Serie „Lateinamerika heute“. Teil 7: Puerto Rico

VERWÜSTUNG

„Alles ist eine Wüste
Das Volk ist gestorben
an Not“ (Rafael Hernandez „El Jibarito“ – Puertorikanische Klage, 1929)

Zuletzt war Puerto Rico in den Medien, als der Hurrikan Maria im September des Vorjahres die Insel ohne Strom und Trinkwasser hinterließ und fast 3000 Tote forderte.
Heute, mehr als ein Jahr später, ist nur ein Teil des Schadens repariert. In erster Linie wurde diejenige Infrastruktur in Gang gesetzt, die mit dem Tourismus zusammenhängt, der dringend benötigte Einnahmen bringt.
Puerto Rico war, ungeachtet seines Namens („Reicher Hafen“), nämlich schon vorher ziemlich in Schwierigkeiten.


Teil der USA ohne Rechte

Puerto Rico gehörte seit den Anfängen desselben, also seit 1493 zum spanischen Kolonialreich und verblieb dort auch, nachdem sich das Festland von Mexiko bis Patagonien aus diesem gelöst hatte. Die Reste der spanischen Besitzungen in der Karibik wurden rund um die kubanischen Unabhängigkeitskriege von den USA annektiert, so auch Puerto Rico im Jahr 1898.
Die USA hatten lange kein Interesse daran, sich in die Karibik auszudehnen. Sie begnügten sich damit, das Festland Lateinamerikas zu ihrer Einflußzone zu machen, in Konkurrenz mit dem British Empire.

Das Interesse an der Karibik als Vorhof der USA erwachte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die USA sich eine Kriegsflotte zulegten und begannen, über einen Kanal durch Mittelamerika nachzudenken. Sie wollten sich die Karibik für Stützpunkte sichern, mischten sich deshalb in den kubanischen Unabhängigkeitskrieg ein und vertrieben die Spanier.
Damals besetzten die US-Streitkräfte Puerto Rico. Diese de facto-Inbesitznahme wurde durch den Pariser Vertrag von 1899 besiegelt. Seither gehört Puerto Rico den USA, als ihr Territorium.

Zunächst war Puerto Rico militärisch besetztes Territorium. Es war eine Art Kolonie, aber dieser Status wurde nie offiziell als solcher benannt.
Mit dem Foraker Act von 1900 wurde eine zivile Verwaltung mit sehr beschränkten Befugnissen eingesetzt. Die Regierung wurde von den USA ernannt, die Selbstverwaltung beschränkte sich – ähnlich wie in der spanischen Kolonialverwaltung – auf die Gemeindeebene. Wahlen für eine Art Parlament waren eine Farce. Das Rechtssystem wurde nach US-Recht konstruiert, aber mit einer Menge Ausnahmen, unter anderem, was die Steuerhoheit betraf.

Puerto Rico ist ein historisch einzigartiger Fall von beschränkter Souveränität, der bis heute als solcher besteht. Es ist ein Staat, der keiner ist, aber als solcher international anerkannt ist. Ein Fall von Souveränität, die jeden Staatsakt, sei es im Inneren, sei es nach außen, immer mit der übergeordneten Macht der USA koordinieren muß. Jede Freiheit, die sich die Regierung dieses Staates erlaubt, muß vorher mit den USA abgesprochen werden. Was jedoch die Verbindlichkeiten dieses Halb-Staates betrifft, ist er auf sich allein gestellt. Die USA stehen nicht gerade für die Schulden Puerto Ricos, und sie haben keinerlei Verpflichtung, für die Schäden auf der Insel aufzukommen, die Naturkatastrophen verursachen.

