Pressespiegel El País, 18.2.: Gesundbeten mit viel Mühe

„DIE STAATSVERSCHULDUNG SPANIENS STEIGT 2020 AUF 117,1% DES BIP, DEN HÖCHSTEN STAND SEIT DEM KRIEG IN KUBA

Die Verschuldung der öffentlichen Hand nahm im vergangenen Jahr mit der höchsten Geschwindigkeit der Demokratie (also seit 1977) zu

Die Schulden der öffentlichen Institutionen schlossen 2020 mit 1,311 Billionen Euro ab, was 117,1% des BIP entspricht. Dies geht aus der am Mittwoch von der Spanischen Nationalbank veröffentlichten Bilanz hervor.
Die Pandemie hat der Wirtschaft einen brutalen Schlag versetzt, der durch einen starken Anstieg der öffentlichen Ausgaben und damit der Verschuldung ausgeglichen wurde. Dank der ERTE (Entlassungen mit staatlicher Unterstützung für die Abfindungen) und Arbeitslosenunterstützung betrug der Rückgang der privaten Haushaltseinkommen weniger als die Hälfte der Schrumpfung des BIP. “
D.h., der Einkommensverlust der Bevölkerung wurde teilweise durch die öffentliche Verschuldung aufgefangen.
„Dem steht jedoch eine explodierende öffentliche Schuldenlast gegenüber: In nur einem Jahr ist sie um 122 Milliarden Euro gestiegen, praktisch das, was die Sozialversicherung in einem Jahr für Pensionen ausgibt. Laut der Aufzeichnungen der Spanischen NB ist dies der drittgrößte Anstieg der Schulden in Euro, der seit 1977 produziert wurde.
{Im Jahr 2012 stieg die Verschuldung mitten in der Eurokrise und anläßlich des finanziellen Rettungspakets um 146 Milliarden.
Im Jahr 2009, mit dem Ausbruch der Finanzkrise, dem Zusammenbruch der Bautätigkeit und dem Plan E (Spanischer Plan zur Belebung von Wirtschaft und Beschäftigung 2008), stiegen die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand um 128 Milliarden Euro.}
Mit einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität um 11% im vergangenen Jahr macht die Verschuldung im Verhältnis zum BIP den größten Anstieg seit 1977 durch. Sie steigt um 21 BIP-Punkte. …
Die Verschuldung wird normalerweise im Verhältnis zum BIP gemessen, da auf diese Weise die Zahlungsfähigkeit des Landes beurteilt werden kann. Die Verschuldung der öffentlichen Hand erreichte seit 1902 nicht mehr die Höhe von 117% des BIP. Damals war sie aufgrund der Folgen des Krieges um Kuba und der globalen Krise der Agrarpreise 128% des BIP gestiegen. Im folgenden Jahr, 1903, fiel sie auf 114%, nachdem ein Teil der Schulden, die der Staat bei der Spanischen Nationalbank hatte, gestrichen worden war, erklärt der Wirtschaftshistoriker Francisco Comín.“

Daran sieht man den Unterschied zwischen interner und internationaler Staatsverschuldung: Bei ersterer ist eine Schuldenstreichung möglich – international wäre es eine Art Kriegserklärung.

„Entwicklung der spanischen Staatsschuld:

Renommierte Wissenschaftler wie der frühere Chefökonom des IWF, Olivier Blanchard, argumentieren nun jedoch, dass angesichts der Aussicht auf längerfristige Niedrigzinsen eine höhere Verschuldung nachhaltig sein könnte.“

Das ganze Blabla um „Nachhaltigkeit“ von Schulden lebt vom Ideal eines plan- und steuerbaren BIPs und Wachstums, was in die Welt der Wunschträume von Ökonomen und Finanzministern gehört.
Entweder »invisible Hand« oder Planwirtschaft!

„Tatsächlich hatte die Hälfte der Schuldverschreibungen des Finanzministeriums im vergangenen Jahr negative Zinssätze, d.h., der Staat kassierte von Anlegern, die keine anderen genügend sicheren Vermögenswerte fanden, um ihre Liquidität zu plazieren.
Die EZB-Käufe aufgrund der Pandemie erklären, warum dies geschieht. Im vergangenen Jahr hat die Eurobank auf dem Sekundärmarkt einen Betrag erworben, der dem gesamten Anstieg der von Spanien registrierten Schulden entspricht.“
Mit einem Wort, die EZB hat voriges Jahr die gesamten Schuldverschreibungen Spaniens aufgekauft.
„Viele Ökonomen warnen davor, dass diese Verschuldung sehr hoch, und die spanische Wirtschaft einem Schock oder Turbulenzen auf den Märkten ausgesetzt ist.“
Es fragt sich, warum das den besorgten Ökonomen jetzt auffällt? Die Verschuldung war vorher ja auch sehr hoch.
„Es würde ausreichen, wenn die EZB aufhören müsste, so viel zu kaufen, um dies an den erhöhten Zinsen für die neu ausgegeben Anleihen zu spüren.“
Warum sollte die EZB das Gegenteil dessen „müssen“, was sie seit Jahren tut?
Die besorgten Ökonomen nehmen nicht zur Kenntnis, daß die Finanzierung durch die EZB notwendig ist, um Staatspleiten zu verhindern und dadurch den Euro zu retten.

