Pressespiegel El País 23.4.: Kriegstraumata

„UKRAINISCHE SOLDATEN MÜSSEN SICH OHNE UNTERSTÜTZUNG MIT DEN PSYCHOLOGISCHEN TRAUMATA DES KRIEGES AUSEINANDERSETZEN

Die Behörden des angegriffenen Landes beginnen zu begreifen, daß sie ein Problem ersten Ranges haben, aufgrund von Hunderttausenden Soldaten, die ohne angemessene Unterstützung kämpfen.“

Es stellt sich im Lauf des Artikels heraus, daß es sich um die psychologische Unterstützung handelt, nicht um die militärische.
Obwohl der Autor es durchaus offen läßt, ob nicht vielleicht die militärische auch mitgedacht sein könnte.

„Der Krieg in der Ukraine wird nicht nur an der Front ausgetragen, seine Explosionen und Toten finden sich auch in den Köpfen der Soldaten.
Der größte Konflikt, den Europa seit dem II. Weltkrieg erlebt hat, wird Hunderttausende von Soldaten auf beiden Seiten lebenslang gezeichnet hinterlassen, sagen Experten und Soldaten, die von EL PAÍS interviewt wurden. Auf ukrainischer Seite beginnen die Behörden davon auszugehen, daß die Folgen für die Zukunft, nach der Rückkehr des Militärs in das zivile Leben, ein Problem ersten Ranges sein wird.

In der Ukraine sind jetzt fast eine Million Männer und Frauen in irgendeiner Form in die Verteidigung des Landes eingebunden.
Der ukrainische Generalstab nennt keine konkreten Zahlen, aber militärische Quellen schätzen gegenüber dieser Zeitung, daß fast 500.000 Soldaten Kampferfahrung an der Front haben. Tausende von ihnen leiden bereits an psychischen Störungen, die auf das zurückzuführen sind, was sie miterlebt haben. »Was uns bevorsteht, hat unvorstellbare Ausmaße, und das Land ist darauf nicht vorbereitet«, folgert Robert van Voren, einer der führenden Experten für Psychiatrie in den ehemaligen Mitgliedstaaten der Sowjetunion.“

Um so mehr, als das Gesundheitswesen der Ukraine seit geraumer Zeit ohnehin nur für Zahlungsfähige da war, und sich irgendwo zwischen Leihmutter-Firmen und Biolaboren eingerichtet hat.

„Van Voren ist Exekutivdirektor der »Federation for the Global Initiative in Psychiatry«, einer Organisation, die mit der Verteidigung der Menschenrechte in Russland und Osteuropa verbunden ist.“

Menschenrechte in der Pychiatrie?
Da hätte dieses Institut vermutlich nicht nur in ehemaligen Mitgliedstaaten der SU zu tun, obwohl das offenbar seine Bestimmung ist. Um die Menschenrechte wird sich vor allem in Staaten gekümmert, wo alles nicht so nach Plan für Washington und Brüssel läuft.

„Die Einrichtung, erklärt der Experte, sei vom ukrainischen Justizministerium beauftragt worden, ein Behandlungsprogramm für Kriegsveteranen zu fördern, die im Gefängnissystem des Landes inhaftiert werden.“

Damit wird offenbar gerechnet bzw. es ist schon geschehen. Außerdem gibt es ja Richtwerte aus anderen, verbündeten Staaten:

„Sein Team wird Einheiten für den Einsatz in Gefängnissen mit Methoden ausbilden, die in Großbritannien angewendet werden. »17 % der britischen Veteranen aus Afghanistan und dem Irak sind im Gefängnis gelandet«, betont dieser niederländische Sowjetologe. Angesichts dieser Daten sei das Ausmaß des Problems klar, sagt er.