Im Jones Act von 1917 wurde den Puertorikanern die US-Staatsbürgerschaft zugesprochen – sofern sie nach der Annexion von 1898 geboren waren. Damit verfestigten die USA ihren Anspruch auf die Insel und verwehrten sich gegen Unabhängigkeitsbestrebungen. Der unklare Status von Puerto Rico wurde damit weiter festgeschrieben.
Der unmittelbare Anlaß für diesen Beschluß – gegen den Willen der damaligen puertorikanischen Politiker – war der Wille, die Männer Puerto Ricos als US-Soldaten in den 1. Weltkrieg schicken zu können, in den die USA einen Monat nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes eintraten.
Seither ist die Emigration aus Puerto Rico in die USA ein taugliches Ventil für alle ökonomischen Nöte. Die Puertorikaner bevölkern die Slums der USA und ermöglichen durch ihre Überweisungen das Überleben der restlichen Bewohner der Insel.

Das zum gleichen Zeitpunkt, im Zuge des Krieges der USA gegen Spanien 1898 annektierte Hawai wurde 1959 unter der Präsidentschaft Eisenhowers zum 51. Bundesstaat der USA erklärt. Dem ging eine Abstimmung voraus, wo die Bewohner Hawais befragt wurden, ob sie den USA beitreten oder weiter in dem gleichen ungeklärten Status – wie Puerto Rico – verbleiben wollten. Die Idee der Unabhängigkeit wurde gar nicht zum Thema gemacht.

In Puerto Rico wurde anders vorgegangen. Versuche eines US-Politikers, über die Unabhängigkeit Puerto Ricos zu entscheiden, wurden sowohl in den USA als auch unter deren Parteigängern in Puerto Rico hintertrieben. 1948 wurde das sogenannte Knebelgesetz erlassen, das das Hissen der puertorikanischen Flagge und andere Äußerungen für die Unabhängigkeit Puerto Ricos sowie Vereine, die sich selbige zum Ziel setzten, unter Strafe stellten. Dieses Gesetz war bis 1957 in Kraft, als es vom US-Kongress aufgehoben wurde.
Eine Abstimmung über den Status der Insel fand während des gesamten 20. Jahrhunderts nicht statt. Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung wurden ermordet oder zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Ein Referendum von 2012 zu dieser Frage wurde ignoriert.

Puerto Rico ist also bis heute ein annektiertes Territorium der USA, mit ungeklärten Zuständigkeiten.
Als Rufe nach Unabhängigkeit sowie Streiks überhandnahmen und die Stabilität und Funktionalität Puerto Ricos ernsthaft gefährdeten, dehnten die USA 1933 die New Deal-Maßnahmen auch nach Puerto Rico aus. Vor allem auf dem Gebiet der Infrastruktur und des Gesundheitswesens wurde in den 30-er Jahren einiges investiert. Damals wurde die Insel mit Staudämmen für die Elektrizitätsgewinnung versehen und ein Stromnetz aufgebaut. Eine angestrebte Landreform und der Aufbau einer Industrie scheiterten vor allem am Widerstand von Firmen und Politikern in den USA.
Damals wurden jedoch die Grundlagen für das ehrgeizige Projekt der Nachkriegszeit gelegt, und auch die Politiker erzeugt, die in der Zugehörigkeit zu den USA das Heil Puerto Ricos sahen und alle anderen Richtungen ausschalteten.


Operation „Ans Werk!“

Unter dem 1948 gewählten Präsidenten Luis Muñoz Marín, den man als einen Vorkämpfer der Idee der „Entwicklung“ betrachten kann, wurde in Puerto Rico ein Programm begonnen das die bisherige, auf Zuckerrohranbau und sonstige Agrarprodukten basierende Wirtschaft der Insel gründlich umkrempelte.
Muñoz Marín war der erste nicht vom Senat ernannte, sondern von der Bevölkerung gewählte Präsident Puerto Ricos. Mit der solchermaßen zustande gekommenen Autorität sah er sich befugt, nicht nur alle Unabhängigkeitsbestrebungen zu verfolgen und niederzumachen, sondern auch dem Segen des Privateigentums und des Kredits auf der Insel zum Durchbruch zu verhelfen. Er war ein bekennender Anhänger der freien Marktwirtschaft, und der USA als Wohltäter Puerto Ricos.

