Pressespiegel Izvestija, 30.7.: Rußland und der IWF

„ES GEHT NICHT UMS GELD: SOLLTE RUSSLAND DEN IWF VERLASSEN?

Die Beteiligung an einem Finanzinstitut bleibt eine wertvolle Verhandlungsplattform (…)

Die Fraktion der Kommunistischen Partei Rußlands legte der Duma einen Gesetzentwurf vor, der vorsieht, die Entscheidung des Obersten Rates(*1) über den Beitritt Russlands zum IWF für ungültig zu erklären. Die Autoren der Initiative schlagen außerdem vor, das 1992 in Washington unterzeichnete Protokoll über den Beitritt Russlands zur Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD)(*2) und zur Internationalen Entwicklungsorganisation(*3) zu kündigen.

Wie die Verfasser des Gesetzentwurfs betonten, verhinderte die Mitgliedschaft im IWF und in der IBRD nicht die Verhängung von Sanktionen gegen Moskau, und die Organisationen selbst verurteilten diese Beschränkungen nicht.
Ihrer Meinung nach zwingt die Teilnahme am IWF Russland dazu, eine Geldpolitik zu verfolgen, die ihm seine Währungsunabhängigkeit, insbesondere das Recht, den Rubel-Wechselkurs zu erhöhen oder zu senken, entzieht. Darüber hinaus verpflichtet sie Rußland darauf, den Wechselkurs des Rubel an eine Fremdwährung zu koppeln.

Die Initiative der Kommunisten wurde sofort scharf kritisiert. Laut dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaftspolitik der Staatsduma Artjom Kirjanov (Einiges Russland) ist der IWF eine wichtige Verhandlungsplattform, daher sollte Russland die Struktur nicht verlassen. Noch kategorischer äußerte sich der Vorsitzende des Finanzmarktausschusses der Duma, Anatolij Aksakov. Er bezeichnete die Initiative zum Austritt aus dem IWF als »Unsinn«.

Kreditgeber, nicht Schuldner

Russland ist seit 30 Jahren Mitglied des IWF und trat im Juni 1992 der Weltfinanzorganisation bei.(*4) Insgesamt erhielt Moskau rund 22 Milliarden Dollar vom IWF, doch das Geld des internationalen Kreditinstituts braucht es schon lange nicht mehr.
Seit 2000 hat Moskau keinen Antrag mehr an den Fonds gestellt.“

Mit Putins Amtsantritt änderte sich offenbar sofort die Politik Rußlands gegenüber dem IWF. Das war nicht nur seine alleinige Entscheidung, sondern sicher auch eine Art Schlußfolgerung aus der Rubelkrise 1998.

„Und im Januar 2005 hat Rußland alle Schulden abbezahlt und fungiert seit langem als Gläubiger des IWF. Aber es geht nicht nur um Geld.

Wie Maria Konjagina, Professorin am Nord-West-Institut für Verwaltung der RANEPA, erklärt, ist die Mitgliedschaft in der Organisation nicht nur eine Gelegenheit, Kredite aufzunehmen, sondern auch, um die Probleme des globalen Währungssystems, das sich derzeit in einer Krise befindet, zu diskutieren und nach Lösungen für diese tiefe Krise zu suchen.“

Frau Kojagina weist damit indirekt darauf hin, daß sich im IWF nicht nur Rußland gegenüber „unfreundliche“ Staaten tummeln, sondern beinahe alle Staaten der Welt.
Immerhin ist er doch eine UNO-Organisation, auch wenn die USA das größte Gewicht darin haben.
Rußland will es also als Forum für seine Vorstellungen nutzen, nicht als Kreditorganisation.

