Konfiskation von russischem Eigentum

VERMÖGENSFRAGEN

1. Privateigentum

Nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs wurde das Eigentum diverser reicher Russen „eingefroren“, also konfisziert. Rechtlich ist das zwar keine Neuheit, aber auf dieser Stufenleiter und unter diesen Umständen doch bemerkenswert.

Weil daß Eigentum des Kriegsgegners eingezogen wird, kam im 2. Weltkrieg schon vor. Aber Rußland hat ja der NATO nicht den Krieg erklärt, sondern ist lediglich in der Ukraine einmarschiert. Das wird aber von der NATO zumindest in vermögensrechtlicher Form als Kriegserklärung betrachtet und so gehandhabt.

Das interessante wäre, was eigentlich mit diesem Vermögen geschieht? Werden diese Jachten, Immobilien, Aktien und Konten von den jeweiligen Staaten zu Staatseigentum erklärt und an die Meistbietenden veräußert? Wenn ja, wohin wandert dieses Geld, in welche privaten Taschen oder öffentliche Kassen?
Werden sie unter der Hand an gute Freunde verteilt?
Vorstellbar wäre auch eine Finanzierung der Geheimdienste …

Man weiß ja auch nicht, was mit dem Vermögen des libyschen Nationalfonds und sonstigen Vermögenswerten Libyens und der Ghaddafi-Familie geschehen ist, nachdem Ghaddafi gestürzt wurde. In die Sozialfonds der Staaten, die sich dieses Geld angeeignet haben, ging es jedenfalls nicht ein.
In vielen Staaten der EU sind russische Unternehmer tätig, sie halten Aktien von Lebensmittelketten, Industrieunternehmen oder Bergbaubetrieben.
Wer eignet sich jetzt diese Aktienpakete an?

Aus der Sicht Rußlands war das Geld, das mit Export verdient und nicht in Rußland angelegt wurde. Letzteres war stets ein gewisses Ärgernis für die russische Führung. Aber jetzt scheint es endgültig verloren zu sein. Obwohl privat, ist es letztlich doch russisches nationales Vermögen, das außerhalb der Grenzen Rußlands blieb.

Bisher sind reziproke Enteignungen von Eigentum der Bürger „unfreundlicher Staaten“ in Rußland ausgeblieben.
Es ist hier festzuhalten, daß zum derzeitigen Zeitpunkt Rußland das Privateigentum mehr respektiert als die westlichen Staaten, bei denen es bisher ökonomische Grundlage und eine Art unantastbares Heiligtum war.
(Das kann sich natürlich auch bald ändern.)
Allerdings war es bereits seit den Ereignissen um die Banken in Zypern im Jahr 2013 klar, daß bei russischem Eigentum diese Unantastbarkeit des Privateigentums nicht gilt. Die russischen Oligarchen und Politiker haben diese Zeichen offensichtlich nicht richtig gedeutet und weitergemacht wie bisher. Sie dachten offenbar, sie sind so groß und wichtig, daß niemand sie anrühren wird.
Es mag auch sein, daß ihnen vor allem von britischer Seite Zusicherungen gemacht wurden, die sich inzwischen als Lüge erwiesen haben. Immerhin war die Londoner Finanzwelt von der Zypern-„Rettung“ mit betroffen und wollte die finanzkräftigen russischen Investoren nicht verlieren.
Das war allerdings noch vor dem Brexit, seither wurden die Karten neu gemischt und bisherige Garantien sind Schall und Rauch.

2. Staatseigentum

„Im Vorfeld des Konflikts hatten Experten darauf hingewiesen, Moskau sei auf Finanzsanktionen des Westens vorbereitet, denn es habe riesige Devisenreserven über umgerechnet 630 Milliarden Dollar angehäuft. Dieser Schatz galt als »finanzielle Rüstung« Russlands. Inzwischen hat sich aber gezeigt, dass die russische Zentralbank kaum über diesen Schatz verfügt. Denn die Milliarden lagerten nicht als Dollar- und Euro-Scheine in ihren Tresoren. Stattdessen waren sie angelegt – vor allem im Westen, also bei Banken in Europa und den USA.“ (Nd, 4.3. 2022)

Durch den Ausschluß aus dem SWIFT-System und dem Verbot an westliche Banken, mit russischen Vermögenswerten zu handeln, ist dieses Geld für Rußland praktisch verloren. Inzwischen wird laut überlegt, es auch formell zu enteignen und der Ukraine zu übergeben.

Die Ukraine würde dieses Geld selbstverständlich auch nie in die Hand bekommen, sondern es würde in den Händen der Behörden und des Finanzkapitals der USA und des UK bleiben und zur Finanzierung der Rüstungslieferungen an diesen Staat dienen – widmungsgebunden, sozusagen. Wollte die Ukraine z.B. plötzlich Frieden schließen, so dieses Geld stünde dafür oder für einen etwaigen Wiederaufbau höchstwahrscheinlich nicht zur Verfügung …

Warum aber hat Rußland so viele Vermögenswerte im unfreundlichen Ausland, namentlich in den besonders unfreundlichen Metropolen des UK und der USA geparkt?

Erstens, weil Rußland bis zum Einmarsch Teil des Weltmarktes war und an ihm auch teilnehmen wollte. Durch Export und Import von Gütern, die der eine hat und der andere braucht. Immerhin sind ja auch die russischen Ökonomen in unterschiedlichem Maße Anhänger der Marktwirtschaft und des vermeintlich friedlichen Handels und Wandels.
Es macht neugierig, wie diese Wirtschaftsweisen, die ja auch teilweise privat sehr in den Welthandel verstrickt waren, jetzt auf den Ausschluß vom dollarbeherrschten Weltmarkt reagieren werden. Immerhin muß sich die russische Ökonomie jetzt mit freundlichen Staaten arrangieren und die unfreundlichen beiseite lassen.

Zweitens, weil Rußland dabei nur dem Muster anderer Staaten folgte. Weil London und New York wichtige Finanzplätze sind, halten fast alle Staaten der Welt dort Reserven, um ihren internationalen Zahlungsverkehr an Ort und Stelle abzuwickeln. Diese Vermögenswerte liegen teilweise in physischer Form als Goldschätze, aber viel mehr noch in elektronischer Form, als Zahlen auf Konten vor. Sie sind verschiedenen Eigentümern zugeordnet und es ist technisch sehr einfach, sie mit Mausklicks von einem zum anderen Berechtigten zu transferieren.

Drittens, aus Dummheit.
Es war an Venezuela und dem Theater um den Schattenpräsidenten Guaidó sehr einfach zu erkennen, daß die westliche Staatengemeinschaft vor dem Zugriff auf fremdes nationales Eigentum nicht zurückschreckt, wenn sie sich auf einen solchen Schritt einigen können.
In Rußland gab es offenbar einen soliden Glauben an internationale Spielregeln und Rechtsnormen und die meisten Politiker nahmen an, daß es schon nicht so weit kommen würde und die Regierungen der inzwischen unfreundlichen und besonders unfreundlichen Staaten das nicht wagen würden.

Wobei natürlich noch gar nicht entschieden ist, was diese Art von Enteignung und Ausgrenzung nicht nur für Rußland, sondern auch für den Weltmarkt und die Weltwährungen zur Folge haben wird.

China hat übrigens auch jede Menge Vermögenswerte im Westen herumliegen …

Ein altes Eisen in der imperialistischen Konkurrenz

ZUR SOUVERÄNITÄT

1. Staatliche Organisation der Menschheit und Anerkennung

Das System ist vielen so selbstverständlich, daß viele überhaupt nicht nachdenken, wie es eigentlich dazu kommt: Staaten erkennen einander an und verkehren dann auf Regierungsebene miteinander. Die Staatsgewalt, so die zweite Selbstverständlichkeit ist auch souverän nach innen: Sie genießt das Gewaltmonopol über ihre Bürger und definiert ihnen, was legal und was verboten ist. Und diese halten sich daran.

Menschen erhalten ihre Existenzberechtigung nur als Staatsbürger – auf diesem System beruhen auch die vielzitierten Menschenrechte:
„Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“
(Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche)

Im internationalen Umgang der Staaten miteinander gibt es zwar von jeher die Großen, die sich mehr erlauben können als die Kleinen. Aber bis zum Ende des Kalten Krieges im Jahr 1990 war es doch üblich, gewisse Gepflogenheiten im diplomatischen Verkehr zu beachten, die eben die Anerkennung der fremden Souveränität trotz möglicherweise abweichender Ansichten bezüglich der Weltlage beinhalten.
Aber nach 1990 wurde die Sache etwas zügellos. Die Auflagen für die konzessionierte Souveränität, de Weltmächte subalternen Staaten zugestehen, solange sie nach ihrer Pfeife tanzen, wurden strenger. Verschiedene Staaten wurden herabgestuft, zerschlagen oder zerstört, wenn sie sich nicht in dieser Herabstufung fügen wollten: Libyen, Jugoslawien, Syrien. Um diverse Hinterhöfe ging ein Gerangel los, wobei vor allem Lateinamerika und Mittelasien zu erwähnen sind.

2. Souveränität ist nur mehr ein leerer Titel für Ansprüche auf Botmäßigkeit

Die USA und in ihrem Gefolge die EU, die bei dieser Neu-Auf- und -Einteilung der Welt unbedingt mit dabei sein will, werden bei diesem Treiben immer unverschämter: Mißliebige Regierungen, die sich in irgendeiner Form widersetzen, werden mittels Unterstützung der Opposition oder des Militärs geschwächt, weggeputscht oder ins Ausland getrieben.
Alles begleitet von einer medialen Kakophonie von offiziell abgesegneten Fake News und Hofberichterstattung der Sonderklasse, wo die westlichen Demokratien die Vertreter des Wahren, Guten und Schönen sind, die mit allen Mitteln gegen Autokraten, Diktatoren und korrupte Politiker vorgehen, vorgehen müssen, um auch fremde Untertanen von der Geißel einer falschen Führung zu erlösen. Und auch deshalb, damit die Harmonie, die hierzulande angeblich zwischen oben und unten herrscht, nicht durch ausländische Propaganda gestört wird.

Das gelingt nicht immer. In Bolivien, Weißrußland und der Türkei sind Regierungswechsel gescheitert.

Aber das größte Ärgernis bei diesen Unternehmungen ist immer Rußland, das über viel zu viele Waffen und Reichtümer verfügt, und immer wieder imstande ist, die sehr größenwahnsinnigen Pläne des Wertewestens zu durchkreuzen.

3. Die Ukraine als das „Wilde Feld“ der maßlosen Großmachtsinteressen

Wie wenig bei diesen außenpolitischen Manövern inzwischen die Souveränität gilt, sieht man u.a. bei der Ukraine. Während ständig medial angeprangert wird, wie sehr Rußland durch seine Annexion der Krim und die Unterstützung der Donbass-Volksrepubliken die Souveränität der Ukraine mit den Füßen tritt, sollte nicht übersehen werden, daß es die NATO, die USA und die EU diesbezüglich auch nicht so genau nehmen.

Als z.B. im November 2013 das ukrainische Parlament den Assoziationsvertrag mit der EU zurückwies, wurde die Majdan-Opposition unterstützt, der gewählte Regierungschef vertrieben und Neuwahlen ausgeschrieben, über deren Beteiligung und Stimmabgabe sehr wenig bekannt ist. Nur das Ergebnis war wichtig: Uns genehme Politiker müssen an die Macht.
Dabei waren die Einwände der Abgeordneten der Rada keineswegs von der Hand zu weisen: Der Ukraine würden schwere Verluste entstehen und es war nicht vorgesehen, sie dafür zu kompensieren. Das würde sich sehr nachteilig auf den Lebensstandard der Bevölkerung auswirken. Betriebe, die bisher nach Rußland geliefert hätten, müßten zusperren, die Arbeitslosigkeit würde steigen.
Ebenso wurden vom IWF Bedingungen für einen Kredit verlangt, wie den Stop der Subvention von Gas, die zu gröberen Heizproblemen angesichts der niedrigen Gehälter führen müßten.

Die Ukraine mußte das alles erfüllen, obwohl das bis heute ihre wirtschaftliche Situation sehr belastet.