In der Ukraine gibt es nur ein Zentrum, das auf die psychologische Behandlung von Kriegsteilnehmern spezialisiert ist. Es wurde im Juni 2022 eingeweiht und ist der Armee unterstellt. Sein Gründer, Oberst Oleksandr Vasilkovskij, präsentiert das Charkower Rehabilitations-Zentrum eher als private Initiative denn als staatliche Dienstleistung, da es keine öffentlichen Mittel erhält, sondern auf Spenden angewiesen ist. Diese Klinik wurde in einem ehemaligen sowjetischen Sanatorium am Rande Charkows, 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, eingerichtet. In den neun Monaten ihres Bestehens hat sie mehr als 2.700 Soldaten versorgt, mit einem einwöchigen“ (!) „Betreuungsprogramm, das sie auf die Rückkehr in den Kampf vorbereiten soll.“

Das Hauptziel dieser Klinik ist also, das Kanonenfutter wieder für den Einsatz zu befähigen. Da wird also auch darauf geachtet, daß keine Simulanten versuchen, sich der wichtigsten Vaterlandspflicht zu entziehen.

„Sergej Fjedoretschk wird vorerst nicht an die Front zurückkehren, weil er durch eine Explosion taub geworden ist. Am vergangenen Freitag verabschiedete er sich emotional von Vasilkovskij, nachdem er seine Genesungstage in der Charkower Einrichtung beendet hatte. Seine neue Partnerin, eine Krankenschwester, die ihn im Krankenhaus behandelte, holte ihn ab. Fjedoretschk ist ein Sergeant der Spezialeinheit der Luftwaffe. Er kann kaum sprechen, er sieht aus wie ein Boxer, der nach einem K.o. aufsteht. Aber er lächelt, weil er im Rehabilitationszentrum die erste friedliche Woche seit über einem Jahr hatte.
Vasilkovskijs Ziel ist es, daß das Militär wieder Stabilität gewinnt, damit es sich sicher fühlen kann, wieder zu kämpfen. Sowohl dieser Oberst als auch der Spezialist Van Voren und andere in den letzten Monaten befragte Soldaten stimmen darin überein, daß die Rotationen an der Front weniger häufig sind als nötig.“

Man fragt sich, wer eigentlich entscheidet, wie viele Pausen ein Soldat „nötig“ hat? Und „nötig“ wofür? Für den Soldaten? Für den wäre es das Beste, von der Front dauerhaft wegzukommen.
Oder für den Endsieg? Da sind Kampfpausen ganz schädlich, weil die schwächen die kämpfende Einheit.

„Das bedeutet, daß es Soldaten gibt, die monatelang einem Dauerdruck ausgesetzt sind. »In einer idealen Welt«, betont Vasilkovskij, »sollten Rotationen alle zwei oder drei Monate stattfinden, aber das ist nicht der Fall, weil unser Feind viel mehr Ressourcen hat als wir.«“

Hier wird also von kompetenter und unverdächtiger Seite bestätigt, daß die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann und ihre Leute ohne wirkliche Perspektive an der Front verheizt.
Die „ideale Welt“ ist offenbar eine, in der Dauerkrieg herrscht …

„Das Verfahren zu einem Aufenthalt im Charkower Rehabilitations-Zentrum beginnt an der Front. Dort müssen Militärpsychologen diejenigen Soldaten identifizieren, die unter Panikattacken, Demoralisierung oder Selbstmordgedanken leiden.“

Es fragt sich, was genau unter „Demoralisierung“ zu verstehen ist? Desertationsgefahr?

„In Charkow angekommen, werden diese Männer – eventuell in Begleitung eines Angehörigen – ab sieben Uhr morgens mit verschiedenen individuellen und kollektiven Therapien behandelt: Sie führen unter anderem physiotherapeutische Maßnahmen durch, um den Körper zu entspannen; Übungen in einem Pool bei einer Temperatur von 32 Grad, der den vorgeburtlichen Zustand simuliert;“ (!!!) „Ruheräume mit Aromen, Salzen und auch mit Lasertechniken.“

Ein Wellnesszentrum für ausgepowerte Soldaten, wie neckisch.

