Pressespiegel El País, 28.3. – Die ukrainischen Streitkräfte

DIE UKRAINE REDUZIERT DIE REKRUTIERUNG VON SOLDATEN AUFGRUND VON BESCHRÄNKTEN AUFNAHMEKAPAZITÄTEN UND MANGELS AN WAFFEN Sonderkorrespondent Cristian Segura aus Lemberg

Die Armee hat eine halbe Million Soldaten und mehr als 200.000 bewaffnete Personen in Polizeieinheiten und paramilitärischen Bataillonen.

Die ukrainischen Streitkräfte haben nicht genügend Ressourcen, um Hunderttausende von Menschen auszubilden und zu bewaffnen, die sich für den Kampf gegen die russischen Invasoren gemeldet haben. Die ukrainische Armee vermeidet es, genaue Zahlen zur Gesamtzahl der aktiven Soldaten zu nennen, aber Schätzungen von Experten, die von EL PAÍS konsultiert wurden, gehen davon aus, dass es sich heute um rund 500.000 handelt, doppelt so viele wie kurz vor Ausbruch des Konflikts. Die ukrainischen Behörden entscheiden sich nun dafür, die Freiwilligen auf andere Gebiete zu verteilen, die nicht rein militärisch sind.

Zu Beginn des Konflikts zählten die ukrainischen Streitkräfte offiziell 250.000 Mitglieder, davon 190.000 Militärs. Auf dem Papier hatte die Ukraine auch etwa 200.000 Reservisten und Freiwillige in den Territorialverteidigungskräften (im weiteren TVK), einer bewaffneten Truppe, die für lokalen Schutz und Kontrolle verantwortlich ist. Weiters sind die 130.000 Polizisten und Bataillone paramilitärischen Ursprungs hinzuzurechnen, die unter dem Dach der Nationalgarde (…) standen und jetzt, seit der Verhängung des Kriegsrechts, dem Verteidigungsministerium unterstehen. (Vorher waren sie dem Innenministerium unterstellt.)
Russland hat nach Angaben des Internationalen Instituts für strategische Studien (IISS) 900.000 Soldaten im Dienst, eine halbe Million Polizei- oder paramilitärische Einheiten und zwei Millionen Reservisten.

Michailo Samus, Direktor des ukrainischen Zentrums für Verteidigungsstudien New Geopolitics, weist darauf hin, dass das von der Ukraine mobilisierte Kontingent heute viel größer ist als noch vor einem Monat: Es gibt 300.000 Veteranen des (…) Krieges im Donbass, die sofort in Einheiten an der Front eingegliedert wurden. Dazu kommen laut ukrainischer Presse 100.000 weitere Freiwillige, die in den ersten zwei Wochen der Invasion in die TVK aufgenommen wurden. Diese Einheiten sind von grundlegender Bedeutung bei Straßen- und Stadtzugangskontrollen, bei der Suche nach russischen Saboteuren, aber auch bei der bewaffneten Konfrontation, wie Samus erklärt: „Die TVK waren entscheidend beim ersten russischen Vorstoß gegen Kiew, als russische Spezialagenten versuchten, in die Hauptstadt einzudringen und dort strategische Positionen einzunehmen, – weil sie schnell zu mobilisieren waren und die Stadt besser kennen.“

Seit einem Monat tobt der Krieg in der Ukraine und eine seiner unmittelbaren Folgen ist der Mangel an Munition und Waffen für die ukrainischen Verteidigungskräfte. Dies teilte der ukrainische Präsident Wolodímir Zelenski seinen NATO-Verbündeten mit. Das merkt nicht nur der Präsident. In der vordersten Schusslinie, in Charkow, bestätigt das Mitglied der TVK Vlad Hrischenko in einem Telefoninterview dasselbe: „Soldaten haben wir viele, was wir brauchen, sind Schutzmaterial und Waffen“.

Hrischenko ist 35 Jahre alt und gehört nach Angaben des Staatsgrenzschutzes zu den 400.000 Ukrainern, die im Ausland gearbeitet haben und wegen des Krieges in ihr Land zurückgekehrt sind. Er war zwei Jahre lang als Security in einer Kreuzfahrtreederei beschäftigt. Der Krieg überraschte ihn in Panama und er bat um Beurlaubung, um in die Ukraine zurückkehren zu können. Er dient in einer Patrouilleneinheit der TVK. Andrej Demtschenko, Sprecher des Staatsgrenzschutzes, erklärte am vergangenen Montag auf einer Pressekonferenz, dass die Mehrheit dieser 400.000 Menschen Männer seien, die nach ihrer Ankunft in ihrer Herkunftsprovinz angeboten hätten, in die Reihen einzusteigen.