„Sie weist auch darauf hin, dass die Verfasser des Gesetzentwurfs mit ihren Schlußfolgerungen hinsichtlich der Bildung des Rubel-Wechselkurses falsch liegen.
Die Mitgliedsländer können den Wechselkurs der Landeswährung durch Deviseninterventionen der Zentralbanken erhöhen und senken. Im Jahr 2014 hat Russland auf den Marktwechselkurs des Rubels umgestellt: Der Kurs wird durch den Tageshandel gebildet. Andererseits hängt der Wechselkurs vom Volumen des Devisenhandels ab.“

Es ist eben eine Entscheidung der russischen Finanzbehörden, was sie als „Devise“ ansehen, bzw. welchen Fremdwährungen sie den Vorrang geben:

„Daher hänge der Rubel-Wechselkurs von der Struktur des internationalen Handels- und Zahlungsverkehrs und damit von der Struktur der internationalen Reserven ab, da diese in einem entsprechenden logischen Zusammenhang gebildet würden, erklärte die Ökonomin.“

„Logisch“ heißt hier: Erstens aus dem Volumen, die die Handelsbeziehungen bisher hatten, zweitens aus der Bedeutung, die sie in Zukunft haben werden bzw. sollen – was breiten Spielraum für die Ausgestaltung des Devisenschatzes übrigläßt.
Die Bindung an andere Währungen ist jedoch eine Notwendigkeit, wenn man auf irgendeiner Art von Weltmarkt aktiv sein will. Darin unterschiedet sich das heutige Rußland von der Sowjetunion.

„Der IWF steht nicht außerhalb der Politik

Der IWF wird vor allem dafür kritisiert, dass diese Organisation, die sich lange Zeit als „außerhalb der Politik“ agierende Institution positionierte, bereits mehr als einmal ihre Prinzipien verraten hat.

Beispielsweise änderte der Fonds in den Jahren 2015 und 2023 die Regeln, um die Kreditvergabe an die Ukraine zu stärken und zu vereinfachen. Früher verlangte der IWF in der Regel vom kreditnehmenden Land, einen Plan oder eine Strategie für die Rückzahlung des Kredits vorzulegen, in Bezug auf die Ukraine war dies jedoch nicht erforderlich.
»Andere Länder, die in militärisch-politische Konflikte verwickelt sind oder Krisen erleben, haben ein solches Privileg nicht: Es gibt Doppelmoral gegenüber einzelnen Ländern«, sagt Jevgenyj Smirnov, Leiter der Abteilung für Weltwirtschaft und internationale Wirtschaftsbeziehungen der Staatlichen Universität für Management. Der IWF habe seinerzeit die Kreditvergabe an Russland davon abhängig gemacht, wie sehr es liberale Prinzipen einhalte, präzisiert der Experte.

Jaroslaw Ostrowskij, Spezialist in der Abteilung für strategische Forschung bei Total Research“ (einer privaten Beraterfirma für Unternehmen), „stimmt ihm zu.
»Die Ziele und Zielsetzungen dieser Kreditstrukturen (IWF und IBRD) sind nobel, nämlich: Hilfe für Entwicklungsländer, Vergabe von Krediten zu niedrigen Zinssätzen und so weiter. Aber tatsächlich stehen alle diese Organisationen auf die eine oder andere Weise unter der Kontrolle Washingtons und sind die Dirigenten seiner Finanzpolitik«, erklärte der Analyst.“

Hier merkt man deutlich, daß Entwicklung und Kreditvergabe in Rußland auch als gute Dinge angesehen werden, – allerdings nach anderen Kriterien, als sie der IWF verfolgt.

„Hebelwirkung

Dennoch stellt der IWF wie jede internationale Organisation den Teilnehmern bestimmte Einflusshebel zur Verfügung, deren Ablehnung im Allgemeinen keinen Sinn macht.“

Interessant, wie die in der sowjetischen Wirtschaftsplanung so wichtigen Hebel wieder auftauchen.

