Pressespiegel El País, 15.10.: Die UNO und Israel

DER SPRECHER DER BLAUHELME IM LIBANON: »ISRAEL KANN NICHT DAS SCHICKSAL EINER MISSION DIKTIEREN, DIE DIE INTERNATIONALE GEMEINSCHAFT WILL«

Andrea Tenenti weist darauf hin, dass israelische Angriffe auf UN-Streitkräfte Teil von Netanyahus Kampagne für deren Abzug seien und dass seine Truppen Unifil-Stellungen als menschliche Schutzschilde genutzt hätten.“

Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger, als daß Israel die UNO direkt angereift, weil sie sie als Hindernis für ihr Staats-Erweiterungs-Programm betrachtet.
Solange die UNO dort herumsitzt, sind die besetzten Gebiete nach wie vor nicht als Territorium Israels anerkannt, und das soll sich offenbar ändern.

„Andrea Tenenti, der Sprecher der UN-Mission im Südlibanon (Unifil), empfängt diese Zeitung in einem kleinen Hauptquartier, das sich »in einem historischen Zusammentreffen« neben der ukrainischen Botschaft befindet, Hinweis auf die andere Invasion, die heutzutage die geopolitische Agenda bestimmt.

Der Ort des Interviews (Baabda, eine Stadt südöstlich von Beirut, weit entfernt von den Orten, an denen die Blauhelme weiterhin stationiert sind) zeigt die heikle Situation, in der sich Unifil befindet: Die israelische Armee, die vor zwei Wochen in den Südlibanon einmarschierte, hat die UNO-Mission wiederholt angegriffen. In den vergangenen Tagen forderte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu den »sofortigen« Rückzug mit einer kaum verhüllten Drohung: Dies sei »der einfachste Weg«, weiteren Schaden zu verhindern.

Unter normalen Bedingungen wäre der Sprecher am Hauptstützpunkt in Naqura, ganz in der Nähe der Blauen Linie, der Trennlinie – es handelt sich nicht um eine formelle Grenze –, mit deren Überwachung Unifil beauftragt ist. Aber es wurde von Israel angegriffen, weshalb das etwa 800-köpfige Zivilpersonal der Mission, wie auch er, aus dem Südlibanon evakuiert wird.

Diejenigen, die noch dort sind, sind die mehr als 10.000 Soldaten aus rund 50 Ländern – unter dem Kommando des Spaniers Aroldo Lázaro Sáenz –, deren Gegenwart und Zukunft im Mittelpunkt des Interviews stehen.

Die Mission erlebt ihren heikelsten Moment seit dem letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006, als die Truppen auf ihren Posten blieben. Tenenti verteidigt, dass sie dies auch jetzt tun, unter anderem, weil Israel »das Schicksal einer Mission, die der UN-Sicherheitsrat jedes Jahr erneuert, nicht diktieren kann«, und weist darauf hin, dass es die israelischen Truppen waren und nicht die Hisbollah, wie Netanjahu behauptet, die die Unifil-Positionen als menschliche Schutzschilde nutzten. Er fordert außerdem einen »ernsthaften Dialog« darüber, wie die unerfüllte UN-Resolution 1701 umgesetzt werden kann, denn die Alternative könnte ein offener regionaler Konflikt sein.“

Diese unerfüllte Resulotion ist von 2006, nur zur Information, und folgte auf andere Resulutionen zur territorialen Integrität des Libanon, die alle bis heute nicht umgesetzt sind, weshalb sich die UNO-Truppen dort aufhalten.

„El País: Israel hat offiziell den Abzug von Unifil beantragt. Was müsste passieren, damit die Truppen ihre Stellungen aufgeben?

Tenienti: Wir haben uns vor ein paar Tagen sehr klar ausgedrückt, und an diesem Sonntag hat der Generalsekretär [der UN, António Guterres] in einer bestimmten Weise auf Netanyahus Bitte reagiert. Auch als die israelische Armee uns aufforderte, einige Positionen in der Nähe der Blauen Linie zu verlassen, gab es eine klare Botschaft: wir werden bleiben. Es war eine einstimmige Entscheidung aller derzeit 50 truppenstellenden Länder: Es ist wichtig, eine internationale Präsenz im Süden aufrechtzuerhalten.
Wir sind auf Wunsch des Sicherheitsrats und der libanesischen Behörden hier. Wir haben uns entschieden zu bleiben, nicht nur, weil es Teil des Mandats ist, sondern weil eine internationale Präsenz erforderlich ist, um das Geschehen zu überwachen.
Derzeit sind unsere Überwachungsmöglichkeiten sehr begrenzt, da es für die Truppen bei anhaltendem Beschuss gefährlich sein kann, nach draußen zu gehen, und es von größter Bedeutung ist, ihre Sicherheit zu garantieren. Es ist aber auch die Pflicht der beteiligten Parteien, dies zu garantieren.“

Mit „beteiligte Parteien“ sind sowohl die Hisbollah als auch die libanesische Armee gemeint, aber vor allem die israelische Armee.

In den letzten Tagen kam es in Naqura, dem Hauptquartier der Mission, zu mehreren Angriffen gegen sie, teilweise von der israelischen Armee, bei denen Blauhelme verletzt wurden. Ein Turm wurde von einem Merkava-Panzer angegriffen, ebenso Überwachungskameras und die Beleuchtungsanlage. An einer anderen Position flog eine Drohne ganz nah an der Stelle vorbei, an der die Soldaten Zuflucht suchten. Und am Sonntag drangen zwei Panzer in eine Stellung ein und blieben dort 45 Minuten lang, wobei sie die Umfassungsmauern durchbrachen …
Es handelt sich um schwerwiegende Vorfälle, die einen klaren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht sowie gegen die (Resolution) 1701 darstellen. Und sie erschweren es der Mission, der Bevölkerung zu helfen.
Unifil ist keine humanitäre Mission, aber wir haben der Bevölkerung immer geholfen. Daher ist es sehr schwierig, den Tausenden von Menschen zu helfen, die im Südlibanon festsitzen und Wasser, Nahrung und Grundbedürfnisse benötigen.“

Das ist es offenbar, was Israel am meisten stört, ebenso wie in Gaza, daß die UNO-Mission sich der Vertreibungspolitik widersetzt und sie aus israelischer Sicht durch ihre Hilfeleistungen sogar hintertreibt.

„El País: Wenn die Möglichkeiten, die Bevölkerung zu überwachen und ihnen zu helfen, so begrenzt sind, hat das Bleiben dann ein symbolisches Element?

Tenienti: Das ist wichtig, denn es kann nicht sein, dass ein Mitgliedstaat das Schicksal einer Mission diktiert, die die internationale Gemeinschaft wünscht.
Wenn der Libanon beschließen würde, »geht bitte!«, würden wir gehen, weil wir auf Wunsch der libanesischen Regierung handeln. Aber es sind nicht die israelischen Behörden, die hier zu entscheiden haben. Das ist ganz klar.
Und die Überwachung ist wichtig, denn obwohl unsere Kapazität sehr begrenzt ist, haben wir immer noch 10.000 Soldaten an 50 Standorten entlang der Blauen Linie und im Einsatzgebiet. Wir können immer noch sehen, was passiert, und wir haben Radargeräte, die Bombenanschläge melden. Es bleibt also eine relevante Mission und wir werden dort bleiben, solange die Sicherheitsbedingungen erfüllt sind. Dann muss der Sicherheitsrat entscheiden.“

Diese Sätze sind unklar formuliert. Weswegen El País nachhakt:

„El País: Was wären diese Bedingungen?

