Pressespiegel El País, 15.5.: Großreinemachen in Israel

„ISRAEL NUTZT DIE KRISE IN GAZA, UM DIE KOLONISIERUNG DES WESTJORDANLANDES VORANZUTREIBEN

Antonio Pita, Korrespondent

Die Regierung erklärt seit den 1990er-Jahren eine Reihe von Hektar zu Staatsbesitz, während der rechtsextreme Finanzminister durch die Hintertür mehr als 60 Kolonien legalisiert und in den Hügeln 15 neue Kolonien entstehen.“

Einfache glatte Aneignungen – teilweise wirklich herrenlosen Landes, das von Beduinen als Weidegebiet genutzt wurde.
Die Siedlungspolitik Israels treibt hier eine ursprüngliche Akkumulation voran, die in vielen anderen Staaten vor Jahrhunderten über die Bühne gegangen ist, aber im Nahen Osten noch in verschiedenen arabischen Staaten aus Mangel an Kapital nicht stattgefunden hat.

„»Das jüdische Volk hat das ausschließliche und unbestreitbare Recht auf alle Teile des Landes Israel. Die Regierung wird die Besiedlung aller ihrer Teile fördern und entwickeln.« Dieser Satz – unter Verwendung des biblischen Konzepts, das zumindest das heutige Israel und Palästina umfasst – der in der Vereinbarung der von Premierminister Benjamin Netanyahu geführten Regierungskoalition vorkommt – nimmt heute, eineinhalb Jahre später, in diesen Wüstenregionen des Westjordanlandes verschiedene Formen an, in dem jeder unwirtliche Hektar zum Schlachtfeld einer Kolonisierung wird, die Israel stillschweigend beschleunigt hat, indem es den Lärm ausnutzt, der durch die Invasion in Gaza entsteht.“

„From the River to the Sea“ – der Schlachtruf der Palästinenser wird Tatsache, allerdings in umgekehrter Form …

„»Sehen Sie, das ist neu. Vor ein paar Wochen war es noch nicht da. Mit ihm sind es allein seit Oktober 14“, sagt Dror Etkes, der israelische Aktivist, der den Ausbau der Siedlungen am besten kennt, bei einem langen Rundgang durch die Gegend.
Seit Februar hat die Exekutive mehr als 1.097 Hektar zum Staatsgebiet erklärt (was den Bau oder Ausbau jüdischer Siedlungen dort erleichtert). Dieser Wert macht 2024 nun zu einem Rekordjahr seit den 90-er Jahren und ein Ende ist nicht abzusehen.

Die Zahlen zur Kolonisierung im Westjordanland bleiben seit Jahren unter Verschluß, aber das Schweigen“ (in Israel) „zum Gaza-Krieg und eine Regierung, in der religiöser Nationalismus – eng verbunden mit der Förderung von Siedlungen – eine Schlüsselrolle einnimmt, haben eine perfekte Mischung für ihren rasanten Aufschwung geschaffen. »Unser Recht auf das Land Israel ist in der Bibel verankert«, betonte Netanjahu, ein säkularer Jude, der in Form von Bibelbezügen zunehmend auf die religiöse Rechte verweist, an diesem Dienstag.“

Wie man es braucht. Notfalls kann man als säkulärer Politiker auch am Sabbat bombardieren, wenn „die Lage“ es erfordert, oder religiöse Juden zum Militärdienst verpflichten, aber an anderen Tagen ist die Heilige Schrift gerade recht.
Warum eigentlich die Bibel? Die ist doch christlich.
Gibt die Thora oder der Talmud am Ende nichts für das Staatsprogramm Israels her, wie manche strenggläubige Juden behaupten?

„Etkes selbst, der den Kolonisierungsfortschritt seit drei Jahrzehnten verfolgt und die NGO »Kerem Navot« (Nabots Weingarten) leitet, hat Schwierigkeiten, mit dem Tempo der Entwicklung Schritt zu halten.
Es kommt immer häufiger vor, dass man auf einer strategisch wichtigen Anhöhe eine Siedlung aus einigen Wohnwägen sieht. Sie werden heimlich von religiösen Ultranationalisten hingestellt, die zu sagen pflegen, dass sie außer der Bibel, in der Gott diese Ländereien dem jüdischen Volk gibt, kein Eigentumsdokument benötigen.“

Auch hier die Bibel, seltsam, seltsam.