„Der IWF löst für Russland nun nicht so sehr die Funktion des Investierens als vielmehr des Aufbaus von Beziehungen zu neuen Ländern und der Durchsetzung seiner Politik, erklärt Veniamin Dajkov, geschäftsführender Gesellschafter der Anwaltskanzlei Perex. »Gegenwärtig brauchen wir den IWF nur für geopolitische Zwecke«, meint er.
Laut Veniamin Dajkov ist es aus mehreren Gründen unangemessen, über einen sofortigen Austritt aus der Organisation nachzudenken. Erstens wurde dort viel Geld investiert. Zweitens spielt der IWF in gewissem Sinne immer noch seine geopolitische Rolle. Drittens schließlich ist die BRICS-Bank noch nicht bereit, die den IWF vollständig ersetzen und den Fokus von West nach Ost verlagern könnte.“

Das hat sie aber offenbar vor.
Der IWF wird also von Rußland als eine Art Vehikel betrachtet, mit der man der BRICS-Bank auf die Sprünge hilft.
Irgendwann, so lautet anscheinend das Ideal, sollte dann der IWF bei der BRICS-Bank um Unterstützung betteln.

„Auf die Notwendigkeit einer Mitgliedschaft in der Organisation weist auch Maria Konjagina (RANEPA, St. Petersburg) hin. In diesem Fall könnte Russland den Zugang zu internationalen Statistiken verlieren und keinen Einfluss mehr auf die Lösung aktueller Weltwährungsprobleme haben. Die Integration in globale Finanzprozesse ist äußerst wichtig.“

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(*1) Im Frühjahr 1992 wurde Russland Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank.
Den Beitritt Rußlands umgibt bis heute eine gewisse Aura des Geheimnisses. Er hing mit der Schuldenlösung nach der Auflösung der SU zusammen. Rußland als Rechtsnachfolger übernahm alle Passiva und Aktiva der SU. Der Vertrag mit dem IWF war also auch ein Vertrag über die Stellung Rußlands in der Weltpolitik, ebenso wie diverse Entscheidungen im UNO-Sicherheitsrat, mit denen es seine Rechtsnachfolge der SU unterstrich.
Wer den Vertrag letztlich unterzeichnete, läßt sich auf die Schnelle nicht herausfinden. Es scheint, daß der Oberste Sowjet damals noch existierte und diese Entscheidung absegnete.

Der Vorschlag der KP hat also darin ein gewisses Gewicht, daß schon der Beitritt von Personen und unter Umständen geschlossen wurde, die heute insgesamt in ein schiefes Licht geraten sind. 

(*2) Die Gründung der IBRD als Teil der Weltbankgruppe wurde im Juli 1944 auf der Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen in Bretton Woods beschlossen, und am 27. Dezember 1945 wurde die IBRD gegründet. Am 25. Juni 1946 nahm die Bank mit 12 Milliarden US-Dollar Anfangskapital an ihrem Sitz in Washington, D.C. (USA) ihre Geschäftstätigkeit auf.
Die Bank wurde im Hinblick auf den für die Nachkriegszeit erwarteten großen Bedarf an langfristigem Kapital für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Mitgliedsländer geschaffen. Zunächst setzte sie ihre Mittel überwiegend für den Wiederaufbau Europas ein. Nach Beginn der amerikanischen Wirtschaftshilfe zu Gunsten Europas konnte sie sich ab Ende der 1940er Jahre auf die Entwicklungsländer konzentrieren. (Wikipedia)

(*3) „Die Internationale Entwicklungsorganisation ist eine Unterorganisation der Weltbankgruppe, deren Rolle die Armutsbekämpfung in Ländern mit besonders niedrigem Einkommensniveau ist.“ (Wikipedia)

(*4) Woanders steht überall: „Frühjahr“ oder „Mai“. Also sogar über das Datum des Beitritts herrscht Unklarheit.

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Siehe auch früher Einträge zum IWF:

Macris Schwanengesang? ARGENTINIEN BITTET DEN IWF UM KREDIT – 2018

Der IWF und die Eurokrise: FALSCHE VERSPRECHUNGEN UND VON WUNSCHDENKEN BESTIMMTE PROGNOSEN – 2014

Die Weltfinanzbehörde als etwas hilflose Krisenfeuerwehr: DER IWF, TEIL 8: DIE EUROZONE ALS SANIERUNGSFALL

