Die Weltfinanzbehörde, Fortsetzung

DER IWF, TEIL 2: DIE ENTWICKLUNG DES WELTFINANZSYSTEMS

Der IWF wurde formell im Dezember 1945 gegründet, als die ersten 29 Mitglieder die Satzung unterzeichneten.

Die Gründung einer Art Welt-Bank, in der die Aktionäre gleichzeitig die Kunden sind, diente neben dem Wiederaufbau der kriegsgeschädigten Nationen auch dem Zweck, den Freihandel weltweit zu propagieren, also das Entstehen von Zollschranken als Mittel des Weiterkommens von Nationen zu verhindern und den Kredit zu einem Hebel der Akkumulation zu machen. Der Beitritt zum IWF eröffnete vielen Staaten außerhalb der USA und Europas die Möglichkeit, zu Krediten zu kommen, um in ihren Ländern Investitionen vorzunehmen, von denen sie sich Modernisierung und Prosperität durch Handel und Wandel erwarteten. Die von Amerika eingerichtete Nachkriegsordnung hatte die exklusiven Einflußzonen aufgehoben. Die unabhängig gewordenen Kolonien strebten auf den Weltmarkt, weil ihre Regierungen sich davon ein Gleichziehen mit den ehemaligen Kolonialmächten erwarteten. Der einzige Störfaktor in dieser harmonischen und kredithungrigen Völkerfamilie war die Sowjetunion und ihre Satelliten und Verbündeten, die sich lange der Umarmung des IWF verweigerten.

Das sozialistische Lager war gespalten in seiner Stellung zum IWF, so wie sich eben dieses „Lager“ nach 1945 uneinheitlich gestaltete: Jugoslawien war Gründungsmitglied, ebenso China. Die Tschechoslowakei und Polen traten bei, aber später auf Druck der SU wieder aus.

Jugoslawien blieb Mitglied bis zu seiner Auflösung 1992. Nach dem Bruch mit der SU 1947-48 war das Land nämlich auf den Weltmarkt und seine Institutionen verwiesen.

Im Falle Chinas ging die IWF-Mitgliedschaft nach der Beendigung des Bürgerkrieges 1949 auf Taiwan als Rechtsnachfolger über. China bemühte sich seit den 70-er Jahren verstärkt, Taiwan von diesem Platz zu verdrängen und aufgrund einer Entscheidung im US-Kongress wurde 1980 der Sitz an die VR China übergeben und Taiwan aus dem IWF ausgeschlossen. Hier erwies sich der IWF als geopolitisches Instrument der US-Außenpolitik, die die Gegnerschaft Chinas gegenüber der Sowjetunion und seine Integration in den Weltmarkt honorierte und begrüßte, und dafür seinen alten Verbündeten zurückstufte – angesichts der Tatsache, daß Taiwan bereits völlig in den Weltmarkt und das US-Bündnissystem integriert war, eine rein diplomatische Geste ohne politökonomische Folgen für die abtrünnige Insel.

Die Ummodelung des IWF in den Jahren 1969-73, als die Goldbindung und die fixen Wechselkurse aufgegeben und die Sonderziehungsrechte als eine Art Meta-Währung eingeführt wurden, wird in der Literatur oft als das „Ende“ des „Systems von Bretton Woods“, seine „Aufhebung“, gar sein „Scheitern“ bezeichnet. Das ist eine ganz verkehrte Sichtweise. Die Weltwährungsordnung von Bretton Woods, die nach Beendigung von WK II 1945 in Satzungen gegossen wurde, hatte sich nämlich bewährt und wurde modifiziert, weil manche ihrr Bestimmungen sich aufgrund der Erfolge dieses Systems als Behinderungen erwiesen.

Deshalb sei einmal auf die Leistungen hingewiesen, die dieses vom IWF verkörperte System sich zugute halten kann.