„Ans Werk!“ war nicht mehr und nicht weniger, als eine Billiglohnzone für US-Kapital zu schaffen, – das, was später in Mexiko flächendeckend als „Maquiladoras“ stattfand. Puerto Rico und sein voraussehender Präsident schufen eine Art Mischung von Billiglohnsektor und Steuerparadies für US-Kapital. Der unklare Status Puerto Ricos wurde als Lockvögeli für das US-Kapital eingesetzt. Die Insel wurde – durchaus als eine Art Vorreiter für Verlagerung in Billiglohnländer – dem amerikanischen Kapital angeboten: zollmäßig Inland, und dennoch steuermäßig und gesetzesmäßig Ausland.

Den Bewohnern Puerto Ricos wurde dieses Programm verkauft als: Seid nur willig und billig, und schon kommt der Segen des Kapitals, schafft Arbeitsplätze und Wohlstand! Schon der Name dieses Programms war ein Aufruf an die Botmäßigkeit an die Bewohner der Insel: Es liegt an euch, macht doch etwas daraus!
Im Zuge dieses Programm wurde die Landwirtschaft heruntergefahren, sodaß Puerto Rico nicht nur bei allen Grundnahrungsmitteln, sondern auch bei seinen ehemaligen Exportprodukten Zucker und Kaffee importabhängig ist. Puerto Rico wurde damit auch zu einem Markt für US-Konsumgüter.

Um das US-Kapital anzulocken, schuf die puertorikanische Regierung noch einen zusätzlichen Attraktivitäts-Faktor: Unter dem Motto „Fortschritt“ und „Familienplanung“ wurde mehr als ein Drittel der weiblichen Bevölkerung zur Sterilisation überredet, was von USA-Organisationen großzügig finanziert wurde, um „Überbevölkerung“ und Armut zu lindern. Damit sollte das Einstellen von weiblichen Arbeitskräften befördert werden, die dem Kapital verläßlich das ganze Jahr hindurch zur Verfügung stehen würden. Auch „die Pille“ wurde zuerst in Puerto Rico großflächig ausprobiert, bevor sie in den USA zugelassen wurde. Die Frauen Puerto Ricos waren also in mehrerlei Hinsicht Versuchskaninchen für US-Firmen. Als Nebenprodukt dieser Vorgangsweise hat sich eine gewisse pharmazeutische Industrie dort angesiedelt.


Puerto Rico heute

Mit dem Abschluß des Freihandelsabkommens NAFTA mit Mexiko 1994 wurde Puerto Rico als Billiglohnland unbedeutend. Mexiko ist für die US-Firmen näher, größer, über den Landweg erreichbar. Neue Firmen siedelten sich in Puerto Rico nicht mehr an, manche alte sperrten zu und verlegten ihre Produktion nach Mexiko. In die Infrastruktur wurde nicht mehr viel investiert, die Abwanderung nahm zu.
Puerto Rico war lange eine Steueroase für US-Kapital. Das bedeutete jedoch, daß weder die Firmen, die nur ihren Firmensitz auf der Insel angemeldet hatten, als auch diejenigen, die dort tatsächlich Produktionsstandorte betrieben, Steuern bezahlten. Die Haupteinnahmen des Staates bestanden also sowieso lange Zeit – neben Zuschüssen aus den USA selbst – in den Steuern und Abgaben, die die arbeitende Bevölkerung in seine Kassen spülte.
2 Jahre nach dem Abschluß von NAFTA, 1996, strichen die USA die Steuervergünstigung für Puerto Rico, das damit endgültig unattraktiv für Investoren aller Art wurde.

