Brasilien verdankt seine Größe – es ist nach Territorium das 5-t-größte Land der Welt – einigen historischen Zufällen.
Der erste davon fand zur Zeit der Eroberungen im 16. Jahrhundert statt. Der von einem spanischen Papst vermittelte Vertrag, der die Welt in zwei Hälften teilte, sollte die überseeischen Beziehungen Spaniens im heutigen Lateinamerika gegen portugiesische Ansprüche absichern und letztere auf Afrika und Indien beschränken.
Die Linie ging so, wie sie festgelegt worden war, durch Südamerika. Damals, 1494, war jedoch das amerikanische Festland den Vertragsparteien unbekannt. Kolumbus hatte auf seinen ersten zwei Reisen nur Inseln der Karibik betreten. Erst auf seiner 3. Reise sichtete und betrat er das Festland im heutigen Venezuela. Zum Zeitpunkt seiner Rückkehr im November 1500 hatten die Portugiesen bereits den Seeweg nach Indien entdeckt. Außerdem, aber das stellte sich erst im nächsten Jahr, bei der Rückkehr einer anderen portugiesischen Flotte heraus, hatte diese einen Küstenstreifen des heutigen Brasilien entdeckt und in Besitz genommen.
Zunächst war die brasilianische Küste eher eine Nebenfront des portugiesischen Kolonialismus. Der Gewürzhandel mit Indien hatte Vorrang. Mit dem Aufkommen des Zuckerrohranbaus und des Sklavenhandels gewann die Gegend jedoch an Bedeutung. Auf der Suche nach Gold und nach Bevölkerung, die man versklaven konnte, drangen die portugiesischen Glücksritter, die Bandeirantes, weit ins Innere des Subkontinentes vor. An der Küste wurden in beide Richtungen Forts und Siedlungen angelegt, um die Kolonie gegen Korsaren und konkurrierende Kolonialmächte abzusichern. Die Ausdehnung des portugiesischen Einflußbereiches war auch beeinflußt von der Erschöpfung der Humanressourcen Spaniens, sein großes Territorium zu befestigen, verteidigen und verwalten. Schließlich waren es die Jesuiten, die mit ihren Siedlungen wie Wehrdörfer funktionierten und der portugiesischen Expansion Einhalt gboten.
Der zweite historische Zufall war die besondere Art, wie die Entkoppelung der Kolonie vom Mutterland von sich ging. Sie wurde nämlich nicht in langen und blutigen Heerzügen und Schlachten in unzugänglichen Gegenden bewerkstelligt, wie im Falle Spaniens, sondern von der Chefität selbst ausgerufen: Der von den französischen Truppen vom Thron gestoßene portugiesische Monarch entwich in die Kolonie und wertete diese durch seine Anwesenheit zum neuen Zentrum des Reiches auf. Später wurde dann noch ein Kaiserreich draus, was der Größe des Territoriums angemessen war und die dortige Oberschicht befriedigte. Separatismus und Kleinstaaterei, gar Staatsgründungskriege wie im restlichen Teil Lateinamerikas erübrigten sich daher.
Diese Übergröße war ein wichtiger Faktor im Verhältnis zu den USA, die Lateinamerika im Sinne der Monroe-Doktrin zu ihrem Hinterhof machten, anfänglich von Nord nach Süd und unter Hinausdrängung des britischen Empire.
Das daraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen brasilianischen Präsidenten, die meinten, ihre große Nation sei zu Großem berufen und den USA, die meinten, jede brasilianische Ambition hätte an US-Interessen Maß zu nehmen, hat im 20. Jahrhundert drei von ihnen das Leben gekostet, Brasilien eine Militärdiktatur beschert und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes stark geprägt.
Sogar ein Präsident wir Jair Bolsonaro, der zu Beginn seiner Amtszeit sozusagen Liebkind der USA war, fiel bis zum Ende hin in Ungnade, weil er den Warenaustausch innerhalb des BRICS-Staatenbundes schätzte und nicht bereit war, sich wegen des Ukraine-Kriegs Sanktionen anzuschließen, die er als schädlich für Brasilien ansah.