„Maxim Baida, seit 2011 Militärpsychiater und verantwortlich für die psychologische Betreuung von Internierten der Charkower Klinik, betont, daß sie sich nicht um Langzeitfälle von posttraumatischer Belastungsstörung kümmern können, der häufigsten psychischen Erkrankung, unter der Soldaten in jedem Krieg leiden.
Ihre Priorität ist, daß sie ohne Albträume wieder einschlafen, daß sie aufhören, sich für ihre toten Kameraden schuldig zu fühlen und vor allem, daß sie ihre Angst verlieren, wann sie an die Front zurückkehren müssen, wenn sie die Straße entlang gehen, – oder wenn sie von Zukunftsängsten angesichts einer äußerst ungewissen Zukunft gequält werden.“

Na, da hat der Psychologe sicher viel zu tun und das in nur einer Woche!

„Julija Sobolta ist Therapeutin beim DoLadu-Projekt, das sich um Verwundete in Militärkrankenhäusern in Kiew kümmert. Sobolta arbeitet seit 2017 einen Monat lang mit Soldaten, während sie ins Krankenhaus eingeliefert werden. In DoLadu arbeiten sie nicht grundlegend an den Traumata, die die Soldaten erleiden. Sie konzentrieren sich darauf, Patienten zu stabilisieren, ihnen Entspannungstechniken näherzubringen, sobald sie an die Front zurückkehren, und Meditation – etwas, das das Militär zum ersten Mal akzeptiert. »Es ist immer noch etwas ungewöhnlich, weil die Ukraine eine konservative Gesellschaft ist, die vom orthodoxen Christentum beeinflusst ist, und Meditation als eine von außen kommende religiöse Praktik angesehen wird«, sagt er.“

Meditation und Entspannungstechniken im Schützengraben und unter Raketenbeschuß – sehr innovativ.
Auch bei DoLadu (was soviel heißt wie „Wieder ins Lot bringen“) steht offenbar die Wiederherstellung der ramponierten Wehrtauglichkeit im Vordergrund.

„Sobolta weist darauf hin, daß die Haupttraumata unter den Soldaten die Schuld wegen verlorener Freunde ist, sowie in einer zivilen Umgebung überleben zu können, und nicht bei ihren Kameraden zu sein.“

Das ist etwas erklärungsbedürftig. Also erstens, wenn es an der Front einen Kameraden erwischt, so geben sich diese Patienten selbst die Schuld. Warum er und nicht ich?
Zweitens, die begründete Sorge, daß man nach allem, was man an der Front erlebt – und auch getan – hat, vielleicht nicht so einfach mehr in ein Leben als Ehemann, Sohn, oder in den Beruf zurückfindet.
Der 3. Punkt wirkt etwas aufgesetzt und soll anscheinend dem ausländischen Journalisten klarmachen, daß alle ukrainischen Soldaten ihre Landesverteidigung und die Kameradschaft im Schützengraben über alles stellen.
Aber im Zusammenhang mit Punkt 2 ist auch klar, daß das zivile Leben vorher und die Monate an der Front zwei Wirklichkeiten schaffen, die nur schwer miteinander vereinbar sind.
Die Mitarbeiter von DoLadu

„haben auch ein neues Problem in Bezug auf diejenigen entdeckt, die im Donbass-Krieg (seit 2014) gekämpft haben (…): »Jetzt sehen wir mehr Hoffnungslosigkeit, sie haben das Gefühl, daß es keinen sicheren Ort gibt, die Unsicherheit betreffend Leib und Leben ist viel größer«.“

