Erste Schlußfolgerungen

WAS LERNEN WIR AUS DER ZURECHTSTUTZUNG UND RUINIERUNG ZYPERNS?

Erstens einmal, was die ökonomische Seite der ganzen Angelegenheit betrifft, für die inzwischen das Wort „Rettung“ – korrekterweise – gar nicht erst aufkommt:

1. Sparguthaben sind nicht mehr sakrosankt, sondern die Staaten der Eurozone betrachten das Geld ihrer Bürger als eine Art leihweise überlassenes Staatseigentum, auf das man notfalls zugreifen muß, wenn der Hut brennt, also der Staat selbst in Notstand gerät.

2. Das hat Folgen für den ganzen europäischen Banksektor, wo ja die Banktätigkeit, also die Kreditvergabe an die Höhe der Einlagen gebunden ist. Wenn jetzt das Vertrauen in die Sicherheit der Einlagen sinkt und viele Leute ihre Einlagen abheben und nach Hause nehmen oder ins Ausland überweisen, was in Griechenland und Spanien teilweise bereits geschehen ist, so verlieren die Banken an Spielraum und müssen ihr Geschäft einschränken, oder die ratio zwischen Einlagen und Kreditvergabe ändert sich, sodaß auch jeder Schein einer auf dem tatsächlichen Reichtum der Gesellschaft Bezug nehmenden Grundlage der Kreditschöpfung immer mehr verlorengeht.

3. Banken werden auch nicht mehr notwendig „gerettet“. Während in Irland die größte Bank, die sich mit den Hypothekarkrediten in die Nesseln gesetzt hatte, – die Anglo Irish Bank – im Februar still und heimlich begraben, also aufgelöst wurde – die Schulden trägt jetzt über die Euro-Rettung der irische Staat – und ähnliches Österreich für die Hypo Alpe Adria nahegelegt wurde, so ist jetzt die zypriotische Volksbank (Laiki) dran, die einen guten Teil der Wirtschaftsleistung Zyperns beigesteuert hat.

4. Wir lernen auch, daß Zypern einen „überdimensionierten“ Banksektor hat. Man fragt sich, wann ist ein Banksektor eigentlich „richtig“ dimensioniert? Es gibt kein „richtiges“ Verhältnis zwischen Finanzwirtschaft und anderen Sektoren. Aber mit dieser Behauptung wird so getan, als hätte sich die zypriotische Bevölkerung etwas zuschulden kommen lassen, für das die jetzt büßen muß.
Man sucht vergebens in den Medien nach irgendeiner Äußerung verantwortlicher EU-Politiker, warum ein Land mit einer solchen „überdimensionierten“ Finanzwirtschaft eigentlich seinerzeit in EU und Euro aufgenommen wurde?

5. Die angekündigten Maßnahmen zur Kontrolle des Kapitalverkehrs, die die aufgrund dieser Maßnahmen vorhersehbare Kapitalflucht eindämmen sollen, werden eher das Gegenteil verursachen, und auch den Zustrom ausländischen Kapitals in die Eurozone deutlich verringern.

6. Der Zustrom russischen – und ukrainischen – Kapitals in die Eurozone ist definitiv gestört. Während bisher die russische Unternehmerschaft über Zypern sozusagen ihre Gewinne in Euro umwandelte und dadurch erst zu internationalem Kapital machte – so eine Art Bad oder Taufe in Weltgeld – um sie dann entweder zu Hause oder in der EU zu investieren, so ist dieses Verfahren jetzt einseitig von der EU aufgekündigt worden. Der russische Regierungschef Medwedjew hat das auch deutlich ausgesprochen, indem er gesagt hat, der Euro sei eine gefährliche Währung, in der man eine Menge Geld verlieren könnte.
Die Maßnahmen der EU-Spitze zur Stützung und Stabilisierung des Euro nehmen immer mehr den Charakter anti-ökonomischer Zwangsmaßnahmen an, mit denen Gute belohnt und Böse bestraft werden sollen, wobei alle diplomatischen Gepflogenheiten brüsk aufgekündigt werden. Die zypriotischen Politiker – immerhin ehrbare Absolventen britischer Universitäten – wurden von den sich zur Führungsmannschaft der EU aufgeschwungen habenden deutschen Politikern wie ungezogene Lauser behandelt, die Schule geschwänzt haben und jetzt dafür bestraft werden müssen.

