ungestörter ihren windigen Geschäften nachgehen zu können.

Fazit

Das BIP, auch eine der Größen, an denen die Staaten, Nationen, Völker gemessen werden und das sozusagen als Gradmesser der wirtschaftlichen Tüchtigkeit gilt, mißt eigenartige Dinge mit unverläßlichen Methoden und unzuverlässigen Daten.

Genauso wie Bevölkerung und Sterblichkeit wird geschätzt und manchmal werden ganz fest die Augen zugedrückt.
Wenn sich dann herausstellt, daß da ordentlich daneben gegriffen wurde, oder ein Währungsverfall oder Börsensturz das ganze Ausmaß der haltlosen Behauptungen und schiefgegangenen Spekulationen sichtbar macht, so geht das Geschrei und die Schuldsuche los.

Fortsetzung: Die Inflation

Der europäische Banksektor in der Pandemiestarre – Teil 3

SPANISCHE ELEFANTENHOCHZEIT
Während die angedachte Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank wieder in der Versenkung verschwunden ist, in Österreich die BAWAG und die Bank Austria nicht zusammengingen, und in Italien auch immer wieder große Bankenfusionen geplant werden, bisher ohne Abschluß, wird in Spanien anscheinend ernst gemacht: Caixabank schluckt Bankia.

1. Die Fusion

„Am Mittwoch wird die Gründung der größten Bank Spaniens beschlossen, der Vereinigung der CaixaBank mit der Bankia mit einem Vermögen von 660 Milliarden, was 25% der Gesamtmenge des Sektors (in Spanien) entspricht. Diese von der EZB und später von der Regierung geförderte Operation versucht jedoch, die verlorene Rentabilität dank der Kostensenkung wiederzugewinnen, sodass auf etwa 8.000 Mitarbeiter, 15,5% der Belegschaft, verzichtet werden wird. … Der Wert, den Bankia beisteuert, basiert auf den 24 Milliarden an öffentlichen Beihilfen, die sie erhalten hat und die mehrheitlich abgeschrieben werden müssen.
Der spanische Banksektor durchläuft einen endlosen Kreislauf von Fusionen. Vor 32 Jahren, 1988, fand die erste große Fusion … statt: Die Banco Bilbao schloss sich der Banco Vizcaya an, um die Bank Nr. 1 in Spanien, das Unternehmen BBV, zu gründen.
(Der derzeitige Direktor von Bankia) José Ignacio Goirigolzarri hat dieses Erdbeben bereits an vorderster Front erlebt, weil er damals bereits 11 Jahre bei Bilbao arbeitete. Drei Jahrzehnte später leitet der seinerzeitige Geschäftsführer der Banco Bilbao die letzte große Fusion unter seiner Präsidentschaft, den möglichen Verkauf von Bankia an die CaixaBank. Auch jetzt würde damit die größte Bank Spanien geschaffen.
Vor 32 Jahren wurde die Fusion damit begründet, Größe, Zahlungsfähigkeit und Rentabilität durch den Abbau von Personal und Büros anzustreben – die gleichen Ziele, die CaixaBankia hat, die den permanenten Kreislauf ebenso wie die Tatsache zeigt, dass der neue Riese das Ergebnis der Vereinigung von 18 Sparkassen und Banken ist.
Der Unterschied besteht darin, dass das resultierende Unternehmen jetzt 13-mal größer sein wird als BBV, was das Wachstum der spanischen Wirtschaft und des Banksektors widerspiegelt.
Die Zahlen sind beeindruckend: CaixaBankia wird nach Angaben vom vergangenen Juni 31,4% der Kundenkredite und 28,1% der Einlagen besitzen. Es wird rund 6.700 Filialen (28% aller Bankniederlassungen) und mehr als 51.500 Mitarbeiter (29% der Bankangestellten) haben.“ (El Pais, 14.9.)
Ein Blick auf die Vorgeschichte dieser beiden Banken schadet nicht.