1. Es bewährte sich als Instrument des Kalten Krieges, obwohl es seinerzeit gar nicht als solches konzipiert war. (1944 lebte Roosevelt noch, dessen vorrangiges Ziel die Auflösung exklusiver Einflußzonen der konkurrierenden imperialistischen Mächte war, und der für dieses Ziel die SU als Verbündeten betrachtete. Er hatte richtig erkannt, daß die Führung der SU bereits auf das Ziel der Weltrevolution verzichtet hatte und sich nur mehr der Besitzstandwahrung widmen wollte.) Das System des Beitritts, der Quoten und der Kreditvergabe erwies sich als äußerst taugliches Instrument des „containment“, der Konkurrenz von Einflußsphären und der Ausdehnung des kapitalistischen Dualismus’ von Geschäft und Gewalt: Wer für uns ist, tritt dem IWF bei und beteiligt sich am internationalen Handel. Wer gegen uns ist, bleibt von allen Fortschritten der Wissenschaft und Produktion ausgeschlossen.

2. Mit Hilfe des IWF wurden die Verliererstaaten von WK II als potente Partner für den Export des US-Kapitals und als Bollwerke gegen die SU und ihre Verbündeten ausgebaut. Japan und die BRD hatten 1970 bereits mindestens gleichwertige Positionen mit Frankreich und GB erreicht, ihre Währungen benötigten keine Dollar- und Goldbindungen im bisherigen Sinne mehr. Sie stiegen neben Pfund und Franc zu Weltgeld auf – zwar nicht so universal gültig wie der $, aber dennoch mehr und mehr anerkannt im internationalen Zahlungsverkehr.

3. Dieser wirtschaftliche Erfolg anderer Staaten wird in der nationalökonomischen Literatur oft als „Schwächung“ der USA interpretiert. Das stimmt auch nicht. Gerade dadurch, daß die Verliererstaaten zu imperialistischen Konkurrenten und gleichzeitig Verbündeten der USA erstarkten, gewannen die USA an zusätzlichem Gewicht als Weltmacht. Der Aufschwung Europas und Japans im Wiederaufbau beflügelte das US-Kapital, und gab den USA zusätzliche Mittel in die Hand: Sie erhielten freie Bahn gegenüber denjenigen Staaten, die zur „Dritten Welt“ mutierten. (Vor 1945 war die Teilung der Staaten in erfolgreiche und weniger erfolgreiche, Gewinner und Verlierer weitaus weniger klar. Man denke z.B. an Mexiko unter Lázaro Cárdenas oder an Argentinien in den 30-er und 40-er Jahren. Beide Staaten waren Ziel vieler Emigranten aus den verelendeten und/oder vom Faschismus eroberten Staaten Europas.)

Mit dem IWF beginnt auch die Ära der internationalen Verschuldung, anfangs eher bescheiden, später ausufernd, bis hin zur „Schuldenfalle“, in die diverse Staaten der Reihe nach „hineingetappt“ sind. Der IWF propagierte gegenüber allen Staaten der Welt: Nimm bei mir Kredit auf, in Weltwährung, investier die in Infrastruktur, und dann kommt das Kapital und macht deinen Staat erfolgreich in der internationalen Staatenkonkurrenz! Du hast es in der Hand und ich helf dir!

Kredit in Weltwährung, vermittelt durch den IWF, wurde zum Hoffnungsträger vieler Staaten in Lateinamerika, Afrika und Asien. Deren Schuldtitel, mit dem IWF zusammen abgestimmt, sind heute natürlich fragwürdig, gehören jedoch zu vielen Bankportfolios.

Schulden zahlen oder nicht?