Aus Quellen des Verteidigungsministeriums verlautet jedoch, dass nicht diejenigen der Rückkehrer die Mehrheit ausmachen, die sich für militärischen Einsatz anbieten, sobald sie in die Ukraine zurückkehren. Viele kehren vor allem zurück, um bei ihren Familien zu sein. Zu behaupten, alle Rückkehrer würden sich freiwillig zum Militär melden, wäre eine Übertreibung mit propagandistischem Zweck.

Trotzdem ist Samus davon überzeugt, dass es eine Mehrheit von Männern gibt, die bereit sind zu kämpfen. Seine Einschätzung basiert auf Umfragen vor der Invasion, in denen geschätzt wurde, dass 65 % der Erwachsenen angaben, sie würden im Falle eines russischen Angriffs zu den Waffen greifen. „Jetzt werden es sicher noch mehr“, sagt er und veranschaulicht, dass selbst wenn sich nur 10% der Männer zwischen 18 und 60 Jahren freiwillig melden würden, dies eine Million potenzieller Kämpfer bedeuten würde. Erwachsene dieser Altersgruppe können das Land nicht verlassen, da sie möglicherweise von der Armee mobilisiert oder für andere wichtige Aufgaben benötigt werden.

Andrej Schevtschenko ist ein pensionierter Militäroffizier und Diplomat des ukrainischen Außenministeriums. Bis 2021 war er Botschafter in Kanada und leitet nun das Pressezentrum seiner Regierung in Lemberg, der Hauptstadt des ukrainischen Hinterlandes. Schevtschenko bestätigt, dass sich die Rekrutierung verlangsamt hat und in Kiew sogar zum Erliegen gekommen ist, da es bereits in den frühen Stadien des Konflikts genügend Rekrutierungen gab. „Was wir jetzt brauchen, ist eine Trainingszeit für künftige Truppenübergaben an der Front“, resümiert Schewtschenko. „Was wir nicht tun werden, ist, wie die Russen, ungeschulte Menschen als Kanonenfutter in den Krieg zu schicken“, betont er.

Militärische Ausbildung ohne Waffen

Maxim Kositzkij, Leiter der Militärregion Lemberg, nannte am vergangenen Donnerstag auf einer Pressekonferenz eine Zahl, die symptomatisch für die Mobilisierung jenseits der regulären Armee ist: Die Provinz habe 30.000 neue Soldaten gestellt und 20.000 Anträge auf Beitritt zu den TVK. Kositzkij wiederholte, dass sie neue Bewerber für unbewaffnete militärische Ausbildung, Erste-Hilfe-Ausbildung oder Ausbildung in strategischen Wirtschaftssektoren einsetzen. Der Bürgermeister von Lemberg, Andrej Sadovij, erklärte, dass für die 200.000 Vertriebenen in der Stadt dringend neue Häuser gebaut werden müssten. „Jetzt sind wir in eine neue Normalität eingetreten, es gibt bereits genug Soldaten, und was wir brauchen, ist die Wiederaufnahme der produktiven Tätigkeit“, sagte Igor Schevtschenko, Direktor für internationale Beziehungen bei der Handelskammer von Winniza, am 15. März gegenüber EL PAÍS.

50 mit Schlafmatten ausgestattete Rekruten warteten am vergangenen Samstag vor dem Sitz der Militärstaatsanwaltschaft der Westukraine in Lemberg. Deren Büros wurden als eines der Registrierungszentren eingerichtet. Mehrere Unteroffiziere riefen die Männer in Zügen von acht oder zehn zusammen, um sie zum Ausbildungszentrum zu transportieren. Laut einem für die Presse zuständigen Beamten waren die Reihen der angenommenen Rekruten Anfang März länger.