Das Ende einiger Träume von Wohlstand und Prosperität: DER IWF, TEIL 7: DIE KREDITSTÜTZUNGSPAKETE VON 2008 FÜR UNGARN, RUMÄNIEN, LETTLAND

Die Weltfinanzbehörde läßt einen Musterschüler durchfallen: DER IWF, TEIL 6: ARGENTINIENS ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT 2002

Die Weltfinanzbehörde als Retter der Freiheit: DER IWF, TEIL 5: DIE ASIEN- UND RUSSLAND-KRISE 1997/98

Die Weltfinanzbehörde übernimmt den bisher unfreien Teil der Welt: DER IWF, TEIL 4: DIE AUFLÖSUNG DES OSTBLOCKS

Pressespiegel El País, 28.7.: Rußland und Afrika

„PRIGOZHIN, EIN NOTWENDIGER BAUSTEIN IN PUTINS AFRIKAPOLITIK

Der russische Staatschef versucht auf einem Gipfel in Sankt Petersburg, bei dem Wagners Chef auftrat, afrikanische Länder zu betören
Wladimir Putin will Russland wirtschaftlich, politisch und kulturell zur führenden Weltmacht auf dem afrikanischen Kontinent machen.“

Das ist vermutlich etwas übertrieben.
Es ist sicher, daß Rußland sich stärker ins Spiel bringen und diesen Kontinent auf mehr Zusammenarbeit mit Rußland einschwören möchte. Aber sicher nicht zu Lasten Chinas, das dort sehr präsent ist, sondern in Zurückdrängung des westlichen Einflusses.

 „Der russische Präsident strebt außerdem danach, sein Land an wichtigen geografischen Punkten für eine neue geostrategische Konfiguration zu positionieren, die Moskau einen privilegierten Zugang zum Roten Meer, zum Persischen Golf und zum Indischen Ozean verschaffen würde.
Dies sind einige der Hauptlinien, die Putin in seiner Rede auf dem Russland-Afrika-Forum dargelegt hat, das von diesem Donnerstag (den 27.) an stattfinden und am Freitag (den 28.) in Sankt Petersburg enden wird.
Die Ziele, die Putin sich in Afrika setzt, lassen sich nur anhand der Ergebnisse beurteilen, doch schon heute lässt sich sagen, dass die ehrgeizigen Ziele des russischen Präsidenten im vorangegangenen Forum nicht der Realität entsprechen.
Putin sagte 2019 in Sotschi vor 45 afrikanischen Staats- und Regierungschefs, dass das Handelsvolumen Russlands mit diesem Kontinent im Jahr 2018 20 Milliarden Dollar betrug. Jetzt hat er in Sankt Petersburg versichert, dass das Handelsvolumen im Jahr 2022 18 Milliarden Dollar betragen habe. Das heißt, es wurde in fünf Jahren um 2.000 Millionen Dollar reduziert.
Putin betrachtete die Figur jedoch als Erfolg. »Dies ist eines der offensichtlichen Ergebnisse des Russland-Afrika-Gipfels in Sotschi«, sagte er in St. Petersburg.“

Nun ja. Rußland führt seit einem Jahr Krieg, was natürlich seine Exportkapazitäten etwas geschmälert haben dürfte. Wegen der Sanktionen wurde überhaupt der ganze Außenhandel umgestellt.
Angesichts dessen ist diese Zahl als Erfolg zu betrachten, weil der Rückgang hätte schlimmer ausfallen können.

„Die zentrale Rhetorik des Gipfels 2019 – des ersten seiner Art – war die Rückkehr der ehemaligen Sowjetunion (wiedergeboren durch Russland) nach Afrika in der Rolle einer befreienden, antikolonialen Macht und bereit, den neuen afrikanischen Staaten dabei zu helfen, sich in der Welt zu etablieren.
In dieser zweiten Ausgabe hat sich der Schwerpunkt geändert und Putin hat daran gearbeitet, zu zeigen, dass russisches Getreide (und nicht ukrainisches) Afrika vor einer Hungersnot retten kann.
Der Kremlchef war voller Versprechungen, darunter kostenlose Getreidelieferungen für Burkina Faso, Mali, Simbabwe, Somalia und die Zentralafrikanische Republik. Zu seinen Betörungsplänen gehören Energieentwicklungsprojekte und die Ausbeutung von Kohlenwasserstoffen durch große russische Unternehmen. Auch der Auf- und Ausbau der russischen Lehre sowie der technischen und militärischen Zusammenarbeit.“