ISLAND UND IRLAND
Der isländischen Regierung wird von Großbritannien und Holland eine Frist gesetzt: Wenn Island nicht innerhalb der nächsten drei Monate die 4 Milliarden Euro zurückzahlt, die der Icesave-Fond der isländischen Landsbanki seinerzeit bei britischen und holländischen Anlegern aufgenommen hat, oder zumindest die Zahlung der Schuld einleitet, so streben diese beiden Staaten eine Klage gegen Island an.
In Island selbst hat sich die Bevölkerung in zwei Referenden gegen die Zahlung dieser Schuld ausgesprochen.
Die Klage – es ist gar nicht klar, wo sie eingereicht werden wird, also welcher Gerichtshof dafür überhaupt zuständig ist – wäre auf jeden Fall ein Präzedenzfall in mehrerer Hinsicht: Es müßte einmal klargestellt werden, in welchem Ausmaß ein Staat für das Treiben seiner Banken verantwortlich gemacht werden kann, und welche Verantwortung die Bankenaufsicht Großbritanniens und Hollands für den Zahlungsausfall von Icesave trifft – sie haben das Agieren dieses Fonds innerhalb ihres Kreditsektors ja zugelassen.
Als GB und Holland 2008 ihre Antiterrorgesetze anwendeten, um isländische Aktiva auf ihrem Territorium zu beschlagnahmen und damit die Zahlungsunfähigkeit Islands und den Bankrott seiner Banken auslösten, gestanden sie damit praktisch ein, in ihrer Bankengesetzgebung gar keine adequaten Mittel zu besitzen, um mit einem Fall dieser Art umzugehen.
Sollte es also zur Klage kommen, so würde mit diesem Streitfall nicht nur völkerrechtliches Neuland betreten, sondern es stünde die gesamte Bankenliberalisierung der letzten 2-3 Jahrzehnte vor Gericht. Und auch die von der Finanzkrise praktisch schon in Frage gestellte Überzeugung, daß Kredit der Hebel des Wachstums sei, das sich auf diese Art und Weise ad infinitum fortsetzen ließe. Also, ob in einer Art von self fulfilling prophecy der Anspruch auf künftigen Profit denselben sozusagen bereits garantieren würde.
Paul Krugman, der gerne Staaten, die ihre Schulden aufkündigen, als „Modell“ für das Handhaben von Schuldenkrisen sieht, vergleicht wieder einmal Island und Irland und schreibt in der NYT:
“Why, it’s almost as if defaulting on debts run up by runaway bankers and letting your currency depreciate works better — even from the point of view of investors — than socializing private-sector losses and grimly sticking with a fixed exchange rate.”
Bei Krugman werden halt leider Äpfel mit Birnen verglichen. Der Umstand, daß Island weder Mitglied der EU noch der Eurozone war, macht hier den Unterschied ums Ganze aus. Es handelt sich nicht um die Frage, ob es gescheiter war, Zahlungsunfähigkeit anzumelden und Schulden zu streichen, als sich mit Hilfe von „Rettungspaketen“ weiter zahlungsfähig zu machen und damit Verschuldungsfähigkeit zu bewahren. Sondern es geht darum, daß man sich eine solche Entscheidung erst einmal leisten können muß. Irland oder Griechenland könnten sie sich aus Rücksicht auf die EU nicht leisten, bzw. die EU selbst kann es sich nicht leisten, ein Mitglied für zahlungsunfähig zu erklären, weil das den Euro ruinieren würde.
Außerdem handelt es sich bei Island mit seinen etwas mehr als 300.000 Einwohnern um eine ganz andere Volkswirtschaft als Irland und die eingeforderten 4 Milliarden sind eine Kleinigkeit gegen die Geldsummen, die beim „keltischen Tiger“ auf dem Spiel gestanden sind, oder auch bei Griechenland auf dem Spiel stehen.
Solche als anti-neoliberal und daher „links“ geltenden Sprüche leisten daher nichts anderes, als dem p.t. Publikum über die Natur des internationalen Kreditwesens, also das, was Kredit und Schulden sind, Sand in die Augen zu streuen.

Ein großes Pyramidenspiel?

ARGENTINISCHE BANKIERS ZUR EURO-SCHULDENKRISE

Anläßlich der letzten Ereignisse in der Eurozone, vor allem der Spekulationen um einen Euro-Austritt haben sich zwei Argentinier, die beim argentinischen Staatsbankrott 2001 live dabei waren, zu Wort gemeldet: Der ehemalige Wirtschaftsminister Roberto Lavagna und der ehemalige Nationalbankchef Mario Blejer.