„Diese Gruppen junger Menschen wissen heute drei Dinge: dass ihre Vertreter Teil der Regierung sind; dass ihre neue Kolonie überleben wird, auch wenn sie selbst gegen die israelische Gesetzgebung verstößt; und daß sie nur ausharren müssen.
Mini-Siedlungen erhalten häufig institutionellen (mehr oder weniger verdeckten) und privaten Schutz und Unterstützung. Heutige Trabantenstädte bestanden vor Jahrzehnten auch nur aus einer Handvoll Häusern.

Im Februar erklärte die Zivilverwaltung, die als Unterorganisation des Verteidigungsministeriums die laufenden Operationen der militärischen Besatzung verwaltet, 264 Hektar zwischen den Siedlungen Maale Adumim und Keidar östlich von Jerusalem zum Staatsland.
Einen Monat später fügte sie weitere 800 im Jordantal hinzu, zu denen noch einige Dutzend weitere hinzukamen. Um die Dimension zu verstehen: Die Gesamtfläche beträgt etwas weniger als die Hälfte aller zwischen 2018 und 2023 deklarierten Hektar (2.400).“

Wobei die deklarierten Hektar, siehe oben, offenbar nur die Spitze des Eisbergs der tatsächlich angeeigneten Fläche zu sein scheinen.

„Die Erklärung zu Staatsland basiert auf der interessensgeleiteten israelischen Interpretation eines Gesetzes aus dem 19. Jahrhundert, also zur osmanischen Zeit, für die Nutzung von (brachliegenden) Feldern.
Völkerrechtlich ist es für Israel als Besatzungsmacht illegal, Land für seine eigenen Ziele zu beschlagnahmen. Deshalb greift es auf das osmanische Gesetz zurück, um sich die Ländereien im Westjordanland anzueignen, die seit Jahren unbebaut bleiben.“

Unbebaut, nota bene, heißt nicht unbenutzt, aber da kommt eben das osmanische Gesetz zu Hilfe …

„Das kann geschehen, weil ihre Besitzer zu Flüchtlingen wurden, weil die Armee ihnen den Zugang zu ihnen verweigert, weil sie Angriffe von Siedlern fürchten …“

Ein Zweistufenplan, der die Privatgewalt der Siedler anstachelt: Erst vertreibt man die Leute, dann ist das Land unbenutzt, und dann läßt es sich beschlagnahmen …

„Die Regierung von Isaac Rabin stoppte die Enteignungen 1992, als sie über das Oslo-Abkommen verhandelten, und Netanjahu nahm sie im selben Jahrzehnt, in seiner ersten Amtszeit wieder auf. Dank dieser rechtlichen Auslegung hat Israel nach Angaben von Peace Now, der wichtigsten pazifistischen NGO des Landes, 16% des Westjordanlands zu Staatseigentum erklärt, – seit seiner Einnahme im Sechs-Tage-Krieg von 1967 unter militärischer Besatzung.“

Da ist ja noch viel Luft nach oben … Es fehlen noch 84%!

„Verlassene Städte

Ein langes schwarzes Rohr beginnt an einer Militärbasis. Er erreicht die Siedlung Malajei Hashalom, die es mit Wasser versorgt, obwohl dies theoretisch verboten, weil nach den Gesetzen Israels illegal ist.
Direkt in bzw. auf den Ruinen von Ein Ar Rashash, einem Beduinendorf, dessen Bewohner es aus Angst vor Angriffen von Siedlern verließen, ist eine Siedlung entstanden: Gal Yosef.

Etkes schätzt, dass die Palästinenser seit Oktober zwischen 15.000 und 20.000 Hektar nicht mehr erreichen können.

Eine Barriere aus Steinen und Sand verhindert, dass die mehr als 3.000 Einwohner von Douma auf die Straße gelangen. Zusammen mit dem kleineren Mugayer ist es die einzige palästinensische Ortschaft zwischen Ramum im Westen, die Stadt Jericho, nahe der Grenze zu Jordanien (im Südosten); und der Siedlung Maale Efraim (im Nordosten).
»Vor einem Jahr konnte man hier Beduinenhirten sehen, und jetzt ist alles leer«, erinnert sich Etkes. Zu sehen sind lediglich die Überreste ihrer alten provisorischen Behausungen, die in weniger gefährliche Teile des Westjordanlandes oder sonstige Ansiedlungsstätten verlegt wurden.