2. CaixaBank

CaixaBank wandelte sich 2011 von einer Sparkasse mit allen ihren Einschränkungen in eine Bank um, mitten im Krachen verschiedener Sparkassen in und außerhalb Spaniens im Zuge der Finanzkrise und des Platzens der Immobilienblase. Die Sparkassen besaßen nämlich wenig bis gar kein Eigenkapital, hatten sich kopfüber ins Immobiliengeschäft gestürzt und gingen mit diesem unter.
Bei der Gründung von CaixaBank wurden die gesamten – aus Gründen des Sparkassenstatuts – ausgegliederten Geschäfte und Beteiligungen der Vorgänger-Sparkasse zu einem Bankgeschäft vereinigt. Diese Umgestaltung war damals notwendig, um sich mit Hilfe internationaler Beteiligungen und noch funktionierender Kunden vor dem Schicksal der restlichen spanischen Sparkassen zu schützen. Mit dieser Umgestaltung war nämlich ein Börsengang verbunden, der dringend notwendige Liquidität in die Kassen von CaixaBank spülte.
2012 übernahm sie mit Banca Cívica einige mit einem Regierungs-Notprogramm vor der Insolvenz bewahrte Provinz-Sparkassen. 2013 folgte – nach kräftiger Stützung aus der Staatskasse – das Banco de Valencia. 2015 folgte die Übernahme von Barclays España und 2017-18 die portugiesische BPI. Das wurde möglich, weil sie ebenfalls 2018 einen großen Teil der wegen unbezahlter Kredite in das Eigentum der Bank geratenen Immobilien an einen US-Investmentfonds abstoßen konnte.
CaixaBank ist also – ähnlich wie Santander – eine Bank, die ins Strudeln geratene Banken mit kräftiger Unterstützung durch Staatskasse und EZB aufkauft, um sich dadurch größer und immer unentbehrlicher – und dadurch im Notfall stützungswürdiger – zu machen. Sie betreibt also mit politiökonomischer Stützung das Ziel, zu einem iberischen und dann vielleicht europäischen Bankgiganten zu werden.
CaixaBank war aber auch eine der geschädigten Banken durch die Unabhängigkeitsbemühungen in Katalonien. Als eine der großen katalanischen Banken (neben Sabadell) verlegte sie ihren Sitz nach Valencia. Sie verlor viele Einlagen, weil Kunden in und außerhalb Kataloniens aus Besorgnis über die Zukunft der Bank ihre Konten auflösten und zu anderen Banken abwanderten. Ihre Anleihen rutschten auf den Börsen ab.
Jetzt, 3 Jahre später, hat sich der Staub über die ganze Aufregung gelegt, die Unabhängigkeits-Anhänger sind verstummt bzw. langweilen ihre Umwelt nur mehr, und CaixaBank schickt sich an, zur größten Bank Spaniens zu werden.

3. Bankia

Bankia war eine sehr teure Mißgeburt, die aus dem Versuch entstand, die ganzen vor dem Aus stehenden spanischen Sparkassen irgendwie wieder flott zu machen. Erst wurden 7 oder noch mehr Kassen fusioniert. Dann wurden mit einer Art Aschenbrödel-Auswahl die besonders schlechten Aktiva irgendwo versteckt und die angeblich etwas besseren zusammen mit den Einlagen zu Bankia vereint und an die Börse gebracht – im Jahre 2011. Der Dirigent dieser ganzen Operation, der ehemalige IWF-Direktor Rodrigo Rato, vertraute auf positive Prophezeiungen von IWF, Weltbank und ähnlichen Institutionen, die eine baldige Erholung der Finanzmärkte voraussagten, – und vermutlich auf Gott, er ist ja Mitglied der PP.
Der Börsengang wurde nach allen Regeln der PR-Kunst beworben und die Bankia-Aktie als eine Art Volksaktie hingestellt. Alle Schichten sollten sich an diesem Börsengang beteiligen.
Nach einer kurzen Phase der Euphorie, wo alle sich gegenseitig auf die Schulter klopften, trat im Mai 2012 der Direktor Rato zurück, Bankia wurde verstaatlicht und von der Börse entfernt, nachdem sich die Aktie in einen Sturzflug begeben hatte.
Seither hat Bankia unzählige Gerichtsverfahren hinter sich. Geschädigte haben in Sammelklagen einiges an Geld erstritten, und Rato sitzt heute im Gefängnis, nachdem er wegen Unterschlagung zu 4 Jahren verurteilt wurde, weil er unter den Spitzenbankern in einer Vorgänger-Sparkasse eine Art Selbstbedienung an den Geldvorräten der Bank eingerichtet hatte.
Bankia schleppt sich seit 2012 mit unzähligen staatlichen Geldspritzen weiter, kann wegen der vielen Spareinlagen und Verbindlichkeiten nicht zugesperrt werden und stellt ein Faß ohne Boden im spanischen Staatshaushalt dar.