Die Autorin bemüht sich, diese Projekte als reine Luftburgen erscheinen zu lassen.
Aber russische Medien weisen darauf hin, daß die SU ja tatsächlich seinerzeit Staudämme, Bergwerke usw. gebaut hat. Die Kapazitäten dafür hat Rußland. Die Finanzierung wäre noch zu klären, aber es gibt ja die BRICS-Entwicklungsbank.
Was die Getreidelieferungen betrifft, so muß lediglich die Logistik dafür hergestellt werden. Bisher versuchte Rußland, im Rahmen des Getreide-Deals Lockerungen im Zahlungsverkehr zu erreichen. Daraus wurde nichts. Jetzt muß das eben anders gelöst werden.
Es bleibt abzuwarten, wie Russlands Projekte in Afrika mit denen Chinas und des Westens konkurrieren.

„Am St. Petersburger Forum nimmt auch Jewgenij Prigozhin teil, der Architekt der Wagner-Söldnereinheiten, der seit Jahren eine fieberhafte wirtschaftliche und militärische Aktivität in Afrika betreibt. Prigozhin wurde in Begleitung des Vertreters der Zentralafrikanischen Republik fotografiert. Agentstvo, ein Social-Media-Kanal, analysierte das Foto, das offenbar auf den Stufen eines Hotels der Familie Prigozhins in St. Petersburg aufgenommen wurde. Das Treffen mit dem zentralafrikanischen Vertreter wurde vom Sender GreyZone bestätigt, der Wagners Informationen überträgt. Zuvor hatte Prigozhin in einem Interview mit afrikanischen Medien Gerüchte bestritten, dass Wagner Afrika verlassen würde.“

Damit sind alle Spekulationen über ein plötzliches Ende des Söldner-Chefs mehr oder weniger vom Tisch.

„Die Anwesenheit des als Kreml-Koch bekannten Mannes beim St. Petersburger Forum zeigt, dass er eine für die russische Politik in Afrika notwendige Persönlichkeit ist und dass sein praktischer Wert für Moskau seine Verantwortung für die Meuterei im vergangenen Juni bei weitem übertrifft. Die Meuterei hatte Putin in seiner ersten öffentlichen Äußerung zu diesem Thema noch als „Verrat“ bezeichnet. Der Wert von Wagner wiegt offenbar auch mehr als das Leben von fünfzehn russischen Piloten und den abgeschossenen Flugzeugen, als sie über die Kolonnen der Meuterer flogen.
Prigozhin ist auch zu wichtig, als daß seine Methoden zur Aufrechterhaltung der Disziplin in seinen Reihen gegen ihn in Anschlag gebracht würden. Einer davon ist z.B. ein Hammerschlag auf den Schädel.

Der russische Staat finanziert Wagners Aktivitäten, wie Putin nach Jahren der Unklarheit zu diesem Thema einräumte,

– es war aber praktisch jedem bekannt –,

„obwohl der Anführer der Söldnerkompanie in afrikanischen Ländern bereits als Teil dieses Staates angesehen wurde.
Nach der Meuterei im Juni erklärte Außenminister Sergej Lawrow, dass neben der Firma Wagner auch die Regierungen der Zentralafrikanischen Republik und Malis »offizielle Regierungskontakte mit unseren Führern unterhalten«. Der Chef der russischen Diplomatie erinnerte daran, dass »mehrere hundert Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik als Ausbilder arbeiten«.
Verschiedene westliche Medien haben über Reisen russischer Beamter nach Mali berichtet, die als Versuch angesehen werden, die Lage im Land zu beruhigen.
Russland plant den Aufbau einer Basis für technische Hilfe für seine Schiffe vor der Küste Sudans“

– liegt im Augenblick auf Eis, aufgrund der dortigen Kämpfe –,

„und verfügt neben der kostenlosen Lieferung von Getreide an Somalia auch über eine intensive militärische und technische Zusammenarbeit mit Eritrea.

