Schiffsunglück in Budapest

TOURISMUS 2019 – HÖHER; SCHNELLER; WEITER!
Die Idee der Freizeit und des Urlaubs gehört zur Lohnarbeit und zum Kapitalismus dazu. Frühere Gesellschaftsformen kannten dergleichen nicht. Auch im Kapitalismus dauerte es eine Weile, bis die staatlichen Verwalter der Klassengesellschaft draufkamen, daß die Arbeitskräfte bei halbwegs pfleglicher Behandlung bessere Leistungen erbringen. So konnten sie den Unternehmern gegenüber durchsetzen, den Arbeitstag zu verkürzen, und ihren geschätzten Mitarbeitern Urlaub zu genehmigen – und sogar zu bezahlen!
Während lange Zeit der Urlaub und die Freizeit der Erholung dienten, um sich für die Strapazen des Arbeitsalltags fit zu halten, wurde mit der Zeit beides als Reich der Freiheit entdeckt, gegenüber dem wie immer gearteten Job, der als Reich der Notwendigkeit anerkannt wurde und wird. Der ganze heute übliche Freiheitstreß geht daher einher mit dem Verzicht auf jede Kritik an der Art und Weise, in der heute Waren erzeugt, auf den Markt geworfen und dann gekauft und konsumiert werden.
Ja, der Beruf ist Scheisse, aber er muß sein, damit ich mir dies oder jenes leisten kann, sagen Leute gerade aus besser bezahlten Jobs, die sich auch Arbeit nach Hause nehmen, Überstunden machen, oder Nebenjobs machen.
In einer Welt, in der das einfache Wohnen für breite Bevölkerungsschichten zu einem ernsten Problem wird, wo Menschen auf immer kleinerem Wohnraum einen ständig wachsenden Teil ihres Einkommens für das Dach über dem Kopf aufwenden müssen, und die Obdachlosigkeit steigt, wird das Reisen immer wichtiger. Ob jetzt eine aufwendige Fernreise oder gleich Weltreise die einen von Kontinent zu Kontinent hoppen läßt, oder andere übers Wochenende in eine der vielen überlaufenen Städte der EU ausreißen – wichtig ist, sich mit Billigflügen mindestens ins Ausland zu bewegen, und das dann auch möglichst der Umwelt mitzuteilen, in Form von Fotos in sozialen Medien oder deren Herumschicken auf die Smartphones des Freundeskreises.
Der heutige Bildungsbürger bespiegelt sich nicht mehr über die Kenntnis der Klassiker, toter Sprachen oder irgendwelche Fertigkeiten, sondern darüber, wo er schon überall war. Es gilt als Ausweis von Weltoffenheit und Bildung, Modernität usw., zu zeigen, in welchen Einkaufsmeilen man schon flaniert, welche Stadtzentren man bereits durchwandert und welche Strände man schon belegen hat.
Dazu kommt dann noch die Abteilung Luxus, die mit teuren Hotels oder so etwas wie Kreuzfahrten aufwarten kann, oder exquisiten Reisezielen wie der Antarktis oder Alaska. Die wollen sich dann von den gewöhnlichen „Massentouristen“ abheben, und anderen auf die Nase binden, daß sie sich etwas Besseres leisten können als Krethi und Plethi.
Schließlich gibt es auch noch die Abteilung der Extremsportler und Abenteurer, die mit allen möglichen Fluggeräten in die Lüfte steigen, Wildwässer hinunterfahren, oder hohe oder sehr abgelegene Berge ersteigen wollen, um den besonderen Kick zu haben, daß sie etwas ganz Besonderes gemacht haben und deshalb auch etwas ganz Besonderes sind. Geld braucht man dazu auch einiges, das ist so eine Nebenwirkung. Irgendwie wird das der Umwelt auch zur Kenntnis gebracht, wenn diese Leute von ihren außergewöhnlichen Leistungen erzählen.
Dieses Bedürfnis nach Selbstbespiegelung über das Freizeitvergnügen bewegt inzwischen große Geldmengen und bietet dem internationalen Kapital seit Jahren ein Wachstumspotential, von dem andere Wirtschaftszweige nur träumen können. Kaum kommt wieder ein neues scharfes Vergnügen auf, wird eine neue Weltgegend von findigen Reiseveranstaltern entdeckt, schon locken gute Profitraten. Manche verelendeten Gegenden versuchen ihrerseits etwaige Strände, Palmen, Gebirge oder Höhlen zu Einkommensquellen zu machen.