4. Eine sehr begrüßte Privatisierung

CaixaBank werden Rosen gestreut, daß sie diese Ruine übernimmt, ihr ihren (noch) guten Namen umhängt und sich um den Sanierungsfall kümmert. Natürlich kann die fusionierte Bank mit weiteren Geldspritzen rechnen, auch die EZB steht bereit. Hauptsache, Bankia ist weg vom Fenster.
Die Aussichten sind dabei gar nicht rosig:
„Der Rückgang der Margen war bereits seit Jahren ein Problem (2016 trat der Euribor in den negativen Bereich ein), aber die durch die Pandemie verursachte Wirtschaftskrise hat mittelfristig zu einem Rückgang des Einkommens und einem Anstieg der notleidenden Kredite geführt.
Wieder der perfekte Sturm, der an 2008 erinnert, aber mit viel mehr Kapital und damit Zahlungsfähigkeit. Laut Finanzquellen, die Anonymität verlangen, würden CaixaBank und Bankia unter anderem im Jahr 2021 Verluste erleiden, wenn sie den Zusammenschluss nicht unterzeichnen.“ (Ebd.)
Was natürlich nicht heißt, daß sie als fusionierte keine Verluste machen werden.
8-10 000 Angestellte sollen möglichst schnell entlassen werden, die Kosten dafür schlagen sich wieder im Budget zu Buche: die Pensions- und Sozialkassen Spaniens sind nämlich ziemlich leer.

Der europäische Banksektor in der Pandemiestarre – Teil 2

BANKENSUBVENTIONIERUNG DURCH STEUERGELD

1. Was sind diese Cum-Ex-Geschäfte und wie wurden sie ermöglicht?
„Was für Landwirte eine Heuschreckenplage ist, sind für die Steuerzahler die so genannten Cum-Ex-Geschäfte. Mindestens zehn Jahre lang bedienten sich Banken und ihre besten Kunden mit den trickreichen Deals aus der Steuerkasse.
Die Geschäfte sind kompliziert, das Prinzip einfach. Eine nur einmal abgeführte Kapitalertragssteuer wurde mehrfach erstattet. Obwohl die Lücke im Steuerrecht spätestens seit 2002 auch der Politik bekannt war, brauchte der Gesetzgeber bis 2012, um sie zu schließen. In der Zwischenzeit zahlte der Fiskus munter weiter aus – der geschätzte Schaden liegt bei zwölf Milliarden Euro. Inzwischen befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags mit dem Thema.“ (Handelsblatt, Stichwort Cum-Ex)

Verschiedenste Banken haben Wertpapiere – die nicht einmal diesen Namen verdienen, weil sie vor allem digital existieren – unter Benutzung verschiedener Strohmänner untereinander herumgeschoben, und dann damit Steuerbetrug gemacht, indem sie sich eine 1x gezahlte Steuer mehrfach zurückerstatten ließen.

Die erste Frage, die sich stellt, ist: Warum können sich Wertpapierbesitzer Steuern auf Wertpapiere so einfach zurückerstatten lassen?
Welche Bestimmungen ermöglichen so einen Unsinn? Warum wird dann überhaupt eine Kapitalertragssteuer (KEST) in der Höhe von X % eingehoben?

Eine Bestimmung, und die einzige, die irgendwie sinnvoll erscheint, ist die, im Ausland lebende Kapitalbesitzer vor Doppelbesteuerung zu schützen. Es geht in diesem Fall also um die Teilung der Steuerleistung zwischen verschiedenen Staaten.
Schon diese Bestimmung lädt zu Steuerbetrug ein, weil eine woanders nicht gezahlte Steuer als gezahlte ausgewiesen werden kann, ohne daß die entsprechenden Finanzämter die Kapazitäten hätten, das zu überprüfen.
Generell sind diese Bestimmungen für Rückerstattung der KEST derartig unklar, daß es nur geschulten Wirtschaftsjuristen gelingt, sie zu durchschauen. Dieses Wissen wurde dann für den Steuerbetrug genutzt.
Aber allein die Möglichkeit der Rückforderung von KEST soll offenbar den Spekulanten den Rücken stärken, und möglicherweise mehr gesellschaftliches Vermögen für die Wertpapierspekulation anziehen.

Die zweite Frage ist: Warum haben die Finanzämter den Betrug nicht gemerkt?

Das liegt erstens daran, daß die Bestimmungen für die Rückerstattung schon absichtlich so abgefaßt worden sind, daß sich kein Schwein dabei auskennt. Sie sollten ja in Anspruch genommen werden, damit Spekulation auch noch durch Steuergeschenke belohnt wird.