Der Weltmarkt war so weit fortgeschritten, daß Puerto Rico unwichtig für das USA-Kapital wurde, weil inzwischen anderswo in Lateinamerika auch die meisten Schranken für das US-Kapital niedergerissen worden waren.
Und Puerto Rico begann sich zu verschulden, ohne irgendeine Aussicht, diese Schuld jemals selbst bedienen zu können. Es erhielt Kredit, weil es für die Gläubiger ein Teil des US-Territoriums war und deshalb als relativ solider Schuldner eingestuft wurde. Vermutlich nahmen die Banken und Fonds, die puertorikanische Anleihen kauften, auch an, daß der Kredit Puerto Ricos von der Fed irgendwie gestützt werden würde, falls die die Regierung der Insel ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen könnte.
Seit 2015 kann Puerto Rico seine Anleihen nicht mehr bedienen und erhält daher auch keinen Kredit mehr. Bezüglich einer Stützung durch den US-Staatskredit haben sich die Gläubiger genauso geirrt wie in Detroit oder Kalifornien. Puerto Rico kann jedoch aufgrund seiner ungeklärten rechtlichen Stellung auch keinen Bankrott anmelden oder seine Schuld mit den Gläubigern neu verhandeln. Es ist auf Zuschüsse aus den USA angewiesen, auf die es jedoch keinen konkreten Rechtsanspruch hat. Die Hilfen, die es von Budget und Katastrophenschutz der USA erhält, haben daher den Charakter eines Almosens.

Dieser unerfreuliche Zustand betrifft über 3 Millionen Menschen. Seit 2007 wurde keine Volkszählung mehr durchgeführt, damals wurden 3,7 Millionen gezählt. Seither ist die Einwohnerzahl wegen Abwanderung wahrscheinlich zurückgegangen.

Pressespiegel: El País, 24.10.