In den Zeitungen wird manchmal verärgert vermeldet, daß irgendwelche Touristen in der Sahara oder im Senegal oder in anderen eher ungewöhnlichen Urlaubsdestinationen in einen Hinterhalt geraten, ausgeraubt, als Geiseln genommen oder gar umgebracht worden seien.
Skandal!
Die dortigen Staaten haben ihr Territorium und ihre Bevölkerung nicht im Griff! Man kann dort nicht ruhig auf Urlaub hinfahren! Na, selber schuld, wenn die dort ewig arm bleiben … Die nutzen ja ihr touristisches Potential gar nicht richtig aus!
Jetzt sind ein paar südkoreanische Touristen in Budapest ertrunken, weil sie unbedingt Budapest bei Nacht von der Donau aus betrachten wollten und mit dieser Sehnsucht nicht allein unterwegs waren.
Anscheinend sind alle Sonnenauf- und -untergänge an Palmenstränden, alle Berggipfel und sonstigen schönen Aussichten schon ausgereizt, also muß man nach neuen Sensationen Ausschau halten.
Schon geht die Schuldsuche los: Wer hat hier versagt, wen kann man vor Gericht stellen?
Die Tourismusindustrie als Ganze soll natürlich nicht in ein schlechtes Licht geraten, das wollen weder die Tourismus-Unternehmer, noch die auf Devisen scharfen Politiker, und zuallerletzt die Urlaubsgäste selbst, die ihr Recht auf das Bereisen der ganzen Welt täglich zahlungskräftig einfordern.

Die ewige Wiederkehr des Gleichen

WAHLEN 2019
Regelmäßig oder unregelmäßig wird der Bürger zur Urne gerufen. Von ganz oben bis ganz unten darf er sich seine Chefs, die dann über ihn bestimmen, selber wählen. Die modernen Eliten legen viel Wert auf diese Veranstaltung, bei der die kleinen Leute ihr Einverständnis ins Regiertwerden geben, und – so die Erwartung – sich dann von den solcherart Gewählten im Weiteren alles gefallen lassen, was diese beschließen.
Derzeit ist die ganz oberste Etage dran und da gibt es eine gewisse Nervosität bei den Regierenden, weil die Wahlen fürs Europaparlament in manchen Ländern keinen Hund hinterm Ofen hervorlocken und die Beteiligung seit geraumer Zeit unter 50% liegt.
Im Zusammenhang mit dem Auftreten europakritischer Parteien machen sich daher die EU-Oberhäuptlinge und ihre Hofgeschichtsschreiber und Werbetexter Sorgen wegen der sinkenden Wahlbeteiligung und legen einen Turbo ein beim Versuch, die Leute zur Wahl aufzurufen und für sich zu gewinnen.
Wenn man die Plakate ansieht, so ist äußerst fragwürdig, ob sich mit denen Begeisterung für die EU und diese Wahl wecken läßt.
1. Fragen, die keine sind und daher auch keine Antwort verlangen
Die SPÖ betreibt ihren Wahlkampf mit Plakaten, wo zwei Begriffe als Alternative mit einem Fragezeichen versehen werden. Als Frage kann man das Ganze aber nicht bezeichnen, weil es fehlt das Prädikat.
Diese Plakate geben Rätsel auf.
Auf einem ist eine junge Frau zu sehen, die ein Pakat mit einem Amazon-Pfeil bei sich hat. Es ist gar nicht klar, ob es sich um eine Zustellerin handelt oder um eine Abholerin, also Empfängerin des Pakets.
Dazu steht: „Mensch oder Konzern?“
Soll jetzt Amazon zugesperrt werden? Ist es ein Aufruf, nicht mehr bei Amazon zu kaufen? Soll Amazon seine Angestellten besser entlohnen? Oder sollen diese alle kündigen?
Dazu der Satz: Europa braucht ihre Antwort.
Wie aus diesem Bild und den dort versammelten Wörtern eine Wählerstimme für die SPÖ herauskommen soll, ist einem unbefangenen Beobachter nicht begreiflich.