Tenienti: Eine Risikobewertung müsste durchgeführt werden, wenn wir nichts überwachen könnten und ständig angegriffen würden. Dann müsste der Sicherheitsrat entscheiden. Das bedeutet nicht, dass wir gehen. Vielleicht werden sie sich für andere Optionen entscheiden.
Im Jahr 2006 dauerte der Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel 34 Tage“

– und ruinierte die Infrastruktur des Libanon sehr gründlich, wovon er sich bis heute nicht erholt hat –

„und wir verließen das Land nie, obwohl Israel libanesisches Territorium betrat. Nach dem Waffenstillstand wurde die Resolution 1701 angenommen, was mich zu dem Punkt bringt, dass 1701 die Resolution zur Beendigung des Konflikts war und dies auch jetzt noch sein kann, da alle ihre Elemente immer noch gültig sind.
Sie wurden nicht umgesetzt, das stimmt. Das meiste davon war schwierig umzusetzen. Aber wir sind immer noch hier, um dies zu garantieren. Es sind die betreffenden Parteien, die sich hier ins Zeug legen müßten. Die Umsetzung hängt von ihnen ab, nicht von uns. Bringen Sie mindestens 50.000 libanesische Truppen in den Südlibanon, stellen Sie sicher, dass es im Süden keine Waffen gibt, dass es keine weiteren Verletzungen des libanesischen Land- und Luftgebiets gibt …“

Hier merkt man eine Schwachstelle dieser Resolution – der Libanon liegt ökonomisch am Boden und kann sich kein so umfangreiches Heer leisten, um 50.000 Leute in den Süden zu schicken und dort dauerhaft zu stationieren. So kommt es, daß praktisch die Hisbollah einen guten Teil des Gewaltapparates des Libanon ausmacht, in einer Art Privatisierung von Staatsaufgaben.

„Ein weiterer relevanter Teil ist, dass die Blaue Linie nicht die Grenze ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren daran, diesen Punkt sichtbar zu machen. Es sind noch viele Fragen offen, weil beide Seiten bestimmte Gebiete beanspruchen. Dies geschah zwischen 2006 und dem 6. Oktober letzten Jahres (dem Tag vor dem Hamas-Angriff). Es gab Probleme, aber auch eine gewisse Stabilität. Dorthin müssen wir zurückkommen. Und das ist jetzt die größte Sorge, nicht nur für uns, sondern für die internationale Gemeinschaft. Dieser potenzielle regionale Konflikt. Die internationale Gemeinschaft muss ernsthafter und energischer eingreifen. Es gilt zu verhandeln und eine Lösung zu finden.

El País: Israel argumentiert, dass Unifil völlig ineffizient gewesen sei. Das wird dadurch untermauert, daß Israel seit der Invasion Videos von Hisbollah-Tunneln in der Nähe der UNO-Stützpunkte veröffentlicht.

Tenienti: Zunächst einmal können wir diese Zahlen oder Tunnel nicht unabhängig überprüfen, aber wir haben uns immer klar ausgedrückt. Wir haben den Sicherheitsrat über alle Ereignisse und Dinge informiert, die wir beobachten. Es gibt Bereiche, auf die wir keinen Zugriff haben. Die Privatsphäre ist für uns versperrt. Das Mandat erlaubte es den Einsatzkräften nicht, Häuser zu durchsuchen. Wir sind hier, um die libanesische Armee dabei zu unterstützen. Wir können also definitiv einiges von diesen Aufgaben übernehmen, aber nicht alle.
Gleichzeitig ist das Waffenproblem real. Es gab Verhandlungen und Vermittlungen mit den verschiedenen Parteien und wir haben in den letzten 18 Jahren versucht, daran zu arbeiten. Und dann kam natürlich der Oktober 2023 und wir konnten nicht weitermachen. Aber ich wiederhole, die mangelnde Implementierung ist nicht auf das Versagen von Unifil zurückzuführen. Außerdem wurden viele Dinge nicht getan, weil wir nicht über die entsprechenden Kapazitäten verfügten.“

Das kann sich sowohl auf Mannstärke und Bewaffnung als auch auf UN-Befugnisse beziehen.

„Darüber hinaus fanden in diesen 18 Jahren dreiseitige Treffen statt, die den wichtigsten Mechanismus zur Vertrauensbildung darstellten und bei denen sich die israelische und die libanesische Armee jeden Monat im selben Raum trafen. Es war ein echter Erfolg für zwei Länder, die sich im Krieg befinden und nicht miteinander reden. Es war sehr hilfreich in Situationen, die etwas Größeres hätten auslösen können.
Also ja, es besteht Bedarf, mehr zu tun. Aber wenn es diesen Bedarf gibt und der Sicherheitsrat und die internationale Gemeinschaft beschließen, dies zu tun, brauchen wir natürlich eine Vereinbarung im Sicherheitsrat, der beide Seiten zustimmen. Es ist interessant, dass sowohl Israel als auch der Libanon sagen, dass 1701 umgesetzt werden muss. Sie sind sich also einig, dass es immer noch gültig ist. Aber sie muß umgesetzt werden. Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.

El País: Wäre eine Änderung der Mission in Kapitel 7 [der Charta der Vereinten Nationen, die die Anwendung von Gewalt erlaubt] eine Option, wie Israel es vorschlägt?

Tenienti: Es muss vom Sicherheitsrat beschlossen werden, aber es würde bedeuten, alle notwendigen Mittel einzusetzen, um die Stabilität in einem Land wiederherzustellen, daher bedarf es der Zustimmung des Libanon.
Ich denke, es wäre sehr schwierig. Man braucht eine pragmatische Lösung. Und dafür braucht man auch Truppen. Wären Italien, Frankreich, Spanien oder wer auch immer bereit, hier Truppen zu stationieren, die Gewalt anwenden müssen?
Was wären die Ergebnisse? Es ist, als würde man sich selbst verteidigen. Würde es noch mehr Gewalt auslösen als der Versuch, mit friedlichen Mitteln eine Lösung zu finden?

El País: Kapitel 6, die Grundlage der derzeitigen Mission, erlaubt die Selbstverteidigung. Fallen die Angriffe, die Unifil in den letzten Tagen erhalten hat, nicht in diese Kategorie? Warum haben sie nicht darauf zurückgegriffen?

Tenienti: Ja, die Möglichkeit wäre da. Aber es ist etwas, das eingesetzt werden kann, wenn eine ernsthafte Bedrohung für unsere Friedenstruppen besteht …“

Diesbezüglich ist ja bereits einiges geschehen. Tote, Verletzte und unverhüllte Drohungen …

„El País: Ich beziehe mich nicht auf den letzten, sondern auf die Angriffe, die Unifil als vorsätzlich deklariert hat.

Tenienti: Ja, absolut. Der Kommandeur vor Ort muss entscheiden, ob eine Reaktion angebracht ist, oder er sieht, dass eine Reaktion nur noch mehr Gewalt auslösen und noch mehr Menschen töten oder verletzen würde.
Bei der Selbstverteidigung muss man sehr pragmatisch vorgehen. Wir wollen nicht Teil des Konflikts werden. Es ist nicht die Aufgabe der Friedenstruppe, mehr Gewalt auszulösen. Sie kann eingesetzt werden, aber wir müssen sie von Fall zu Fall analysieren.

El País: Fühlen Sie sich von der internationalen Gemeinschaft unterstützt?

Tenienti: Absolut. Die Unterstützung war sehr stark. Es gab ein Unterstützungsschreiben der EU und der Mitgliedstaaten an die Friedenstruppen. Biden selbst sagte, dass Friedenstruppen nicht angegriffen werden sollten. Auch der Papst. Natürlich sind das nur Worte, aber es zeigt, dass sich alle darüber einig sind, dass das, was passiert, nicht die Art und Weise ist, wie ein Land gegen die Friedenstruppen in dieser Region vorgehen sollte, denn ein Angriff auf sie ist nicht nur ein Angriff auf die 50 Länder, sondern ein schwerer Angriff gegen die internationale Staatengemeinschaft.
Wird sich die Situation ändern? Ich weiß es nicht, aber es ist ein Anfang und könnte zu einigen Verhandlungen führen.“

Klingt nicht sehr überzeugt.