DIE TÜRKEI NÜTZT DEN FALL KASHOGGI, UM SAUDI-ARABIEN GEGENÜBER AN EINFLUSS ZU GEWINNEN
Andres Mourenza
Eine der Fragen, die angesichts des Falles Kashoggi hinter den Kulissen debattiert werden, ist die der Machtverhältnisse im Nahen Osten, wo die Türkei die Führungsrolle gegenüber anderen Mächten beansprucht, die diese traditionell innegehabt haben, wie dem Iran, Ägypten und vor allem Saudi Arabien. Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan hat ihre Arme für die Dissidenten dieser Länder geöffnet, während bei sich zu Hause innerhalb der letzten 2 Jahre 60 000 Personen unter der Anklage der Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen im Gefängnis gelandet sind, darunter 150 Journalisten.
Am 8. Oktober, nach 6 Tagen ohne Nachrichten vom saudischen Journalisten Jamal Kashoggi, und angesichts der Hypothese einer möglichen Ermordung, versammelten sich Mitglieder verschiedener Vereinigungen vor dem Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul. Sie verlangten rechtliche Schritte. Da waren ägyptische Anwälte, syrische Journalisten, irakische und libysche Aktivisten und auch die jemenitische Nobelpreisträgerin Tawakul Kerman. Für sie alle bedeutete nämlich das Verschwinden Kashoggis nicht nur den Verlust eines Freundes und einer Person gewissen Bekanntheitsgrades, sondern erzeugte auch Ängste, daß die Tentakel derjenigen autoritären Regimes, denen sie entkommen waren, sie auch im Exil erreichen könnten.
„Obwohl die türkische Regierung gegen ihre eigene Opposition mit seit Jahrzehnten nicht gekannter Härte vorgeht, hat sie Dissidenten aus dem Nahen Osten mit einer politischen oder religiosen Profilierung willkommen geheißen“, erklärt Aaron Stein vom Think Tank Atlantic Council.
„Bis in die 90-er Jahre ließen sie (Regimekritiker aus dem Nahen Osten) sich in Paris, London oder den USA nieder, weil diese Staaten eine Politik der Offenen Tür gegenüber Dissidenten in den Tag legten. Aber die seit 2 Jahrzehnten geführten Debatten um die Migration haben es sehr erschwert, sich dort niederzulassen. Es ist inzwischen sogar sehr schwierig, irgendeinen Oppositionellen aus dieser Weltgegend zu einer Konferenz nach London oder Washington einzuladen, aufgrund des verschärften Visa-Regimes“, versichert Mohammed Okda, Politberater aus Ägypten und persönlicher Freund Kashoggis. „Die Türkei hingegen ist in Sachen Aufenthaltsgenehmigung sehr großzügig, und angesichts einer wachsenden arabischen Bevölkerung ist es leichter, sich in einem ohnehin muslimischen Land zu integrieren.“
Das ist nichts Neues. Seit Jahrzehnten nimmt die Türkei die uigurische Diaspora auf, die eine verwandte Sprache spricht, trotz des guten Verhältnisses zwischen Ankara und Peking. Ebenso geben sich Oppositionelle aus Zentralasien und dem russischen Kaukasus in der Türkei ein Stelldichein. Im Osten, in Van ist es nicht schwierig, politische oder religiöse Flüchtlinge aus dem Iran zu treffen. Was sich seit dem Regierungsantritt Erdogans verstärkt hat, sind die Beziehungen mit Oppositionellen aus dem arabischen Raum, vor allem nach dem gescheiterten „Arabischen Frühling“, den die Türkei zu nutzen versuchte, um an Einfluß zu gewinnen, indem sie sich als Modell für eine Umgestaltung präsentierte.
„Die alten Kolonialmächte sind mehr an Stabilität interessiert, und deshalb haben sie oft die Autokraten des Nahen Ostens unterstützt. Erdogan hingegen hat sich in dieser Region als Beschützer der Schwachen dargestellt, was ihm in den arabischen Gassen viel Bewunderung eingebracht hat“, fügt Okda hinzu. Seit dem Anfang des „Arabischen Frühlings“ haben sich Vertreter der Muslimbrüder verschiedener Länder in Istanbul die Klinke in die Hand gegeben, und auch mit Regierungsvertretern verhandelt, und als er scheiterte, nahm die Türkei diejenigen auf, die vor Verfolgung flüchteten. Weiters hat die Syrische Nationale Koalition, eine Dachorganisation von Gegnern des Assad-Regimes, ihren Sitz in Istanbul. Andere türkische Städte in Grenznähe zu diesem kriegsgeschüttelten Land haben Anführer diverser Rebellenfraktionen aufgenommen.
Der türkische Islamismus hat andere Wurzeln als derjenige der Muslimbrüder und unterscheidet sich von ähnlichen Strömungen durch Betonung auf dem nationalen Interesse. Vor 2 Jahren erklärte mir der Experte Rusen Çakir, daß die türkischen Islamisten zwar Wert auf die muslimische Umma (Gemeinschaft) legen, aber bitte unter ihrer Führung, im Anklang an das seinerzeitige Osmanische Reich. Diese Idee findet sich auch in den Äußerungen Erdogans. Zuletzt betonte er am 15. Oktober: „Die Türkei ist das einzige Land, das die islamische Welt anführen kann.“
Im Wechsel der Verbündeten (…) hat die Türkei in jüngerer Vergangenheit Partei gegen das Ägypten Marschalls Al Sisis ergriffen, nimmt Anhänger des gestürzten Präsidenten Morsi auf und erlaubt ihren Radioprogrammen, aus Istanbul zu senden. Katar hat es gegen die von Riad angeordnete Blockade verteidigt.
(Darin ist die Unterstützung für Katar sehr verkürzt zusammengefaßt. Die türkische Regierung hat eine Luftbrücke zur Sicherstellung der Versorgung mit Katar errichtet und eigenes Militär hingeschickt, um Saudi-Arabien von einem Einmarsch abzuhalten. Ohne die Türkei hätte Katar das nicht durchgestanden.)
Die Beziehungen zu Saudi-Arabien haben sich seit dem Aufstieg des Kronprinzen Mohammed Bin Salman und dessen aggressiver Außenpolitik verschlechtert. Im Zuge dessen kam es zur engen Verbindung mit Ägypten und den Vereinigten Emiraten, mit denen die Türkei seit geraumer Zeit über Kreuz ist. Dort machte übrigens – ganz zufällig – die 15-köpfige Truppe der vermutlichen Kashoggi-Mörder eine Zwischenlandung bei ihrer Rückkehr nach Riad in 2 Privatflugzeugen.
„Der Nahe Osten hat sich in einen Dschungel verwandelt, in dem jedes Land nach Mitteln zur Gewinnung von Einfluß sucht. Und die Türkei nutzt den Fall Kashoggi, um zu zeigen, daß sie Macht hat und viel bewirken kann“, meint Ilke Toygur, eine türkische Mitarbeiterin des Real Instituto Elcano. Ein Ziel der türkischen Regierung, die an die Medien Details über seine Ermordung durchsickern ließ, ohne sie offiziell zu behaupten, besteht darin, „den Druck auf die USA zu erhöhen, damit Washington Druck auf Saudi Arabien ausübt, um Bin Salman zu schwächen und Riad zur Änderung seiner Außenpolitik zu bewegen.
Während der jüngsten Krise hat Erdogan zweimal mit Salman Bin Abdulaziz, dem Vater von Prinz Mohammed telefoniert, und dadurch erreicht, daß die Angelegenheit jetzt von ihm gehandled wird. Er hat den vorher aggressiven Ton Riads gemildert und den Mord zugegeben. Falls sich die Türkei doch irgendwann mit der Version Saudi-Arabiens zufriedengeben sollte, so würde das bedeuten, daß Erdogan etwas dafür erhalten hat, politisch oder wirtschaftlich.
(Angeblich soll die kürzliche Erholung der türkischen Lira auf Interventionskäufe aus Saudi-Arabien zurückzuführen sein.)