Zu den Projekten, die Russland näher an Afrika bringen sollen, gehört auch die Entwicklung des Eishockeys, ein Vorschlag, der vom stellvertretenden Chef des Moskauer Eishockeyverbandes, Boris Rotenberg kam. Er ist einer aus der Familie von Putins Jugendfreunden, die die Brücke über die Straße von Kertsch gebaut haben, die die Krim mit Russland verbindet.“

Aus klimatischen Gründen wird das möglicherweise nicht der Hit der Saison …

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Der österreichische Korrespondent in Moskau wies darauf hin, daß diesmal nur 17 afrikanische Staatschefs nach Moskau gekommen sind, zum Unterschied von 31 in Sotschi.

Wie die Offensive Rußlands in Afrika aufgenommen wird, ist also noch völlig offen.
Vor allem Südafrika macht sich für Rußland – und China – stark, in einem Versuch, mit deren Rückendeckung so etwas wie eine Führungsrolle auf dem afrikanischen Kontinent einzunehmen, was sicher auch auf Rivalitäten in Afrika stoßen wird.

Außerdem sind die Staaten Afrikas teilweise sehr hoch verschuldet, es ist unklar, wie diese Angelegenheit weitergehen wird. Viele Staaten Afrikas wurden bei Abstimmungen und Beschlüssen zum Ukraine-Krieg mit Drohungen über Kreditstopp seitens IWF und Weltbank unter Druck gesetzt.

Pressespiegel El País, 9.6.: Das Drama der ukrainischen Dörfer nach dem Dammbruch

„VIELE ÜBERSCHWEMMTE HEKTAR UND GLEICHZEITIG GEBIETE OHNE BEWÄSSERUNG

Die Überschwemmungen nach der Zerstörung des Nova-Kachovka-Staudamms reichen bis 50 Kilometer weiter nördlich und zerstören Ackerland, Brücken und Dörfer

Wenn man heute die Karte der Ukraine auf Google Maps aufruft und den letzten Abschnitt des Dnjepr vergrößert, sieht man, dass die Karte eine ungewöhnliche Warnung und in roter Schrift anzeigt: »Überschwemmungen in der Region Cherson.« Dieser Teil der Ukraine steht seit der (…) Zerstörung des Nova-Kachovka-Staudamms am vergangenen Dienstag im Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Achtzig Orte entlang des Flusses Dnjepr wurden überschwemmt, verfügen über keine Grundversorgung und sind einem hohen Risiko der Ausbreitung von Krankheiten und Verseuchung ausgesetzt.
Aber es gibt noch einen anderen Fluss, der weder auf Google Maps noch in den Alarmmeldungen der Medien groß erwähnt wird, obwohl die Probleme dieselben sind. Es handelt sich um den Inguljets, einen Nebenfluss des Dnjepr, durch den die Katastrophe 50 Kilometer weiter nördlich gelangt ist.“

Die Gegend ist ziemlich flach, deshalb hat der Dammbruch so verheerende Folgen, sodaß der Inguljets einen Rückstau erleidet, wenn sich der Wasserspiegel des Dnjepr hebt.