„Resolution 1701 könnte die tragfähige Vereinbarung zur Umsetzung sein. Möglicherweise sind Änderungen erforderlich, aber eine ernsthafte Debatte ist notwendig, denn ich wiederhole, ein regionaler Konflikt könnte die Folge sein, wenn dieser Konflikt jetzt nicht beendet wird.“

Der regionale Konflikt ist doch längst da.

„El País: Netanjahu wirft den Unifil-Truppen vor, zum menschlichen Schutzschild der Hisbollah zu werden

Tenienti: Was wir in diesen Tagen gesehen haben, ist, dass israelische Truppen in unseren Stützpunkt eingedrungen sind. Es ist für Friedenstruppen sehr gefährlich, eine der kämpfenden Gruppen auf ihrem Stützpunkt zu haben. Sie können angegriffen werden. Warum? Weil sich darin israelische Truppen befinden.
Als sie nur noch wenige Meter von den Iren und den Polen entfernt waren, gerieten damit unsere Stellungen in Gefahr. Schauen wir uns also die Fakten an. Ich werde es nicht beurteilen, ich werde es nicht analysieren, weil es nicht meine Rolle ist. Aber ich würde die Leute einfach bitten, sich anzuschauen, was in diesen Tagen passiert und ob die Argumente der Israelis richtig sind oder nicht.

El País: Und haben Sie eine Situation identifiziert, in der Milizionäre der Hisbollah aus der Nähe der Unifil-Truppen schossen?

Tenienti: Nicht in den letzten Tagen. In diesem Moment befindet sich die israelische Armee auf libanesischem Territorium. Zuvor schoss die Hisbollah auf Israel. Jetzt gegen die israelischen Streitkräfte im Libanon, wo wir sind. Natürlich ist es schwieriger und gefährlicher geworden.

El País: Sehen Sie die klare Absicht, die Unifil-Truppen anzugreifen, als Signal an die Truppen, abzuziehen?

Tenienti: Nun, sie sagten uns, wir sollten gehen, also war die Botschaft klar …

El País: Ja, aber es ist etwas anderes zu sagen: »Wir möchten, dass das passiert«, als die Truppen anzugreifen.

Tenienti: Die Worte waren: »Ihr müßt abziehen.« Die Taten sind, dass es von ihnen Angriffe gegen unsere Truppen gegeben hat. Der Sprecher der (israelischen Armee) sagte gestern (am 13.10.), dass sie diese Vorfälle tatsächlich untersuchen würden, um herauszufinden, was passiert sei. Nehmen wir an, im Zweifelsfalle für den Angeklagten, Zweifel, dass einige Truppen nicht wussten, was sie taten.
Aber ich weiß nicht …
Ist es für irgendjemanden besser, niemanden dort zu haben?“

Keine Zeugen und freie Hand für die Okkupation fremden Territoriums, das wäre so ein Hintergedanke …

Pressespiegel Moskovskij Komsomoljets, 22.9.: Ein Portrait von Kamala Harris

„DIE »KLINISCHE GESCHICHTE« VON KAMALA HARRIS: GERÜCHTE ÜBER IHRE ANGEBLICHE DUMMHEIT ERWEISEN SICH ALS STARK ÜBERTRIEBEN

Eisernes Lachen

Jüngsten Meinungsumfragen zufolge ist der Vorsprung von Kamala Harris vor Donald Trump auf 5 % gewachsen. Das könnte sich natürlich noch ändern, aber unabhängig vom Ausgang des US-Präsidentschaftswahlkampfs hat Harris bereits Geschichte geschrieben: Sie ist die erste Frau, die als Vizepräsidentin der USA fungiert, und die erste schwarze Frau, die als offizielle Kandidatin der USA für eine der beiden großen Parteien aufgestellt wurde.

Nun, wenn die Wahlen mit einem Sieg für Harris enden, dann hat sie eine beträchtliche Chance, den Lauf der Geschichte zu verändern.

Allerdings besteht sowohl in den USA als auch im Ausland die Meinung, daß Kamala Harris nicht nur zu großen historischen Errungenschaften, sondern auch zur Führung des Landes im Allgemeinen nicht fähig ist. Vor allem Harris‘ Rivale im Präsidentschaftswahlkampf und seine treuen Anhänger sind in dieser Hinsicht sehr skeptisch.

Hier ist eine bei weitem nicht vollständige Sammlung von Trumps Aussagen zu den geistigen Fähigkeiten der demokratischen Präsidentschaftskandidatin: »Ich nenne sie Kamala die Lacherin. Ist dir aufgefallen, wie sie lacht? Wie verrückt … Sie hat nicht alle Tassen im Schrank … Kamala Harris kann mit zwei Worten beschrieben werden: böse und dumm. Das ist eine schlechte Kombination… Dumm wie die Nacht … Das ist eine Person mit einem niedrigen IQ-Niveau, die nicht mit den Führern anderer Länder mithalten kann …“

Wen Trump wohl dabei im Auge hat – mit einem höheren IQ?

„Wie Joe (Biden) vor ihr kann sie es keine zwei graden Sätze herausbringen.«

Viele Leute in Rußland sind in einem ähnlichen Geist beseelt. Hier ist zum Beispiel der Standpunkt des anerkannten russischen Politikexperten, Generaldirektor des Instituts für politische Studien Sergei Markov: »Kamala Harris lernt offenbar Reden auswendig und gibt sie dann als Improvisationen aus. Das heißt, Harris ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch geistig zurückgeblieben. Aber anders als Biden. Biden hat Demenz oder Alzheimer. Aber bei Harris muß es etwas anderes sein.«

Und der staatliche Rundfunksender Sputnik beschloß, diese Frage nicht unbeantwortet zu lassen und wandte sich, um eine genaue Diagnose zu stellen, an einen Facharzt mit entsprechendem Profil.

»Logororrhoe ist eine spezifische Sprachstörung, die sich durch bedeutungslose Phrasen und eine beschleunigte Sprechgeschwindigkeit äußert«, sagt die Psychiaterin Ajna Gromova in einem staatlichen Radiosender. »Diese Symptome können auf eine psychische Störung hinweisen, da Denken und Sprechen sehr eng miteinander verbunden sind. Der sogenannte ,Wortsalat’ kann Ausdruck verschiedener Krankheiten sein: Schizophrenie, Vergiftung oder auch organischer Hirnschäden.«“

Sapperlot, da wird ja dick aufgetragen!

„Um sicher zu sein, so die Fachärztin, sei natürlich eine gründliche ärztliche Untersuchung des Patienten erforderlich. Außerdem läßt sich vielleicht eine weitere Erklärung für das Verhalten der amerikanischen Vizepräsidentin finden. Vielleicht ist alles halb so schlimm:
»Einer der Gründe für die Sprechweise von Kamala Harris ist möglicherweise keine Krankheit, sondern einfach ein Mangel an beruflicher Kompetenz oder ausreichend tiefem Wissen über die Themen, über die sie spricht«, gibt die Psychiaterin zu. Kurz gesagt, in eine verständlichere Sprache übersetzt: Wenn nicht verrückt, dann einfach nur ein Dummerchen.

Nun, die Fachleute wissen natürlich alles am besten. Man hat jedoch das Gefühl, daß man sich nicht ganz auf all diese gut informierten Quellen über Harris‘ psychische Gesundheit verlassen kann.

Diese Quellen sind viel zu parteilich.

Nehmen wir zum Beispiel Donald Trump: Die Feindseligkeit gegenüber der »Patientin« ist so groß, daß er einfach außer sich ist. Man muß Trump zugutehalten, daß er seine Leidenschaften, die ihn verzehren, nie verheimlicht hat.