Das irakische Kurdistan

AUSBEUTUNG UND IMPERIALISMUS HEUTE
Ein Freund von mir aus einem osteuropäischen Land, nennen wir ihn im weiteren Michael, hat gerade ein halbes Jahr im Irak verbracht. Er arbeitete für eine deutsche Firma.

1. Der Arbeitsvertrag

Michael erhielt für die Arbeit in einer Gegend, wo 40 Grad im Schatten üblich sind und er in einem klimatisierten Container wohnte, 1000 Euro pro Monat. Das ist der übliche Lohn, der Leuten aus Osteuropa gezahlt wird, die von ihrer Hände Arbeit leben. Natürlich gibt es besser bezahlte Jobs, in der Politik oder im Management, die werden aber eher selten mit Osteuropäern besetzt. Die meisten Firmen schicken in ihre Zweigstellen in osteuropäischen Ländern lieber Führungskräfte von zu Hause. Man weiß ja nicht …

Michael ist Elektriker und als solcher arbeitete er dort auch. Aber auch, wenn er in einem EU-Land arbeiten würde, so würde er nirgends mehr als diese 1000 Euro im Monat verdienen. Das ist eine Art Obergrenze, auf die sich das europäische Kapital geeinigt zu haben scheint. Die ehemaligen sozialistischen Staaten sind ein Arbeitskräfte-Reservoir, ihre Bewohner stellen die industrielle Reservearmee dar, mit der die EU-Kapitale groß und größer werden wollen. So etwas wie Lohnforderungen sollen gar nicht erst aufkommen in den neuen Mitgliedsländern. Die Gewerkschaften wurden entmachtet und zerschlagen, die alten Arbeitsplätze gibt es nicht mehr und die Bewohner von diesen Staaten wetteifern in den „alten“ Mitgliedsstaaten um die schlecht bezahlten Jobs und drücken damit auch dort den Preis der Arbeit.

