Die Energiefrage auf der Iberischen Halbinsel

JENSEITS VON NORD STREAM

Portugal und Spanien beziehen ihre fossilen Energieträger vor allem aus Afrika. Sie selber verfügen weder über Gas noch über Erdöl.

Gas beziehen sie auch über Frankreich, das es seinerseits aus Rußland und der Nordsee einführt.

Die längste Zeit wurde Gas lediglich in Form von Gasflaschen verteilt, die in den Raffinerien der spanischen Erdölgesellschaft befüllt wurden, mit aus importiertem Erdöl erzeugten Bhutan- und Propangas. Für die meisten Haushalte Spaniens ist es nach wie vor die einzige Möglichkeit, an Gas zu kommen, hauptsächlich zum Betrieb von Gasherden. Nur in einigen Regionen wurden Gasleitungen verlegt, um auch Haushalte über Rohre versorgen zu können. Ansonsten wird das inzwischen importierte Erdgas für die Industrie bzw. in Gaskraftwerken für die Stromerzeugung verwendet. Ähnliches gilt für Portugal.

Die erste Gas-Pipeline wurde 1993 von der französischen Grenze durch Navarra gebaut. Die Maghreb-Europa-Pipeline von Algerien nach Spanien wurde 1996 fertiggestellt. 1998 wurde der spanische Energiemarkt gesetzlich neu reguliert und definiert, mit der Hoffnung, daß damit neue Energiequellen erschlossen werden sollten. .

2006 folgte eine weitere Gas-Pipeline aus Frankreich in das spanische Baskenland. Die Medgaz-Pipeline aus Algerien trat 2009-2011 in Betrieb. Die Maghreb-Europa-Pipeline geht jedoch über Marokko, das sich seinerzeit auch an dem Bau beteiligt hat und erreicht Spanien über die Straße von Gibraltar, wo sie in Córdoba mündet. Die Medgaz-Pipeline führt am Meeresboden direkt von Algerien nach Spanien und mündet an der Küste in Almería in die Erstauffangstation.

Ein weiteres Projekt der Verbindung mit Frankreich über Katalonien wurde auf Eis gelegt.

Seit dem Bau dieser Pipelines, also erst so richtig in diesem Millenium, wurde das Leitungsnetz in Spanien ausgebaut, das auch Portugal über die Grenzstationen Badajoz und Tuy versorgt. Spanien ist also ein Gas-Transit-Land, und Versorgungsengpässe in Spanien wirken sich auf Portugal aus.

Die Steigerung des Gasverbrauchs – und auch der Erdölprodukte – ist in dem Maße fortgeschritten, in dem die Kohleproduktion in Spanien schrittweise zurückgefahren und eingestellt wurde. Statt einem einheimischen Energieträger ist Spanien also mehr denn je auf Energieimport angewiesen.

„Spanien hat seit Montag eine Bezugsquelle weniger für das Erdgas, das es für Industrie, Heizung und vor allem für die Stromversorgung eines weitgehend von Gas- und Dampf-Turbinen-Anlagen abhängigen Stromnetzes benötigt. Die Entscheidung Algeriens, die Gaspipeline Maghreb-Europa zu schließen, die Marokko und 45 Kilometer des Mittelmeeres durchquert, um über Zahara de los Atunes (Cádiz) nach Spanien zu gelangen, wird Spanien zwingen, zur Abwehr von Engpässen die Einfuhren von Flüssiggas zu erhöhen. Noch vor wenigen Monaten wäre das relativ einfach und vor allem deutlich günstiger gewesen. Aber heute, da die wichtigsten Mächte der Welt um die Dienste von Flüssiggas-Tankern kämpfen, wird das Unternehmen komplizierter und deutlich teurer. Mehrere Experten schließen jedoch Abschaltungen im Winter kategorisch aus.“ (El País, 2.11.)

Na ja, wenn die Energie so teuer wird, daß sie sich kaum mehr wer leisten kann, so werden Abschaltungen in der Tat unwahrscheinlich.

Einer der Hintergründe ist, daß Algerien und Marokko wieder einmal über Kreuz sind und Algerien deshalb die Gaslieferungen eingestellt hat, da obendrein der Vertrag mit Spanien Ende Oktober ausgelaufen ist.

Algerien kann sein Gas auch nach Italien liefern, es ist auf den spanischen Abnehmer nicht angewiesen.

Spanien muß also jetzt Flüssiggas importieren, was nicht einfach ist:

„»Die Alternative besteht in mehr Schiffen, um dasselbe Gas aus Algerien selbst oder aus Amerika, dem Nahen Osten oder Nordeuropa zu transportieren«, sagt Pedro Mielgo, ehemaliger Präsident von Red Eléctrica de España (REE). »Aber das sollte kein Problem sein: 60 % des Gases, das wir verbrauchen, kommen über diese Route zu uns, es werden ständig Schiffe gemietet.«“ (ebd.)

Das heißt, daß die Pipelines sowieso nicht einmal die Hälfte des Bedarfes decken, und das Gas deshalb eine ziemlich teure Energieform ist, Tendenz steigend:

„Mit einem Nachteil: dass dieses Gas teurer ist als das, das per Gaspipeline transportiert wird. Und darüber hinaus wird Spanien mit einem sehr angespannten internationalen Markt zu kämpfen haben. Die Beförderung von Gas per Schiff und nicht per Rohr erfordert drei zusätzliche Kosten: Verflüssigung, Transport und Rückvergasung. »Und mit den jüngsten Engpässen werden wir den größten Anstieg beim Transport haben.«
Algerien hat sich verpflichtet, den Gastransit durch die andere Röhre, die Medgaz-Pipeline, zu erhöhen, die seine Förderfelder mit der Iberischen Halbinsel verbindet, durch den jährlich 8.000 Millionen Kubikmeter fließen. Aber auch nach Abschluss der laufenden Ausbauarbeiten – hoffentlich noch vor der härtesten Winterphase – könnte diese Infrastruktur maximal 10 Milliarden Kubikmeter transportieren, es würden also noch 4000 weitere fehlen zur Deckung des Bedarfs, für den Spanien mehr Gas auf dem Seeweg importieren muß.“ (ebd.)

Schlechte Zeiten: Der Engpaß im Energiesektor „hat nicht nur den Erdgaspreis in Europa verteuert – der heute viermal so hoch ist wie zu Jahresbeginn –, sondern auch die Frachtkosten explodieren lassen: Die über 600 Transportschiffe für Flüssiggas, sind bereits über ihre Kapazitäten vertraglich gebunden. So können sich die Transportkosten für Flüssiggas in heißen Phasen wie jetzt verdoppeln.“ (ebd.)

Die Energie-Experten beteuern, daß es genug Reserven gibt – das klingt nach Beschwichtigung, da das langjährige große Projekt Castor für einen submarinen Gasspeicher 2015 gescheitert ist und seither kein neues in Angriff genommen wurde.

Dazu gesellt sich ein sehr trockener Sommer, der die Stauseen zur Stromgewinnung auf ziemliche Niedrigstände hat fallen lassen, und auch da ist in nächster Zeit wenig Verbesserung zu erwarten. Die Solarindustrie ist sowieso – trotz hoher Investitionen – ein ziemlicher Flop, der der Subventionen bedarf.

All diese Probleme erhöhen sich noch in Portugal, das einen guten Teil seiner Energie aus oder über Spanien importiert und wo mit einem Benzinpreis von 2 Euro zu Jahresende gerechnet wird – mit den entsprechenden Folgen: Teuerung, Kaufkraftverlust, Rezession und Elend.

Wie geht Propaganda?

EIN ÜBERBLICK ÜBER DIE BERICHTERSTATTUNG ZU KUBA

Man merkt es vielleicht gar nicht, weil viele Textbausteine selbstverständlich geworden sind und es durch ständige Wiederholung gar nicht mehr auffällt, was für eine verzerrte Darstellung einem in den Medien geboten wird, wenn es um feindliche „Regimes“ geht. Von Kuba über Syrien und den Iran bis Nordkorea und China werden die gleichen Begriffe verwendet, um diesen Systemen und Regierungen die Existenzberechtigung abzusprechen.

Was bei uns gang und gäbe ist, wird bei einem fremden mißliebigen „Regime“ zu einem Verbrechen, weswegen jeder „Widerstand“ dort per se gerechtfertigt ist, – wohingegen jeder Meinungsmacher hierzulande gegen „Krawallmacher“ und „Randalierer“ vom Leder zieht.

Beispiel 1:

„Seit dem 11. Juli sind Tausende von Kubanern im ganzen Land auf die Straße gegangen, um sich an historischen Demonstrationen zu beteiligen und sich über den Mangel an Freiheiten zu beklagen, unter dem sie seit Jahrzehnten leiden. “ (HRW, 20.7.)

Human Rights Watch spricht von Tausenden, womit schon einmal ausgesagt ist, daß es sich um ein ziemliches Minderheitenprogramm handelt, weil Kuba hat mehr als 11 Millionen Einwohner. Dennoch sind diese Demonstrationen historisch, weil HRW sie zu solchen erklärt. (Nur zum Vergleich: Zum Schutz des G20-Gipfels in Hamburg 2017 wurden allein 31.000 Polizisten aufgeboten, und nach Polizeiangaben befanden sich bei der Abschlußdemo am 8. Juli 50.000 Personen.)

Man erfährt auch nicht, an welchen „Freiheiten“ es denn dort gebricht, aber da sie schon „seit Jahrzehnten“ unter diesem untragbaren Zustand „leiden“, sind natürlich alle Handlungen, die die Demonstranten setzen, Ausdruck der unterdrückten Menschennatur und gehen deswegen in Ordnung, selbst wenn dabei einiges kaputtgeht.

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Beispiel 2:

„Erst Zückerchen, dann Ohrfeige: Kubas Kulturschaffende werden einmal mehr enttäuscht

Seit bald drei Jahren wehrt sich in Kuba ein autonomer Künstlerzirkel gegen staatliche Gängelung und Zensur. Nach Protesten wurde eine Delegation der Gruppe vom Kulturministerium zum Dialog eingeladen – aber der Hoffnungsschimmer ist schnell verblasst.“ (NZZ, 11.12. 2020)

In der Überschrift steht „Kubas Kulturschaffende“, wodurch absichtlich der falsche Eindruck entsteht, alle Künstler, Musiker, Schauspieler Kubas seien betroffen. Im nächsten Satz steht aber „ein autonomer Künstlerzirkel“ – also ein paar Personen.

Der Spagat zwischen allen und einigen wird aber so bewerkstelligt, oder dem Leser nahegelegt, daß ja in Wirklichkeit die ganze Kulturwelt Kubas unter dem Regime, konkret unter „Zensur und Gängelung“ schmachtet. Aber nur ein kleiner, eben „autonomer Künstlerzirkel“ „wehrt sich“, hat also die Courage, die den anderen abgeht.

Was die „Zensur und Gängelung“ angeht, die darin besteht, daß man sich anmelden und seiner Tätigkeit eine rechtskonforme Verlaufsform geben muß: Vor über einem Jahrzehnt gab es in einem Programm des ORF („Club 2“) eine Sendung über die Geistheiler. Das sind Leute, vor allem Frauen, die anderen die Hand auflegen und dadurch heilen oder dies zumindest behaupten.

Es stellte sich heraus, daß das Wichtigste, was diese Leute zu tun haben, bevor sie zu ihrer segensreichen Tätigkeit schreiten, eine Anmeldung bei Finanzamt und der Erhalt einer Steuernummer ist, andernfalls sie unter verschiedenen Paragraphen, von Steuerhinterziehung bis zu Kurpfuscherei, rechtlich belangt werden können.

Wenn jedoch in Kuba jemand Veranstaltungen organisieren will, und sich zu diesem Zwecke registrieren und die Veranstaltungen genehmigen lassen muß, so ist das eine „Zensur und Gängelung“.

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Beispiel 3:

„»Das Regime steht mit dem Rücken zur Wand«

Eine neue soziale Bewegung setzt die Regierung in Havanna unter Druck. Der Schriftsteller und Regimegegner Carlos Manuel Álvarez analysiert die Schwäche der Herrschenden und die Aussichten auf einen Wandel in Kuba.“ (Spiegel, 20.1. 2021)

Die Überschrift drückt das Wunschdenken des Herrn Álvarez und seiner Interviewpartner aus, hat jedoch wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Kubas Regierung hat viel Rückhalt im In- und Ausland, aber eben nicht bei den Vertretern des Wahren, Guten und Schönen.

Der Künstlerzirkel wird zu einer „sozialen Bewegung“, die sogar die Regierung „unter Druck“ setzt. Und das gefällt der Zeitung eines Landes, wo schon öfters Regierungsmitglieder nach Prügelorgien auf Demos kundgetan haben, nie würden sie sich dem „Druck der Straße“ beugen.

Wenn aber der Regierungschef Kubas auf Demonstranten zugeht und mit ihnen redet, so erkennt man daran eindeutig die „Schwäche der Herrschenden“ – weil demokratische Herrscher regieren schon einmal gegen die Bevölkerung, wenn sie es für richtig halten.

Der Rest des Spiegel-Artikels verschwindet hinter einer Pay-Schranke, was vielleicht gar nicht schlecht ist. So lesen weniger Leute diesen Mist.

Aber man kann dem URL entnehmen, daß Kuba angeblich „im Umbruch“ begriffen ist.

Wenn es jedoch trotz heftiger Prophezeiung keinen „Umbruch“ gibt, so klagen die Meinungsmacher über die unerträgliche Stagnation, die auf der Karibikinsel lastet.

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Beispiel 4:

„Die Unruhen in Kuba haben ein erstes Todesopfer gefordert. Bei den größten Anti-Regierungsprotesten seit Jahrzehnten sei ein 36-jähriger Mann bei einer Demonstration am Stadtrand von Havanna gestorben, teilte das kubanische Innenministerium mit und erklärte sein „Bedauern“ über den Tod des Mannes.

Die Behörden des Karibikstaats gehen nach Aussagen von Aktivisten brutal gegen die Demonstranten vor. 144 Menschen wurden laut der Protestbewegung San Isidro festgenommen oder gelten als vermisst.“ (ZDF, 14.7. 2021)

Ein „erstes Todesopfer“ – dieser Formulierung ist unschwer zu entnehmen, daß der ZDF gerne mehr Tote hätte. (Man erinnere sich, beim Sturm aufs Kapitol in Washington gab es 5 Tote.)

144 Verhaftungen! – man erinnere sich dagegen an die Gelbwestenbewegung mit ausgeschossenen Augen und anderen bleibenden Schäden, Tausenden Verhaftungen usw.

Auch hier merkt man wieder: Geht die Regierung freundlich auf die Leute zu, ist es eindeutig ein Zeichen von „Schwäche“. Setzt sie Polizei und Justiz ein, so beweist sie damit ihren repressiven Charakter.

Noch ein interessantes Detail, auf das der ZDF aufmerksam macht:

„US-Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas warnte Kubaner unterdessen, wegen der Situation in ihrem Land die gefährliche Flucht über den Seeweg in die USA zu versuchen. Mayorkas stellte klar: »Egal welche Nationalität sie haben – Migranten, die auf See abgefangen werden, wird die Einreise in die Vereinigten Staaten nicht erlaubt.«“ (ebd.)

Sie sollen gefälligst auf Kuba Aufruhr veranstalten und sich nicht in die große und teilweise sehr elende Emigrantenszene der USA eingliedern.

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siehe auch:

Nachrufe auf einen Revolutionär: FIDEL CASTRO RUZ, 1926 – 2016 (2016)

Serie „Lateinamerika heute“. Teil 6: KubaDER IMMER NOCH REAL EXISTIERENDE SOZIALISMUS (2018)

Ein neuer Mann in Kuba: LATEINAMERIKA, EINE NEBENFRONT (2018)

Über die Dissidenz in Kuba

GELENKTE UNZUFRIEDENHEIT

Schiefgegangene Dissidenten-Organisation

Eine Zeitlang bemühten sich europäische Medien und Politiker, vor allem von europäischen Volksparteien, so etwas wie eine Dissidentenbewegung in Kuba hervorzubringen. Die Bloggerin Yoani Sánchez wurde unterstützt, die „Damen in Weiß“ und andere Personen, die sich gerne auf einer europäischen Payroll als Widerstandskämpfer gegen das kubanische „Regime“ betätigten.

Das Hauptproblem für beide Seiten – die europäischen Betreiber des Projektes und die kubanischen Unzufriedenen – war, daß alle diese Leute in Havanna konzentriert waren und in den restlichen Teilen Kubas so gar nichts zustandekommen wollte. Sie hatten irgendwie das Image von Sonderlingen und Außenseitern, es fehlte die Masse und die Breite.

Diese ganze Zusammenarbeit erlitt einen ordentlichen Dämpfer, als 2012 zwei junge Männer aus Europa, Ángel Carromero von der Jugendorganisation der spanischen PP und Aron Modig, Vorsitzender der schwedischen Volksparteijugend, nach Kuba kamen, um diesem Problem der mangelnden Verbreitung von Dissidenz abzuhelfen.

Sie mieteten einen Leihwagen, nahmen den profiliertesten Dissidenten Oswaldo Payá und einen zweiten Regimegegner aus Havanna mit und starteten in den Osten der Insel, nach Oriente, der Wiege der kubanischen Revolution, um dort mit einheimischen Know-How und europäischer Finanzkraft eine Dissidenten-Gemeinde aufzubauen. Zumindest war das der Plan der 4 „Regimegegner“.

Sie hatten es eilig, weil die beiden europäischen Jungpolitiker nicht viel Zeit für dieses Unternehmen hatten. Sie unterschätzten erstens die Distanz und überschätzten zweitens den Zustand von Kubas Straßen. Sie hätten ihre eigene Propaganda, daß in Kuba alles im Argen liegt, etwas ernster nehmen müssen.

Nach vielen Stunden des ununterbrochenen Fahrens kamen sie nachts bei einer Baustelle von der Straße ab und die zwei Kubaner starben, während die beiden Europäer leicht verletzt überlebten.

Nach seiner auf diplomatischem Weg erreichten Ausreise aus Kuba wurde von Carromero behauptet, sie seien verfolgt worden und alles sei ein Werk des kubanischen Geheimdienstes.

Aber die Begeisterung, sich als Dissident vor den Propaganda-Karren europäischer Regierungen spannen zu lassen, ließ spürbar nach. Alle in Kuba begriffen, daß das gefährlich war.

Und so blieb die Unterstützung der Dissidenz wieder vor allem den Exilkubanern in Miami und den US-Diensten überlassen.

Die Freiheit der Kunst

wird im demokratischen Westen sehr hochgehalten. Freiheit heißt zwar auch hier nicht, daß man alles machen darf, was einem gerade lustig ist. Aber es hat auf jeden Fall das andere Moment der Freiheit an sich, daß die innerhalb oder außerhalb des Kunstbetriebes ankommenden Einkünfte den Aktionsradius der Künstler und Musiker bestimmen – ka Geld, ka Musi. In der Coronapandemie wurden hierzulande viele Künstler unterstützt, um nicht zu verhungern, weil ihre gesamten Auftritts- und Ausstellungsmöglichkeiten wegfielen.

Man muß sich allerdings hierzulande als freischaffender Künstler oder Musiker genauso einen Steuerberater halten und seine Einkünfte, soferne sie eine gewisse Grenze überschreiten, versteuern.

In Kuba gibt es sehr umfassende Kulturprogramme, die auch auf der ganzen spanischsprachigen Welt bekannt und anerkannt sind, von einer staatlichen Filmindustrie über Musikunterricht und Musik- und Filmfestivals bis zur bildenden Kunst und dem Theater. Aber alle diese Leute sind staatliche Angestellte und beziehen darüber ihr Einkommen, das sich natürlich nicht mit dem Lebensstandard eines im Westen erfolgreichen Künstlers vergleichen kann. Sie sind auch keine Stars, sondern haben einen ähnlichen Status wie Ärzte, Politiker, Wissenschaftler oder andere Leute mit höherem Bildungsstand: Man erwartet von ihnen, daß sie das gesellschaftliche System Kubas bejahen und unterstützen.

Das stört natürlich diejenigen, die sich zwar künstlerisch betätigen wollen, aber andere Vorstellungen von Einkommen und Freiheit haben.

In Kuba wird privates Unternehmertum in Form von Selbständigen oder Familienbetrieben seit Jahren genehmigt, aber in sehr eingeschränkter Form. Das betrifft alle Berufe, von Restaurants oder Handwerkern über ambulante Verkäufer bis zur Unterhaltungssphäre.

Diese Tätigkeit wird derzeit vor allem durch den Erlaß 349 aus 2018 mit dem Titel „Über die rechtliche Beratung“ geregelt. Demzufolge muß jeder, der sich privat beruflich betätigen will, einen Juristen kontaktieren und mit ihm das Tätigkeitsprofil koordinieren und genehmigen lassen.

Gegen diese in ihren Augen unerträgliche staatliche Gängelung haben verschiedene Künstler, vor allem Musiker der Richtung Reggaeton (die karibische Version des Rap) vor zweieinhalb Jahren die „Bewegung San Isidro“ gegründet. In verschiedenen Formen des Protestes haben sie seither nicht genehmigte Veranstaltungen und Ausstellungen in und mit Hilfe der sozialen Netzwerke organisiert.

Um zu verstehen, warum die kubanischen Behörden dergleichen Events kontrollieren und genehmigen wollen, sollte man sich vielleicht an die feuerpolizeilichen Bestimmungen erinnern, die bei uns solche Veranstaltungen begleiten, und an die Unglücke von Duisburg 2010, Madrid Arena 2012, Bukarest (Colectiv) 2015, usw., wo es wegen ungenügender Sicherheitsmaßnahmen, unzureichender Notausgänge und keiner angemessenen Organisation einen Haufen Tote gab.

Protest und Zustimmung

Dieses Hin und Her zwischen verbotenen Veranstaltungen, absichtlichen Provokationen und Verhaftungen ging eine Weile und gehörte zur kubanischen Folklore – bis die Coronakrise kam.

Erstens waren jetzt Menschenansammlungen kategorisch verboten. Zweitens aber kam es zum Einbrechen des Tourismus, der Haupt-Einnahmequelle Kubas und damit zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgungslage.

In diesem Kontext kam es zu Demonstrationen am 11. und 12. Juli in Havanna und einigen anderen Orten, wo „Wir wollen Freiheit!“ und „Nieder mit der Diktatur!“ gefordert wurde.

Sicher sind diese Proteste über das Internet aus den USA gefördert und angestachelt worden. Es geht aber um etwas anderes: Die Freiheit gehört zur westlichen Eigentumsordnung und zur Konkurrenzgesellschaft.

Die Frage ist also, was die Menschen in Kuba wollen: Das westliche Paket, dessen Praxis sie in Florida, Jamaika und Haiti sehen können: Reichtum für die einen, Elend für die anderen, Prostitution, Drogenhandel und alltägliche Gewalt in den Straßen – oder staatlich gelenkte Wirtschaft, kostenloses Bildungswesen und Krankenversorgung, und je nach den Konjunkturen der Feindschaft der USA größere oder geringere Versorgungsmängel.

Ein Zwischensystem gibt es nicht. Tertium non datur.

Wie die großen Aufmärsche zur Unterstützung der Regierung einige Tage nach den „spontanen“ Protestdemos gezeigt haben, steht die überwältigende Mehrheit der Kubaner auf dem Standpunkt, lieber mit dem bisherigen System weitermachen zu wollen.

Demo am 17.7. in Havanna

Was das Internet betrifft, über das diese Flashmobs organisiert wurden, das dann von den kubanischen Behörden abgeschaltet und über US-Satelliten wiederhergestellt wurde, so sei daran erinnert, daß es in Kuba überhaupt nur Internet gibt, weil 2011 aus Venezuela ein Glasfaserkabel durch das Meer nach Kuba verlegt worden ist.

Den USA verdanken die Kubaner das Internet nicht.