Hier ist eine solche negative »Liebeserklärung«: »Kamala Harris ist eine unglaublich abscheuliche Person. Die unhöflichste, schrecklichste, respektloseste und liberalste aller US-Senatoren. Ich kann nicht glauben, daß Joe Biden sie als seine Vizepräsidentin ausgewählt hat.«

Wie aus dem Kontext hervorgeht, wurde die Aussage im Jahr 2020 abgegeben, als Harris als Kandidat für das Amt des US-Vizepräsidenten zugelassen wurde. Und wie wir sehen, hatte Trump zu diesem Zeitpunkt keine Zweifel an Harris‘ intellektuellen Fähigkeiten. Dies ist eher ein verbales Porträt eines listigen und mächtigen »Doctor Böse« als von einem Dummerchen von der Straße. Ein solches wäre kaum in der Lage gewesen, bei einem rivalisierenden Politiker solch starke Gefühle hervorzurufen.

Was das russische Establishment betrifft, so wird seine Haltung gegenüber Harris in erster Linie von den Beziehungen zu den USA bestimmt, die sich, gelinde gesagt, derzeit nicht in ihrer historisch besten Phase befinden.
Der vielleicht einzige Vertreter der russischen herrschenden Elite, der kürzlich freundliche Worte über die US-Vizepräsidentin gesagt hat, war der Präsident Rußlands.

Erinnern wir uns daran, daß unser Staatsoberhaupt Harris zunächst als russische Favoritin im Rennen bezeichnet hat: »Wir unterstützen sie.«
Außerdem sprach er anerkennend über ihr berühmtes Markenzeichen – Lachen: »Sie lacht so ausdrucksstark und ansteckend, daß man sieht, daß es ihr gut geht. Und wenn es ihr gut geht, dann … Trump hat so viele Beschränkungen und Sanktionen gegen Rußland eingeführt, wie noch kein Präsident zuvor! Und wenn es Frau Harris gut geht, dann wird sie vielleicht von solchen Aktionen Abstand nehmen.«“

Man weiß nicht so recht, ob Vladimir Vladimirovitsch hier feine Ironie zeigt oder ob er nicht vielleicht auch seine Zweifel an der Regierungsfähigkeit und vielleicht Rußlandfreundlichkeit Trumps hat …

„Einige Leute, sowohl in Rußland als auch im Westen, nahmen diese Komplimente übrigens ernst, als eine Wende in der russischen Außenpolitik. Aber die Mehrheit betrachtete Putins Lob für Harris als Scherz oder Finte: Sie sagten, er habe nur Spaß gemacht.
Nun, das heißt, sie haben absolut richtig reagiert.
Kurz gesagt, bei einem so heiklen Thema wie dem IQ von Kamala Harris können russische Politiker und ihnen nahestehende Experten nicht beim Wort genommen werden. Das Bestreben, den Wunsch zum Vater des Gedankens zu machen, ist so groß, daß es nicht nur offensichtlich ist, sondern geradezu lautstark »schreit«.

Aber wie man so schön sagt: Wenn Sie paranoid sind, heißt das nicht, daß Sie wirklich niemand beobachtet.
Wenn Ihre politischen Gegner behaupten, Sie seien ein klinischer Idiot, heißt das nicht, daß Sie deshalb schlau sind. Versuchen wir daher, uns einer etwas objektiveren Quelle zuzuwenden – der Biographie der »Patientin«.

Hintergründe der angeblichen Krankheit

Beginnen wir mit der Anamneseerhebung bei den Eltern. Es ist gibt einen russischen Spruch, daß die Natur sich bei den Kindern ausruht.“

Damit ist gemeint, daß sie sozusagen ihr Pulver in einer Generation verschießt und dann für die nächste nix mehr übrig ist.

„Aber erstens gibt es noch ein anderes Sprichwort: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Und zweitens: Betrachtet man das Thema medizinisch, kommt man an der Vererbung nicht vorbei. Vererbung ist oft ein entscheidender Faktor für Dinge wie Intelligenz.

Fangen wir beim Vater an:
Donald Jasper Harris. Geboren 1938 in Jamaika. Er absolvierte das Gymnasium und anschließend die »University of the West Indies« (in Jamaika).
Danach setzte er seine Ausbildung außerhalb des Landes fort. Er erhielt seinen Bachelor-Abschluss 1960 von der University of London und seinen Doktortitel (in Wirtschaftswissenschaften) 1966 von der University of California (in Berkeley). Sein Betreuer für seine Abschlussarbeit war der Ökonom Daniel McFadden, Gewinner des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 2000.
Donald J. Harris selbst hat keinen Nobelpreis erhalten (zumindest noch nicht), aber sein Beitrag zur Wirtschaftswissenschaft ist allgemein anerkannt. Sein bekanntestes Werk ist die Monographie »Kapitalakkumulation und Einkommensverteilung«.
Er lehrte an den Universitäten Cambridge, Yale und Delhi und leitete die Graduate School of Social Sciences an der University of the West Indies. Seit 1972 ist er Professor an der Universität Stanford (USA, Kalifornien). 1998 ging der Wissenschaftler in den Ruhestand und blieb emeritierter Professor an der Universität Stanford.

Der väterliche Teil der Gene hat, offenbar keinen besonderen Einfluß auf die Entwicklung der Tochter gehabt. Auch keinen negativen.

Schauen wir uns nun die zweite Hälfte an.
Die Mutter Shyamala Gopalan (1938–2009) wurde in Madras (damals Britisch-Indien) geboren. Im Alter von 19 Jahren schloss sie einen Kurs am Lady Irwin College der Universität Delhi ab und erhielt einen Bachelor-Abschluss.
Sie setzte ihr Studium an der University of California in Berkeley fort. 1964 promovierte sie in Ernährung und Endokrinologie (Funktion der Drüsen).
Sie war in der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin tätig und konzentrierte sich auf die Bekämpfung von Brustkrebs.
Sie arbeitete an der University of California, den Universitäten Illinois, Wisconsin, der McGill University (Kanada) und dem Lady Davis Institute for Medical Research (Kanada). Zuletzt war sie am Lawrence Berkeley National Laboratory tätig.

So absolut unmöglich, Probleme bei Kamala Harris aufgrund ihrer genetischen Disposition zu erkennen. Sie hat solide positive Voraussetzungen.

Es kommt jedoch häufig vor, daß die gesamte Lebensenergie der talentiertesten Eltern im beruflichen Bereich aufgewendet wird und für die Kindererziehung nichts übrig bleibt. Kinder wachsen, sich selbst überlassen, wie Unkraut auf und verwandeln sich schließlich in weiß Gott was.

Aber auch das ist nicht der Fall. Die Kindheit von Kamala Harris kann zwar kaum als eine sehr erfolgreiche Kindheit bezeichnet werden: Als sie 7 Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern, und ihre Mutter zog die Kinder Kamala und ihre jüngere Schwester Maya alleine groß. Doch über Mangel an mütterlicher Liebe und Fürsorge konnten sich die Töchter überhaupt nicht beschweren.

»Sie hatte nur zwei Ziele im Leben: ihre Töchter großzuziehen und dem Brustkrebs ein Ende zu setzen«, sagt Kamala Harris in ihrem Buch »Truths in My Heart« aus dem Jahr 2019 über ihre Mutter. »Mama hat viel von uns verlangt und große Hoffnungen in uns gesetzt. Sie gab Maya und mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und gab uns das Gefühl, daß wir alles erreichen könnten, was wir wollten, wenn wir uns anstrengen.«

Diese Memoiren sind übrigens recht gut geschrieben. Man kann natürlich davon ausgehen, daß die Autorin einen guten und bemühten Literaturredakteur hatte, aber selbst dann waren die Rohstoffe für dieses Werk von sehr hoher Qualität: Bonbons stellt man nicht aus Abfällen her.