„Daher haben sowohl die Spanische NB als auch die Steuerbehörde wiederholt gefordert, dass ein mittelfristiger Plan zum schrittweisen Abbau der öffentlichen Schuld erstellt werden muß, sobald die Pandemie vorbei ist.“
Abgesehen davon, daß die Pandemie vielleicht nie ganz vorbei sein wird, aber wie sollten denn die Schulden abgebaut werden? Das ginge nur, wenn auf alle neu ausgegebenen Anleihen Negativzinsen verlangt würden, und es ist unwahrscheinlich, daß die Finanzinstitute das mitmachen.
Aber wer weiß …

„Die Zinsen für die Staatsschuld belaufen sich auf rund 26 Milliarden Euro und stellen nach Renten und Gehältern der Beamten den drittgrößten Budgetposten des Staates dar. Vor acht Jahren lag die Rechnung bei 35 Milliarden und drohte noch mehr zu explodieren. Daher waren Sparmaßnahmen erforderlich.“
Da ist ja – vermutlich vor allem durch Null- und Negativzinsen – schon einiges abgebaut worden, Hut ab.
„Bis Mario Draghi mit seinem Satz »Ich werde tun, was nötig ist« intervenierte und die Zinsdifferenzen zwischen den Ländern, die sogenannten Risikoprämien, verringerte.
Die Regierung hat alles getan, dass die Verschuldung nicht 120% des BIP erreicht.“

Das ist offenbar eine magische Zahl, obwohl nicht abzusehen ist, warum 3% mehr den Unterschied ums Ganze machen sollen.
Man könnte doch sagen: Jetzt ist es auch schon wurscht!

„Und das erklärt die Zögerlichkeit beim Anfordern direkter Hilfe. Allein die Kosten für ERTE (Entlassungen mit Abfindung, siehe weiter oben) und die Zuschüsse für Selbstständige beliefen sich im vergangenen Jahr auf fast 40 Milliarden Euro. Trotzdem gab es vor Covid-19 bereits ein Problem mit öffentlichen Bilanzen. Diese schlossen 2019 mit einem Defizit von rund 3% des BIP nach sechs Jahren ununterbrochenen Wachstums. Weder Rajoys Steuersenkung noch Sánchez’ „soziale Freitage“ (= soziale Maßnahmen, die am Freitag nach Schließung des Parlamentes beschlossen werden) oder die Erhöhung der Renten haben dazu beigetragen, die Haushaltslücke zu schließen.“
Dafür waren diese Maßnahmen auch alle nicht gedacht.
Der Verfasser dieses Artikels hält Erhöhung von Pensionen und Mindestlöhnen anscheinend für schädlich und verantwortungslos.

„Wie Comín erklärt, hatte Spanien immer Probleme, Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Mit Ausnahme einiger Perioden der Franco-Diktatur und mit Fernández Villaverde als Minister zu Beginn des letzten Jahrhunderts hat der spanische Staat fast nie Überschüsse in Folge verzeichnen können. Die Regierung von Zapatero war einige Jahre lang erfolgreich, aber die Krise von 2008 zeigte, dass sie auf den durch die (Immobilien-)Blase angeschwollenen Einnahmen beruhte.
Die schwierige Aufgabe, Einnahmen und Ausgaben auszugleichen
In der neueren Geschichte Spaniens war der Abbau der Verschuldung gegenüber dem BIP auf vier Arten möglich:
Erstens, durch Abstimmung mit der EU und Privatisierungen, wie dies die Regierungen von Felipe González und José María Aznar taten. Heute ist allerdings das Wachstumspotenzial der Wirtschaft ohne Reformen recht gering, und der Staat kann nur noch sehr wenig zum Verkauf anbieten.“

D.h., Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, von der EU gewollt und in Staaten wie Spanien mit Entlassungen und Arbeitsplatzverlusten verbunden, wie z.B. bei den Werften und beim Bergbau. Damit wurden zwar Schulden abgebaut, aber die Wirtschaft schrumpfte.