In Michaels Vertrag stand, daß er zusätzlich zu den 1000 Euro Unterkunft und täglich ein Mittagessen erhält. Nach dem ersten Monat stellte er fest, daß ihm das Mittagessen von der vereinbarten Lohnsumme abgezogen wurde. Er mußte mit dem Vertrag in der Hand zum Bauleiter gehen und klarstellen, daß das einen Vertragsbruch darstellt und er das nicht hinnimmt. Darauf wurde das Geld rücküberwiesen und von da ab nicht mehr abgezogen.
Es kann sich natürlich um Schlamperei oder ein Mißverständnis handeln, gerade bei den komplizierten Verhältnissen bei dieser Art von Baustelle. Dergleichen ist aber auch innerhalb der EU gang und gäbe. Die Firmen versuchen, die Sprach- und Gesetzunkundigkeit der ausländischen Arbeiter auszunützen, um den ohnehin schon sehr bescheidenen Lohn noch ein wenig weiter zu drücken.
Ein weiterer Faktor war die Arbeitszeit. Sie war in dem Vertrag gar nicht festgelegt. Es war eine Art Werksvertrag. Das und das und das ist zu machen, und in einem halben Jahr hat das fertig zu sein. Die in Österreich bereits angedachte und bald auch durchgesetzte 60 Stunden-Woche und der 12-Stunden-Arbeitstag lassen grüßen.

Außer Michael und einigen anderen Osteuropäern arbeiteten auf den diversen Baustellen vor allem Filipinos und Türken, sowie Einheimische.

Die deutsche Firma beschäftigte also gar keine Deutschen – außer dem Chef, der 2 oder 3x aufkreuzte, aber nur kurz blieb –, streift aber den Reibach ein. Das ist deshalb erwähnenswert, weil diverse deutsche Politiker und Medienfritzen gerne damit hausieren gehen, daß Deutschland deshalb eine so gut gefüllte Staatskasse hat, weil die deutschen Arbeitskräfte so billig und willig sind.

Um in den Genuß dieses Traum-Jobs zu kommen, mußte Michael die Geburts- und Todesdaten seiner Eltern und seiner 4 Großeltern vorweisen, und die Orte, wo diese Ereignisse stattgefunden hatten. Ebenso mußte er die Geburtsdaten und Orte seiner Kinder und seiner Ehefrau mit gültigen Dokumenten vorweisen, und ihre derzeitigen Wohnorte angeben.
Da Michael der Erste seiner Familie ist, der überhaupt seine engere Umgebung verlassen hat, und auch seine noch lebenden Verwandten keine weitgereisten oder seltsamen Beschäftigungen nachgehenden Personen sind, so erhielt er den Job.

Man muß sich aber einmal vorstellen, wie sehr jemand auf eine solche Art von Arbeit angewiesen sein muß, um überhaupt diese ganze Prozedur zu durchlaufen, weil die war ja mit Behördenwegen und Papierkram verbunden, alles ohne Bezahlung.
(Gut, etwas Neugierde und Abenteuerlust war natürlich auch dabei …)

2. Was war zu tun?

Michael verlegte Leitungen und schloß elektrische Geräte für jede Menge Konsulate an. Der USA und verschiedener EU-NATO-Staaten. Erst sagte er mir, er hätte Botschaften ans Netz angeschlossen. Wie das? fragte ich. Das irakische Kurdistan ist kein eigener Staat, wie können sie dort Botschaften einrichten? Er überlegte und sagte: Ja, du hast recht, es stand drauf: „Consulat“.

Im Grunde hatte Michael natürlich recht. Es ist eine reine Formalität, wie diese Vertretungen genannt werden. De facto wird im irakischen Kurdistan ein eigener, de jure nicht anerkannter Staat eingerichtet, dafür braucht es diese diplomatischen Vertretungen:

Dieser Staat existiert nur unter ausländischer Besatzung. Michael war nur in Erbil, was die Hauptstadt dieses Gebildes ist. Dort haben verschiedene NATO-Staaten große militärische Lager eingerichtet. Dasjenige der USA macht laut Michael ungefähr die Hälfte der Kleinstadt aus, aus der er stammt. Ansonsten erwähnte er auch noch Italien und Frankreich.