Auch das ist etwas unklar.
Im Donbass hatte man als Soldat – oder auch Mitglied eines paramilitärischen Bataillons – das Gefühl, Separatismus zu bekämpfen und konnte ohne große Schwierigkeiten Scharfschützen auf Babuschkas und Kleinkinder schießen lassen.
Der Donbass-Krieg lief nämlich 8 Jahre lang als „Antiterroristische Operation“, man hatte also ein gewisses Rechtsbewußtsein und Gefühl der Stärke. Im Grunde verstieß es allerdings gegen die ukrainische Verfassung, Militär im Inland einzusetzen. Der Großteil der dort im Einsatz befindlichen Soldaten war freiwillig und aus Überzeugung dort.
Heute hingegen steht man einer gut gerüsteten Großmacht und deren Dauerfeuer gegenüber, und auf die Freiwilligkeit wird von der ukrainischen Regierung und Armeeführung auch verzichtet.

„Der Schmerz wegen toter Gefährten

Vjatschislav Melnikov ist 27 Jahre alt und Scharfschütze in einem Infanteriebataillon. Vor dem Krieg war er Maurer. Eine Granate eines feindlichen Panzers traf seine Stellung und die Prellungen, die er erlitt, hinterließen seelische Narben. Er wurde in das Rehabilitationszentrum Charkow eingeliefert, weil er jede Nacht Alpträume hatte und an Zittern in seinen Extremitäten litt. Er leidet unter den Selbstvorwürfen, nicht genug getan zu haben, um Gefährten vor dem Tod zu bewahren.
Er will nicht an die Zukunft denken, weil sie ihm Angst macht, und er erklärt, daß ihm Methoden beigebracht wurden, seinen Kopf auf ein Ziel zu konzentrieren. Sein Ziel ist es, so schnell wie möglich in den Kampf zurückzukehren. »Es ist wichtig, daß ich meine Familie nicht mit dem Hass anstecke, den ich empfinde. Ich möchte diesen Hass an der Front spüren, nicht zu Hause.« Er kann die Zahl der von ihm getöteten feindlichen Soldaten nicht nennen, aber er beteuert mit einem Blick, der Gewalt ahnen läßt, daß es kein Trauma sei, das Leben anderer Menschen beendet zu haben: »Diese Leute marschieren in mein Land ein. Ich bin nicht nach Russland gegangen, um Zivilisten zu töten. Ich beschütze unsere Familien.«“

Vorbildlich. Solche Leute muß man mit allen Mitteln wieder einsatzfähig machen.

„Sobolta betont, Experten, daß die Ukraine viel zu wenig“ (psychologische) „Experten habe: Nach ihren Schätzungen kommt in Militärkrankenhäusern auf 100 Soldaten ein Psychologe. In DoLadu halten sie es für wesentlich, daß dringend neue Gruppen von Experten für militärische psychische Gesundheit ausgebildet werden.“

Eine schwere Aufgabe. Weil die Lust am Töten psychologisch zu vermitteln, setzt erstens Freiwilligkeit bei den solchermaßen „Behandelten“ voraus. Die liegt aber möglichweise nicht vor … Außerdem steht sie in einem krassen Gegensatz zum bisher Gelehrten und Gelebten, wo Mord strafbar ist.
Und dann noch Leute zu finden, die diese schwere Aufgabe der Umerziehung beherrschen …

„Diese Einrichtung (DoLadu) arbeitet mit der Unterstützung der US-Regierung und verweist auf Israel als Referenz.
Die von Olena Selenskaja, der Ehefrau des Präsidenten, geleitete Stiftung hat in Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung ein Programm erarbeitet, durch das sie bereits etwa dreißig Therapeuten im Tel Aviv NATAL-Zentrum für die Behandlung von Opfern in Konfliktgebieten ausgebildet hat.“

Jetzt wird eines für die Behandlung von Tätern fällig.