Die erwarteten Investitionen blieben auch aus, vor allem in die Infrastruktur, Telekommunikation, Transportwesen, Energiesektor, sodaß sich die Situation weiter verschlechtert hat. Von russischen Zahlungen und Hilfen wurde die Ukraine durch das Abkommen abgeschnitten. D.h., dieses Abkommen diente lediglich den strategisch-politischen und auch ökonomischen Interessen der EU, die sich den Markt der Ukraine erschließen wollte, aber weder den Interessen des Staates Ukraine noch denen von deren Bewohnern.

Die Kredite, die die Ukraine erhält, dienen in erster Linie dem Schuldendienst, also der Bedienung der Altschulden, die seit der Unabhängigkeit ständig ansteigend, aber nicht sehr transparent aufgenommen werden.
Jetzt dienen sie auch noch dazu, die Waffen zu bezahlen, die verschiedene NATO-Staaten der Ukraine förmlich aufdrängen, um sich vor der russischen „Aggression“ zu schützen, was natürlich mit diesem ganzen Zeug gar nicht geht. Es läßt sich nur zur Drangsalisierung der eigenen Bevölkerung verwenden, zum Kaputtmachen von den Resten von Landwirtschaft und Industrie in den Rebellengebieten und auch denen an der ukrainischen Seite der umkämpften Regionen, aber könnte der russischen Armee nicht trotzen, sofern diese tatsächlich eingesetzt würde.
Dazu kommt noch, daß die Ukraine gar nicht das nötige Personal hat, um alle diese Minenwerfer, Drohnen und Panzerabwehrgeräte der neueren Generation in Betrieb zu nehmen. Weder nach Fertigkeiten, noch nach Verläßlichkeit.
Es verhält sich mit diesem Kriegsgerät in der Ukraine ähnlich wie in Afghanistan, wo ebenfalls recht viel geliefert wurde, was jetzt niemand mehr bedienen kann.

Die Abkommen von Minsk blieben Makulatur, weil der ukrainischen Regierung von ihren Gönnern und Kreditgebern ausdrücklich untersagt wurde, bestimmte Punkte davon umzusetzen, die der Reintegration der Separatistenrepubliken gedient hätten, aber mit den Plänen unvereinbar sind, die die NATO und EU mit der Ukraine vorhaben. Handel mit und Arbeitsemigration nach Rußland sowie administrative Autonomie hätten die Ukraine unbrauchbar für die westliche Wertegemeinschaft gemacht.
Dabei war der Hauptgrund für den Wahlsieg Selenskis das Versprechen, diese Abkommen in Kraft zu setzen.

Die Propaganda der USA, daß Rußland jeden Augenblick in die Ukraine einmarschieren wird – die von allen westlichen Leitmedien ge-echot wird –, führen zu Kapitalflucht und Versorgungsmängeln. Außerdem schießen die Gaspreise und andere Preise in die Höhe und viele Personen können ihre Gasrechnungen nicht mehr zahlen.
Natürlich hat die ukrainische Regierung anfangs auch diese Propaganda unterstützt, in der Hoffnung, dabei auf Unterstützung westlicher Institutionen und Unternehmen zählen zu können.
Das Gegenteil ist eingetreten, die Ukraine zahlt die Zeche in Form wirtschaftlicher Rückschläge. Und einen Krieg vor der Tür …

Das weltweite Finanzsystem

ARGENTINIENS SCHULDEN, WIEDER EINMAL

„Argentinien: Ärger in der Regierungskoalition wegen Abkommen mit dem IWF (…) Máximo Kirchner (FdT) ist zurückgetreten. Die FdT vertritt im Parlament die Regierungskoalition. Kirchner gab seinen Rücktritt bekannt, nachdem Wirtschaftsminister Martín Guzmán ein neues Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verkündet hatte. Er teile weder “die Verhandlungsstrategie” mit dem IWF noch ihre Ergebnisse, erklärte der 44-Jährige in einem Kommuniqué.
Der Kongress muss der Übereinkunft mit dem IWF noch zustimmen. Es geht dabei um die Rückzahlung von 44 Milliarden US-Dollar. Argentinien wurde hierfür mehr Zeit eingeräumt. Als Gegenleistung darf der IWF vierteljährlich die Staatsfinanzen überprüfen, bevor es zu Zahlungen kommt. Das südamerikanische Land muss außerdem sein Haushaltdefizit bis 2024 reduzieren und die Inflation, die bei 50 Prozent liegt, senken. Außerdem verpflichtet sich Argentinien dazu, die staatlichen Energiesubventionen abzubauen. Letzteres könnte die privaten Haushalte besonders treffen.“ (Amerika21, 9.2.)