Wahlplakat SP�
Ebenso bei einem Kind, das über eine Art Zaun oder Zauntor springt, mit der Alternative: „Chancen oder Hürden?“
Abgesehen davon, daß Zäune und Zauntore ja wirklich nicht erst mit der EU eingezogen sind, weiß man auch nicht, wofür diese bemalten Bretter stehen: Für das Privateigentum, über das sich der Bürger getrost hinwegsetzen soll? Oder soll der Wähler jede Hürde als Chance sehen, auch wenn das noch so verkehrt ist? Wird da an die Konkurrenzgesellschaft erinnert, und daß man eben dauernd mit Hindernissen kämpfen muß?
Das Kind, das darüberhüpft, darf noch gar nicht wählen. Dennoch soll sich der Wähler offenbar mit dem Kind identifizieren.
Es handelt sich hier um ein Wahlplakat, nicht um eine Pädagogikbroschüre für junge Väter oder alleinerziehende Mütter.
Soll der/die Angesprochene so wählen, daß die eigenen Kinder möglichst viele Hürden vorfinden? Oder möglichst wenige? Aber wie ist das dann mit den Chancen?
Auch hier ist es schwer, den Übergang zum Wählen-Gehen nachvollziehen zu können.
2. Reim dich oder ich friß dich
Die FPÖ macht einen Mix aus Deutsch und Englisch, um einen Reim hinzukriegen: „FPÖ voten gegen EU-Asylchaoten“.
Abgesehen vom dichterischen Ehrgeiz soll damit vermutlich auch ein gewisser Internationalismus ausgedrückt werden: Wir können Englisch und sind keineswegs Hinterwäldler!

Immerhin wird hier klar gesagt, daß man die FPÖ wählen soll. Also nicht Fragen beantworten und Rätsel lösen, sondern kurz und bündig „voten“, und zwar die FPÖ.
Wer sind jetzt die EU-Asylchaoten?
Diejenigen, die angesichts der Flüchtlingswelle Maßnahmen ergriffen haben?
Frau Merkel? Herr Seehofer?
Die sollen jetzt im EU-Parlament – ja was nur? – bekämpft, zu Ordnung gerufen, oder was sonst werden?
Und überhaupt, Chaoten – sind das womöglich die Asylsucher selbst?
Natürlich kamen und kommen die sehr ungeordnet, aber das liegt in der Natur der Sache. Schließlich geht es bei den meisten dieser Leute in der Heimat drunter und drüber, deshalb kommen sie her.
Was will jetzt die FPÖ dagegen machen? Aus der EU-Außenpolitik aussteigen, die die Kriege in Syrien und dem Jemen ideell mitträgt, und die Verursachung des Chaos in Libyen zumindest nicht beanstandet hat?
Schön wärs, aber das traue ich der FPÖ nicht zu.
Oder will sie die Flüchtlinge einfach hinauswerfen?
Aber da gibt es nationale Asylgesetze, an das sich alle gewählten Politiker halten müssen.
Außerdem, vergessen wir nicht: Es handelt sich um EU-Wahlen, man schickt hier Politiker nach Brüssel!
Dort werden sie dann gegen „Asylchaoten“ auftreten, wer immer das auch ist.
Irgendetwas Greifbares wird hier nicht versprochen, sondern auf irgendeine Art von Ressentiment gegen Asylanten gesetzt, der sich bei der FPÖ gut aufgehoben fühlen kann. Dafür wird eine Wahlstimme verlangt.
Also an alle Besorgten: Es kann nichts passieren, selbst wenn die FPÖ im EU-Parlament bleibt.
3. Profis
Bei der ÖVP geht es solide zu. Hier verkünden Profis, daß sie gewählt werden wollen.
„Europa braucht Profis“ mit der Aufforderung gepaart, die ÖVP zu wählen, unterstellt den anderen Parteien, dort wären eigentlich nur Amateure und Pfuscher unterwegs. Ebenso ist angedeutet, daß man Europa zu geben hätte, was Europas ist.
Zu den Wahlen sind daher alle diejenigen aufgerufen, die „Europa“ gut finden – obwohl zum geographischen Europa zweifellos auch Rußland, Serbien oder Albanien gehören. Hier ist jedoch die EU als eine Art lieber Gott dargestellt, den man durch die Wahl zu huldigen hat. Europa braucht

Wer nicht dieser Meinung ist, wird wahrscheinlich nicht wählen gehen. Obwohl das O von Europa ja geradezu danach verlangt, angekreuzt zu werden …
In Oberösterreich gibt es zusätzlich den Spruch „Oberösterreichs Interessen in Europa sichern“ – das klingt schön.