„Zweitens durch die Erhöhung der privaten Verschuldung, die das BIP erhöhte und die Schuldenlast verringerte, wie dies während der Amtszeit von José María Aznar und José Luis Rodríguez Zapatero der Fall war. “
Man schwatzt also den Menschen Kredite für Wohnbau und Konsumakte auf, die das Wirtschaftswachstum erhöhen, zu Lasten der Kreditnehmer. Dieses System platzte 2008, was nicht heißt, daß die private Verschuldung zurückging:
„Derzeit ist die private Verschuldung jedoch so hoch, dass für diese Option kein Platz mehr bleibt.
Der dritte Weg besteht darin, Banknoten zu drucken und Inflation zu erzeugen, was von Madrid aus nicht mehr möglich ist, da diese Macht in Frankfurt in den Händen der Europäischen Zentralbank liegt.“
Sehr altmodisch, die Ausdrucksweise, und dümmlich auch.
Erstens wird die Geldmenge heute durch Mausklicks erhöht, oder durch die Tastatur, aber nicht mehr durch die Druckerpresse, also mittels Bargeld. Zweitens macht das die EZB seit Jahren und jammert gleichzeitig, daß sie dabei keine nennenswerte Inflation zustandebringt.
Der Verfasser ruft Textbausteine aus Ökonomielehrbüchern ab und argumiert gegen die Tatsachen.

„Und die vierte Möglichkeit besteht darin, die Schulden … umzustrukturieren. Eine Praxis, die bei weiterer Staatsverschuldung die Zinsen erhöht, und die ebenfalls der spanischen Regierung nicht mehr möglich ist, da Spanien dem Euro-Club angehört.
Dort erhielt die deutsche Doktrin Gültigkeit, die zum Ausgleich der Konten von Südeuropa eine Haushaltskonsolidierung und eine interne Abwertung verlangt, die die Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellt und es nach und nach ermöglicht, Schulden abzuzahlen. Natürlich ist es ein Prozess, der viel mühsamer und langsamer erscheint
– aber der Schein trügt, weil die Schulden ja nicht abgebaut werden, sondern steigen.
„und der vorübergehend durch die Pandemie unterbrochen wurde.“
Wenn die Pandemie nicht wär, so wär Spanien Millionär! Der Autor bedient sich des Verweises auf die derzeitigen Umstände, um an seinen Illusionen über Schuldenabbau festzuhalten.
Außerdem ist hier zu bemerken, daß gegen die deutsche Doktrin auch nichts gesagt werden soll, ganz im Gegenteil, sie wird indirekt sogar gelobt.

„Allerdings verfügt Spanien dank der europäischen Solidarität diesmal über finanzielle Mittel, um die Investitionen zu erhöhen und das Wachstum zu steigern mit dem Ziel, diese Schulden zu finanzieren. Aus diesem Grund warnen Experten, dass Spanien diese Ressourcen gut investieren muss, um seine Chancen nicht zu verspielen.
Es ist wichtig, die Glaubwürdigkeit zu wahren
Das Wirtschaftsministerium ist erfreut darüber, dass die Verschuldung unter den im Haushaltsplan geschätzten 118,8% geblieben ist.“
Das ist bei etwas Bilanzkosmetik nicht schwierig, macht aber nur auf Leute Eindruck, die die Spiegelfechterei für das wichtigste Instrument der Finanzpolitik halten.
„Und er führt dies auf die Tatsache zurück, dass sich die Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 besser entwickelt hat. Er betont auch, dass der größte Teil des Anstiegs durch gesamtstaatliche Zahlungen aufgrund von Beihilfen wie ERTE (Abfindungen, siehe oben) und den 16 Milliarden, die an die Gemeinden überwiesen wurden, erfolgt ist, zur Deckung der durch die Pandemie entstehenden Kosten.“
Das Wirtschaftswachstum entstand also durch staatliche Zahlungen, die auf Schulden beruhen.
Der Unterschied zur vorherigen Krise besteht darin, dass Europa diesmal schnell reagierte. Dennoch ist es wichtig, die Glaubwürdigkeit der Anleger aufrechtzuerhalten. »Der bloße Eintritt von Draghi in die italienische Regierung hat die Risikoprämie Italiens erheblich gesenkt. Es hilft jedoch nicht, Nachrichten des Inhalts nach draußen zu senden, daß sie Schulden nicht bezahlen wollen, wie die Aufforderung an die EZB, sie zu streichen«, betont Comín.

Der Schein muß also unbedingt gewahrt bleiben, daß alle Schulden gültig bleiben und ordnungsgemäß bedient werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert