Pressespiegel El País, 30.8.: Zur Verhaftung Durovs

„LÜGEN, PANIK UND LEAKS IN RUSSLAND NACH DER VERHAFTUNG VON PAVEL DUROV, DEM GRÜNDER VON TELEGRAM

Das Regime befürchtet, daß die Verhaftung die nationale Sicherheit gefährdet, weil es Informationen über den Krieg in der Ukraine oder Geheimnisse aus den dunklen Büros Moskaus hat. Als der Gründer von Telegram letzten Samstag in Frankreich verhaftet wurde, gerieten sowohl der Kreml als auch sein Verteidigungsministerium und letztendlich der allmächtige russische Staat in Panik und gaben ihren Mitarbeitern einen absurden Befehl: »Löschen Sie alle Chats.«

Absurd, weil es genauso wirkungslos wäre wie das Herausziehen der Kabel vom Computer oder das Ausschalten des Telefons: Telegram funktioniert nicht so und die Daten seiner Nutzer bleiben in der Cloud des Unternehmens gespeichert. Diese Geste zeigte jedoch, daß Rußland eine äußerst sensible Angelegenheit der nationalen Sicherheit in die Hände eines Enfant terrible, Pavel Dúrov, gelegt hat: seine Telekommunikation, von der Front bis zu den dunklen Büros Moskaus.“

Was wohl mit diesen „dunklen Büros“ gemeint ist? Offenbar sind für den Autor alle Büros in Rußland dunkel, weil ja Russen drinnen sitzen!

„»Pavel Durov wurde verhaftet. Dieser Angriff auf das Nachrichtensystem, von dem die Hälfte des Militäreinsatzes in der Ukraine abhängt, war vorhersehbar. Hat da bisher niemand an so etwas gedacht?!«, prangerte auf seinem eigenen Telegram-Kanal einer der wenigen russischen Kriegskorrespondenten an, die Putin in seinem Büro empfängt, Alexander Sladkov.“

Offenbar läuft ein guter Teil der Kommunikation zwischen den Kommandostellen und der Front über diesen Dienst.
Sladkov ist Korrespondent des russischen Staatsfernsehens. So wenige sind die Korrspondenten gar nicht, die Putin regelmäßig empfängt, um sich mit ihnen auszutauschen. Er selber hat offenbar auch nicht daran gedacht und einen eigenen Telegram-Kanal betrieben.

„»Es gibt viele Witze darüber, daß die Verhaftung von Pavel Durov mit der Verhaftung des Kommunikationschefs der russischen Streitkräfte gleichzusetzen ist. Nun, ein großer Teil der Kontrolle der Truppen hängt von Telegram ab«, räumte Kremlberater Alexej Rogozin ein. »So verrückt es auch erscheinen mag: Geheimdienstdaten, Artillerieanpassungen, Videoübertragungen aus Hubschraubern und vieles mehr.«“

Die russische Armee hat sich offenbar auf die Verschlüsselungstechniken von Telegram verlassen. Man vergesse nicht, daß die nicht von Pavel, sondern seinem Bruder Nikolaj stammen, der nach wie vor in Rußland lebt.

„Am anderen Ende des Telefons antwortet auf die Anfragen von El País Michail Klimarjov, Direktor der Gesellschaft zum Schutz des Internets.“

Klimarjov ist ein exilierter Russe, der nicht „das Internet“ schützen, sondern russische Internetzensur bekämpfen will, mit seiner Organisation „Internet Without Borders“. Er ist also ein Dissident und, ähnlich wie Durov, ein Anhänger eines „freien“ Internets.

„»Der Einsatz von Telegram für militärische Zwecke zeugt von einem klaren Mangel an Professionalität und einem Scheitern«, sagt der russische Telekommunikationsexperte aus dem Exil.
»Die Ukrainer haben Signal [einen anderen Messaging-Dienst mit offenem Code] übernommen und das Ruder herumgerissen. Sie haben den Code übernommen“

– vermutlich nicht nur übernommen, sondern umgestaltet –

„und ihre eigenen Server bereitgestellt«, erklärt der Aktivist. »Rußland kann es auch schaffen, aber es wird Zeit brauchen. Signal funktioniert nicht so gut wie Telegram und jetzt müssen sich Tausende von Menschen umstellen, die ein anderes Telekommunikationssystem brauchen, aber an Telegram gewöhnt sind«, sagt Klimarjov.