Aber kehren wir zu unserer (naja, das ist natürlich nicht unsere, sondern ihre US-amerikanische) Kamala und ihrem Lebensweg zurück.

Die Ausbildung, die sie erhielt, kann man nur als brillant bezeichnen. Die Angelegenheit beschränkte sich nicht auf den Standardlehrplan der Schule. Zur weiteren Ausbildung des Mädchens gehörte unter anderem Klavierunterricht.

»Dreimal pro Woche ging ich zu Frau Jones, die in unserer Straße wohnte«, erinnert sich Kamala an diese nicht einfache Zeit ihres Lebens. »Sie unterrichtete ernsthaft und streng. Jedes Mal, wenn ich auf die Uhr schaute, um zu sehen, wie viel Zeit bis zum Ende der Unterrichtsstunde blieb, schlug sie mir mit einem Lineal auf die Finger.« Darüber hinaus besuchte die junge Kamala die Ballettschule und die Schule für bildende Künste.

Auch später gab es keine Kompromisse. Kamala Harris hat zwei Universitäten im Gepäck. 1986 schloss sie ihr Studium an der Howard University (Washington D.C.) in Politologie und Wirtschaftswissenschaften ab. Danach ging sie an die University of California, wo sie Jura studierte. Sie schloss das Studium 1989 ab und wurde zugelassene Rechtsanwältin.

Generell wurde sie für den Start ins Leben mehr als gründlich vorbereitet. Und auch nachdem sie flügge geworden war, enttäuschte die kluge Kamala ihre Mutter in keiner Weise.

Der Beginn des Rachefeldzugs

Die Karriere von Kamala Harris kann kaum als rasant bezeichnet werden. Was jedoch für Menschen, die die Karriereleiter alleine erklimmen und keine Positionen durch Verbindungen oder Erbschaften erhalten, ganz normal ist.
Im Unterschied zu ihrem Erzrivalen Donald Trump, der aus seiner Studienzeit sofort auf den Vorsitz des Top-Managers des väterlichen Unternehmens wechselte und bereits drei Jahre später das Familienunternehmen leitete.

Harris‘ Weg in die beruflichen Höhen erwies sich als unvergleichlich länger. Aber erstens kontinuierlich und zweitens nach den Maßstäben des Verwaltungssystems eigentlich auch nicht gar nicht so langsam.
Im Jahr 1990 wurde Kamala stellvertretende Staatsanwältin für Alameda County in Kalifornien (die Hauptstadt des Bezirks ist ihre Heimatstadt Oakland). Im Jahr 2003 wurde sie zum Bezirksstaatsanwältin von San Francisco gewählt und hatte diese Position sieben Jahre lang bis 2011 inne.

Im Jahr 2010 erreicht Kamala Harris‘ berufliche Laufbahn ihren Höhepunkt: Sie wird zur Generalstaatsanwältin des Staates Kalifornien gewählt. 2014 wurde sie für eine neue Amtszeit von vier Jahren wiedergewählt, die sie jedoch nicht bis zum Ende ausübte: Nachdem sie 2016 die Wahl zur Senatorin des Bundesstaats Kalifornien gewonnen hatte, wechselte sie aus der juristischen Laufbahn in die politische.

Über Harris’ 26-jährige Amtszeit bei der Staatsanwaltschaft gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Meinungen sind unterschiedlich, oft sogar gegensätzlich.
Manche nannten sie zu weich, andere hingegen zu hart. Sogar grausam. Einige lobten sie für ihre Reaktionsfähigkeit und ihre unabhängige Position, während andere ihr Gleichgültigkeit und Nachgiebigkeit gegenüber den »Mächten dieser Welt« vorwarfen.“

Ein seltsamer Vorwurf an eine Juristin. Die dient doch, wie alle Vertreter des Rechts, der Macht in Form des Gewaltmonopols.

„Generell ist das Gesamtbild mehr oder weniger ausgeglichen: Negative Bewertungen werden durch positive ausgeglichen. Und umgekehrt.
Allerdings spricht dieser Nullsaldo eher für die Vizepräsidentin. Es wäre seltsam, wenn Harris, der mehr als ein Vierteljahrhundert damit verbracht hat, verschiedene Rechtskonflikte zu lösen, nur Lob erhalten würde.
Viel leichter kann man in dieser Position den eigenen Ruf irreparabel beschädigen. Kamala Harris konnte dies jedoch vermeiden. Wiederholte Wiederwahlen in Staatsanwaltschaftspositionen und der Sieg bei den Wahlen zum US-Senat deuten darauf hin, daß sich in ihren kalifornischen Schränken zwar sicherlich einige Leichen befanden, diese aber nicht besonders schwer wogen und in recht moderaten Mengen vorhanden waren.“

Der Verfasser des Artikels geht also davon aus, daß im Laufe einer juristischen Karriere immer irgendwelche dunklen Punkte zustandekommen …

„Nun, wir stellen insbesondere fest, daß selbst ihre schärfsten und eingefleischtesten Kritiker Staatsanwältin Harris nie für dumm und unfähig hielten. Sie warfen ihr viele Dinge vor, aber nicht lautes Lachen und geistige Behinderung.
Auf jeden Fall konnte der Verfasser dieses Artikels solche Kritiken zu diesem Abschnitt ihres Lebens nicht finden.

Offenbar wurde Kamala Harris für »dumm« erklärt, nachdem sie Trumps Weg kreuzte und wirklich zu seiner persönlichen Feindin wurde. Und das bei seiner leichten Hand, oder besser gesagt, Zunge.
Man kann das Datum des Beginns dieses Feldzugs genau benennen. Es war der 8. November 2016, der Tag, an dem Trump zum Präsidenten und Kamala Harris zur Senatorin gewählt wurden.

In ihrem Buch beschreibt Harris den Moment, als klar wurde, daß Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen würde: »Die Ergebnisse waren sehr beunruhigend. Irgendwann kam mein neunjähriger Patensohn Alexander mit Tränen in den Augen auf mich zu. Ich dachte, daß eines der Kinder ihn irgendwie beleidigt hätte. »Komm her, mein Baby. Was ist passiert?« Alexander hob den Kopf und sah mir mit zitternder Stimme direkt in die Augen: »Tante Kamala, dieser Mann kann nicht gewinnen. Er wird nicht gewinnen, oder?«“

Die politische Bildung dieses Neunjährigen ist bemerkenswert. Nicht nur, daß er wußte, was ein Präsidentschaftswahlkampf ist, er wußte auch, wer der Böse ist.

„Und hier geht es um das Ende dieses schicksalhaften Tages voller widersprüchlicher Ereignisse und Erfahrungen: »Nach dem Abendessen gingen wir zu einer Party, bei der sich mehr als 1000 Menschen versammelten. Ich war keine Kandidatin mehr für die Ämter in Kalifornien. Ich war eine gewählte US-Senatorin, die erste schwarze Frau aus meinem Bundesstaat und die zweite in der Geschichte des Landes, die diesen Job bekam … Vor einiger Zeit schrieb ich eine Rede, die auf der Annahme beruhte, daß Hillary Clinton unsere erste Frau als Präsidentin werden würde. Als ich jedoch auf die Bühne ging, um meine Unterstützer zu begrüßen, war mir bereits klar, daß diese Annahme nicht wahr werden würde … Im Gedenken an Alexander und alle anderen Kinder stellte ich die Frage: ;Werden wir uns zurückziehen oder kämpfen?’ Ich rufe dazu auf, zu kämpfen! Ich werde jedenfalls kämpfen.«

Und Kamala hielt ihr Versprechen gegenüber ihren Anhängern: Während ihrer Amtszeit im US-Senat gab es im Oberhaus des Parlaments keine konsequentere, unerbittlichere und erbittertere Gegnerin Trumps als sie. Was übrigens durch die »Titel« bestätigt wird, die er Harris am Ende dieser Phase ihrer politischen Karriere verlieh: »Die unhöflichste, die schrecklichste, die respektloseste, die liberalste aller Senatoren.«
Der Beiname »dumm« wurde dieser Liste hinzugefügt, als sie das Amt der Vizepräsidentin übernahm. Wozu sie selbst teilweise beigetragen hat.