2. Schwellenland
Brasilien gilt als klassisches Schwellenland, ähnlich wie andere seiner BRICS-Kollegen Indien und Südafrika.
Was ist mit diesem Begriff eigentlich ausgesagt? Um welche „Schwelle“ handelt es sich?
Gegenüber dem Begriff „Entwicklungsland“, der irgendwie die armen Hinterwäldler in Afrika, Asien oder der Karibik bezeichnet, die noch einen weiten Weg vor sich haben, soll es das Schwellenland weiter gebracht haben.
In beiden Fällen werden jedoch die erfolgreichen Staaten Euroas und Nordamerikas als Ziel verstanden, zu dem sich andere hinbewegen sollten, sogar eigentlich in einer Art Geschichtsteleologie müssen. Es gibt kein Entrinnen, alle müssen sich zu marktwirtschaftlich begründeten Konkurrenzgesellschaften wandeln, dann dürfen sie sich auch an den gedeckten Tisch setzen – so die Vorstellung, die die Grundlage von Begriffen wie Entwicklungs- und Schwellenland ist.
Macht schön, was der IWF und ähnlich gelagerte Institutionen und unsere diversen „Berater“ euch sagen, und dann kommt ihr auch so weit – das ist die Vorstellung, mit der diese Staaten und ihre Regierungen „im globalen Süden“, wie sie inzwischen heißen, im Grund schon seit 1945 am Gängelband gehalten werden.
Klappt es nicht, so sind sie selber schuld, weil ihre Bevölkerung lernunfähig ist, ihre Eliten korrupt und geldgierig, und so weiter.
Klappt es aber einmal schon, wie bei China – so ist es auch nicht recht und der glücklich im Entwicklungsparadies angekommene Kandidat wird als Spielverderber und Bösewicht schlecht gemacht, der sich nicht an die Regeln gehalten hat.
Die ewigen Schwellenländer sind dem Wertewesten weitaus lieber, weil sie sind klein genug, um weiter nach der Entwicklungs-Karotte zu schnappen, und groß genug, daß man mit ihnen gute Geschäfte machen kann.
Der Zusammenschluß von solchen Staaten mit Rußland und China ist den USA und Europa überhaupt nicht recht. Das war der Grund für das Mißtrauensvotum, das die Regierung von Dilma Rousseff gestürzt hat, und die Unterstützung des Sieges von Bolsonaro.
„DIE BEISPIELLOSE EXPLOSION DER ERNEUERBAREN ENERGIEN: IN PLANUNG SIND MEHR ALS 1.400 PROJEKTE
Die Regierung hat seit Anfang 2022 182 Makro-Wind- und Solarparks die Umweltgenehmigung erteilt, und die Gemeinden haben 1.236 kleinere genehmigt. Spanien wird in den nächsten zwei Jahren einen Boom erleben, der für Spannungen sorgt.
Im Oktober 2021 wurde der Kühlturm des Wärmekraftwerks Velilla del Río Carrión (Palencia) gesprengt. Durch die Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung wurden jährlich etwa eine Million Tonnen CO2 emittiert. (…)
Ein Jahr nach der Schließung der Anlage hat das Projekt zur Installation einer Solaranlage auf einem Gebiet, das jetzt für Trockenfeld-LW (d.h., ohne Bewässerung) verwendet wird, grünes Licht erhalten. Es wird 350 Megawatt Energie erzeugen können, genug, um mehr als 180.000 Haushalte zu versorgen.“
Komisch, daß bei Energiegewinnung immer die Haushalte im Vordergrund stehen. Hat Spanien keine Industrie? Oder soll damit suggeriert werden, daß das ja alles nur „für uns alle“ ist?
„Bis Januar dieses Jahres gab es in Spanien 25 Wind- und Solaranlagen wie das (noch nicht existierende) Kraftwerk Velilla – oder »Makroparks«, d.h. Großanlagen mit einer Leistung von mehr als 50 Megawatt. Aber diese Landkarte wird sich ändern: Die Zahl der Großanlagen kann in zwei Jahren versiebenfacht werden: Allein in den letzten 14 Monaten hat die Regierung bereits 182 von ihnen die Umweltgenehmigung erteilt. Wenn sie alle endlich gebaut sind, werden sie Flächen in mehr als 250 Gemeinden bedecken und mehr als 33.000 Megawatt erzeugen: Für jedes erzeugte MW werden 300 Tonnen CO2 eingespart.“
Eine mehr als seltsame Berechnung, die aber der Euphorie des Artikels entspricht: Hurra, wir werden der Energie-Champion Europas! Dahinter steht die Landflucht und fortgesetzte Versteppung bzw. Verwüstung weiter Flächen in Spanien, wo immer mehr einstmals landwirtschaftlich genutztes Land brachliegt und Waldbrände den Baumbestand dezimieren. Mit Windparks und Solaranlagen hofft die Regierung – und die Verfasser des Artikels! – aus der Not eine Tugend machen zu können. Außerdem hat die Leere der Landschaft den Vorteil, daß man ohne nennenswerten Widerstand dort diese ganzen Geräte und Solarflächen aufbauen kann.So zumindest die Vorstellung.
Was als Maßnahme gegen den Klimawandel dargestellt wird, könnte ihn allerdings sogar verschärfen, weil diese Anlagen – zum Unterschied von Waldflächen – Niederschläge vertreiben und die Austrocknung der iberischen Halbinsel fortsetzen werden.
„Alle für diesen Bericht befragten Experten sind sich einig: Es gibt keinen Präzedenzfall für einen derartigen sprunghaften Anstieg der erneuerbaren Energien, wie sie in den nächsten zwei Jahren in Spanien erwartet wird. Worauf ist das zurückzuführen? Auf die Umweltgenehmigung der Autonomen Gemeinschaften und der Regierung für mehr als 1.400 Windprojekte und vor allem Solaranlagen. Diese neue Welle von Projekten gesellt sich zu dem Bestand, der bereits in den letzten zwei Jahren installiert wurde und für die Photovoltaik, die Technologie, die derzeit besondere Popularität genießt, rekordverdächtig war. Diese schnelle und massive Expansion hilft Spanien, sich von fossilen Brennstoffen, den Haupttreibern des Klimawandels, zu lösen und billigeren Strom zu beziehen.“
Hier wird suggeriert, daß dieser Ausbau von gigantischen Solarflächen dem Klima in Spanien dienlich wäre. Es ist allerdings wahrscheinlich, daß es genau den gegenteiligen Effekt hätte. Dieser Ansicht sind offenbar auch Bewohner der betroffenen Gebiete:
„Gleichzeitig führt dies jedoch zu Spannungen aus der Konkurrenz um Land, Landschaftseinflüsse und Biodiversität, die eine gewisse Ablehnungsbewegung in einigen ländlichen Gebieten verstärkt.
Hinzu kommt die Verpflichtung der EU, sich nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine von russischem Gas und Öl zu lösen. Brüssel hat es glasklar ausgedrückt: Noch schneller noch mehr Erneuerbare und Energieeffizienz. Die EU ist derzeit so positioniert: Im Jahr 2022 erzeugten Wind und Sonne ein Fünftel des europäischen Stroms (22 %) und übertrafen erstmals Gas (20 %) und Kohle (16 %), so die Bilanz von Ember International Analysts. Spanien war nach Deutschland das EU-Land, das am meisten Solarenergie produzierte: Es verzeichnete um 21% gegenüber 2021. Bei Wind, wo die installierte Leistung größer, aber das Ausbautempo viel geringer ist, war es das auch hinter Deutschland die zweite Nation mit dem meisten Strom, der ins Netz eingespeist wird. All das gehört bereits der Vergangenheit an.“
Das ist etwas irreführend ausgedrückt. Dieses Bild zeichnet die Gegenwart nach.
„EL PAÍS versucht, in die unmittelbare Zukunft einzutauchen, in das, was in den nächsten zwei Jahren in Spanien erlebt werden wird, einem der attraktivsten Länder der Welt für die Investition in erneuerbare Energien. Für diese Zeitreise ist das Beste, die Umweltbewertungen der bereits genehmigten Projekte zu analysieren, Informationen, die bei vielen Gelegenheiten mit einem Korkenzieher aus offiziellen Verlautbarungen extrahiert werden müssen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist nämlich für die Durchführung eines Projekts unerlässlich.“
Auf gut deutsch: Die Projekte müssen erst die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchlaufen und positiv abschließen, bevor an ihre Verwirklichung gegangen werden kann. Diese UVP sind also die Vorbedingung für den Bau. Ist sie einmal abgeschlossen, so ist die Finanzierung eines Projektes die nächste Hürde. Hier scheint sich Spanien auf den Kredit der EU und diverse Fonds zur Förderung der Erneuerbaren zu verlassen, was derzeit gute Chancen hat. In Spanien sind diese Erneuerbaren nämlich – im Unterschied zu Mitteleuropa – aufgrund der oben erwähnten Gegebenheiten noch kräftig ausbaubar. Spanien setzt mit vollen Segeln darauf, zu einer Energiequelle der EU zu werden.
„Wenn die Projekte 50 Megawatt (MW) Leistung überschreiten, was unter »Makropark« = Großanlage läuft, ist die zentrale Verwaltung für die Erteilung oder Nichterteilung der Genehmigungen zuständig.“
Es wird nicht genau angegeben, welche zentrale Verwaltung. Ein Ministerium? Das Parlament? Der Eindruck entsteht, daß diese ganzen luftigen Projekte etwas intransparent durchgewunken wurden bzw. werden sollen, was dann bei der faktischen Umsetzung zu Problemen führen wird.
„Derzeit sind 25 dieser Großanlagen in Betrieb: 18 Photovoltaik- und sieben Windkraftanlagen. Aber von Januar 2022 bis zu diesem Freitag hat der Staatsanzeiger die positiven UVPs von weiteren 182 Makroprojekten (161 Solar- und 21 Windenergie) veröffentlicht. Wenn sie alle erfolgreich sind,“
– damit ist klar, daß die alle am Laufen sind und die Umweltverträglichkeit noch keineswegs ausgemacht ist. Für EL PAÍS steht jedoch der Wille bereits fürs Werk –
„bedeutet das, daß sich die bisherigen Makroparks versiebenfachen werden. Im Falle von Projekten mit weniger als 50 MW, deren Bearbeitung den Provinzverwaltungen obliegt, hatten die Regionalregierungen bis zum 25. Januar – der vom Staat festgelegten Frist für die Freigabe der Bearbeitung von Hunderten von Projekten – nach den Angaben von 16 der 17 Provinzen die UPV für weitere 1.236 Parks“ (!!!) „positiv abgeschlossen“.
Wirklich wirklich? Wenn das stimmt, so werden diese Prüfungen dort noch viel geschwinder durchgepusht als bei der Zentralregierung. Es ist eher möglich, daß die meisten dieser Verfahren noch am Laufen sind, die euphorischen Autoren das aber dem Leser als g’mahte Wies’n darstellen wollen.
„Die Ausnahme ist Aragón, die einzige Provinz, der diese Informationen nicht anbieten wollte. Insgesamt geht es, wenn man die Genehmigungen aller Provinzregierungen zusammenfaßt, um 1.418 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 68.856 MW. Das ist mehr als das, was derzeit in Spanien an Photovoltaik und Windkraft zusammen installiert ist, nämlich rund 50.000 MW. Die meisten dieser neuen Projekte sollten gemäß dem vom Ministerium für ökologische Umstellung festgelegten Zeitplan bis Juni 2025 in Betrieb genommen werden. Ein Boom, der sich gewaschen hat.“
Es ist bezeichnend, daß hier die Megawatt als genehmigt bezeichnet werden – wer kann schon etwas gegen mehr Megawatt haben! – aber nicht die Anlage, die diese MW erst generieren soll.
„»Man muß sehen, wie viel davon am Ende gebaut wird, aber die Realität ist, daß noch nie so viele große Projekte im Gange waren. Spanien ist bereits ein führendes Land bei erneuerbaren Energien und all diese genehmigten UVPs werden seine Position weiter festigen«, betont Alejandro Labanda, Direktor für Ökologische Umgestaltung bei BeBartlet. Die Staatssekretärin für Energie, Sara Aagesen, erinnert in Erklärungen gegenüber EL PAÍS daran, daß die meisten Projekte, die eine positive UVP erhalten haben, »modifiziert werden müssen und Ausgleichsmaßnahmen durchzuführen sind«.“
Das heißt, die UVP setzt Modifizierungen gegenüber dem ursprünglich eingereichten Plan fest, die eingeplant werden müssen, bevor an die Ausführung geschritten werden kann.
„Nach dieser positiv abgeschlossenen UVP müssen die Projektträger die Erstgenehmigung, die Baugenehmigung und schließlich die Betriebsgenehmigung einholen. »Wir wissen nicht, wie viele diese Forderungen annehmen und weitermachen werden«, fügt Aagesen hinzu, die betont, daß alles, »was realisiert werden wird, hervorragend für die Umwelt und das Territorium sein wird«. Derzeit haben nach den von EL PAÍS gesammelten Daten 21 der 182 Makroparks im Portfolio der Zentralregierung bereits die Erst- oder Baugenehmigung erhalten. Aber in einigen Fällen können die im Umweltprozess auferlegten Bedingungen die ursprünglichen Berechnungen über den Haufen werfen und das Projekt zu Fall bringen. Dazu gehören die Reduzierung von Strom und Fläche oder die Entschädigung an Grundbesitzer. Außerdem spielt auch die Finanzierung eine Rolle – der Anstieg der Zinssätze hat die Dinge sehr kompliziert gemacht. »Die, bei denen sich vorher alles genau ausging, kommen jetzt vielleicht nicht mehr auf ihre Kosten«, räumt der Chef der spanischen Photovoltaik-Union (UNEF), José Donoso, ein.“
Das ist ein Eingeständnis, daß bisher bei den ganzen Berechnungen viel Trickserei da war, weil viele Unternehmen den Rückenwind der Regierung spürten. Leider gibt es Widerstand von unverständigen Starrköpfen, die meinen, daß Windparks dem Tourismus schaden und den Bestand des Bartgeiers gefährden. Auch die traditionelle Landwirtschaft muß oft den Photovoltaik-Anlagen weichen:
„Die Projektträger suchen meist nach Land, das ohne Bewässerung bestellt wird: »Photovoltaik löst Getreide- oder Rübenkulturen ab, die weniger Produktivität haben«, erklärt der Minister für Nachhaltigkeit und ökologischen Wandel von La Rioja, Alejandro Dorado Nájera.“
Was ist schon Brot und Zucker gegen Megawatt!
„Innerhalb der Bewegung gegen die Anlagen gibt es auch Kritik an der Rolle großer Unternehmen und Investmentfonds, die die großen Parks finanziell voranbringen können. Von den 182 staatlich geförderten Makroprojekten erhalten beispielsweise Iberdrola (SP), Enel (IT) und TotalEnergies (FR) die meisten Genehmigungen.“
Surprise, surprise. Während in der Provinz Rioja eher Unbehagen und Zurückhaltung gegenüber den Megaprojekten besteht, aus Sorge um die Artenvielfalt, will der der WWF keine Einwände gelten lassen:
„»Es gibt nur ja oder ja, wir brauchen die grünen Energien unbedingt. Spanien steht im HotSpot des Klimawandels, in diesem Sommer werden wir das wieder einmal feststellen, und wir haben nur eine Linie, an der entlang wir uns fortbewegen können: Die erneuerbaren Energien … Wenn wir den Verzicht auf Kohle und den schrittweisen Ausstieg aus der Atomkraft befürworten, gibt es keine Alternative.« Aber dieser Kraftakt, der »sehr schnell sein muß«, findet inmitten einer etwas chaotischen Situation statt, die durch das Fehlen einer »echten territorialen Ordnung in Spanien« entsteht.“
Diese kryptische Formulierung wird im Weiteren etwas mit Inhalt gefüllt:
„Die Stadtplanung liegt bei den Gemeinden, was es dem Ministerium erschwert, die von den wichtigsten Umweltorganisationen geforderte verbindliche Zoneneinteilung zu genehmigen, erklärt Asunción Ruiz, Geschäftsführerin von SEO/BirdLife (die spanische Ornithologen-Gesellschaft). Das Ressort (d.h., das Ministerium für Energie-Umgestaltung) unter der Leitung von Vizepräsidentin Teresa Ribera hat eine Karte erstellt, auf der die sensiblen Gebiete verzeichnet sind, die für den Einsatz erneuerbarer Energien nicht in Frage kommen. Aber diese Einteilung war für niemanden zwingend. Und rund 20 % der erneuerbaren Projekte, zu denen SEO sich geäußert hat, entsprachen nicht dieser Zoneneinteilung und beinhalteten Maßnahmen in sensiblen Bereichen.“
Die Formulierung ist mehrdeutig. Hatten die Vogelkundler konkret etwas dagegen? 20 % von was? 20 % aller Projekte wurden von den Ornithologen beeinsprucht? Oder sind nur 20% aller Einsprüche nicht durch die – ohnehin unverbindliche – Artenschutzkarte nicht gedeckt?
„»Unternehmen müssen verstehen, daß wir ein Mitspracherecht haben, sobald sie für diese Zonen Pläne präsentieren, und das verlängert den Genehmigungsprozeß«, sagt Ruiz, die daran erinnert, daß ihre Organisation seit den 1990-er Jahren an der Abwicklung von erneuerbaren Projekten beteiligt war, als die ersten Windparks in Cádiz installiert wurden.“
Es handelt sich um 12 Windräder, die 1995 in der Nähe von Tarifa an der Südspitze Spaniens errichtet wurden.
Manche Regionen setzen auf die Erneuerbaren, andere halten weniger davon und behindern ihre Installation. Es ist vor allem der WWF, der sie durchdrücken möchte. (Seltsam. Der Wildtierschützer als Technologie-Pionier …) Manche Regionen fühlen sich schon im Vorfeld übervorteilt, wenn sie als Energielieferanten für die Industrie anderer Provinzen eingesetzt werden. Daran sieht man, daß die Arbeitsplatz-Situation nicht für diese Energien spricht. Sie vertreiben die Bevölkerung eher, als sie in Arbeit zu setzen. Dadurch sind sie vor Ort nicht unbedingt beliebt.
Als Notmaßnahme wegen des Ukrainekrieges wurde Ende vergangenen Jahres ein königliches Dekret erlassen, das Projekten für erneuerbare Energie sozusagen freie Bahn verschafft, über das spanische Parlament, autonome und Gemeindeorgane hinweg „im nationalen Interesse“ dergleichen Anlagen zu errichten. Das erhöht natürlich das Mißtrauen in der Bevölkerung und führt zu Protesten. Bisher ist der Widerstand in Aragón am größten, wo auch schon einige Gegner solcher Projekte den Rechtsweg beschritten haben.
„Abgesehen von dieser (juristischen) Front sind die Betreiber auch besorgt über die Zeiträume, mit denen sie kalkulieren müssen. José María González von der Vereinigung der Unternehmen für Erneuerbare Energie (APPA) erklärt es so: »Es wird schwierig sein, ausführende Unternehmen (d.h., Projektplanungs- und Bauunternehmen) zu finden, Starkstrom-Transformatoren zu bekommen … Alles das unter der Voraussetzung, daß der Rest der Ausrüstung ist erhältlich ist. Wir stehen vor einer völlig neuen Entwicklung, die Spanien an die Spitze der weltweiten Nachfrage nach diesen Komponenten bringen und China und die USA hinter sich lassen wird.«“
Der Chef des Photovoltaik-Verbandes möchte daher die derzeit gültige Frist von 2 Jahren für die Realisierung derjenigen Projekte, die die UVP bereits durchlaufen haben, verlängert sehen. Er nimmt an, daß Spanien beim Bedarf an Komponenten immer noch hinter den USA, China und Deutschland steht. Zusätzliche Probleme stellen der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften dar, erst an dritter Stelle kommt das Problem des Bodens, d.h. des zu genehmigenden Standortes für die Anlage.
Die zwei Jahre kommen auch dem Chef des Windpark-Verbandes knapp vor. Er verweist auf zusätzliche Probleme der Material-, d.h. Komponentenbeschaffung bei den Lieferketten. Es gibt auch in Spanien Hersteller der entsprechenden Komponenten, aber die müssen auch ihre Aufträge ins Ausland erfüllen und stehen daher dem heimischen Markt nur begrenzt zur Verfügung.
Lateinamerika galt lange als der Hinterhof der USA. Dort wurde das System der konzessionierten Souveränität gegenüber dem Kolonialsystem der alten Welt entwickelt, ausgebaut und dann als Modell der Globalisierung auf die ganze Welt ausgebreitet. Besonders aktuell war das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Seither ist jedoch einiges geschehen. Vor allem das ökonomische Erstarken Chinas hat dort die Karten neu gemischt.
1. Argentiniens Bankrott und der Vormarsch Chinas
Einen bedeutenden Einschnitt in der wirtschaftlichen Entwicklung Südamerikas bedeutete der Bankrott Argentiniens 2001/2002. Das Land war ein Musterknabe des IWF gewesen, der inzwischen verstorbene Präsident Menem und der Wirtschaftsminister Cavallo hatten den argentinischen Peso an den Dollar geknüpft und dadurch die galoppierende Inflation in den Griff bekommen. Diese als Currency Board hochgelobte Methode, Weichwährungen durch eine stabile Wechselkurspolitik zu stützen, galt damals als der Weisheit letzter Schluß und wurde in Wirtschaftsforen beklatscht. Er gab Argentinien die Möglichkeit, sich auf den Börsen von Frankfurt und New York zu verschulden, indem es dort auf Dollar lautende Staatsanleihen ausgab. Diese Wertpapiere erschienen den Investoren als sicher, weil durch die Dollarbindung die Zahlungsfähigkeit des Staates Argentinien gesichert schien. Es war aber ein Trugschluß, wie sich in diesem Millenium herausstellte, weil diese Bindung nur auf den Vereinbarungen mit dem IWF gegründet war, also weder auf der Wirtschaftsleistung Argentiniens noch auf irgendwelchen Garantien seitens der USA. Daher platzten diese Anleihengeschäfte nach dem Sturz des Präsidenten De La Rúa, der Peso entwertete sich und Argentinien war international nicht mehr zahlungsfähig. Das hatte sehr unerfreuliche Auswirkungen auf die argentinische Wirtschaft, die durch die Bedingungen, die der IWF an die Aufrechterhaltung des Currency Board geknüpft hatte, extrem importabhängig geworden war.
Was das alles für Argentinien bedeutete, kann man an den weiter unten angeführten Artikeln zu Argentinien entnehmen.
Für den Rest Lateinamerikas, vor allem Südamerikas, waren diese Entwicklungen eine Lehre. Sie wandten sich vermehrt vom IWF ab und einem neuen Kreditgeber zu, der wundersamerweise zu diesem Zeitpunkt am Horizont auftauchte: Der chinesischen Entwicklungsbank mit Sitz in Schanghai. Diese Bank ist eine Art Anti-IWF oder Anti-Weltbank-Institution, die dazu ins Leben gerufen wurde, um – zusammen mit Chinas Außenhandelsbank – die bei China aufgehäuften Devisenreserven in greifbare Exporterfolge und ebenso greifbare Sicherstellung von notwendigen Importen zu sichern. Zum Unterschied vom IWF und Weltbank, die zwar US-dominierte, aber dennoch internationale Institutionen sind, sind diese Banken ausschließlich chinesische Institutionen und dienen daher anerkanntermaßen in erster Linie den Interessen der chinesischen Politik. Sie finanzieren Infrastrukturprojekte wie den Bau von Straßen, Brücken oder Eisenbahnen, im Rahmen der sogenannten „neuen Seidenstraße“, die im Original einfach Verbindungs- und Straßenbauinitiative heißt. Außerdem finanzieren sie Unternehmen zur Energiegewinnung, investieren als Land Grabber in den Agrarsektor und vergeben Exportstützungskredite, mit deren Hilfe sie den lateinamerikanischen Markt mit Konsumgütern förmlich überschütten.