»Höchstwahrscheinlich werden [die russischen Streitkräfte] versuchen, die Änderung sofort vorzunehmen, aber es ist klar, daß Durovs Verhaftung die Kampfkraft der russischen Armee verringert hat«, bemerkt der Dissident. »Sie sind in einer schwierigen Situation.«

Gesperrt bis 2020

Telegram war in Rußland wegen Nichtkollaboration mit seinen Sicherheitskräften bis zum 18. Juni 2020 verboten – bis zu dem Tag, an dem die Behörde, mit der der Kreml das Internet zensiert, Roskomnadzor, überraschend ihr Veto gegen Durows Plattform aufhob.“

Diese Formulierung ist insofern irreführend, als Telegram nur zwischen Anfang 2018 und Juni 2020 gesperrt war, von seiner Gründung 2013 bis 2018 jedoch legal verwendet werden durfte.

„Wenige Wochen später ersetzte das gesamte Kreml-Staatsnetzwerk seine Kommunikation mit westlicher Software wie WhatsApp und Skype durch Telegram. Es handelte sich um eine allgemeine Anordnung, die sowohl die Organe der Präsidialverwaltung als auch die Fernsehsender betraf, mit denen Putin seine Propaganda im Ausland verbreitet, wie diese Zeitung bestätigen konnte.“

Das ist in der Tat beachtlich, denn Durov saß mit seiner Firma damals bereits in Dubai. Offenbar hielten die russischen Behörden Telegram für sicher und unknackbar und vertrauten auf die Verschlüsselungs-Taktiken.
Daß die physische Person des Betreibers sich als Sicherheitsrisiko erweisen könnte, wurde offenbar von den Gemeindienst-Spezialisten nicht bedacht. Vladimir Vladimirovitsch hat hier gepatzt.
Vermutlich laufen inzwischen in Moskau Versuche, Telegram zu zerstören und die Daten auf den Servern in Dubai und anderswo zu vernichten.

„Margarita Simonjan, Direktorin eines dieser Medien, Russia Today, forderte alle auf, ihre Telegram-Nachrichten zu löschen, sobald die Verhaftung bekannt wurde, und spielte auf einen Mythos über diesen Internet-Dienst an. »Durov wurde festgenommen, um die Schlüssel [zu den Chats] zu stehlen«, schrieb Simonjan präzise auf ihrem Telegram-Kanal.

In Wirklichkeit gibt es keinen »universellen Schlüssel«, mit dem Dritte, also Außenstehende, alle Nachrichten nach eigenem Ermessen lesen können, da ihre Verschlüsselungs–Schlüssel zum Zeitpunkt des Sendens zwischen den Benutzern erstellt werden.“

Ähnlich wie seinerzeit bei der Enigma-Maschine, wird also jede Botschaft neu verschlüsselt.
Am Knacken der Enigma-Maschine waren auch viele Personen beteiligt und es dauerte jahrelang.
Es geht also jetzt ein Wettlauf los. Wer schafft es eher: Die westlichen Geheimdienste, sich Zugang zu den Telegram-Daten zu verschaffen, oder den russischen, sie erstens für sich zu kopieren und nachher Telegram unzugänglich zu machen?

„Diese angeblichen Schlüssel forderte der russische Föderale Sicherheitsdienst 2018 von Durov. Der Besitzer von Telegram antwortete mit einem Brief, der riesige Eisenschlüssel enthielt.“

Sehr neckisch.
Es schadet jedoch nicht, daran zu erinnern, warum die russischen Behörden diesen Zugang zu Telegram wollten: Nach dem Terroranschlag auf die Petersburger U-Bahn 2017 forderten sie den Zugang zu Daten der Hauptverdächtigen, die Telegram benutzt hatten.
Es war die Weigerung Durovs, die zum Verbot von Telegram führte.

„Das eigentliche Problem liegt jedoch in den Servern, die Telegram in seinen Rechenzentren auf der ganzen Welt verteilt hat. »Wir wissen nicht, wie Telegram wirklich funktioniert. Es besteht das Risiko, daß es Zugriff auf Korrespondenz oder gespeicherte Dateien erhalten kann. Telegram wurde als Cloud-Messenger verkauft, in dem Daten über einen längeren Zeitraum gespeichert werden können«, sagt Klimarjov.“

Nur um das richtig zu verstehen: Die ganzen Chats, Videos, Kanäle usw., die auf Telegram gehostet sind, sollen im Prinzip unzugänglich sein, sogar für den Betreiber, und dann „besteht das Risiko, daß es Zugriff auf Korrespondenz oder gespeicherte Dateien erhalten kann“?!
Irgendwas stimmt hier nicht.

„Es war nie bekannt, ob es 2020 irgendeine Art von Vereinbarung mit der Regierung gab, gerade dann, als die Einführung von Durovs Kryptowährung TON in den USA scheiterte, aber es gibt dafür mehrere Anzeichen.“

Hier bringt der Autor etwas durcheinander. Die geplannte Kryptowährung Durovs hätte „Gram“ geheißen und wurde von einem US-Gericht nicht zugelassen, siehe hier.
Der Toncoin ist eine tatsächlich existierende Kryptowährung, mit der man jedoch nur innerhalb Telegrams bestimmte Inhalte bezahlen kann.

„Trotz seiner angeblichen Neutralitätspolitik gegenüber den Inhalten seiner Nutzer löschte Telegram im Jahr 2021 einen Bot aus dem Team des Dissidenten Alexej Nawalnyj, Smart Vote, der den Russen Wahlkreis für Wahlkreis empfahl, welchen alternativen Kandidaten sie wählen sollten, um die Partei Putins »Einiges Rußland« bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr zu schlagen. Von dieser Zensur am stärksten betroffen war die Kommunistische Partei, die jedoch Putin treu blieb und nicht protestierte.“

Das automatisierte Programm Navalnyjs hätte also die RKP an die Macht gebracht, wenn das Programm Smart Vote nicht von Telegram gelöscht worden wäre?
Navalnij als Steigbügelhalter der RKP?
Oder waren sowieso beide chancenlos, es ging nur um einen Demonstrationseffekt?

Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Unbeliebtheit Navalnyjs und darauf, daß ein gutes Abschneiden seiner Partei bei Wahlen sowieso nie zu erwarten war, weshalb von seinen westlichen Sponsoren immer gleich auf Wahlfälschungsvorwürfe und Unruhen gesetzt wurde.

Erinnert irgendwie an Venezuela …

„Ein weiterer Hinweis war die Entfernung oppositioneller Telegram-Kanäle in der Region Baschkortostan in diesem Jahr während der Proteste gegen die Inhaftierung eines Umweltdissidenten.“

Die Eingriffsmöglichkeiten des Betreibers beschränken sich also auf die Entfernung bestimmter Inhalte, Kanäle usw., sollen aber keinen Einblick in sie selbst ermöglichen?
Hmmm.

„Dennoch versucht Durov durch laxe Moderation seiner Plattform seine Unabhängigkeit zu bewahren. »Der Staat verlangt, daß man sich an seine Gesetze hält, aber jeder Staat hat seine eigenen Vorstellungen davon, was illegale Inhalte sind«, betont der Journalist Andrei Zacharov auf seinem Telegram-Kanal.

Telegram war diesen Monat das Ziel eines Blockierungsversuchs in Rußland und der Kreml hat angeordnet, daß sich alle Kanäle mit mehr als 10.000 Abonnenten registrieren müssen. Einige bekannte Persönlichkeiten aus dem Ukraine-Krieg, wie etwa der Kommandant Alexander Chodakovskij – der mehr als eine halbe Million Abonnenten hat – haben angekündigt, nicht mehr zu schreiben.

Die große Lüge

Die Kernfrage ist, in welchem Ausmaß Putin und Durov zusammengearbeitet haben.

»Es gibt kein Zurück, insbesondere nachdem ich mich öffentlich geweigert hat, mit den [russischen] Behörden zusammenzuarbeiten«, sagte der Unternehmer bei seinem angeblichen Abschied von seinem Heimatland im Jahr 2014. Der Geschäftsmann verließ das Land, nachdem er sich geweigert hatte, dem Kreml die auf VK gespeicherten Daten über die Ukrainer zu übergeben, die an den Maidan-Protesten teilgenommen haben.
VK wurde 2014 an Geschäftsleute aus dem Umfeld des Kreml verkauft und wird seither von ihnen betrieben.

Ein Jahrzehnt später prahlte der Geschäftsmann erneut damit, ein vermeintlicher Staatsgegner zu sein: »Ich reise an Orte, von denen ich glaube, daß sie unseren Werten entsprechen.“

Man fragt sich, was hier unter „unser“ läuft, also welche Werte und wessen Werte da gemeint sind?