Endgültige Diagnose

Es sei darauf hingewiesen, daß der Vizepräsident im amerikanischen Machtsystem im Wesentlichen eine symbolische, zeremonielle Figur ist. Er verfügt über keine nennenswerte Macht. Und es gibt keine Möglichkeit, in grundlegenden Fragen eine eigene Position zu äußern, die von der des Präsidenten abweicht.

»Mein Land hat mir in seiner Weisheit das unbedeutendste Amt verliehen, das der Mensch je erfunden oder geschaffen hat«, schrieb vor 230 Jahren einer der Gründerväter der USA und der erste amerikanische Vizepräsident, John Adams (Präsident der USA 1797–1801).

Daran hat sich seitdem wenig geändert.

Politiker, die als Vizepräsidenten fungierten, lösten das Problem der gebundenen Hände auf unterschiedliche Weise. Grob gesagt, man benahm sich als eine Art Hausrat, unauffällig. Mit anderen Worten: Man trat in den Schatten seines Chefs und ragte von dort praktisch nicht mehr heraus. Aber für Harris‘ aktive Natur war ein solches Rezept natürlich inakzeptabel. Sie ging einen anderen Weg.

Harris trat in diesen Jahren viel und oft auf. Aber wenn man sich aus irgendeinem Grund an diese Reden erinnerte, dann vor allem wegen ihrer Leere. Es bringt jedoch auch nichts, ihre Sinnlosigkeit zu übertreiben.

Viele russische Journalisten und Blogger zitieren gerne die »Rede von Kamala Harris«, die letztes Jahr im Internet weit verbreitet war, als klaren Beweis dafür, daß die US-Vizepräsidentin nicht ganz dicht ist.

Wörtlich hieß es dort: »Heute ist heute. Und gestern war für uns heute, aber eben gestern. Und morgen wird für uns heute sein – aber eben morgen. Lebe also heute, damit die Zukunft von heute für dich so sein wird wie die von gestern, nur von morgen.«

Das ist natürlich Blödsinn. Aber Harris selbst hat mit diesem Schwachsinn nichts zu tun. Dies ist ein Deepfake, der von einem neuronalen Netzwerk erstellt wurde. Es ist nicht bekannt, wer genau das gefälschte Video der künstlichen Intelligenz in Auftrag gegeben hat, aber Anhänger der Vizepräsidentin können wohl getrost aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen werden. Es ist das Lager der Gegner, wo man die Anstifter vermuten kann.

Sie machte jedoch einige eigene Fehler. Wie sich für eine starke und langfristige Partnerschaft zwischen den USA und der Republik Nordkorea erklären, womit natürlich ein anderes Korea, Südkorea, gemeint war.
Ein anderes Mal forderte sie zu Umweltthemen eine Reduzierung der Menschheit: »Wenn wir in saubere Energie, in Elektromobilität investieren und die Bevölkerung reduzieren, werden mehr unserer Kinder saubere Luft atmen und sauberes Wasser trinken können.« Zu dieser Bemerkung mußte das Weiße Haus eine besondere Klarstellung machen: Es hieß, die Vizepräsidentin habe sich versprochen, als sie »Bevölkerung« (population) statt »Umweltverschmutzung« (pollution) gesagt habe.

Und so weiter und so weiter.

Aber Hand aufs Herz, das weist wirklich nicht auf eine besondere Pathologie hin. Alle Politiker versprechen sich hin und wieder, und je offener und öffentlicher sie sind, desto häufiger tun sie das.
Und wie viele Politiker halten lange, pompöse und leere Reden! … Gibt es eigentlich noch andere Politiker auf der Welt?“

Der Autor meint offenbar, das wenige, das Politiker zu sagen haben, könnte man auch in kürzeren Reden unter die Leute bringen.

„Es ist schwer zu sagen, inwieweit Trump und die Trumpisten selbst an den von ihnen geschaffenen und fleißig gepflegten Mythos über die Dummheit und völlige Inkompetenz von Harris geglaubt haben.
Aber es scheint, als würden sie sogar immer noch daran glauben. Andernfalls wäre Trumps vernichtende Niederlage in seiner ersten und wahrscheinlich letzten Kandidatendebatte mit Harris kein so großer Schock für dieses Lager gewesen.

In diesem Fall sind die Trumpisten in ihre eigene Falle geraten. Nun, in gewissem Maße sogar unter Mithilfe von Harris selbst.

Nach Ansicht einiger Experten wurde das Bild, mit dem sie in den Präsidentschaftswahlkampf ging, das Bild von »Kamala, der Lacherin«, einer schwachen und wehrlosen Frau, die das schurkische Schicksal in die fremde und feindselige Männerwelt der großen Politik geworfen hat, absichtlich von ihr geschaffen .

»Trump versuchte, Kamala mit den gleichen Methoden zu bekämpfen, mit denen er Hillary Clinton bekämpfte«, sagt beispielsweise Alexandra Vojtolovskaja, Forscherin am Zentrum für Nordamerikanische Studien von IMEMO. »Und das ist schiefgegangen, denn Kamala Harris ist nicht wie Hillary Clinton. Sie benützt überhaupt nicht das Bild einer starken Politikerin, der bereit ist, einen Mann in einem Männerbereich zu bekämpfen. Das verunsichert Trump.«

Leute, die sich besser auskennen, sagen schon lange, daß sich unter der Maske eines lachenden Einfaltspinsels ein ganz anderer Mensch verbirgt. Eine Art Eiserne Lady. »Harris kommt aus der Welt des Gerichts«, schrieb das Frauenmagazin Vogue 2018 über sie. »Das bedeutet, daß sie zwar freundlich und lustig ist, sich aber auch in konfrontativen Situationen zu Hause fühlt: Ein lockeres Gespräch kann ohne Vorwarnung zu einem harten Verhör werden.«

Ein weiteres Merkmal der Harris-Kampagne besteht darin, Fragen zu ihrem Präsidentschaftsprogramm nicht klar zu beantworten. »Sie will sich vor den Wahlen bewußt nicht zu erkennen geben«, ist sich Alexandra Vojtolovskaja sicher. »Dieses Ausweichen spielt ihr in die Hände – sie läßt die Wähler im Unklaren darüber, was sie ist und wie ihre Politik aussehen wird.«“

Das kann natürlich auch nach hinten ausgehen, weil wer wählt schon gerne die Katze im Sack?
Wahlversprechen hingegen betören das Wahlvolk und verpflichten zu nichts.

„Die gute Nachricht ist: Wenn die Dinge bei den »großen Rennen« in den USA so weitergehen wie bisher, wird die Intrige bald ans Licht kommen.“

D.h., es wird sich herausstellen, was Kamala Harris vorhat.

„Es besteht jedoch der Verdacht, daß die Antwort auf die Frage »Wer ist Frau Harris?« beileibe nicht jedem gefallen wird.“

Serie „Lateinamerika heute“, Teil 21: Costa Rica

MILITÄRFREIE ZONE

Costa Rica ist neben seiner neueren Karriere als mittelamerikanisches Ferienparadies vor allem dafür bekannt, daß es keine Armee besitzt.

Das ist einerseits bemerkenswert. Jeder Staat auf der Welt hat normalerweise ein Heer und begründet das damit, daß man sich ja ständig gegen böse Feinde verteidigen muß bzw. davon abhalten muß, einen zu überfallen.