Konkret heißt das, daß die endgültige Lösung der Abwicklung dieses Kredits bis 2024 aufgeschoben wird. Bis dahin sind nur vergleichsweise geringfügige Summen an den IWF zu zahlen.
Man muß im Auge behalten, daß es hier nur um die Schulden geht, die zur Zeit der Regierung Macri mit dem IWF aufgelaufen sind. Hinter diesem Kredit steht im Halbdunkel die 3-4fache Summe, die bei privaten, vor allem US-Banken noch aussteht. Auch die ganze Rolle der argentinischen Altschuld ist unklar, die unter Néstor Kirchner mit Vergleichen abgewickelt, später durch das Urteil eines New Yorker Gerichts in Frage gestellt wurde und schließlich unter Macri durch eine Einigung mit den Geier-Fonds wieder schlagend geworden ist. Es geht jedenfalls in Argentinien um viel mehr als die 44 Milliarden, die sind vergleichsweise harmlos.

Eine Einigung mit den privaten Banken setzt aber erst eine Einigung mit dem IWF, der sozusagen die Zahlungsfähigkeit Argentiniens garantiert, voraus.
D.h., die wirklich großen Brocken stehen noch aus, bevor der oben beschriebene „Deal“ überhaupt unter Dach und Fach ist.

Máximo Kirchner ereifert sich über die Kontrollmöglickeiten, die dem IWF in diesem Abkommen eingeräumt werden und sieht das als eine Verletzung der Souveränität Argentiniens.
Dazu muß man wissen, daß ein Teil der Politikermannschaft und Justiz Argentiniens die Kreditaufnahmen unter Macri sowieso als verfassungswidrig ansieht und Macri deswegen vor Gericht stellen will.
Das verkompliziert natürlich die ganzen Schuldenverhandlungen, weil das geht überhaupt ans Eingemachte der ganzen demokratischen Gepflogenheiten weltweit:

Darf eine Regierung ihrer Bevölkerung überhaupt eine solche Schuldenlast aufbürden, die der betreffende Staat nie und nimmer zurückzahlen kann?

Ob das Parlament diesem Vor-Abkommen überhaupt zustimmt, ist eine andere Frage. Dabei hat Martín Guzmán, der Finanzminister Argentiniens, seit 2 Jahren verhandelt, um überhaupt so weit zu kommen.
Die ganze andere Schuld Argentiniens ist seit dem Amtsantritt von Alberto Fernández in der Schwebe, genauer genommen schon seit den Monaten vorher, da die Regierung Macri auch notgedrungen viele Zahlungen reduzierte, weil kein Geld mehr da war und er auch keinen Kredit mehr erhielt, als klar wurde, daß er die Wahlen verlieren wird.

Der Nachrichtenkanal France24 fragte 2 Ökonomen, einen Argentinier und eine für eine argentinische Universität tätige Spanierin, was dieses Abkommen denn bedeute?
(Beide Befragten sind ganz eifrige Vertreter des Wirtschaftsliberalismus, also keine kritischen Geister gegenüber der finanziellen Weltordnung.)

Diana Mondino meinte, erstens sei die Abmachung noch gar nicht fix, zweitens schöbe sie das Problem nur in die nächste Legislaturperiode, wo dann entweder die gleiche oder eine andere Regierung sich damit auseinandersetzen müsse.
Gabriel Rubinstein wies darauf hin, daß irgendeine Einigung besser sei als gar keine, da bis jetzt noch nicht klar sei, ob Argentinien überhaupt irgendwelche Kredite bedienen oder gar abzahlen würde, was jeden privaten Investor im In- und Ausland abschreckt.