Dieses Staatsgebilde ist also von mehreren NATO-Staaten besetzt und gleichzeitig vor dem Zugriff der irakischen Zentralgewalt geschützt. Offenbar war die Übergabe von Kirkuk die Bedingung, unter der Bagdad einer solchen Besatzung zugestimmt hat.

Irakische Soldaten sah Michael kaum, die kurdischen Peschmerga hingegen schon. Er gab zu, das nicht immer genau unterscheiden zu können.
Es ist auch bezeichnend für die Rolle Deutschlands, daß es auf eine Militärpräsenz dort keinen Wert zu legen scheint, aber die Firma (oder mehrere Firmen) stellt, die die Infrastruktur errichten und damit ein Geschäft machen.

Nicht ganz klar ist in diesem ganzen Bild die Rolle der Türkei. Michael reiste durch die Türkei an. Die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze waren unglaublich, er berichtete von 10-12 Zäunen und Schleusen, wo er und andere durch mußten und kontrolliert wurden.
Wer hat diese Befestigungen aufgebaut? Der Irak oder die Kurden wohl kaum. Die Türkei? NATO-Staaten? Wie weit reichten sie von dem Grenzübergang aus in beide Richtungen?

Die Bedingung der Türkei für diesen besetzten Kurdenstaat waren offenbar stark überwachte Grenzen und möglicherweise türkische Militärpräsenz entlang des gesamten Grenzstreifens innerhalb des Irak.
Die NATO hat damit jedenfalls einen Stützpunkt im Nahen Osten, den ihr so leicht niemand streitig machen kann, und an der Grenze zum Iran. Mit der einheimischen Elite, dem Barzani-Clan scheinen sich die NATO-Staaten auch geeinigt zu haben. Barzanis dürfen weiter ihre Geschäfte machen, vor allem mit Öl, und sollen ansonsten die Kreise der Militärs nicht stören.
Der Flughafen von Erbil ist auch gut ausgebaut, die NATO-Truppen haben aber möglicherweise auch andere zu ihrer Verfügung. Es völlig unklar, wie sehr der Irak oder die NATO in Mosul präsent ist.

Außer Botschaften verkabelte Michael große, aus Container-Reihen bestehende Flüchtlingslager. Alle eingezäunt und mit ziemlichen Sicherheitstoren versehen.
Für was für Flüchtlinge werden die gebaut? Mit was für kommenden Flüchtlingsbewegungen rechnen die NATO-Staaten?

Man erinnere sich, aus Deir-Ez-Zor und anderen weiter südlich entlang des Euphrat gelegenen Ortschaften sollen Führungskader des IS mit NATO-Hubschraubern ausgeflogen worden sein.
Dann gibt es noch die „Weißhelme“, die die deutsche Regierung so warm willkommen geheißen hat. Ob sie wirklich in Deutschland gelandet sind, wissen wir nicht.
Schließlich, all die aus verschiedenen Orten in Syrien nach Idlib gebrachten Islamisten – was wird aus denen, wenn Idlib wieder in den Schoß Syriens zurückkehrt?

Neben Tschetschenen, Tartaren und Uiguren, die aus den mißliebigen Staaten Rußland und China stammen, sind auch die IS-Kämpfer aus Europa und muslimischen Staaten in ihren Herkunftsländern nicht gerade willkommen. Ihre Rückkehr würde nur Mist machen. Man muß sie vor Gericht stellen, in komplizierten und kostspieligen Prozessen verurteilen, wobei womöglich rechtliche Lücken auftreten können, oder Fakten ans Licht kommen könnten, die blamabel für die ach so humanistische EU wären.
Also werden diese Leute dort in NATO-Kurdistan aufbewahrt, wie in einem Reagenzglas. Man kann sich ihren weiteren Einsatz überlegen. Das Ideal der NATO-Truppen dürfte sein, daß diese Leute derartig von ihnen abhängig sind, daß sie sich ihren Wünschen gar nicht entziehen werden können.

So wird versucht, Söldner und Terroristen gegen Rußland, China und den Iran aufzubauen.