Nur: In Oberösterreich gibt es, wie auch sonstwo, sehr viele unterschiedliche Interessen, die manchmal sogar in Gegensatz zueinander stehen.
Was sind also diese Interessen?
Mehr Jobs?
Höhere Löhne?
Bessere Straßen?
Mehr Öffis?
Mehr Kindergartenplätze?
Moderate Forderungen der Gewerkschaft, für „unsere“ Wirtschaft?
Mindestsicherung kürzen?
Sparen!?
Billigere Wohnungen?
Mehr sozialer Wohnbau?
usw.
Man sieht, alle diese Interessen lassen sich nicht unter einen Hut bringen.
Also werden die Interessen der Region von ihren wichtigeren Vertretern definiert und die Politiker sind dann die Vollstrecker dieser von Wirtschaft und Politik definierten Interessen.
Beim Wahlplakat soll sich der Bürger jedoch vorstellen, er selbst könne der Vertreterin von Öberösterreichs Interessen einen Wunschzettel mitgeben. Mein Interesse soll dort aufgehoben sein. Meine Wünsche sollen wahr werden.
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Bei all diesen Sprüchen wird der Wähler für dumm verkauft und auch dumm gemacht: Es wird ihm nahegelegt, Wünsche und Glaubensinhalte zum Maßstab seines Handelns zu machen und gegen besseres Wissen annehmen, daß diese bei der Politik gut bedient sind.
Nachher kann er sich immer darüber beschweren, daß er betrogen wurde.
Die obigen 3 Parteien sind jedenfalls insofern Profis, als sie schon lange im Politik-Geschäft sind.
Andere können davon nur träumen.
4. „Mutig für Europa“
wollen die Grünen doch noch irgendwie in ein wichtiges Parlament kommen, nachdem der Nationalrat für sie vorbei ist.
Immerhin kämpft diese Partei um ihre Existenz.
Warum jetzt aber „Mut“ gefragt ist, um ins EU-Parlament zu wollen, erschließt sich dem Betrachter nicht. Es drohen ja keine Gefahren, selbst wenn man dort nicht in der besten Gesellschaft ist.
Ich vermute, vor allem geht es um Einkünfte, die die Partei dringend braucht.
Zusätzlich zur Darstellung ihres Mutes ist sie auf der Suche nach Themen, die irgendwie für sie sprechen sollen. Die ausgewählten Themen sind so universell, daß sich sonst gar niemand drüber getraut hat: Die Grünen retten uns das Wasser, kümmern sich ums Klima und schützen den Frieden.

Und das alles ohne Nationalratsmandat, diese Supermänner und -frauen!
Hier tut sich eine besondere Schere zwischen dem Versprechen der Allmacht und der Wahrnehmung der Machtlosigkeit auf …
Wenn schließlich die Neos verkünden:
5. „Europa – machen wir was draus“
so geben sie damit zu verstehen, daß die EU, so wie sie geht und steht, nix ist.
Schon recht frech, die jungen Leute!
Da sind die FPÖler mit ihren Asylchaoten direkt zahm.
Ansonsten haben auch die Neos in der Wühlkiste gesucht nach Themen, die irgendwie gut klingen und von den anderen vernachlässigt werden.
Sie fordern „freie Fahrt“, meinen damit aber nicht Tempo 140+ – das ist ja bereits besetzt –, sondern Aufhebung der Grenzkontrollen – obwohl sich jetzt schon jeder dran gewöhnt hat.
Und schließlich fand sich in der Kiste noch: Frauen! Juhu, alle haben auf die Frauenfrage vergessen, da haben wir ja ein ganz wichtiges Thema, mit dem wir Werbung machen können! Wir stellen als einzige eine Spitzenkandidatin auf!

„Freund: »Schauen Sie sich diese Plakate da an: Da haben sich die besten Köpfe der Nation nächtelang damit geplagt.«
Travnicek: »Und das ist dabei herausgekommen?«“ (Merz/Qualtinger, Travnicek und die Wahlen)
Wer immer auf diese Plakate hin der einen oder anderen Partei seine Stimme gibt, ist recht anspruchslos in Bezug auf intellektuelle Inhalte.
Das ist aber dem Wesen der Wahl – ich geb mein Einverständnis ins Regiertwerden – völlig angemessen.