Auf die Frage des Moderators, wie denn Argentinien aus den zyklisch wiederkehrenden Wirtschaftskrisen herauskommen und wieder zu alter Glorie auferstehen könnte, meinten beide durch die Blume: Auf absehbare Zeit auf jeden Fall nicht. Wachstum kann bei einer derzeitigen Schuldenlast nicht entstehen.

Mondino wies auch noch auf den Umstand hin, daß alle wirtschaftliche Tätigkeit mit hohen Abgaben – Steuern, Exportzöllen usw. – belastet sei, die die Akkumulation des Kapitals behindern bzw. verunmöglichen. Aber aus irgendetwas muß sich der Staatsapparat finanzieren, da Argentinien keinen Kredit mehr hat.

Deswegen hat jede Regierung irgendwelche ihr nahestehende Unternehmer, die diese Abgaben vermeiden und deshalb Gewinne machen können. Das regt natürlich die Unzufriedenheit derjenigen Eliten an, die es nicht in diesen „Inner Circle“ schaffen, und beflügelt die Korruptionsvorwürfe, die von den unterlegenen Kapitalfraktionen mit schriller Stimme vorgetragen werden.

In diesem Interview mit den beiden Ökonomen wird auch noch zur Sprache gebracht, daß Argentinien derzeit Kredite nur von Rußland und China erhält, die in die Fisch- und Viehwirtschaft, die sonstige Landwirtschaft, den Bergbau und die Infrastruktur investiert werden und deren zukünftige Gewinne dann zur Rückzahlung der Kredite verwendet werden sollen.

Alle diese in Argentinien auftretenden Fragen stellen im Grunde die gesamte Kreditvergabe weltweit in Frage:

1. Die Rechtmäßigkeit von staatlicher Kreditaufnahme überhaupt
2. Die Bedienung von IWF-Krediten
3. Die Bedienung der alten Schulden Argentiniens, die von den Gläubigern praktisch nicht mehr erzwungen werden kann, weil Argentinien sowieso zahlungsunfähig ist und daher nicht mehr mit weiterer Kreditverweigerung unter Druck gesetzt werden kann
4. Die Rolle des IWF als Garant der Kreditwürdigkeit eines Staates

Man kann nur empfehlen, die argentinischen Entwicklungen im Auge zu behalten.

Alle bisherigen Artikel auf diesem Blog zu Argentinien:

Argentiniens Schulden (31.5. 2021)
SCHULDEN MÜSSEN GÜLTIG BLEIBEN

Pressespiegel: Rebelión, 5.2. 2020
ARGENTINIEN IST IN DER SCHULDENFRAGE NICHT NACH SCHERZEN ZUMUTE

Wahlen in schwieriger Zeit (19.6. 2019)
ARGENTINIEN; SEIN PRÄSIDENT UND SEINE SCHULDEN

Serie „Lateinamerika heute“. Teil 5: Argentinien (26.9. 2018)
DIE EWIGE WIEDERKEHR DER ARGENTINISCHEN KRISE

Macris Schwanengesang? (11.5. 2018)
ARGENTINIEN BITTET DEN IWF UM KREDIT

Argentinien schifft wieder ab (31.1. 2016)
RICHTUNGSWECHSEL IN ARGENTINIEN: MAURICIO MACRI, EIN HELD AUF ABRUF

Argentinien, der Weltmarkt und das Welt-Finanzsystem (15.8. 2015)
FLEUNDSCHAFT!

Der Argentinien-Krimi, neueste Folge (11.7. 2014)
DER COUNTDOWN LÄUFT

Argentinien am Scheideweg (19.6. 2014)
DAS WELTWEITE KREDITSYSTEM WACKELT WIEDER EINMAL

Ein angesichts der Euro-Krise fast vergessener Schuldnerstaat (24.2. 2013)
AASGEIER KREISEN ÜBER ARGENTINIEN

Die Weltfinanzbehörde läßt einen Musterschüler durchfallen (2.8. 2011)
DER IWF, TEIL 6: ARGENTINIENS ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT

Ein großes Pyramidenspiel? (15.5. 2011)
ARGENTINISCHE BANKIERS ZUR EURO-SCHULDENKRISE