Auf der Alon-Autobahn, die das Westjordanland von Norden nach Süden und zwischen hebräischen Schildern und Absperrungen mit Phrasen wie »Rache« oder »Tod den Arabern« durchquert, sieht man keine Autos mit grünen oder weißen Nummernschildern. Das sind die von Palästinensern, die keine Genehmigung haben, nach Israel oder andere von Israel kontrollierte Gebiete des Westjordanlandes – wie Ostjerusalem – zu fahren.“

Die Unterscheidung ist wichtig. „Israel“ bezeichnet das Territorium vor der Besetzung des Westjordanlandes, „die von Israel kontrollierten Gebiete“ sind diejenigen, die entweder einen speziellen Status nach den Abkommen von Oslo haben und diejenigen, die seither illegal mit Beschlag belegt und mit Mauern abgegrenzt wurden.
In alle diese Gebiete dürfen Palästinenser nicht mehr hinein – es sei denn, sie verfügen über eine spezielle Erlaubnis, weil sie dort arbeiten.
D.h., sogar Verwandtenbesuche sind für sie nicht mehr möglich. Wollen sie ihre Verwandten in den anderen Gebieten sehen, so müssen diese zu ihnen kommen, um sich dann bei ihrer Rückkehr in israelisch besetzte bzw. angeeignete Gebiete hochnotpeinlichen Kontrollen zu unterziehen. Man kann auch bei einer solchen Rückkehr verhaftet werden und monatelang, sogar jahrelang in irgendwelchen israelischen Gefängnissen verschwinden, ohne Anklage oder Verfahren.

„Zum Teil geschieht dies aus Angst – nach dem Mord an einem israelischen Teenager in der Nähe vor einem Monat, der eine Welle von Angriffen gegen Palästinenser auslöste –, erklärt Etkes.“

Der bewußte Mord an einem Hirtenbuben aus einer dieser neuen Siedlungen wurde nie aufgeklärt, es gibt auch keine Bemühungen, die Mörder zu finden.
Man kann sich daher des Verdachts nicht erwehren, daß dieser Mord von Agenten Israels verübt wurde, um die Angriffe auf Palästinenser anzustacheln.

„Letzten Monat, als die Eskalation zwischen dem Iran und Israel und die Proteste an US-Universitäten die Medien beherrschten, wegen einer Invasion in Gaza, bei der mehr als 35.000 Menschen ums Leben kamen, wies der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich die betreffenden Ministerien an, ungefähr 60 kleine Siedlungen, die nach der israelischen Gesetzgebung illegal sind, an die Infrastruktur anzuschließen, kommunale Dienstleistungen für sie bereitzustellen und dort öffentliche Gebäude zu errichten.
Es handelt sich um die Umsetzung eines Beschlusses aus dem letzten Jahr, in dem die Regierung dazu aufruft, in bestimmten Siedlungen, die »die Regierung regulieren will«, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sie »an die wesentliche Infrastruktur anzuschließen, öffentliche Gebäude und Bildungsgebäude zu errichten«.
Einige waren bereits angeschlossen, jedoch über nahegelegene Siedlungen oder als vorübergehend angesehene Infrastruktur.“

Es wäre interessant, zu erfahren, wann genau dieser Beschluß gefaßt wurde. Falls er vor dem 7. Oktober erging, wirft das ein bezeichnendes Licht auf die israelische „Überraschung“, mit der sie vom Überfall der HAMAS betroffen war.

„Obwohl er weniger im Vordergrund steht und nicht so beliebt ist wie Itamar Ben Gvir, der Chef der Nationalen Sicherheit, der ihm auf der Wahlliste folgte, ist Smotrich der Rechtsaußen mit der größten Macht in der Exekutive.
Nicht nur, weil er die Hand ist, die das Geld ausschüttet, sondern auch, weil er in Verhandlungen mit einem Netanyahu, der unbedingt an die Macht zurückkehren wollte, ihm eine Position im Verteidigungsministerium abgerungen hat, die ihm umfassende Kontrolle über zivile Angelegenheiten im Westjordanland verleiht.“

Smotrich ist also nicht nur Finanzminister, sondern ihm untersteht auch die ganze zivile Betreuung des Westjordanlandes. Er hat also eine Art Superministerium inne.