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Weiterführende Literatur:
Warum wählen? Brief an die KPÖ

20 Jahre NATO-Krieg gegen Rest-Jugoslawien

DIE NEUE WELTORDNUNG
Der nicht erklärte Krieg gegen Jugoslawien, vor allem das Territorium des heutigen Serbien (Montenegro wurde mehr oder weniger verschont) markierte eine Art Zeitenwende und eine Neudefinition des Völkerrechts.
Krieg als Mittel der Politik
Das nationale Recht innerhalb eines Staates beruht auf einem Gewaltmonopol. Der Staat verfügt ausschließlich über die Gewaltmittel und untersagt seinen Bürgern die Gewalt, sowohl gegeneinander als auch gegen die Obrigkeit. Ein Verstoß gegen das Gewaltmonopol wird strafrechtlich verfolgt, genauso wie Verstöße gegen die Eigentumsordnung.
Im internationalen Recht gibt es ein solches Gewaltmonopol nicht, weil sich lauter Souveräne, also lokale Monopolisten gegenüberstehen. Ein weltweites Gewaltmonopol könnte es nur geben, wenn es einen einzigen Weltstaat gäbe. Ein solches Ansinnen ist Großmächten nicht fremd: Sie würden gerne die anderen ihren Interessen unterwerfen und ihnen Vorschriften diktieren. Die USA hatten seit Wilsons 14 Punkten diesen Wunsch und nach 1945 auch vermehrt die Mittel dazu. Das einzige Hindernis war damals der sowjetische Block, der entsprechend bekämpft und schlechtgemacht wurde.
Nach dem Zerfall der SU und des Warschauer Paktes schien der Weg frei für die US-Weltherrschaft. Damals hatte nur die EU Ambitionen, es ihr gleichzutun, sie vielleicht sogar zu überflügeln. Die Gründung der EU und das Ende der Sowjetunion fielen zeitlich zusammen, im Dezember 1991.
Jugoslawien war beiden Mächten, USA und EU, im Weg. Es verfolgte eine Staatsräson, die sich von der des Kapitalismus unterschied. Es war Führungsnation der Blockfreien, und verfügte über eine der größten stehenden Armeen der Welt und eine bedeutende Rüstungsindustrie.
Für die EU war Jugoslawien ein Unding, weil es als Vielvölkerstaat den Entwurf des Staatenbündnisses erstens vorwegnahm und zweitens ad absurdum führte. Außerdem paßte es nicht in das Hinterhof-Konzept, das die EU mit den ehemals sozialistischen Staaten vorhatte. Sie sollten sich – ähnlich wie Lateinamerika für die USA – als Rohstoff- und Arbeitskräftereservoir und als Markt für die Waren der EU bewähren. Die agrarische und industrielle Produktion in Jugoslawien war also ein Ärgernis für die EU, sie mußte verschwinden. In den Nachfolgestaaten Jugoslawiens – mit Ausnahme Sloweniens – ist das auch geschehen.
Den USA präsentierte sich Jugoslawien als Hindernis auf ihrem Weg der Einkreisung Rußlands und der Beherrschung Europas.
So kam es, daß ein Staat, der keinen anderen angegriffen hatte und gegen keine internationalen Konventionen gebrochen hatte, erst mit einem unannehmbaren Ultimatum (– man erinnere sich an Annex B über die Öffnung des gesamten Territoriums für NATO-Truppen, der zum Ärger der NATO noch immer nicht gänzlich umgesetzt worden ist,) konfrontiert und dann mit einem Krieg überzogen wurde.
Heute ist Jugoslawien in 7 Teile zerschlagen, der Balkan fragmentiert. Die Nachfolgestaaten tanzen mit Ausnahme Serbiens alle nach der Pfeife von USA und NATO.
Der Jugoslawienkrieg, die Zerteilung Jugoslawiens und der Sturz Milosevics wurden zu einer Art Drehbuch für die neue Weltordnung, für Farbrevolutionen und Anstachelungen von Bürgerkriegen rund um den Globus und für eine neue und von den westlichen Medien eifrig sekundierte Auffassung der gerechten Gewalt, der humanistischen Intervention, des guten Krieges.
Wer sich dem entgegenstellt oder einfach nicht anschließt, gehört zur Achse des Bösen, ist Diktator, Schlächter, usw.