Was alle diese Klarstellungen und der unvermeidliche Zusammenbruch der zypriotischen Wirtschaft noch für Folgen haben werden, wird sich erst herausstellen.

Der Eiertanz um Zypern

GELD RIECHT NICHT
Zypern ist angeblich in der Krise, obwohl man gar nicht so recht weiß, worin diese besteht:
„Was das Land fordere, sei »Solidarität für ein Land, das Opfer des europäischen Beschlusses für einen Schuldenschnitt der griechischen Schulden geworden ist«, sagte Stefanou im staatlichen Rundfunk. Er bezog sich mit den Äußerungen auf die zyprische Überzeugung, dass die Banken des Eurolandes in die Griechenland-Krise hineingezogen worden seien und Zypern dadurch erst in Schwierigkeiten geraten sei.“ (FAZ, 20.1.)
Es ist schon einmal eine interessante Auskunft, daß der Schuldenschnitt Griechenlands, von dem es hieß, er sei rein freiwillig gewesen, die zypriotischen Banken so stark betroffen hat, während offenbar französische und deutsche Banken und Versicherungen ihre Schäfchen rechtzeitig aufs Trockene gebracht haben. Zweitens liegt es aber nicht nur an den Banken, daß der Kredit des zypriotischen Staates in so ein schiefes Licht geraten ist. Die ganze Griechenland-Rettung und Euro-Krise haben nämlich den Blick der Finanzwelt auf die Geschäftsgrundlage dieses Staates gelenkt – und die besteht außer Tourismus und etwas Halloumi-Käse vor allem darin, ein Offshore-Gebiet für russisches – und, wie auch inzwischen durchsickert, europäisches – Kapital zu sein:
„Der Bundesnachrichtendienst (BND) stellt Zypern in einer Untersuchung ein vernichtendes Urteil aus. In einem geheimen Bericht legt der Auslandsgeheimdienst den Schluss nahe, dass von den Hilfsmaßnahmen, die die Europäische Union dem Land möglicherweise schon bald zahlen wird, vor allem Inhaber russischer Schwarzgeldkonten profitieren würden.“ (Spiegel, 3.11. 2012)
Nein, so eine Überraschung! Da hat sich der BND aber echt angestrengt, um das herauszukriegen – was in russischen Zeitungen seit jeher völlig offen besprochen wird. Als Zypern 2004 der EU und 2008 der Eurozone beitrat, war das ja gerade seine Attraktivität, daß sein Banksektor Tummelplatz russischen Kapitals war. Der Beitritt Zyperns sollte doch gerade diese Gelder für die EU nutzbar machen, und russische Investoren hereinbitten – was ja auch geschehen ist. Zypern hat sich daher eine Zeitlang sehr gut bewährt.
Aber im Rahmen der Euro-Krise hat der Umstand, daß der Kredit Zyperns auf fremdem Reichtum beruht, jenen untergraben. Wenn die russischen Geschäftsleute – hierzulande oft mit so häßlichen Namen wie „Oligarchen“ oder „Mafia“ bezeichnet – vielleicht eines Tages die Offshore-Dienste Zyperns nicht mehr brauchen, oder sich auf das daneben gelegene und ebensolche Dienste anbietende Israel beschränken, dann verliert Zypern seine Haupt-Einnahmequelle. Und dadurch ist Zyperns Kreditwürdigkeit futsch.
Die Summen, um die es stützungsmäßig geht – zwischen 16 und 17 Milliarden Euro ¬ sind vergleichsweise zu anderen offenen Baustellen wie Italien oder Spanien ein Klacks. Dennoch fängt ein seltsames Getue an, die erst auszuzahlen, wenn Zypern eine EU-interne Geldwäsche-Prüfungskommission alle seine Konten durchleuchten läßt. Sehr seltsam. Bisher durfte, ja sollte Zypern Geldwäsche betreiben und die blühendweißen Scheine dann in die EU einschleusen. Jetzt soll es seinen gesamten Banksektor dem prüfenden Auge von EU-Beamten öffnen, und damit seinen wichtigsten Wirtschaftssektor eigentlich für die finanzkapitalistische Konkurrenz innerhalb der EU zur Verfügung stellen.
Zypern verwehrt sich dagegen und beruft sich auf Verfassung und Menschenrechte – ja, die Menschenrechte sind offensichtlich in erster Linie Bankenrechte!
Also was geschieht? Läßt die EU Zypern pleite gehen, um zu prüfen, ob die EU das übersteht? Wartet sie, ob eine neue Regierung sich kooperativer erweist und Zyperns Banksektor dem ausländischen Kapital öffnet? Oder wartet sie, ob Rußland etwas macht, um die Schwarzkonten seiner Kapitalisten zu sichern?