„Um den Therapieplan für das Charkov-Zentrum zu entwerfen, hat Vasilkovskij Pflegeprogramme für amerikanische Veteranen des Vietnamkriegs studiert. Und er ist überzeugt, daß die Ukraine seit 2014 bereits genug Erfahrung hat, um ihre Experten auszubilden, – mehr als jede NATO-Armee.
Sowohl er als auch die Therapeutin betonen die Bedeutung der Kriegsveteranen des Donbass-Konfliktes, die sich als psychisch belastbarer erwiesen haben. »Diese Männer vermitteln Sicherheit an die Einheit und wissen, wie man sich verhält, wenn zum Beispiel ein Kollege eine Blockade hat«, sagt Oberst Vasilkovskij.“

Es handelt sich vermutlich um eine Blockade beim Töten.

„Das Positive sei, sagt Van Voren, daß die ukrainischen Behörden sich des Problems bewusst seien, weil sie sich seit 2014 damit befassen und sich seit 30 Jahren schrittweise den Standards der EU annähern.
Der Nachteil hingegen sei, fügt er hinzu, ist, daß »psychische Gesundheit nie eine Priorität war«.“

Man fragt sich, was die „psychische Gesundheit“ bei einem Scharfschützen sein soll? Kill, kill, kill – sowas wird doch den Leuten eingehämmert. Und wenn das nicht mehr funktioniert, so sind sie „krank“?

„Nach seinen Schätzungen hat ein Drittel der psychiatrischen Einrichtungen kriegsbedingt geschlossen und viele ihrer Mitarbeiter sind inzwischen Flüchtlinge im Ausland. Auf Seiten der Eindringlinge ist das Problem sicherlich größer, weil sich die russische Psychiatrie isoliert hat und weil die Position ihrer Soldaten schlechter ist, wie Van Voren“ mit Krokodilstränen „erwähnt: »Sie kämpfen in einem anderen Land, in einer Umgebung, in der sie gehasst werden und sie kommen aus einer Gesellschaft, in der die Menschen keine moralische Unterstützung haben.“

Nun ja, das ist natürlich ein Trost: Beim Feind ist alles viel schlimmer, der hat ja nicht einmal die fachliche Unterstützung der EU, der USA, des UK und Israels.

Serie „Lateinamerika heute“. Teil 17: Brasilien und der Weltmarkt

DER TEUFELSKREIS DER SCHULDEN

Der Versuch, über die Schwelle zu schreiten und eine ordentliche Kapitalakkumulation hinzulegen, anstatt sich lediglich Rohstofflieferant für die Industrien der USA und der ehemaligen Kolonialmächte zu bleiben, zeichnet nicht nur Brasilien aus, sondern auch andere Staaten Lateinamerikas.

In Argentinien versuchte Perón eine eigene Industrie aufzubauen, in Mexiko verschiedene Präsidenten der Einheitspartei, die das Land bis 2000 regierte. Auch in Brasilien tat sich diesbezüglich einiges.

Der IWF und seine Schuldner

Neben dem Kapital, das nach 1945 in diese Richtung nördliche Vorbilder aufstrebenden Staaten wie Brasilien strömte – allerdings vor allem, um angesichts des eher schwachen inneren Marktes in Sparten zu investieren, die für den Export wichtig waren –, gesellten sich zunächst beim IWF und dann auch bei privaten Banken aufgenommene Kredite.
Die Verschuldung der Staaten Lateinamerikas, Afrikas und des fernen Ostens nahm Anfang der 70-er Jahre zu, als die Umstellung des IWF von der Goldbindung auf Sonderziehungsrechte die Kreditvergabe des IWF anspornte und die Banken der USA und vor allem Europas aus verschiedenen Gründen zuviel Geld hatten und nicht wußten, wohin damit. Da erschien u.a. Lateinamerika als perspektivenreicher Kunde.