Außer Costa Rica verzichten nur Island, Haití, die Salomonen und einige kleine Inseln und Stadtstaaten auf diese Abteilung des staatlichen Gewaltapparates.
Das weist darauf hin, daß Costa Rica offenbar keine Feinde hat und auch keine Interessen, mit denen man sich andere Staaten zu Feinden macht.
Zusätzlich zur Armeelosigkeit ist es nämlich auch noch neutral und hat keinerlei offene Grenzfragen mit Nachbarstaaten.

Man fragt sich wirklich, wie in dem an Konflikten und Elend nicht gerade armen Mittelamerika ein solcher Staat zustandekommen konnte?

Rückzugsgebiet von Minderheiten und Armenhaus der Kolonie

Kolumbus gab der Gegend den Namen „Reiche Küste“. Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens.
Die Eroberung und spätere Besiedlung ging in sehr gemächlichem Tempo voran, weil jeder Eroberer, der seine Nase in das Territorium Costa Ricas steckte, herausfand, daß es dort nichts zu holen gab.

Die Eingeborenen, die es dort zu Kolumbus’ Ankunft durchaus gab, verstarben mit der Zeit an den von den Europäern eingeschleppten Infektionskrankheiten. Viele Konflikte erledigten sich dadurch von selbst. Heute machen die Indigenen ca. 2% der Bevölkerung aus.

Der Mangel an Bergbau oder Plantagenwirtschaft machte auch das Einführen von Sklaven aus Afrika unnötig.

Sowohl die Beamten der Kolonialverwaltung als auch die Kleriker, die sich nach Costa Rica begaben, waren notgedrungen anspruchslose Personen.

Der Ausspruch Galeanos von der „Armut der Menschen als Ergebnis des Reichtums der Erde“ bestätigt sich in Costa Rica in umgekehrter Weise: Es konnte kein großes Elend entstehen, weil sich dort keine Reichtümer anhäufen ließen.

Die Landwirtschaft bzw. das Grundeigentum

Mühsam warben die frühen Eroberer oder besser Erschließer dieser Gegenden Siedler an, die unerfreulichen Lebensumständen in Spanien zu entkommen versuchten. Es waren entweder verarmte spanische Kleinadlige, Bauern aus dem Norden oder konvertierte Juden, die dem Elend zu Hause oder der Inquisition entkommen wollten. Auch Protestanten suchten Zuflucht in diesem Niemandsland.

So bildete sich in Costa Rica eine größtenteils auf Subsistenz beruhende Landwirtschaft von kleinen Bauern heraus, die sich bescheiden weiterbrachten. Sie bauten neben den für ihren eigenen Konsum bestimmten Feldfrüchten auch handelsfähige Produkte wie Tabak, Kaffee oder Kakao an, die auf Maultierrücken in die Städte der umliegenden Provinzen transportiert wurden. Kleinformatige Aufstände und Piratenüberfälle störten hin und wieder diese ärmliche Idylle.

Große Teile des Territoriums wurden während der Kolonialzeit nie besiedelt. Neben den Bauern hielten sich abgeschiedene indigene Gemeinden, der Rest blieb Wildnis. Ein paar Großgrundbesitzer gab es zwar, aber sie waren eben ähnlich wie der Rest sehr bescheiden, besaßen weder große Flächen noch eine nennswerte Anzahl von Sklaven, die sie bewirtschafteten.

Nach der Unabhängigkeit wurde weiter nach Siedlern gesucht, die das unbebaute Land erschließen sollten. Sie erhielten das Land geschenkt, erhielten Eigentumstitel gegen geringe Abgaben. So kam ein neuer Schwung von Habenichtsen nach Costa Rica, die im Schweiße ihres Angesichts Wälder rodeten und Land urbar machten.

Durch diese unabhängige Bauernschaft und die vielen Produkte kam es auch nie zu Monokulturen wie in anderen Teilen Lateinamerikas. Sogar die Banane konnte sich trotz heftiger Aktivitäten des US-Kapitals nicht in gleichem Ausmaß wie in anderen lateinamerikanischen Staaten durchsetzen.

Hier hat sich inzwischen einiges getan. Ende des vorigen Jahrhunderts wurden gemäß dem Washington Konsens Privatisierungen auf die Tagesordnung gesetzt. Seit Costa Rica 2004 dem Freihandelsabkommen CAFTA mit den USA beigetreten ist, haben Investitionen, Gesetzesänderungen und die moderne Art des Bauernlegens mittels Banken und Krediten einiges verändert. Das moderne Agrarkapital hat auch den traditionellen costaricanischen Bauernstand reduzieren geholfen.

Man merkt hier, wie diese Freihandels-Abkommen sich keineswegs auf den Handel beschränken, sondern in die Rechtspflege und die Eigentumsverhältnisse eingreifen.

Tourismus

Freiwerdende Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft wurden von dem seit den 80-er Jahren ständig anwachsenden Tourismus-Sektor aufgesogen.

Auch hier gelang es den Costaricanern, aus der Not eine Tugend zu machen: Klein strukturierte Landwirtschaft mit mehr Human- als sonstigem Kapital und viel Wildnis – ideal für sanften Tourismus!

Costa Rica war Pionier des Öko-Tourismus. Flugs wurden viele brachliegende Naturschönheiten zu Nationalparks oder zu Orten von nationalem Interesse erklärt, sie wurden und blieben staatlich. Und Costa Rica ging damit international auf Werbefeldzug. Sie wollen Ballermännern entkommen? Sie wollen Naturbeobachtungen machen, aber doch am Abend warm duschen? Da sind sie bei uns genau richtig!

„Der Tourismus in Costa Rica ist einer der wichtigsten und am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige des Landes und stellt seit 1995 die erste Einnahmequelle der Wirtschaft dar.
Seit 1999 generiert der Tourismus mehr Deviseneinnahmen für das Land als der Export ihrer traditionellen Agrarprodukte: Bananen, Ananas und Kaffee. Der Tourismusboom begann 1987. Die Zahl der Besucher stieg von 329.000 im Jahr 1988 auf eine Million im Jahr 1999 und überstieg 2008 die 2-Millionen-Marke, bis sie im Jahr 2015 den Rekord von 2,6 Millionen ausländischen Touristen erreichte.“ (Wikipedia, Turismo en Costa Rica)

Unabhängigkeit

Ebenso unaufregend wie die Kolonisation gestaltete sich auch die Erringung und Bewahrung der nationalen Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit kam von außen – schwups, auf einmal war die Kolonialmacht weg.

Das Gebiet blieb für die dortigen Beamten und sonstigen Bewohner irgendwie übrig, weil niemand sie wollte. Keine Armeen durchquerten Costa Rica, keine Caudillos lieferten sich Bürgerkriege. Wofür denn auch? Für ein paar Kühe oder 3 Kaffeesträucher?
Diese beschauliche Ereignislosigkeit bescherte Costa Rica 1824 auch noch einen Gebietsgewinn, als eine Provinz Nicaraguas sich freiwillig Costa Rica anschloß, um eine Ruhe von den Machtkämpfen der nicaraguensischen Eliten zu haben.

Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit besaß Costa Rica keine Ärzte oder Spitäler oder Apotheken, sondern nur Heiler mit einiger Kenntnis von Pflanzen und Kuren für die Krankheiten, die eben so auftraten. Es gab kaum Schulen, die meisten Bewohner waren Analphabeten. Von höherer Bildung keine Spur. Die einzigen Gebildeten waren die Priester.

Die über das Land hereingebrochene Unabhängigkeit nötigte die spärlichen Eliten dazu, sich um so Dinge wie Bildung, Gesundheitswesen, Infrastruktur usw. zu kümmern. Auf einmal war das alles notwendig, da von den Metropolen des Nordens nix mehr kam.