„Die NGO »Peace Now« definierte seine Entscheidung als »Legalisierung durch die Hintertür«: Sie vermeidet internationale Verurteilungen und rechtliche Probleme und schützt sie vor dem Abriss, den diese Regierung praktisch nicht mehr anwendet, die nächste jedoch möglicherweise auch nicht.“

Die jetzige Regierung schafft also Fakten, die über ihre mögliche Abwahl hinaus reichen. Der Widerstand gegen Abrisse bereits bestehender und voll ausgestatteter Siedlungen wäre wahrscheinlich zu groß.

„Lokalen Medien zufolge enthält das Dokument des Ministers Anweisungen etwa zur Errichtung von Bildungseinrichtungen, zum Bau von Straßen oder zu alltäglichen Angelegenheiten, etwa zu Krankenkassen.“

Damit wird sichergestellt, daß die Bewohner dieser de facto Siedlungen Zugang zum israelischen Gesundheitswesen erhalten, was derzeit anscheinend noch nicht gesichert ist.

„Die Entscheidung stellt de facto fünfzig „Außenposten“, also illegale Ansiedlungen, mit offiziellen Siedlungen gleich. Obwohl alle Siedlungen, in denen rund 700.000 Menschen leben, nach internationalem Recht illegal sind, unterscheidet das politische Vokabular Israels normalerweise zwischen »Bezirken« (die großen Wohnviertel in Ostjerusalem) und »Siedlungen« (diejenigen im Westjordanland, die als legal angesehen werden, in der Regel vor Jahrzehnten errichtet)“

– die aber völkerrechtlich gesehen ebenso illegal sind, aber aufgrund einer Art von Gewohnheitsrecht bereits einen halblegalen Status errungen haben –

und den »Außenposten« oder „vorgeschobenen Grenzposten«, die kleiner und auch nach israelischem Recht illegal sind. Sie wurden seit den neunziger Jahren, nach dem Oslo-Abkommen, eingerichtet.
Auch die Vertreibungen von Palästinensern sind seit Oktober sprunghaft angestiegen, weil sie Angst vor Angriffen durch Siedler haben, die aufgrund der massiven Mobilisierung von Reservisten und der Leichtigkeit, an Waffen zu gelangen, zunehmend nicht mehr von Soldaten zu unterscheiden sind.
Fast 20 Ortschaften mit mehr als 1.000 Einwohnern (in der Regel Beduinen, die einem Familienclan angehören und von Landwirtschaft und Viehzucht leben) haben ihre Häuser abgebaut, ihre prekären Konstruktionen abgebaut und nach einem weniger exponierten Standort gesucht.“

Diese Beduinen https://de.wikipedia.org/wiki/Beduinen sind Halbnomaden, die sich als die eigentlichen Araber betrachten, zum Unterschied von den ackerbauenden Fellachen, die meist dem im Nahen Osten üblichen Feudalismus unterworfen waren und einem Grundherren Tribut und Roboten leisten mußten. Die Beduinen hingegen waren stets frei und nur an ihre Stammeshierarchien gebunden.
Sie hatten meist einen Stammsitz, an den sie periodisch zurückkehrten, meist in der Nähe von Wasser. Aus der Angst vor Steuern ließen sie sich den jedoch nie urkundlich bestätigen. Sie sind also offiziell Landlose, wovon Israel bei seiner Vertreibungspolitik profitiert.
Die meisten von ihnen wurden im Negev zwangsangesiedelt, wo sie in Siedlungen ohne Infrastruktur und ohne ihre angestammten Existenzformen vor sich hin leben, aber wie man sieht, zogen manche Stämme weiter herum und sind daher ein leichtes Ziel für Vertreibungen.
Viele dieser ehemaligen Beduinen landen an den Stadträndern palästinensischer Städte im Westjordanland, ohne ihre angestammten Existenzmöglichkeiten.

Bei dieser durch Siedler betriebenen Vertreibung (oftmals mit Toten) „handelt sich um ein Phänomen, das oft mit der Duldung oder Passivität des Militärs und eng mit der jahrelangen Ausbreitung von Kolonien in Form von Farmen verbunden ist, die es ermöglichen, mit geringem Aufwand große Gebiete zu kontrollieren.“

Die Siedler sind sozusagen Wehrbauern oder Paramilitärs, die mit der Zustimmung des offiziellen Militärs handeln und legal über Schußwaffen verfügen.