Der IWF wurde mit der Zeit und den Schuldenproblemen als Gläubiger deshalb so wichtig für einen Kreditnehmer, weil der IWF-Kredit eine Art Bürgschaft darstellt: Wenn der IWF ein Land für kreditwürdig hält, so geben die kommerziellen Banken ihm auch Kredit. Wenn also ein Staat auf dem Finanzmarkt Geld aufnehmen will, so muß er sich erst beim IWF verschulden.
Das Geld, das mit dem IWF garantiert und von der kommerziellen Finanzwelt verliehen wird, ist Weltgeld und verschafft demjenigen, der den Kredit erhält, Zugriff auf Waren der ganzen Welt. Das heißt: sowohl auf Konsumgüter als auch auf Produktionsgüter wie Maschinen oder Industrieanlagen.
Außerdem ermöglicht ein IWF-Kredit das Anlegen bzw. die Pflege eines Devisen-, also Weltgeld-Schatzes, mit dessen Hilfe ein Staat die Konvertibilität seiner Währung garantieren kann. Das ist unbedingt notwendig, wenn dieser Staat bzw. seine Regierung ausländisches Kapital anziehen will. Mit der Konvertibilität kann er diesen Kapitalbesitzern garantieren, daß sie ihre Gewinne auch wieder in Weltgeld umwandeln und woanders hin verschieben können.

Der IWF war damals wichtig für Staaten, bei denen wenig Kapital akkumuliert worden war. Diejenigen Staaten, wo das Kapital sozusagen zu Hause ist, brauchten lange Zeit den IWF nicht als Kreditgeber – eher als Türöffner in andere Weltgegenden. Ihre Unternehmen exportierten selber genug Waren, um sich über den Welthandel die nötigen Devisen beschaffen zu können.

Diejenigen, die erst in diesen illustren Klub aufsteigen wollten, hatten vor, über Kredit eine Kapitalakkumulation in die Wege zu leiten. Sie waren von dem Willen getrieben, aus den Gewinnen der mit Kredit geschaffenen Unternehmen den Kredit zu bedienen bzw. auch irgendwann zu tilgen. Und das ist ja auch der Gedanke, der dem Begriff „Entwicklungsland“ zugrundeliegt. Hier geht es darum, den Weg der Entwicklung Richtung Westeuropa oder USA oder auch Australien zu beschreiten.
Wenn das nicht gelingt, so wächst die Verschuldung, und irgendwann einmal ist nicht genug da, um die regelmäßig fälligen Zinsen zu zahlen – geschweige denn, den Kredit zurückzuzahlen und sich damit aus dem Schuldendienst zu befreien.

Zu dieser mißlichen Lage tragen oftmals auch die Rohstoffpreise bei, die den Konjunkturen des Weltmarktes gemäß fallen oder ansteigen. Wenn sie fallen, so verringern sie damit die Einnahmen des Schuldnerstaates, der solche Rohstoffe oder Agrarprodukte liefert, und damit auch seine Fähigkeit zur Bedienung der Schulden – und erinnern ihn damit daran, daß er von seinen Plänen zur Erreichung eines kompletten Kapitalstandortes noch weit entfernt ist.

„Importsubstitution“

In der Literatur zu den Bemühungen der großen Staaten Lateinamerikas, sich in den Kreis derjenigen Nationen einzureihen, deren Währungen auch ohne die Hilfe des IWF konvertibel sind, weil sie auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen nachgefragt werden, wird diese Politik oftmals als das Streben nach „Importsubstitution“ bezeichnet.
Dieser Begriff hat von vornherein etwas Mißbilligendes an sich. Irgendetwas soll „ersetzt“ werden. Und dieses Irgendetwas, der Import, wird sozusagen als die natürliche, sozusagen prästabilisierte Harmonie aufgefaßt. Damit ist gesagt, daß diese Staaten eigentlich importieren sollen, damit die „entwickelten“ Staaten, die mit dem richtigen, dem Weltgeld, ihren Krempel irgendwohin verkaufen können. Wenn Deutschland – und inzwischen auch China – Exportweltmeister sind, so muß es ja auch Staaten geben, die Import-, hmmm, -Champions sind.