Im 500 Kilometer von Lemberg entfernten Kiew, absolvierte Vladislav Greenberg am selben Wochenende seine erste Trainingswoche. Stundenlange Manöver und tägliche Militärübungen, ohne Zeit für etwas anderes.
Greenberg schloss sich einem der neu gebildeten Freiwilligenbataillone an, die seit 2014 als Teil der Nationalgarde legalisiert wurden und nun zu den regulären Streitkräften gehören. Er kam aus Finnland, wo er als Gärtner angestellt ist. Dort ließ er seine Frau und einen fünf Monate alten Sohn zurück. „Meine Frau redet nicht mit mir, sie denkt, ich hätte sie verlassen, aber ich konnte nicht zu Hause bleiben, während mein Land brannte“, sagt der 31-Jährige während einer Unterrichtspause am Telefon, schnaufend vor Erschöpfung. Er wird trainieren, bis er ein paar Kilometer von seiner Basis entfernt zum Kampf eingesetzt wird. Im schlimmsten Fall sei das in ein, zwei Wochen so, „wie es anderen Kollegen passiert ist“, sagt Greenberg mit besorgter Stimme. Er weiß, je mehr Zeit er im Training hat, desto mehr Möglichkeiten hat er, nach Hause zurückzukehren.

Über die Kriegsführung in der Ukraine

VERBRANNTE ERDE

Es ist nicht die russische Seite, die es auf möglichst große Zerstörung anlegt. Das würde ihrem erklärten Kriegsziel widersprechen, die Ukraine zu einer Art Glacis für Rußland zu machen, entmilitarisiert und entnazifiziert.
Es ist die ukrainische Führung, die den russischen Besatzern zerstörte Städte und Dörfer überlassen will. Außerdem soll der russischsprachige, mit Rußland sympathisierende Teil der Bevölkerung der Ukraine möglichst bluten, hungern und verelenden.
Die ukrainische Regierung und ihre Hintermänner sehen diese russischsprachigen Menschen in der Ostukraine nämlich gar nicht als Teil ihres Staatsvolkes an und hätten sie schon seit geraumer Zeit am liebsten vertrieben oder liquidiert. Die seit dem Euromajdan betriebene Ukrainisierung und der Dauerkrieg gegen den Donbass dienten diesem Ziel, möglichst viele Bewohner des Ostens zu vertreiben und die strategisch wichtigen, fruchtbaren, mit Bergwerken und Industrie ausgestatteten östlichen Gebiete mit eigenen loyalen Staatsbürgern zu besetzen und so als Brautgabe der NATO und EU zuzuführen.

Die russische Invasion wird jetzt dazu genutzt, dieses Programm voranzutreiben.

Die von der russischen Armee eingeschlossenen Städte sind doppelt eingeschlossen – von außen durch einen Ring russischer Truppen, von innen durch einen Ring ukrainischer Truppen, sowohl der Armee als auch der Nationalgarde als auch spontan bewaffneter Freiwilliger, die vor allem verhindern wollen, daß die Bevölkerung die belagerten Städte verlassen kann.
So hat die ukrainische Vizepräsidentin Iryna Wereschtschuk am 7.3. erklärt, keine humanitären Korridore, d.h. Fluchtrouten auf russisch besetztes Gebiet zu genehmigen. Dem schloß sich einen Tag später der Gouverneur der Region Sumi, Nikolai Klotschko, an, und verkündete, daß jeder erschossen wird, der Richtung Russland flüchten will.

Flüchtende und Überlebende aus Mariupol erzählten dem Korrespondenten der Komsomolskaja Pravda, Dmitrij Steschin, daß sie von ukrainischen Soldaten aus ihren Wohnungen in die Keller vertrieben wurden. Die Wohnungen wurden oftmals von den Soldaten oder Nationalgardisten in Beschlag genommen, die dort Maschinengewehre installierten oder einfach aus den Fenstern schossen auf alles, was sich bewegte.
Viele Personen, die die Keller zum Einkaufen verließen, kehrten nicht mehr zurück. Ebenso wurden Leute beschossen, die zu flüchten versuchten. Die Toten in den Straßen Mariupols wurden zum größten Teil von den ukrainischen Soldaten erschossen, u.a. den berüchtigten Asow-Truppen, die sich schon in den letzten 8 Jahren durch besondere Grausamkeiten auszeichneten. Nur wenige fielen dem eigentlichen Raketenbeschuß zum Opfer.

Am 3. Tag des Krieges wurden Gas und Strom abgeschaltet, von den Verteidigern selbst. Die Bevölkerung mußte also im Keller im Finsteren und Kalten ausharren.
Die Klinik, das Theater und die Schule – die alle leer waren – wurden von den ukrainischen Truppen selbst gesprengt, und teilweise mit relativ amateurhaften Bildern und Videos ausgestattet als russische Greueltaten den internationalen Medien übersendet.
Da sich die Verteidiger in Wohngebäuden und deren Höfen verschanzten und von dort aus die russischen Truppen beschossen, wurden diese Häuser auch von den russischen Truppen beschossen und zerstört. So wurde Mariupol in eine Trümmerstadt verwandelt.