„Ich besuche nicht die großen geopolitischen Mächte oder andere Länder wie China, Rußland oder sogar die USA«, sagte Durov im April dieses Jahres … Tucker Carlson.“

Wer wohl die großen geopolischen Mächte sein sollen, wenn sie unter „andere Länder“ laufen? Bzw., wenn nur die Reihenfolge verkehrt ist, was wären dann die „anderen Länder“?

Aber Durov hat … gelogen. Ein großes Leck in einer Datenbank des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB, Nachfolger des KGB) hat ergeben, daß der Besitzer von Telegram zwischen 2015 und 2017 mehr als 50 Mal nach Rußland gereist ist, und ein weiteres Mal am 18. Juni 2021, als Telegram in Rußland wieder zugelassen wurde.“

Das war 2020, siehe weiter oben, nicht 2021.

Durov hatte versprochen, extremistische Inhalte zu löschen, darauf wurde das Verbot aufgehoben.
Man merkt übrigens – das Ganze ging durch die Duma –, daß es in Rußland ein starkes Interesse an der Nutzung von Telegram gab.

„Kein Medium konnte bestätigen, ob es nach diesen Reisen zu irgendeiner Art von Verpflichtung gegenüber dem Kreml kam. »Das ist ein sehr schlechtes Zeichen«, sagt Klimarjov. »[Telegram] wurde blockiert und Durov erschien ruhig in Rußland, auch wenn er möglicherweise Angst vor einer Verhaftung hatte. »Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß es irgendeine Art von Verhandlung gab«, erklärt der exilierte Aktivist.

Klimarjov steht seit 2022 auf der Fahndungsliste der russischen Behörden. »Sobald ich die Grenze überquere, stecken sie mich ins Gefängnis. Und obwohl es jetzt etwas anders ist,“

– was darauf hinweist, daß auch ihm von Seiten Rußlands Angebote gemacht werden –

„stellt sich heraus, daß Durov es machen konnte. Und er konnte es nicht nur, er tat es auch. Niemand hat ihn eingesperrt. Natürlich stellen sich Fragen«, schließt er.“

3 Gedanken zu “Pressespiegel El País, 30.8.: Zur Verhaftung Durovs

  1. In der Ukraine wird geplant, Telegram zu blockieren

    Das Medium »Strana« berichtet, dass der Nationale Rat für Fernsehen und Radio der Ukraine es für notwendig hält, Telegram auf dem Territorium der Ukraine vollständig zu blockieren.

    In der Erklärung der Behörde heißt es: »Wir hoffen, dass der derzeitige Stand der Bekämpfung der mit der Nutzung dieses sozialen Netzwerks durch Regierungsbehörden verbundenen Risiken nur ein Übergangsstadium darstellt“

    – auf gut Deutsch, die Behörden und das Militär der Ukraine nutzen Telegram selbst, deshalb läßt es sich nicht einfach blockieren, abgesehen von den faktischen Schwierigkeiten der Blockierung –

    und Telegram in unserem Land bald vollständig blockiert wird, ebenso wie Odnoklassniki, VKontakte und alle Dienste von Yandex und Mail.ru«.

    Mitarbeitern des Gremiums wurde bereits die Nutzung von Telegram auf Firmenrechnern untersagt. (…)“

    (KP, 10.10.)

    Telegram zu blockieren ist auch dem Iran nicht gelungen, obwohl es dort auch das Bestreben gab. Man wird sehen, ob die Ukraine es schafft …

  2. Pavel Durov kritisierte die EU-Politik in einem Interview mit Tucker Carlson: Der Telegram-Gründer enthüllt Details seiner Verhaftung
    Pavel Durov sprach in einem Interview mit Tucker Carlson über den Verfall der EU

    Pavel Durov gab dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson bereits sein zweites Interview. Das erste fand letztes Jahr im Telegram-Büro in Dubai statt, als Durov noch frei war. Nun wird gegen ihn ermittelt und kann Frankreich nur mit Sondergenehmigung verlassen. Tucker flog … nach Paris.

    Durov berichtete über den Stand seines Strafverfahrens und verglich die EU mit der UdSSR »hinsichtlich des Ausmaßes der Unfreiheit«. Seine Mutter ist schwer krank, er ist von seinen Kindern, die in Dubai leben, getrennt, und es ist unklar, wann der Prozess stattfinden wird. Pavel ist immer bereit, nach Frankreich zurückzukehren, falls man ihm eine Ausreisegenehmigung erteilt.