Zweitens liegt es daran, daß die gesamten staatlichen Verwaltungen in den letzten 2 Jahrzehnten „abgespeckt“ und „verschlankt“ wurden, begleitet von einer medialen Verteufelung der Beamten, die auf der faulen Haut liegen und der arbeitenden Menschheit das Blut aus den Adern saugen.
Durch digitale Datenverarbeitung können man ja sooo viele Leute einsparen, frohlockten alle möglichen liberalen Sparefrohs und so macht heute in den meisten Ämtern eine Person die Arbeit, für die es eigentlich zwei bräuchte, weshalb oft Verzögerungen eintreten und man auf Bescheide ewig warten muß.

Drittens scheint es auch Weisungen gegeben zu haben, hier zügig zu arbeiten und nicht so genau zu schauen, um die Lieblinge der Nation nicht auf ihr wohlverdientes Geld warten zu lassen.

2. Die Dimensionen

„Laut »Panorama« und »Zeit« soll es um mindestens 31,8 Milliarden Euro gehen.
Obwohl der Cum-Ex-Markt riesig gewesen sei – mehr als 100 Banken stehen im Verdacht, derlei Geschäfte zulasten des Steuerzahlers getätigt zu haben – seien es nur sehr wenige Personen gewesen, die die Fäden gezogen haben … Eine besondere Rolle spielte dabei der Finanzplatz London. … Eine Bande von nur einem knappen Dutzend Londoner Investmentbankern verursachte den Großteil des Milliardenschadens.
Die mutmaßliche Bande handelte nicht nur auf eigene Rechnung, sondern bot das Cum-Ex-Geschäft auch Dritten an. Um welch riesige Summen es dabei ging, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2011. Damals führte die Londoner Gruppe Aktientransaktionen für zwei Cum-Ex-Fonds des Luxemburger Fondsanbieters Sheridan durch, in die unter anderem Carsten Maschmeyer, Drogerie-Unternehmer Erwin Müller und Schalke-Boss Clemens Tönnies investierten. … Laut Ermittlungsakten handelten Londoner Broker allein für zwei Cum-Ex-Fonds rund um den Dividendenstichtag mit mehr als einer Milliarde deutscher DAX-Aktien im Wert von über 47 Milliarden Euro.
Im Fall dieser Fonds verwehrte das Bundeszentralamt für Steuern allerdings am Ende die Auszahlung mehrerer hundert Millionen Euro an Steuern und löste so die staatsanwaltlichen Ermittlungen um den größten Steuerskandal der Bundesrepublik aus.“ (Tagesschau, 24.3. 2019)

Man sieht hier, was heutzutage „Investmentbanking“ heißt: Mit Tricks aus irgendwelchen staatlichen Töpfen Geld abzuziehen.

Man erfährt aus diesem Artikel jedenfalls, warum die Sache aufflog: Die oberste Steuerbehörde war nicht mehr willens, ausländisches Finanzkapital in dieser Art zu kreditieren.

Es krachte aber bereits etwas früher im Gebälk, um 2007 herum:

„Allerdings wurde der Finanzindustrie mulmig, schließlich hing die Depotbank des Aktienkäufers mit drin … und stellte munter Steuerbescheinigungen aus auf Beträge, bei denen niemals sicher war, ob sie überhaupt gezahlt wurden. Sie fürchteten ein »Haftungsrisiko«, deshalb schlug der Bundesverband deutscher Banken Alarm. Allerdings eher um die Banken aus der Schusslinie zu holen, weniger um die Geschäfte ganz zu unterbinden.“ (FAZ, 13.6. 2016)

Nach einer Gesetzesänderung von 2007 wurde der Cum-Ex-Schwindel dann richtig international, was die Plausibilität der Rückforderung erhöhte und die Überprüfung derselben erschwerte.
Als dem mit einer neuerlichen Gesetzesänderung 2012 endgültig abgestellt werden sollte, änderten die Banken die Form des Umherschiebens von Wertpapieren – und machten noch größere Geschäfte.
Auch die Commerzbank soll sich daran beteiligt haben. (Ebd.)