„Von Zeit zu Zeit sieht man diese“ (einzelnen jüdischen Farmen) „von der Straße, ebenso wie einen jungen Mann in der üblichen Kleidung religiöser Nationalisten, der sich um das Vieh kümmert.
Die Zunahme von Angriffen auf Palästinenser oder linke Aktivisten, das wachsende Bewußtsein der Siedler von der Freiheit, sich alles erlauben zu können, und allgemein die vorherrschende Atmosphäre seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober … veranlassen Etkes, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Er verfügt über kein eigenes Fahrzeug, so dass die Siedler es nicht erkennen können; und er möchte nicht, dass seine jeweiligen Leihwägen oder sein Gesicht auf Fotos erscheinen, um seine Identifizierung zu erschweren.
Die Stopps sind kurz.

In einem Fall nähern sich zwei bewaffnete Sicherheitsleute, um herauszufinden, was er hier macht. Die Atmosphäre ist angespannt und sie beleidigen ihn, als er zum Auto zurückkehrt, aber es kommt zu keiner körperlichen Aggression. »Ich habe den richtigen Akzent und die richtige Hautfarbe«, sagt er über seine Tatsache, dass er ein israelischer Jude ist.“

Israelis gehen also noch nicht auf Israelis los – zumindest nicht, wenn ein ausländischer Journalist zugegen ist …

Afrika – der umkämpfte Kontinent

NEUAUSRICHTUNG

1. Die militärische Betreuung der Welt

Es war vor allem die alte Welt, die sich jahrzehntelang den Zugriff auf die Rohstoffe Afrikas sicherte und das hierzulande als „Entwicklungshilfe“ verkaufte.

Mit den Abkommen von Yaoundé, Lomé und schließlich Cotonou sicherte sich die EWG und dann EU den Zugriff auf die Rohstoffe und Agrarprodukte Afrikas. Gleichzeitig sicherte sich die EU die Staaten Afrikas als Märkte und überschüttete sie mit ihren eigenen Produkten. Dazu wurde ein Kredit- und Bankwesen eingerichtet, um diese Staaten mit Zahlungsfähigkeit auszustatten, damit sie überhaupt als Markt funktionieren konnten. Das hat zu Schuldenkrisen geführt und Afrikas Staaten in Sachen Abhängigkeit noch über die Abkommen hinaus in europäische Schuldknechtschaft geführt.

Dieses ganze Verfahren wurde in den europäischen Medien paternalistisch als eine Art „Hilfe“ an die Staaten Afrikas verkauft, mit der sich die ehemaligen Aussauger sozusagen jetzt als Förderer ihrer ehemaligen Unterdrückten betätigen und ihnen helfen würden, auf eigenen Füßen zu stehen.

Dieses schiefe Verhältnis wollte natürlich militärisch betreut sein, was spezielle militärische Einrichtungen wie die französische Fremdenlegion oder zypriotische Basen und Ghurka-Einheiten der britischen Streitkräfte notwenig macht, – die sich natürlich nicht nur auf Afrika konzentrieren, sondern auch in anderen Gebieten eingesetzt werden, wo die westliche Staatengemeinschaft Ordnungsbedarf sieht.

Das alles ging so lange halbwegs gut, als sich in den afrikanischen Staaten Eliten fanden, die sich mit dieser subalternen Rolle abfanden oder gleich ihre Stellung für feste Bereicherung benutzten. Als die Sowjetunion von der Bildfläche verschwand, war auch keine Alternative mehr da.

2. Afrika seit 1991

Aber in den mehr als 30 Jahren seit 1991 hat sich erstens das Entwicklungsideal gründlich blamiert, was sich vor allem in Flüchtlings-Strömen und den entsprechenden Tragödien äußert. Es ist inzwischen klar, daß Afrika von Europa nichts Gutes mehr zu erwarten hat. (Das wird übrigens in den Medien hier gar nicht mehr behauptet. Das Entwicklungs-Ideal wurde leise begraben.)

In dieser Zeit hat weiters China Afrika als Handelspartner entdeckt. Rußland hat eine aktive Außenpolitik entwickelt, in der es verlorengegangene Verbündete wieder zurückgewinnen will (Kuba, Nordkorea), auch in Afrika, und sogar neue rekrutiert.

Man kann sagen, daß es sich hier um eine Art Arbeitsteilung handelt: China will Afrika ökonomisch benützen und damit auf sich verpflichten, während Rußland eher strategisch ausgerichtet ist und rußlandfreundliche Regierungen mit dem nötigen militärischen Rückhalt versieht.