Staatswerdung

Der Versuch, die Infrastruktur zu entwickeln – vor allem durch Eisenbahnbauten – und neue Quellen des Reichtums, vor allem im Begbau, zu erschließen, führte im 19. Jahrhundert zu Wellen der Einwanderung aus Europa, Jamaica und China.

Diese Einwanderung aus allen Teilen der Welt verursachte die Notwendigkeit, ein Bildungssystem zu etablieren, das diese verschiedenen neuen Bürger über nationale Bildung und Spracherwerb in Wort und Schrift integrierte. Das Schulsystem Costa Ricas entstand in der gleichen Langsamkeit und in Schüben wie alles andere in der Geschichte dieses Staates. Erst im 20. Jahrhundert wurden Universitäten gegründet.

Ähnlich sah es mit der Rechtspflege aus. Die kam auch erst so um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in die Gänge. Da wurden Volkszählungen, Gerichte, Gefängnisse und ein Wahlregister eingerichtet, um überhaupt einmal eine Nation, ein Verhältnis von Oben zu Unten zu schaffen, wo alle Bürger erfaßt und in das staatliche System einbezogen wurden.

Im 19. und auch im 20. Jahrhundert war ein weiterer Vorteil Costa Ricas, daß durch seine geringe Attraktivität für ausländisches Kapital keine nennenswerte Verschuldung stattfand. Sogar die Aktivitäten der US-Unternehmer in Sachen Eisenbahn usw. funktionierten nur dann, wenn sie das Kapital vorschossen, um nicht an der staatlichen Zahlungsunfähigkeit zu scheitern.

Für die Entwicklung Costa Ricas war der Sohn katalanischer Emigranten, José Figueres Ferrer entscheidend, der nach einer kurzen Rebellion im Jahr 1948 zum Präsidenten aufstieg. Er schaffte das Heer ab, etablierte einen Sozialstaat,  und entwickelte die Infrastruktur und das Bildungswesen. Er machte dadurch Costa Rica zu einem attraktiven Staat für Einwanderer und Investitionen.

Wie das alles finanziert wurde, ist eines der Rätsel Costa Ricas. Es jedoch bemerkenswert, daß das Land nie in die in der weiteren Umgebung öfter vorkommenden Schuldenkrisen geriet. Es hat auch eine eigene Währung, den Colón (= Kolumbus), der nie besonders inflationär war, weshalb auch keine großen Währungsreformen nötig wurden.

Der Gewaltapparat

Costa Rica hat eine Polizei. Immerhin gibt es auch dort eine Eigentumsordnung und sonstige Gesetze, deren Einhaltung überwacht werden muß. Man merkt aber an Costa Rica – das eine bemerkenswert hohe Rechtssicherheit aufweist –, daß, wo es nicht viel Elend gibt, auch nicht viel Polizei nötig ist. In Costa Rica kommt nach offiziellen Angaben 1 Polizist auf 413 Einwohner. Im ebenfalls nicht besonders rechtsunsicheren Österreich war das Verhältnis im Vorjahr, d.h. 2023, 1 zu 239.

Die Polizisten Costa Ricas erhalten ihre Ausbildung im Ausland, da es gar keine Polizeiakademie oder dergleichen gibt. Nachdem ein Schub Polizisten, die von den USA in der „School of the Americas“ ausgebildet worden waren, gleich einmal ein kleines Massaker anrichtete, – weil sie die Subversionsbekämpfung unbedingt praktizieren wollten, auch wenn es keine Subversion gab – wurde die Ausbildung etwas diversifiziert. Inzwischen wird Spanien als Ausbildungsstaat bevorzugt.

Die Sicherheitsprobleme Costa Ricas kommen heute vor allem von außen: Erstens liegt es auf der Drogen-Route für das Kokain aus Kolumbien, zweitens schleppt sich ein ständiger Strom von Flüchtlingen aus der ganzen Welt von Südamerika durch Costa Rica Richtung Norden, um in das Gelobte Land USA zu gelangen.

Die Politik Costa Ricas besteht darin, daß sie versucht, diese Reisenden möglichst schnell von der südlichen Landesgrenze zur nördlichen zu schieben, wo das benachbarte Nicaragua eine ähnliche Politik betreibt, was dem großen Bruder im Norden sehr mißfällt.

Da aber Costa Rica eine privilegierte Stellung genießt, schlossen die USA unter Trump mit anderen Staaten ein Rückführungsabkommen ab ( – das inzwischen von seinem Nachfolger aufgekündigt wurde).

Die Stellung Costa Ricas in beiden Amerikas und in der Welt

Ihren ersten wichtigen außenpolitischen Auftritt hatte die Regierung Costa Ricas Mitte des 19. Jahrhunderts, als der damalige Präsident Mora eine zentralamerikanische Allianz schuf, um den US-Abenteurer Walker daran zu hindern, eine Art US-Brückenkopf in Nicaragua zu errichten.

Später geriet das Land in Territorialstreitigkeiten, vor allem aufgrund der beiden anvisierten Routen für den späteren Panamakanal. (Die 2. Route war durch den Nicaraguasee geplant, ein Projekt, das hin und wieder auftaucht und wieder verschwindet.) Costa Rica lag zwischen den beiden Routen – ein weiterer historischer Glücksfall – wurde aber durch die Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen.

Rund um den I. Weltkrieg und danach geriet Costa Rica in verstärkte Abhängigkeit von den USA in dem Maße, in dem es sich aus der britischen löste, die sich vor allem an der Pazifikküste gezeigt hatte. Das sogenannte Taft-Urteil entband Costa Rica des Schuldendienstes gegenüber britischen Banken, die damit korrupte Geschäfte eines früheren Machthabers finanziert hatten – damit war klargestellt, daß sich die USA die Jurisdiktion über Costa Ricas Geldgeschäfte zusprachen.

Amerika den Amerikanern!

In realistischer Einschätzung seiner geringen Größe und sich der daraus ergebenden Bedeutungslosigkeit segelt Costa Rica seither im Windschatten der USA und vermeidet Konfrontationen mit der Weltmacht.

Von 1961 bis 2003 waren die diplomatischen Beziehungen Costa Ricas zu Kuba auf Eis gelegt.
Vorsichtiger positionierte sich Costa Rica gegenüber den Sandinisten in Nicuaragua. Weder wurden sie nach ihrem Sieg groß unterstützt, noch gab sich Costa Rica allzu lange für ihre Bekämpfung her.

Costa Rica hat sich inzwischen etabliert als eine Art lateinamerikanische Moralinstanz, dessen Politiker in Konflikten zu vermitteln versuchen. In der Hauptstadt San José wurde die Amerikanische Menschenrechtskonvention 1969 initiert und später erweitert.

Der Präsident Arias Sánchez erhielt 1987 den Friedensnobelpreis für seine Vermittlungstätigkeit in den Bürgerkriegen Mittelamerikas.

Eine ausführlichere Version dieses Beitrags findet sich hier.

______________________________________________

Weitere Artikel zu Lateinamerika kann man hier finden.

Ansonsten:

Wahlsieg Mileis in Argentinien – 2023

Sturz Castillos in Peru – 2023

Unruhe im Hinterhof – 2023

Das weltweite Finanzsystem: Argentiniens Schulden – 2022

Ein neuer Präsident in Chile: Gabriel Boric – 2022

Wie geht Propaganda? BERICHTERSTATTUNG ZU KUBA – 2021

Über die Dissidenz in Kuba – 2021

Venezuela und die Karibik. Das Petrocaribe-Programm – 2021

Fluch der Karibik, Teil I & II – 2021

Argentiniens Schulden – 2021

Statistiken zur Sterblichkeit in Sachen Coronavirus: LATEINAMERIKA – 2020

Nachruf auf Ernesto Cardenal: Die Revolution wird beerdigt – 2020

Bolivien: Der medial abgesegnete Putsch – 2020