Die Sache ist noch längst nicht in ihrem ganzen Umfang erfaßt:

„Die Staatsanwaltschaft durchsucht Büros des Bankenverbandes. Der Verdacht: Die Finanzbranche hat bei einem der größten Steuerskandale kräftig lobbyiert. Tatsächlich bezahlten sie sogar eine Schlüsselfigur im Bundesfinanzministerium.
An diesem Dienstag bekam der Bundesverband deutscher Bankenverband unangenehmen Besuch von der Staatsanwaltschaft Köln. Die Beamten durchsuchten Büros in Berlin und Frankfurt, um Material in einem der größten Steuerskandale Deutschlands zu finden.
Es geht um die berüchtigten Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich Investoren zusammen mit trickreichen Beratern und willigen Finanzinstituten allein in Deutschland schätzungsweise zehn Milliarden Euro aus der Staatskasse ergaunerten.“ (Wirtschaftswoche, 4.8. 2020)

Halten wir den bisherigen Wissensstand fest:

Zwischen 10 und 31,6 Milliarden Euro wurden durch betrügerische Wertpapiergeschäfte und Steuer-Rückzahlungen aus der deutschen Staatskasse entnommen.
Darin waren sowohl deutsche als auch ausländische Banken verwickelt.
Diese Geschäfte, die seit Anfang dieses Milleniums liefen – andere sehen die Anfänge bereits in den 70-er Jahren – wurden durch Mithilfe mindestens eines Beamten, vermutlich aber mehrerer hoher Finanzbeamter ermöglicht.

Die EU, die ständig sowohl innerhalb (z.B. gegenüber ex-sozialistischen EU-Mitgliedsstaaten) als auch außerhalb ihrer Grenzen, zuletzt im Fall des Libanon laut „Korruption!“ schreit und sich zum Hüter von Recht und Ordnung erklärt, hätte hier einigen Handlungsbedarf.

Und Deutschland noch mehr, schließlich haben sich auch ausländische Individuen und Unternehmen am deutschen Staatssäckel bereichert.

Wie steht es darum?

3. Die Reaktion der Politik

Man merkt der Herangehensweise an, daß die Aufklärung und strafrechtliche Abwicklung keine Chefsache ist:

„Bis heute kommt die strafrechtliche Aufarbeitung des Skandals nur zögerlich voran. Es gibt zwar ein erstes Strafurteil, doch das Gros der Fälle ist noch in Arbeit. Das liegt auch am mangelnden Personal. Rund zehn Staatsanwälte und einige LKA-Beamte und Steuerfahnder müssen sich um knapp 70 Ermittlungskomplexe mit 900 Beschuldigten kümmern.“ (Handelsblatt, 7.9. 2020)

Gerade dem Finanzminister ist anzumerken, daß er diese Betrugsgeschichten eher als Kavaliersdelikt unter den Tisch fallen lassen würde:

„Die Hamburger Warburg-Bank war in den Jahren 2007 bis 2011 in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt, bestreitet aber jede rechtswidrige Absicht. Sie war im Januar 2016 wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung durchsucht worden. …
Die Stadt Hamburg habe spätestens seit 2016 von einem Anspruch gewusst, die Finanzbehörde der Hansestadt sei zudem darüber sowohl vom Bundesfinanzministerium als auch von der Staatsanwaltschaft Köln unterrichtet worden, berichteten die beiden Medien. Die Finanzverwaltung habe die Rückforderung für das Steuerjahr 2009 jedoch Ende 2016 verjähren lassen. …
Hamburger SPD-Spitzenpolitiker sollen sich trotz der Ermittlungen gegen die Bank den Berichten zufolge mit Christian Olearius, dem Inhaber und ehemaligen Chef der Warburg-Bank getroffen haben.“ (Spiegel, 13.2. 2020)

Es ging damals um rund 90 Millionen Euro, auf die die Stadt Hamburg verzichtete.

„Vermutlich auch um jeglichen Verdacht von Verstrickung zu entkräften, stellte der Finanzminister nun eine Gesetzeskorrektur in Aussicht. Durch sie soll die Einziehung von Gewinnen aus diesen Betrugsfällen auch nach einer steuerlichen Verjährung sichergestellt werden.“ (Spiegel, 9.9. 2020)

Man sieht, zunächst war vorgesehen, sich kommod der Verjährungsbestimmung zu bedienen, um Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Hier geht es nicht einfach um ein paar windige Banken, korrupte Politiker und bestochene Beamte.
Der ganze Wertpapierhandel, die Steuerbegünstigungen desselben, das Funktionieren der Börse, und schließlich die Schulden, faulen Kredite und sonstigen Probleme der Banken in Deutschland und im Euro-Raum sind in diese Cum-Ex-Geschäfte verwickelt.
Schließlich halten sie sich seit 12 Jahren nur mit windigen Geschäften und milliardenschweren Stützungen über Wasser. Und an diesen Riesen auf tönernen Füßen hängt die gesamte Wirtschaft des Euro-Raumes.

Weder die Politik noch das Finanzkapital wollen, daß da jemand zu genau nachschaut.

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Fortsetzung: SPANIEN