Eine Sache ist, Dinge zu produzieren oder nicht zu produzieren. Man denkt zunächst einmal an Konsumgüter. Wenn es keine Fabriken für Waschmaschinen oder Staubsauger gibt, so muß man diese Güter eben aus dem Ausland beziehen.
Das zweite ist aber die Zahlungsfähigkeit. Für diese ganzen Importe muß Weltgeld an Land gezogen werden, d.h., irgendetwas muß aus diesem Land auch hinausgehen. Und wenn ein Staat über wenig Bodenschätze verfügt, oder wenig fruchtbare Erde hat, – was die Handelsbilanz negativ beeinflußt – so bleiben noch Tourismus und Arbeitsemigration, um Devisen an Land zu ziehen.
Und wenn mit all diesen Wirtschaftszweigen immer zuwenig hereinkommt, so bleibt auch nur der Weg der Verschuldung – die sich in diesem Fall nicht aus Ambitionen Richtung wirtschaftliche Entwicklung ergibt, sondern aus einer negativen Zahlungsbilanz.

Diese negative Zahlungsbilanz zu überwinden, ist das, was mit gerunzelter Stirn als „Importsubstitution“ bezeichnet und auch oftmals als gescheiterte Wirtschaftspolitik verbucht wird, – mit dem Verweis auf Schuldenkrisen und natürlich die immer und überall vorhandene und daher auch problemlos als Ursache aller Übel verwertbare Korruption.
Vom IWF wurde daher seit dem Anfang der Schuldenkrisen in Lateinamerika immer wieder empfohlen, die eigene Bevölkerung zu verbilligen und sich im Sinne der „internationalen Arbeitsteilung“ wieder zum Exporteur von Agrarprodukten und Rohstoffen und zum Importeur von Konsumgütern herzurichten und sich in dieser Rolle zu bescheiden.

Die erste Schuldenkrise Brasiliens

„In den 1960er und 1970er Jahren hatten sich viele lateinamerikanische Staaten, insbesondere Brasilien, Argentinien und Mexiko, große Summen an Kapital von internationalen Gläubigern geliehen, um ihre Industrialisierung voranzubringen. … Zwischen 1975 und 1982 ist die Gesamtsumme der Forderungen kommerzieller Banken gegenüber Lateinamerika jährlich um 20,4 % gestiegen. Dieser Umstand führte zu einer Vervierfachung der lateinamerikanischen Auslandsschulden von 75 Milliarden US-Dollar (1975) auf mehr als 315 Milliarden US-Dollar im Jahr 1983, mithin 50% des Bruttoinlandsprodukts der gesamten Region. Der jährliche Schuldendienst (d. h. Tilgungs- und Zinszahlungen) stieg noch rasanter an und erreichte 1982 einen Betrag von 66 Mrd. US-Dollar (nach nur 12 Mrd. US-Dollar im Jahr 1975).
Als … der Ölpreis (in den 70-er Jahren) in die Höhe zu schießen begann, bedeutete dies für viele Länder der lateinamerikanischen Region einen Wendepunkt. Viele Entwicklungsländer befanden sich plötzlich in einem extremen Liquiditätsengpass, weil sie durch die steigenden Rohstoff-“ (will heißen: Energie-)„preise in Zahlungsnot gerieten. Erdölexportierende Länder wurden hingegen mit Finanzmitteln aufgrund der gestiegenen Erdölpreise überschwemmt und investierten das Geld bei internationalen Banken, die dieses wiederum in Form von Krediten in Lateinamerika anlegten (sogenanntes Petrodollar-Recycling). Dadurch akkumulierten sich die Auslandsschulden dieser Staaten über die Jahre gefährlich. Im Anschluss begann die Schuldenkrise, als die internationalen Kapitalmärkte gewahr wurden, dass Lateinamerika seine Schulden nicht mehr zurückzahlen können wird.“ (Wikipedia, Lateinamerikanische Schuldenkrise)

Dazu muß man erwähnen, daß die Rückzahlung von Schulden inzwischen mehr oder weniger als unschicklich betrachtet wird. Der Schuldner soll seine Schulden bedienen und daher den Banken als ständige und verläßlich sprudelnde Geldquelle dienen.
Bei Staaten als Schuldnern heißt das, daß an bestimmten Terminen umgeschuldet wird: Sie nehmen neue Kredite auf, mit denen sie ihre alten zurückzahlen. Formell ist somit die Altschuld getilgt. An diesen Terminen beweist der Staat, daß er über Kredit verfügt und daher des weiteren Kredites würdig ist.