Die russische Militärführung sicherte den Verteidigern freies Geleit zu, wenn sie die Stadt übergeben würden. Das wurde sowohl vor Ort als auch von der Regierung in Kiew abgelehnt.
Rußland rief die UNO, die OSZE und das Rote Kreuz auf, für Fluchtkorridore zu sorgen, damit die Bevölkerung die umkämpfte Stadt verlassen könne – alle diese Aufrufe blieben unbeantwortet.
Es ist anzunehmen, daß dieses „Modell“ der Verteidigung auch in anderen Städten angewendet wird.

Auf dem Land herrscht noch mehr die Taktik der verbrannten Erde. Brücken werden von der ukrainischen Armee gesprengt, Dörfer zerstört, die Bewohner mit Granaten, Minenwerfen und gewöhnlichen Schußwaffen beschossen, bevor sie von russischen Soldaten erobert werden.

Diese Art der Kriegsführung wird von der westlichen Welt durch Waffenlieferungen und Propaganda unterstützt, während gleichzeitig Krokodilstränen für die armen unschuldigen Opfer vergossen werden.

Die disbezüglichen Hinweise des russischen UNO-Botschafters Wassilij Nebensja, die ukrainischen Verteidiger würden die Bevölkerung als lebende Schutzschilde verwenden, werden als russische Propaganda abgetan und sind den wenigsten Medien eine Erwähnung wert.

Wenig Aufruhr rief die Aussage eines afghanischstämmigen ukrainischen Nachrichtensprechers hervor, der am 12. März verkündete, mit Berufung auf Adolf Eichmann, man müsse vor allem die Kinder der Russen töten, damit das ganze Volk ausgelöscht würde, und er würde es gerne selber tun.
Tja, entschuldigte sich der Sender „Kanal 24“ etwas später, man muß verstehen, der Mann war über den Tod eines Freundes erschüttert, natürlich entspräche das nicht der Linie des Senders.

Globalisierungsverlierer?

AGIERT RUSSLAND AUS EINER POSITION DER SCHWÄCHE?

Gerade in linken Publikationen wurde und wird Rußland gerne als ein Land geschildert, das den Sprung auf den Weltmarkt nicht so recht geschafft habe, in der Konkurrenz der imperialistischen Mächte den Kürzeren gezogen habe und sozusagen in einer Art Rückzugsgefecht jetzt um die Sicherung seiner Außengrenzen bemühen müsse.

Diese Auffassung steht der in den herkömmlichen Medien verbreiteten Sichtweise entgegen, wonach es sich bei Vladimir Putin um einen Größenwahnsinnigen handle, der das sowjetische Imperium wiederauferstehen lassen wolle, mit ganz unzulässigen gewaltsamen Mitteln.

Es gibt auch die Kombination von beidem: Gerade weil Rußland wirtschaftlich schwach ist, wird es nach außen aggressiv.

Aber was bedeutet eigentlch wirtschaftliche „Schwäche“?

1. Rußland und der Weltmarkt

Eines, wenn nicht vielleicht das entscheidendste Moment in der Selbstkritik der sowjetischen Führung der Perestroika-Zeit war die Überzeugung, daß das westliche Wirtschaftssystem „effizienter“ als das eigene sei. Während in den Lehrbüchern stand, daß der Sozialismus sowjetischer Prägung den „Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen“, zwischen „gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung“ überwunden und dadurch erst die Produktivkräfte entfesselt hätte, ließ sich nicht ganz verbergen, daß es in Wirklichkeit genau umgekehrt war: Der kapitalistische Westen war ungleich produktiver als die sozialistische Welt.

Das führte in den 90-er Jahren in Rußland zu einer flächendeckenden Zerstörung von Produktion. Damals kamen Leute an die Macht, die die persönliche Bereicherung als Motor der Wirtschaft predigten und in Kraft setzten, und damit die gesamten Reichtumsquellen Rußlands untergruben.
Als Putin – nicht zu vergessen, durch Vermittlung Beresowskis, der meinte, in ihm einen willfährigen Vollstrecker seiner persönlichen Aneignungspolitik gefunden zu haben –, an die Macht kam, stand er vor einem sehr heruntergekommenen Staat: Eine Führung, vor der niemand Respekt hatte, leere Staatskassen, Fat Cats, die sich an den Rohstoffen Rußlands gütlich taten, von westlichen Seifenopern und Ähnlichem dominierte Medien, ein ziemlich desolates Militär, usw. usf.