Was für die EU besonders ärgerlich ist, ist der Umstand, daß diese beiden Mächte sich hier sehr gut ergänzen und überhaupt nicht in die Quere geraten.

Außerdem bilden sich lokale Ambitionen bei den größeren afrikanischen Staaten. Der erste, der sein Land mit Ölgeld zur Führungsmacht machen wollte, wurde ziemlich gewalttätig von der westlichen Welt weggeräumt.
Der Sturz Ghaddafis war jedoch Rußland und China eine Lehre. Und auch den afrikanischen Staaten. Sie wurden darauf aufmerksam gemacht, daß der Westen ein Afrika mit eigenständigen politischen Vorstellungen nicht zu dulden bereit ist. Und sie wandten sich verstärkt den neuen Freunden zu. Vor allem zwei Staaten, die sich auf ihrer Größe bzw. Wirtschaftskraft zu Höherem berufen fühlen: Algerien und Südafrika.

Rußland verstärkte seine Militärpräsenz in Folge mit seiner eigenen Fremdenlegion, den Wagner-Einheiten. Diese haben anscheinend das Ableben ihres Führers überstanden und werden jetzt der russischen Armee als spezielle Auslands-Truppen eingegliedert. Es ist wahrscheinlich, daß Rußland in Zukunft auch um die Ausbildung einheimischen Militärs kümmern und das möglicherweise sogar finanzieren wird.

Ob das jetzt für die Bevölkerung Afrikas Gutes verspricht, sei dahingestellt.

Das Wichtige ist, daß der Einfluß Europas hiermit verdrängt und auch die ganzen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU neu und für die EU unvorteilhaft gestaltet werden.

China prescht mit seiner eigenen bzw. der BRICS-Entwicklungsbank daher und sagt mehr oder weniger „Fuck the IWF!“ – was sich für die ganzen Schuldenberge und deren Gültigkeit negativ auswirkt.

3. Machtwechsel

Die EU ist bezüglich Afrikas offenbar mit ihrem Latein am Ende:

„Laut diplomatischen Quellen konnten sich die 27 nicht auf eine Verlängerung der EUTM-Mission in Mali über den 18. Mai hinaus einigen, wenn ihr derzeitiges Mandat endet. Obwohl die diese Woche in Brüssel abgehaltenen Treffen technischer Natur waren, hat Frankreich deutlich gemacht, dass es sich weigert, eine Operation fortzusetzen, die 2013 begann und in jüngster Zeit auf ein Minimum reduziert wurde, was zu ihrer endgültigen Einstellung führte – da Einstimmigkeit notwendig wäre, um sie fortzusetzen.

Der von den befragten Quellen als selbstverständlich angesehene Abzug europäischer Ausbilder aus Mali markiert das Ende der militärischen Präsenz der EU in einer strategischen Region. Ein Gebiet, das einen beispiellosen Anstieg des dschihadistischen Terrorismus und eine starke Ausweitung von Netzwerken zum Handel mit Waffen, Drogen und Einwanderern verzeichnet, das aber auch große Reserven an Mineralien wie Uran und Gold birgt: Dies erklärt nach Ansicht von Experten das Interesse von Russland, aber auch China, diese Lücke zu schließen.“ (El País, 28.3.)

All diese schönen Begleiterscheinungen des friedlichen Handels und Wandels sind die Ergebnisse desselben, obwohl sie immer als unwillkommene Hindernisse der Benutzung dieser Weltgegenden gehandelt werden, für die die EU den betroffenen Staaten militärische „Hilfe“ gewähren mußte.

Was Gold und Uran betrifft, so sind die für beide Staaten zweitrangig, was den eigenen Gebrauch betrifft. Es geht höchstens darum, sie in den eigenen Einflußbereich zu holen, um dann sie dann der EU zu anderen Konditionen als den bisherigen verkaufen zu können – was schlechte Nachrichten für die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt sind.

Wie sich Afrika weiter entwickelt, sollte man genau beobachten. Es scheint nämlich eine Art Modell oder zumindest ein Vorreiter für die multipolare Welt zu werden.

Rückzug aus Afrika

ÜBER KOLONIALISMUS UND UNABHÄNGIGKEIT

„Europa zieht seine letzten Truppen aus der Sahelzone ab und überlässt Russland das Feld“

– so lautet heute eine Überschrift in El País und so ein Satz sollte zu denken geben.