„Dies geschah im August 1982, als Mexikos Finanzminister Jesus Silva-Herzog öffentlich bekannt gab, dass Mexiko seinen Schuldendienst einstellt und den teilweisen Staatsbankrott erklärte.“ (ebd.)

Brasilien geriet also gar nicht in erster Linie deshalb in die Schuldenkrise, weil sich Einnahmen und Ausgaben nicht mehr im vorgesehenen Rahmen hielten, sondern weil sich am Kreditmarkt Mißtrauen gegenüber den lateinamerikanischen Schuldnern breit machte und die Gläubiger Brasilien den Kredit abdrehten.

Wie sich später herausstellte, gab es aber noch andere Faktoren.

Aus dem Vertrag, den Brasilien 1983 mit dem IWF schloß, geht hervor, daß Brasilien mit seiner Industrialisierungspolitik relativ erfolgreich gewesen war. Von einem reinen Agrarexporteur hatte sich Brasilien in eine Ökonomie verwandelt, deren Export zu mehr als der Hälfte aus industriell hergestellten Waren bestand. Der Import bestand neben Produktionsgütern vor allem in Energieträgern, vor allem Erdöl. Und darin lag der eine Grund seiner Schuldenproblematik: Das Erdöl hatte sich sehr verteuert, dadurch flossen Devisen für Energie ab. Zweitens verteuerte sich der Kredit und damit stiegen auch die Schulden. Drittens fielen die Preise der Exportprodukte und sie trafen auf weniger Nachfrage aufgrund von Rezession in den Käuferländern. Das führte zu einem Kursverfall der brasilianischen Währung und zu galoppierender Inflation.

Im Gegenzug zu einem Stützungskredit in nicht genau festgelegter Höhe verpflichtete sich Brasilien, die Inflationsrate und das Budgetdefizit zu reduzieren. Die weiteren Punkte stellen eine Art Wunschzettel dar: Steigerung der Agrarproduktion zum Zwecke des Exports; Stimulierung der unternehmerischen Tätigkeit; maßvolle Lohnpolitik, um „den Arbeitsmarkt zu erweitern“, „Preise, die die Produktion stimulieren sollen“, und in Folge überhaupt eine Freigabe der Preise, also auch für bis zu diesem Zeitpunkt offenbar subventionierte Lebensmittel und Treibstoff. Gleichzeitig sollten die Steuern und Abgaben erhöht und dadurch die Staatseinnahmen erhöht werden.
Dieses und die folgenden Abkommen wurden nie erfüllt – all das konnte sich nicht ausgehen – und der Kredit floß stockend. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme führten zum Ende der Militärregierung, und so – demokratisch und verschuldet – kam Brasilien in den globalisierten 90-er Jahren an.

Die Konfrontation zwischen China und dem Westen

AUF DEM WEG ZUR NR. 1?

Die Konflikte um die Mikrochips, Taiwan, die BRICS, die Allianz mit Rußland, die neue Seidenstraße, Spionageballons, Chinas Einfluß in Lateinamerika und weitere Fronten, die sich aus dem Aufstieg Chinas ergeben.

Bei der Gegenüberstellung fällt auf, daß das, was bei den USA „Marines“ heißt, bei der chinesischen Armee keine Entsprechung besitzt.

Man könnte es mit „schnelle Eingreiftruppe“ übersetzen. Dergleichen Truppen besitzen auch die europäischen NATO-Partner und die Ukraine.

China hält so etwas offenbar nicht für nötig.