Es ist jedoch inzwischen so, daß sich gegen diese Anmaßung auf Weltherrschaft andere Mächte erhoben haben. China und Rußland geben den Ton der Gegenstimmen an, blockieren im UNO-Sicherheitsrat Resolutionen über Sanktionen und Interventionen, sind gut gerüstet und unterstützen sperrige Staaten, die im Visier der NATO sind.
Der Krieg gegen Jugoslawien diente nämlich auch als Warnung für diejenigen, die sich nicht der NATO unterordnen wollen. Er führte zu einem Regierungswechsel in Rußland und ließ auch China aufmerken, die Zügel im Land zu straffen und Zentrifugalkräfte zu unterbinden. Diese beiden Großmächte wurden seither als Anlaufstellen derjenigen Regierungen genutzt, die sich nicht am Band der NATO-Staaten gängeln lassen wollen und so kam eine neue bipolare und sehr kriegsträchtige Situation in die Welt.
Das Haager Tribunal als Weltgericht
Um zur unmittelbaren Gewalt auch noch die formelle Überlegenheit zu gesellen, wurde mit dem Haager Tribunal eine Institution geschaffen, die im Namen dieser neuen Ordnung über die Vertreter der alten Gericht hielt.
Die Politiker und Militärs Jugoslawiens wurden stellvertretend für andere Vertreter des sozialistischen Systems als unrechtmäßige Gewalttäter angeklagt und verurteilt. Der Versuch, einen selbständigen und blockfreien Staat auf dem Balkan zu erhalten, wurde zu einem Verbrechen des serbischen Volkes definiert und mit der schweren Keule des modernen Interventionismus, dem Genozidvorwurf gekrönt.
Die Justiz der siegestrunkenen Weltherrscher hat sich ihre Vollstrecker und neuen Instrumente geschaffen:
Die in den letzten Jahren verurteilten serbisch-bosnischen Führer Ratko Mladic und Radovan Karadzic wurden zu lebenslänglicher Haft verurteilt – nicht, weil ihnen eine unmittelbare Beteiligung an oder der Befehl zum sogenannten Massaker von Srebrenica nachgewiesen worden wäre. Die genaue Autorenschaft bei der Ermordung derjenigen Männer und Jugendlichen, die in den Tagen nach dem Fall von Srebrenica in den umliegenden Orten erschossen wurden, ist nach wie vor nicht geklärt.
Diese Täterschaft nachzuweisen, war nicht Aufgabe des Haager Tribunals, weil es um etwas anderes ging.
Die Anklage bediente sich vielmehr eines Mafiaparagraphen aus den USA: Sie erklärte den Beschluß, die Republika Srpska als Teil Jugoslawiens auf bosnischem Territorium zu erhalten und möglichst auszudehnen, zu einem „joint criminal enterprise“, einem „von mehreren in Angriff genommenen kriminellen Unternehmen“. Jeder, der an diesem Unternehmen beteiligt war, kann daher für alles verantwortlich gemacht werden, was diesem „Unternehmen“ zugeschrieben wird. So konnten alle möglichen serbisch-bosnischen Politiker und Militärs für Morde verantwortlich gemacht werden, die weitab von ihrem Aufenthaltsort oder ihrem Einsatzbereich erfolgt waren. Der General Rastislav Krstic zum Beispiel wurde 2004 zu 35 Jahren Haft verurteilt, weil er als Kommandant des in Srebrenica eingerückten Drina-Korps die Morde nicht verhindert hatte, obwohl er in der Hierarchie der Befehlskette vom Haager Tribunal als verantwortlich und zuständig eingestuft worden war.
Zum guten Gewissen der Sieger und allen, die an die Siegerjustiz glauben wollen, sei an die Beobachtung Brechts erinnert:
„Früher hats immerhin den ein oder anderen Krieg gegeben, der aus Gewinnsucht geführt worden ist. Das hat ganz aufgehört. Wenn heut ein Staat eine fremde Kornkammer einverleibt haben möcht, sagt er entrüstet, daß er hin muß, weil dort unredliche Besitzer sind oder Minister, die sich mit Stuten verheiraten, was das Menschengeschlecht herabsetzt. Kurz, keiner von den Staaten billigt seine eigenen Motive für den Krieg, sondern er verabscheut sie und schaut sich nach andern, besseren um.“ (Kalle, in: Flüchtlingsgespräche)
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siehe dazu auch:
Das Haager Tribunal
Genozid