Warum waren überhaupt europäische Truppen in der Sahelzone?

1. Kolonien

Es ist heutzutage in linken Kreisen üblich, als Kritik das Wort „Kolonialismus“ zu verwenden, wenn das imperialistische Gehabe der Alten und Neuen Welt bezeichnet werden soll, der Interventionismus und die Kriege, die diese Nationen anzetteln, betreuen und sich einmischen.
Weite Teile Afrikas waren ja auch einmal Kolonie. Portugiesen, Engländer, Holländer, Franzosen, Belgier, Deutsche und Italiener keilten sich um die dortigen Rohstoffe, massakrierten die Bewohner Afrikas, beteiligten sich in verschiedenen Formen am Sklavenhandel und taten auch andere unschöne Dinge, die hierzulande unbekannt oder vergessen sind, an die sich aber die Nachfahren der damaligen Betroffenen in Afrika sehr gut erinnern.

Der Kolonialismus war jedoch erstens für die Mutterländer ein kostspieliges Geschäft. Sie mußten ständig mit militärischer Präsenz vor Ort tätig sein, eine Verwaltung unterhalten, um den Abtransport von Rohstoffen, Agrarprodukten und Menschen zu überwachen. Das war – zumindest seit dem 18. Jahrhundert – eine staatliche Vorleistung für die aufstrebende Industrie in den Mutterländern, die diese Stoffe brauchten, um ihren Konkurrenten auf dem Weltmarkt Paroli bieten zu können und gleichzeitig Absatzmärkte für ihre Waren zu haben.
Es sind übrigens beide Seiten wichtig, die Rohstoffe genauso wie die Märkte. Großbritannien war deswegen so lange führend, weil es sich mit seinen Kolonien und Kanonenbooten auch Märkte erschlossen hatte, über die es seinen Warenreichtum ausgießen konnte.

Man soll aber auch die Kosten nicht unterschätzen. Großbritannien finanzierte seine Herrschaft über Indien größtenteils aus dem Opiumhandel mit China. Die letzte europäische Kolonialmacht, Portugal, mußte ihre Kolonien aufgeben, weil sie sich einfach nicht mehr leisten konnte.

Die besondere Nützlichkeit der Kolonien war die ausschließliche Verfügung des Mutterlandes über dieselben. Es gab ihm die Möglichkeit, die anderen rivalisierenden imperialistischen Mächte von seinen Territorien auszuschließen.

2. Hinterhöfe

Rund um den II. Weltkrieg störte sich die aufstrebende Weltmacht USA an dieser Form der exklusiven Nutzung. Nicht, daß den USA der Kolonialismus fremd gewesen wäre. Puerto Rico, Hawaï, die Philippinen, die Panamakanalzone und viele Inseln im Atlantik und Pazifik waren oder sind nach wie vor US-„Territorien“, wie sie verschämt benannt werden. Heute haben sie aber vor allem strategische Bedeutung.
Die USA setzten gegenüber ihren Verbündeten durch, ihre exklusiven Zonen aufzugeben. Die treibende Macht hinter der „Entkolonialisierung“ waren die USA – die Befreiungsbewegungen der III: Welt konnten sich meist nur dank diesem Rückhalt schließlich durchsetzen – sofern sie den USA genehm waren.
Das neue System sah die Entlassung in die Unabhängigkeit vor. Mit etwas Unterstützung aus den Mutterländern sollten sich diese Staaten selbst regieren und selber dafür sorgen, daß sie weiterhin als Rohstofflieferanten und Märkte zur Verfügung stehen – allerdings nach freier Wahl ihrer Patrone.

Die Konkurrenz um die neue Beherrschung Afrikas (und auch anderer Teile der Welt) ging los. Genehme Politiker wurden installiert, nicht genehme beseitigt. Die alten Kolonialmächte versuchten die Hand auf ihren ehemaligen Kolonien zu halten und in die vormals exklusiven Territorien ihrer Rivalen einzudringen.

3. Afrika im Kalten Krieg

Als vermeintlicher Rettungsanker dieser vom Regen in die Traufe geratenen afrikanischen Gebiete erwies sich die Sowjetunion, die Guerillabewegungen unterstützte, Staudämme und Kraftwerke baute und sich als antikoloniale Macht präsentierte. Der Pferdefuß dieser sowjetischen Unterstützung war erstens, daß sie die Feindschaft der europäischen Mächte und der USA als Weltpolizist zur Folge hatte und diesen Staaten deshalb erhöhte Verteidigungskosten aufbürdete.