„Die Wassermenge, die bei der Zerstörung des Staudamms austrat, war so groß, dass sie die Breite des Dnjepr bis zu seiner Mündung um mehrere Kilometer vergrößerte. Die Verluste waren materieller Natur und forderten kaum Menschenleben, dank der Tatsache, dass sich die Gemeinden entlang des Flusses seit 2022 geleert haben, weil der Fluss hier die Kriegsfront markiert: Am Ostufer die russische Armee und am Westufer die ukrainische. Aber die Kraft des Wassers war so groß, dass es über den Lauf der Inguljets sogar Gemeinden und Tausende von Hektar bis zu 50 Kilometer weiter nördlich verwüstete.
Die Brüder Serhi und Oleksandr Nomirovski nehmen dreimal am Tag Videos von ihren Sonnenblumenfeldern auf, als ob sie nicht glauben würden, was passiert ist, und sie sich vergewissern müssen, dass das Schicksal sie abermals trifft.
Sie tun das seit Mittwoch, als das Wasser in Snigurivka, ihrer Gemeinde, 40 Kilometer Luftlinie vom Dnjepr entfernt, zu steigen begann. Am Donnerstagmorgen war ihr 160 Hektar umfassende Anbaufläche überschwemmt. Sie sind nicht die Einzigen. Wie sie gibt es Tausende von Klein- und Großbauern, die durch die Ereignisse am Staudamm Nova Kajovka ruiniert werden.
Landwirte in drei Dörfern in der Gegend bestätigten, dass ihre Felder ohne Bewässerung bleiben, weil die Inguljets-Pumpstationen, die den wichtigsten landwirtschaftlichen Kanal der Provinz Mykolajiw mit Wasser versorgen, unbrauchbar geworden sind. Im Dorf Romanovo-Bulgakove gibt es kein Wasser für die Bewässerung der Getreidefelder, obwohl es 100 Meter vom Fluss entfernt ist. Die drei Bauern, mit denen diese Zeitung sprach, zeigten sich sehr fatalistisch: Auch 2022 erlaubte ihnen der Krieg keine Arbeit auf den Feldern. Damals war das Gebiet von den Russen besetzt.“

»Für diejenigen, die auf den Kachovka-Kanal“ (er reicht vom Abfluß beim Dorf Ljubminka in verschiedenen Verzweigungen durch den ganzen südlichen Teil der Provinz Cherson bis in die Provinz Zaporozhje) „angewiesen sind, ist die Situation sicherlich düsterer, für sie könnte es das Ende sein«, sagt Serhii.
Es wird erwartet, dass die Wasserressourcen des Stausees in zwei Wochen nach dem Dammbruch verschwunden sein werden, wie Svetlana Denisuk, Besitzerin von zwei Hektar Erdbeeren nördlich von Nova Kachovka, dieser Zeitung am Mittwoch erklärte.
Das Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung der Ukraine weist darauf hin, dass 94 % des Bewässerungsnetzes der Provinz Cherson, 74 % von Saporischschja und 30 % von Dnipropetrowsk vom bald verschwindenden Stausee abhängig sind/waren.“

Die fruchtbare ukrainische Erde ist eben Teil der Steppe, mit langen Trockenperioden im Sommer, ohne künstliche Bewässerung geht da nix.

„Das Land der Nomirovski-Brüder liegt in der Provinz Mykolajiw, sie sind auf das Wasser des Inguljets angewiesen, aber ihre Situation ist nicht besser. Sie sind ein Beispiel für die andauernde Krise, die die Bauern in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 erleben.
Sniguriwka wurde von den Russen besetzt und die Nomirovskis verließen die Region. Als die Gemeinde im November befreit wurde, stellten sie bei ihrer Rückkehr fest, dass ihre Felder von den Invasionstruppen niedergebrannt, ihre Maschinen zerstört und ihre Traktoren gestohlen worden waren. Ihre Felder wurden vermint. Die Priorität für die Regierung besteht darin, städtische Gebiete und strategische Infrastrukturen zu entminen, dann erst sind die landwirtschaftlichen Felder an der Reihe. Um die Wiederaufnahme der landwirtschaftlichen Arbeit zu beschleunigen, bezahlten sie eine Militärbrigade, die sich bereit erklärte, ihre Felder schnell von Minen zu räumen.
Die Nomirovskis griffen auf ihre Ersparnisse zurück, um die Landwirtschaft wieder in Gang zu bringen, doch das Wasser, mittlerweile eine Kriegswaffe, hat jeden Traum von einer Rückkehr zur Normalität zunichte gemacht.