Lavagna vergleicht Griechenland mit Argentinien und meint, für Griechenland hilft nur eine Umschuldung, also eine teilweise Schuldenstreichung. Bei allen Unterschieden zwischen Argentinien und Griechenland „ist bereits klar, daß sich mit den derzeitigen Beschlüssen keine Verbesserung der Lage herstellen läßt: die Auslandsschuld wächst, die dafür zu zahlenden Zinsen steigen, und die Steuerlast und die soziale Lage verschärfen sich.“
Lavagna, der seit einem Jahrzehnt damit beschäftigt ist, mit den Gläubigern Argentiniens zu verhandeln und Vergleiche zu erzielen, damit Argentinien sich wieder neu verschulden kann – ohne besonderen Erfolg, übrigens, – greift eine heilige Kuh der Finanzwelt an: „Je länger man sich dagegen sträubt zu begreifen, daß diese klassische Formel des IWF nicht funktioniert, um so mehr Schaden wird entstehen, und zwar nicht nur für Griechenland selbst, sondern auch für die anderen Länder mit Zahlungsschwierigkeiten, wie Portugal, Irland, und bald auch Spanien.“
Er meinte weiterhin, daß eine Schuldenstreichung für Griechenland einfacher wäre als für Argentinien, eben wegen der „Unterstützung“ durch die EU. (Er spielt dabei auf das Currency Board an, das Argentinien mit dem IWF eingerichtet hatte und das den argentinischen Peso 1:1 an den $ gebunden hatte, wobei alle Verantwortung bei den argentinischen Behörden lag, und die USA keinerlei Stützungen leisteten.) Er meint, nur nach Befreiung von der Schuldenlast käme ein hochverschuldetes Land wieder zu Wachstum, und präsentiert hierbei Argentinien als Modell.

Lavagna setzt also zwei Eckpfeiler der marktwirtschaftlichen Ökonomie und Ideologie in Gegensatz zueinander: „Schulden müssen bedient werden!“ und „Die Wirtschaft muß wachsen!“ und entschließt sich für das zweitere. (Über die Ergebnisse des argentinischen Wirtschaftswachstums kann man hier nachlesen.)

Es ist völlig richtig, daß diese beiden Prinzipien bei Wirtschaftskrisen einen Gegensatz konstituieren. Es ist allerdings ein Ergebnis der letzten Wirtschaftskrise, daß dieser Gegensatz die Heimatländer des Kapitalismus erreicht hat, die USA und Europa.

Während Lavagna nur die betroffenen Staaten mit ihrer Schuldenproblematik im Auge hat und den Euro als eine einzige Chance für dieselben ansieht, betrachtet Blejer die Auswirkungen, die die Rettungspakete auf das Kreditsystem Europas haben, und nennt das, was derzeit in der EU abläuft, „ein großes Pyramidenspiel“. Er weist darauf hin, daß die Aufgabe des Prinzips der EU, für die gegenseitigen Schulden nicht geradezustehen, die Büchse der Pandora geöffnet habe und jetzt den Stützungszahlungen keine Grenzen mehr gesetzt seien. Jedes Stützungspaket erhöhe die Schuldenlast der betroffenen Staaten und mache es dadurch noch stützungsbedürftiger. „Diese Finanzierung wurde zu Bedingungen gewährt, mit denen angeblich die Schulden gesenkt werden könnten.“ Das sei aber ein Unsinn, sie würden steigen, darin ist sich Blejer mit Lavagna einig.
Er weist auch darauf hin, daß die Stützungsaktionen nicht so sehr den betroffenen zahlungsunfähigen Staaten zuliebe gemacht würden, sondern um das europäische Bankensystem zu stützen, in dessen Tresoren sich nach den „toxischen“ Hypothekarpapieren große Mengen ähnlich fragwürdiger Staatsanleihen angesammelt haben, deren Entwertung die Banken ins Strudeln bringen würde. Diese Wertpapiere müssen jetzt von der EZB aufgekauft, und die Banken mit gutem Geld oder guten Wertpapieren versorgt werden – welche wieder von der EZB bzw. denjenigen Staaten, deren Staatsanleihen noch als solid gelten, kommen müssen. Es wird also immer mehr gutes Geld dem schlechten nachgeworfen.

Bei gewöhnlichen privatwirtschaftlichen Pyramidenspielen, so Blejer, geht irgendwann das Geld aus und die Sache kracht in sich zusammen. Wie schaut es aus bei der EU? Ist hier die Angelegenheit unbegrenzt fortsetzbar?

Da meint er: Das ist keine ökonomische, sondern eine politische Frage, und zwar derart, wie lange die Politiker den Lügen, die sie verbreiten, selber aufsitzen.