    Durov erzählte Tucker Carlson, warum er im vergangenen August nach Paris kam, als ihn die Polizei direkt am Flughafen … packte: »Ich bin als Tourist eingeflogen. Ich wollte nur ein paar Tage abhängen und dann nach Finnland fliegen. Ich hatte keine Geschäftstermine.«

    Ein Bett ohne Bettwäsche

    Durov … verstand bei seiner Festnahme nicht, was los war – er dachte, es handele sich vielleicht um eine Kontrolle im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen.
    Er bat seine Freundin Julia Wawilowa, sich keine Sorgen zu machen: Jetzt würden sie sie kontrollieren und wieder gehen lassen, das sei Frankreich. Doch dann lasen sie ihm eine Liste mit 16 Anklagepunkten vor.

    Durov wurde sein Handy abgenommen, und er durfte nur einmal mit seiner Assistentin telefonieren. Er verbrachte 4 Tage in einem Gebäude im Süden von Paris, wo die Verkehrspolizei untergebracht ist – formal war es weder ein Gefängnis noch eine Untersuchungshaftanstalt.
    Pavel erhielt eine 7 Quadratmeter große Zelle ohne Fenster. Es gab weder Bettwäsche noch Kissen auf dem Bett, man gab ihm nur eine »Matratze, dünn wie eine Yogamatte«. Das Licht flackerte ständig.“

    Das deutet darauf hin, daß die französische Justiz ihn zwar einerseits erschrecken und in Gewahrsam nehmen wollte, aber selber nicht sicher war, ob die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen halten würden.

    „Wenigstens musste er nicht hungern: »Ich esse kein Fleisch und kein Fast Food, sie gaben mir Fisch. Und ich konnte morgens meine 200 Liegestütze und 200 Kniebeugen machen und diese Übungen dann wiederholen.«

    Durow machte sich große Sorgen darüber, wie seine Familie die Nachricht von seiner Verhaftung aufnehmen würde: »Was passiert mit meiner Mutter? Sie ist sehr krank, sie ist sehr alt. Was passiert mit meinen Kindern?«

    »Ein unerwarteter Ort«

    Pawel verließ Russland 2014 und weigerte sich, den Forderungen der Behörden nachzukommen. Carlson brachte ihn dazu, diese Situation mit der aktuellen zu vergleichen.

    TC: »Wurden Sie jemals von Putin verhaftet?“

    Eine besonders blöde Frage. Putin ist ja kein Polizist.
    Carlson übernimmt hier die Unart, alles, was in Rußland geschieht, als persönliche Tat Putins zu qualifizieren, als ob der Mann die Eigenschaft besäße, sich zu verhndertfachen.

    „PD: »Nein«.

    TC: »Aber Sie wurden von der französischen Regierung im freien Westen verhaftet. Erkennen Sie die Ironie?«

    PD: »Es war der unerwartetste Ort für mich, verhaftet zu werden, denn vor dieser Reise hatte ich mehrere Länder bereist. Einige davon gelten im Westen als autoritär. Und ich hatte keine Probleme.«
    Durov versteht immer noch nicht, warum er nach seiner Verhaftung unter gerichtliche Kontrolle gestellt wurde – er kann Frankreich nicht ohne Sondergenehmigung verlassen, da die Ermittlungen noch laufen.

    Obwohl ihm mehrere Reisen nach Dubai gestattet wurden – er ist letzte Woche von dort zurückgekehrt und wird nächste Woche wieder hinreisen –, hält er diese »Vergünstigungen« für minimal.“

    Also so ganz streng ist das mit dem Ausreiseverbot offenbar nicht.

    „Tucker Carlson verglich die Situation von Durov, der beschuldigt wird, kriminellen Telegram-Nutzern geholfen zu haben, ironisch mit der Verhaftung des französischen Präsidenten Macron wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in seinem Land.

    Ein Schlupfloch für Geheimdienste

    Der Gründer von Telegram sagte, niemand habe ihn nach Verschlüsselungsschlüsseln gefragt, da diese »technisch nicht existieren«. Doch er verriet das Geheimnis, warum er die Idee, sich in den USA niederzulassen, aufgegeben hatte. (Zuvor hatte Durov bereits das Interesse des FBI an ihm angedeutet und zugegeben, in San Francisco mit Hooligans zu kämpfen gehabt zu haben, die versuchten, ihm sein Handy wegzunehmen.)