China hat daher Schritt für Schritt Lateinamerika sowohl als Rohstofflieferant als auch als Markt dem Zugriff der USA entzogen.
Dadurch ist auch in verschiedenen Staaten Lateinamerikas eine neue Händler-Elite entstanden, die sich auf den Handel mit China spezialisiert hat. Besonders augenfällig ist das z.B. in Bolivien, wo die eigentlich als großer Slum entstandene Zwillingsstadt zu La Paz, El Alto, zu einer kommerziellen Drehscheibe für den Chinahandel geworden ist und die alten, USA-orientierten Eliten schrittweise zurückgedrängt hat. Damit wurden auch die Staaten Lateinamerikas intern aufgemischt. Die USA versuchen, ihren schwindenden Einfluß durch Bündnis mit den traditionellen Eliten und unter Zuhilfenahme von Sekten wieder zurückzuerlangen, was sich in Putschen und Unruhen äußert.
Eine weitere Waffe im Kampf um Einfluß ist das Thema „Korruption“ und die Zuhilfenahme der Justiz. Davon später einmal.
2. Der politische Einfluß Chinas in Lateinamerika
Außer dem ökonomischen Vormarsch hat China – in Zusammenarbeit mit Rußland – auch politisch einiges geleistet. Nach dem Putschversuch gegen Chávez 2002 und der Entlassung der darin verwickelten Angestellten der Erdölindustrie wurde die Erdölproduktion nur dank tatkräftiger Hilfe chinesischer – und iranischer! – Spezialisten weiter am Laufen gehalten. Nach Jahrzehnten der Obstruktion, Embargos und militärischer Bedrohung funktioniert der Erdölsektor Venezuelas nur dank chinesischer Investitionen weiter. China arbeitet daran, die Erdölreserven Venezuelas zu erschließen, den Erdölsektor zu modernisieren und die Exportkapazitäten zu erhöhen. Um zu verstehen, warum das so langsam vonstatten geht, sei daran erinnert, daß Venezuela mit dem Iran und Kuba das Problem teilt, daß nach dem Bruch mit den USA die ganze Industrie auf das metrische System umgestellt werden mußte. Stück für Stück müssen alle Geräte, Raffinerien usw. umgebaut oder ganz ausgetauscht werden, da keine Ersatzteile mehr aus den USA importiert werden können. Dieser Umbau geht übrigens nicht nur in Venezuela vonstatten. Auch die mit Hilfe Chinas groß gewordene Erdölindustrie, Bauindustrie und Flotte Brasiliens hat sich von den US-Firmen und Normen abgewandt und sich Know-Hows aus Rußland und der EU bedient.
Kuba schließlich hält sich bis heute nur dank russischer und chinesischer Unterstützung in verschiedenen Sektoren, nachdem Venezuela als großer Spender in Lateinamerika selbst in Bedrängnis geraten ist.
3. Rußlands Vormarsch in Lateinamerika
Rußlands Einfluß ist sowohl logistischer als auch militärischer Natur. Die Aufrüstung der venezolanischen Sicherheitskräfte war ein entscheidender Faktor, warum die USA und die Nachbarstaaten Venezuelas von einem Einmarsch absahen, wie er von den USA rund um das Guaidó-Theater erwogen wurde. (Es reichte nur zu einem operettenhaften Invasionsversuch.) Auch die Blockade von Tankern nach Venezuela wurde durch russisches Militär vereitelt. In Argentinien leistete Rußland sogar etwas Wirtschaftshilfe zum Aufbau einer bis dahin nicht exitenten Fisch- und Meeresfrüchteindustrie. Vor allem aber unterstützen russische Firmen (und im Hintergrund dazu sogar bis zum Vorjahr deutsche) die Industrie in verschiedenen Sektoren der Energiewirtschaft. Während der Pandemie tobten Kämpfe um die in Lateinamerika zugelassenen Impfstoffe. Damals gelang den Pharmafirmen Rußlands und Chinas ein Durchbruch auf dem Pharmasektor.
Alle diese Kämpfe sind nicht entschieden und befinden sich in einer heißen Phase.
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