Das zweite, weitaus Entscheidendere war jedoch, daß die Unterstützung der SU nur insofern interessant war, als sie diesen Staaten, die in der westlichen Ideologie „Entwicklungsländer“ genannt wurden, eine bessere Startposition für den Weltmarkt verschaffen sollte. Die dortigen Regierungen bedienten sich der sowjetischen Hilfe, um dann neue Produkte anbieten zu können, zu besseren Bedingungen für die einheimische Staatskasse, aber doch, um sich am internationalen Warenaustausch beteiligen zu können und sich in Richtung ihrer Vorbilder – der europäischen Staaten, ihrer ehemaligen Unterdrücker – zu entwickeln.
Die Kolonisierten wollten zu den Kolonisatoren aufschließen – unter diesem Ideal wurden Brunnen gebohrt und Kredite vergeben, Kriege geführt und Militär- und Entwicklungshilfe über die afrikanischen Staaten ausgeschüttet.

4. Afrika nach dem Kalten Krieg

Mit dem Abdanken der Sowjetunion und dem Ende des ganzen RGW-Austausches hörten sich jede Menge Hilfen und Unterstützungen auf.
Als erstes der prosowjetischen Regimes kollabierte im Mai 1991 dasjenige Mengistus in Äthiopien, das neben der SU vor allem von der DDR unterstützt worden war.
Aber noch einige Monate vorher mußte der Herrscher Somalias, Siad Barre, seinen Hut nehmen und das Land verlassen. Er hatte sich aufgrund von Territorialstreitigkeiten mit Äthiopien von der SU ab- und den USA zugewendet. Nach dem Ende der SU und dem absehbaren Sturz Mengistus strichen jedoch die USA die Zuwendungen an Somalia, weil sie Barre nicht mehr brauchten.

Ähnlich ging es in anderen Teilen Afrikas zu. Die einst prosowjetischen Regierungen wurden entweder gestürzt oder zusehends repressiver, um sich an der Macht zu halten. Manche Staaten, wie Somalia oder Ruanda, kollabierten überhaupt, manche zerfielen, wie der Sudan, und die Verteilungskämpfe wurden härter, sodaß vielerorts Bürgerkriege ausbrachen. Die werden in den hiesigen Medien mit Traditionen und Stammesbindungen erklärt, und das alles schreit nach einem: Betreuung! „Wir“ müssen dort hin, um für Ordnung zu sorgen!

So kam es zu verschiedensten Interventionen kürzerer oder längerer Dauer, durch die USA und im letzten Jahrzehnt verstärkt durch EU-Staaten, die sich Afrika als Hinterhof zugerichtet haben und mit den Folgen dieser Zurichtung in Form von islamischem Terrorismus und Flüchtlingswellen unzufrieden sind:
„Frankreich führt seit 50 Jahren permanent Krieg“

Aus Deutschland tönt hochoffiziell: „Dort, wo Menschenrechte bedroht sind und die Rechtsstaatlichkeit keineswegs gesichert ist, fehlt das Fundament für Investitionen, Arbeitsplätze und Ausbildung.“ Da müssen daher unbedingt deutsche Soldaten hin.

Sogar das neutrale Österreich hat sich in Afrika schon wichtig gemacht:
„Bundesheer in Mali“

Großbritannien hat noch über das Commonwealth einen allerdings sehr schwindenden Einfluß in Afrika. Das mag einer der Gründe sein, warum es sich mit solchem Eifer am Sturz Ghaddafis beteiligt hat – um zu zeigen, daß es doch noch eine Hand auf dem Kontinent hat.

Manchmal gelingt es, die nationalen Ambitionen der Nachbarstaaten zu benützen, um unangenehme Regierungen zu stürzen, wie in Gambia 2017, sodaß die Friedensmacht EU nicht direkt intervenieren muß.

Das alles wäre schon noch zu bewältigen, wenn den Hütern von Menschenrechten und Entwicklung in den letzten Jahrzehnten nicht Störenfriede in die Quere kommen würden, die von dem ganzen Schmarrn nix halten und ähnliche, aber auch unterschiedliche Interessen in Afrika haben – und auch die Mittel, sie zu verfolgen: Rußland und China.