Experten des Landwirtschaftsministeriums haben ihnen mitgeteilt, dass sie damit rechnen, dass ihre Felder erst im August wieder bebaut werden können. In der Zwischenzeit müssen sie eine Finanzierung finden. Sie haben jedoch nicht rechtzeitig einen Antrag auf staatliche Hilfe gestellt, die auf EU-Finanzierung beruht. Der Grund dafür sei das mangelnde Vertrauen gegenüber dem Subventionssystem. »Es ist bekannt, dass die Zuteilung der Hilfe davon abhängt, ob man alle besticht, die dafür zuständig sind, und davon halten wir nichts«, erläutert Serhii.
Können die Sonnenblumen der Nomirovskis in absehbarer Zeit bearbeitet werden? Die ukrainische Regierung betont, dass ein großes Problem die Verschmutzung durch den Anstieg des Wassers im Dnjepr sei. Serhii und Olesksandr geben zu, dass sie nicht wissen, ob es heuer noch etwas wird mit den Sonnenblumen.
Aber auf den Inguljets werden die Auswirkungen laut Leutnant Stepanov die gleichen sein. »Das“ (aus dem Dnjepr) „aufgestiegene Wasser ist giftig, aufgrund chemischer Stoffe aus Industriegebieten, aufgrund von Fäkalienrückständen aus Cherson und auch aufgrund der Friedhöfe, die das Wasser weggespült hat«, sagt der für die Evakuierung von Afanasiivka zuständige Beamte.
Diese Stadt wurde durch das steigende Wasser isoliert und zwei Tage später ist die Evakuierung der Bewohner noch immer im Gange. Laut Stepanovs Messungen stieg das Wasser an diesem Donnerstag um 10 Zentimeter pro Stunde und er rechnete damit, dass es ab Sonntag zu sinken beginnen würde.
Rund um den Evakuierungspunkt häufen sich tote Fische und Kisten mit russischer Munition, die die Strömung aus Nova Kajovka mitgerissen hat.

Tatiana Kisminko in Sniguriwka weint, weil die Flut ihre Bienenstöcke und das Denkmal einer örtlichen Partisanin weggespült hat, der im Zweiten Weltkrieg von den Nazis erschossen wurde. Kisminko markiert den Vormarsch des Wassers auf dem Asphalt ihrer Straße: Ihr zufolge frißt der Inguljets alle 10 Minuten 20 Zentimeter ihrer Stadt auf. Alle Brücken, die den Fluss überquerten, sind verschwunden und haben die Provinzen Mykolajiw und Cherson getrennt. Aus diesem Grund kann Kisminko einigen Freunde, die in dem Nachbarort Novovasilivka leben, nicht zu Hilfe kommen. Sie bleiben isoliert und kümmern sich um ihr Vieh: Die Kühe wurden im Fußballstadion und die Schweine auf dem Schulhof eingesperrt, erzählt Kisminko.“

Das Dorf Vasilivka hat gar kein Stadion, sondern nur einen Fußballplatz. Die Schule hat keinen Hof, sondern nur einen Garten.
Gemeint ist vermutlich, daß die Tiere an einem Ort versammelt wurden, um sie besser beaufsichtigen zu können.

„Auch die Brücke, die Barativka mit Jelisawetiwka verbindet, steht unter Wasser. Einige Nachbarn geben an, dass sich der Inguljets von einer Breite von 50 Metern derzeit auf einen Kilometer verbreitert hat.
Die Armee bereitet sich an diesem Donnerstag darauf vor, eine Brücke aus einer Kette von Booten zur Rettung der belagerten Bewohner aufzustellen. Zur gleichen Zeit stieg Oleg, ein Einwohner von Cherson, in ein kleines Plastikboot, um das Haus seiner Großmutter zu inspizieren, das seit Mittwoch unter Wasser steht. Unterwegs rettete er zwei streunende Hunde, die es nicht wagten, ans Ufer zu schwimmen. »Dieses Haus ist meine Kindheit, in dem ich so viele Sommer verbracht habe, und jetzt ist es weg«, sinnierte Oleg und unterdrückte seine Gefühle, während er zurück zum Festland rudert.“