EU ohne Großbritannien?

GEHT DAS UND WILL DAS ÜBERHAUPT WER?
David Cameron hat eine Volksbefragung über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU angekündigt – für 2017.
Das sind ja noch 4 Jahre, in denen alles mögliche passieren kann. Das erste, was auffällt, ist der drohende Charakter der Ankündigung, gepaart mit der Versicherung, daß die Sache ja noch Zeit hat. Cameron will also was von der EU. Was wohl?
1. mißtraut GB dem EU-Projekt angesichts der sich auftuenden Abgründe zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten, vor allem innerhalb der Eurozone. Damit steht die britische Regierung nicht allein da. Ferner hat sie gute Gründe, anzunehmen, daß die zunehmenden Kontrollmaßnahmen für den Finanzsektor viel von dem scheuen Finanzkapital aus Europa und an andere Weltbörsen treiben könnte.
2. bezieht die britische Wirtschaft ihre ganze Bedeutung aus der EU. Die Londoner City könnte mehr oder weniger zusperren, die Börse würde auf den Status einer der vielen mittleren Börsen der Welt herabsinken, auf jeden Fall hinter Frankfurt zurückfallen, sobald Großbritannien die EU verlassen würde.
Die wirtschaftlichen Probleme, die Großbritannien hat, würden sich durch einen EU-Austritt nicht verbessern, es würden aber neue hinzukommen.
Vor allem hat die Ankündigung, mit einem Austritt zu spielen, keine gute Wirkung auf die auf dergleichen makroökonomische Wirkungen sehr hellhörigen Finanzmärkte, und das wurde Cameron ja auch vorgeworfen: Daß er den gerade mühsam irgendwie angeblich befestigten Kredit der EU von neuem gefährdet.
Cameron selbst hat wahrscheinlich keinerlei Absichten, diesen ökonomischen Salto mortale tatsächlich zu vollziehen. Er möchte sich weiter dem Kapital der ganzen Welt als Umschlagplatz dienen, sich aber gegen alle Eingriffe, Steuern usw. aus Brüssel verwehren. Ob er das erreicht, und ob das internationale Kapital dieses Angebot auch reichlich wahrnimmt, wird sich erst weisen.
Die internationalen Reaktionen zeigen zunächst einiges über die nationalen Berechnungen anderer Staaten.
Die USA ermahnen Cameron, daß sie erstens kein Interesse am Auseinanderbrechen der EU haben, da sie ein wichtiger Handelspartner der USA ist, und erinnern ihn daran, daß GB gerade als trojanisches Pferd innerhalb der EU für sie Wert hat.
Deutschland versteht die Absicht der Erpressung, die hinter der Austrittsdrohung steht, bietet gleich bereitwillig Verständnis an und wachelt mit Sonderkonditionen für den Fall, daß GB sich in anderen Fragen hinter die deutsche Position stellen möge. Hier entstehen mögliche Allianzen zwischen dem Hüter der Eurozone und dem des Pfundes …
Italiens Monti wiederum sieht in Camerons Ankündigung Widerstand gegen Deutschlands und Frankreichs dominante Stellung und „Diktate“, während Frankreich sich über die unverschämte Erpressung, die es – zu Recht – darin erkennt, aufregt, allerdings sehr folgenlos, weil es keine ähnliche Erpressung parat hat.
Eine entzückende Völkerfamilie, die EU, isn’t it?
Die Journaille wiederum ergeht sich je nach Land und politischer Orientierung entweder in genüßlich ausgewalzten Schilderungen des miesen Charakters von Cameron und seiner angeblichen innenpolitischen Bedrängnis, die ihn zu derlei angeblichen Kamikaze-Schritten treibt. Oder sie greift gleich zur nationalistischen Hetze der Art: „So schleichts euch doch, ihr Deppen!“ – als ob die EU wegen der Vorlieben irgendwelcher Zeitungsschmierer zustandegekommen wäre.
Berechnungen aller Art, Dienst am Kapital, nationalistische Nebelgranaten, und handfeste Erpressungsversuche – ein harmonisches Bild beim Friedensnobelpreisträger 2012.