Er machte sich daran, erst einmal den Gewaltapparat zu renovieren, das staatliche Territorium zu einigen und die Außenpolitik neu zu besetzen.
Der 2. Tschetschenienkrieg dauerte immerhin über 10 Jahre und kostete auch durch von tschetschenischen Separatisten verübten Anschläge viele Menschenleben in anderen Teilen Rußlands. Heute ist Tschetschenien befriedet und viele fürchten, daß die dort angewendeten Erfolgsmethoden auf die Ukraine übertragen werden könnten.

Im Großen und Ganzen ist jedenfalls unter Putin – sehr zum Ärger westlicher Regierungen – eine Neuformierung Rußlands als Staat, als Macht gelungen. Was allerdings nicht stattgefunden hat, ist ein marktwirtschaftlicher Erfolg. Ganz im Gegenteil. Seit dem Millenium bemüht sich Rußland, seinen inneren Markt zurückzuerobern und die Anhänger der Marktwirtschaft aus hohen Ämtern hinauszudrängen. Viele Unternehmen, die seinerzeit privatisiert wurden, wurden wieder verstaatlicht. Verstärkt nach 2014 wird versucht – mit wechselndem Erfolg – so etwas wie Lebensmittelsouveränität wiederherzustellen.
Das Ziel Rußlands ist inzwischen eindeutig die Autarkie, nicht der Exporterfolg.

Das heißt aber auch, daß die Betrachtungen, die den Rohstoff- und Lebensmittelexport Rußlands etwas geringschätzig als den eines „Entwicklungslandes“ charakterisieren, einen diesem Staat fremden Maßstab an ihn anlegen. Exporterfolge und Wachstumszahlen bedeuten heute den Ökonomen Rußlands nicht viel.

2. Entwicklungsland

Was heißt eigentlich „Entwicklung“ heutzutage? Dieser Begriff stammt aus den 60-er und 70-er Jahren, als verschiedene Staaten mit Bodenschätzen hofften, sich mit Hilfe von Kredit und Know-How und über ihre Rohstoffeinnahmen eine nationale Industrie zulegen und damit irgendwann einmal mit den europäischen Staaten und den USA gleichziehen zu können.

Heute ist das eine ziemlich leere Worthülse, die nur noch in Wirtschaftshilfeprogrammen vorkommt.

Manche der rohstoffreichen Staaten, wie Saudi-Arabien oder auch seinerzeit Libyen unter Ghaddafi hatten gar nicht die Vorstellung, aufgrund von Ölexporten zu Industriestaaten zu werden. Sie legten ihre Petrodollars in den USA bzw. der EU an bzw. finanzierten damit befreundete Regimes. Sie nahmen also durchaus eine Stellung ein, die man als politisch-imperialistisch bezeichnen könnte.
Staaten wie Venezuela nahmen ebenfalls ihre Ölvorkommen zum Anlaß, eine Führungsrolle auf dem südamerikanischen Kontinent zu beanspruchen.

Es macht sehr viel aus, ob ein Rohstoffexporteur Energieträger oder Metalle oder andere Rohstoffe exportiert – die Energie ist nämlich in allem drin, was heute produziert wird. Die Abhängigkeiten bestehen daher auf beiden Seiten, und wie man inzwischen sieht, noch stärker auf der Seite des Beziehers.

Auch die Lebensmittelexporte sind nicht nur einfache Rohstoffexporte, die ein Staat eben verkaufen muß, weil er nichts Besseres hat. Argentinien war nach dem 2. Weltkrieg ein großer Player und hatte damals viel Marktmacht mit seinen Rindfleisch- und Weizenexporten.
Daraus schloß Perón auch, daß da mehr drin sein müsse und begann Argentinien zu industrialisieren – was dem Land sehr übel genommen wurde.

Inzwischen fehlen die Weizenexporte Rußlands und der Ukraine auf dem Weltmarkt und es stellt sich heraus, daß die in sehr vielen Staaten der Erde fix eingeplant waren im Sinne der globalen Arbeitsteilung.

3. Die Abhängigkeiten haben sich geändert

Weder ist es so, daß eindeutig die Industriestaaten die Welt beherrschen und die Rohstofflieferanten ihnen mehr oder weniger die Schuhe putzen müssen. Noch ist es so, daß ein Staat wie Rußland von den Märkten abhängt, die es beliefert.

Man wird sehen, was die Veränderungen in Sachen Lebensmittel und Energieträger auf den Weltmärkten für Folgen haben.