    In den USA gibt es offenbar Vorschriften, nach denen die Regierung jeden Ingenieur eines IT-Unternehmens zwingen kann, Schwachstellen in Programme einzubauen, damit Spezialdienste darauf zugreifen können.
    Und sie dürfen dies ihrem Arbeitgeber nicht mitteilen, da ihnen sonst Gefängnis droht – Ingenieure müssen eine spezielle Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen.

    Pavel nannte außerdem ein aktuelles französisches Beispiel: Im vergangenen Monat verabschiedete der Senat ein Gesetz, das alle Messenger dazu verpflichtet, in ihren Bewerbungen für Sicherheitskräfte ein »Schlupfloch« (eine »Geheimtür«)) zu lassen, um die Kriminalität zu bekämpfen. Durov hält das für absurd: Schließlich können auch Kriminelle selbst dieses »Schlupfloch« nutzen.

    Die Nationalversammlung, die zweite Kammer des französischen Parlaments, lehnte das Projekt ab, doch das ändert nichts an der Situation: Ein ähnliches Gesetz wird auf Ebene der gesamten EU vorbereitet.

    Carlson fragte Durov: Gibt es eine Möglichkeit festzustellen, ob Ihr Telefon von Geheimdiensten gehackt wurde? Wahrscheinlich nicht, antwortete der Milliardär. »Aber es gibt Möglichkeiten, zu überprüfen und festzustellen, ob Schwachstellen im Telefon eingebaut wurden. Ich weiß, dass es Organisationen gibt, die einem dabei helfen können.«

    TC: Wo ist Ihr Telefon?

    PD: Ich habe es seit fast einem Jahr nicht mehr benutzt. Ich benutze es nur, um Updates in Telegram zu testen. Ich trage mein Telefon nicht bei mir, weil es sehr ablenkt. Und es könnte meine Privatsphäre gefährden. Ich bevorzuge einen Laptop oder ein iPad.

    »Die SU hat mich eingeholt«

    Durov beklagte sich darüber, dass er sich nicht richtig um seine in Dubai lebenden Kinder kümmern könne: »Ich kann sie nicht nur nicht sehen, sondern auch bestimmte Dokumente nicht unterschreiben. Und das alles ist sehr stressig für meine Mutter“

    Man kennt sich nicht so recht aus, wer die Kinder beaufsichtigt und wo sich die Mutter befindet … 

    „Außerdem muss ich das Unternehmen leiten. Und das muss ich aus der Ferne tun, das ist nicht besonders effektiv.

    Carlson bohrt weiter nach: »Haben Sie sich nicht für die Staatsbürgerschaft dieses Landes (…) entschieden, weil Sie dachten, dort würden die Menschenrechte geachtet?«
    Als Antwort zitierte der Telegram-Gründer die Worte einer (…) Übersetzerin, die ihm auf der Polizeiwache übersetzt hatte: »Zwei Tage später sagte sie vor der Polizei und allen Anwesenden: ‚Ich habe die Sowjetunion verlassen, in der Hoffnung, in einem freien Land zu leben.‘ Aber jetzt scheint mich die UdSSR eingeholt zu haben …«

    Menschen, die in Frankreich geboren und aufgewachsen sind, betrachten Freiheit als selbstverständlich. Leider kennt die Geschichte viele Beispiele dafür, wie freie Gesellschaften allmählich zu unfreien degenerieren. Durov erinnerte sich auch an seine erste Reise nach Lettland im Jahr 2008 mit dem Zug von St. Petersburg. Er kam mit einem lettischen Grenzbeamten ins Gespräch und sagte: »Wir haben es gehasst, in der Sowjetunion zu sein, aber jetzt, da wir in der EU sind, verstehen wir, dass wir uns in einer sehr ähnlichen Organisation befinden.«“

    Auf das ganze Freiheit-Geschrei wollen weder Carlson noch Durov verzichten.
    Man hat den Eindruck, daß die Freiheit ein besonders hartnäckiges Ideal ist, das um so mehr strapaziert wird, je weniger es in der Wirklichkeit wahrnehmbar ist.

    „Durow hoffte, dieses Jahr wieder frei reisen zu können. Und sollte er den Prozeß gewinnen, würde er Frankreich wahrscheinlich wieder besuchen, denn »es ist ein wunderbarer Ort, um Zeit zu verbringen.«“

    (KP, 9.6.)

    Es sei an zu verschiedenen Zeiten gemachte Aussagen von Peskow und Butina zu erinnern, die meinten, viele Emigranten würden angesichts der Behandlung, die ihnen im Westen zuteil wird, früher oder später nach Rußland zurückkehren.

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