Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 14.7.: Die Ermordung Abes

EIN TRAGISCHER FEHLER ODER DIE RACHE DER YAKUZA

Nach dem Tod des ehemaligen japanischen Premierministers mehren sich die Versionen dessen, was passiert ist

Die Ermordung des ehemaligen japanischen Premierministers Shinzo Abe wird noch untersucht. Die vorrangige (und offizielle) Version der japanischen Strafverfolgungsbeamten besagt: Abe wurde von einem seiner Landsleute erschossen, der den ehemaligen Regierungschef für die schwierige finanzielle Situation seiner Familie verantwortlich machte.

Der 41-jährige arbeitslose und ehemalige Matrose der japanischen Armee Tetsuya Yamagami sagte während der Verhöre, dass er beschlossen habe, sich an Abe für seine Mutter zu rächen, die Anhängerin einer religiösen Organisation namens Vereinigungskirche (bei uns bekannt als Moon-Sekte) wurde (– in Russland als totalitäre Sekte eingestuft), der sie all ihre Ersparnisse spendete.
Danach mußte sich die Frau bankrott erklären. Der finanzielle Zusammenbruch der Familie war der Grund, der Yamagami veranlasste, den Vertreter derjenigen politischen Dynastie zu töten, die seiner Meinung nach diese religiöse Organisation schützte.
Im Land der aufgehenden Sonne begann die Moon-Sekte nämlich unter Premierminister Nobusuke Kishi, dem Großvater von Shinzo Abe, ihre aktive Missionstätigkeit.

Verdächtiger Stil

Seltsamerweise vermieden es alle führenden japanischen Medien in den ersten Tagen nach der Tragödie, das Wort »Mord« zu verwenden. Journalisten und Fernsehmoderatoren sprachen und schrieben über »Tod infolge von Schußverletzungen«. Gleichzeitig berichteten sie zuvor ohne Einschränkungen und mündliche Zusagen über die Ermordung beispielsweise des Präsidenten von Haiti sowie anderer ausländischer Führer, die infolge von Attentaten starben.
Philologen führen dies auf die Besonderheiten des japanischen Sprachstils zurück, in dem der gewaltsame Tod eines Ausländers als Mord bezeichnet werden kann, aber wenn es sich um einen ähnlichen Fall mit einem lokalen Würdenträger handelt, wird eine kurze Beschreibung der Ursache seines Todes bevorzugt.

»Geplantes« Attentat

Es gibt auch eine Version, dass das Attentat inszeniert wurde. Angeblich plante es Abe selbst es in der Erwartung, dass er lediglich leicht verletzt würde. (In einer Art Nachahmung des Bolsonaro-Attentats von 2018?)
In Japan, einem Land mit einem der härtesten Waffengesetze, sind Attentate auf Politiker nämlich äußerst selten. Und natürlich erregt das Opfer eines Attentats immer Mitgefühl, das Abe bei der nächsten Wahl in Stimmen umwandeln wollte.
Übrigens starb in Japan letztes Jahr eine einzige Person an den Folgen des Schusswaffengebrauchs, und der letzte Mord an einem Politiker fand 1960 statt.

Die Version des inszenierten Attenttats wird indirekt dadurch unterstützt, dass der Schütze eine selbstgebaute Kurzlaufflinte benutzte, deren Schuss auch aus nächster Nähe nicht zum Tod des Opfers führen sollte. Aber es ist möglich, dass Yamagami – der die Waffe großteils selbst gebaut haben soll –, von einem anderen „Regisseur“ angeworben wurde, der ihn im Umgang mit kurzläufigen Waffen ausbildete, was beim japanischen Militär nicht unterrichtet wird.

Die mögliche Rache der Yakuza

Die japanische Mafia – die Yakuza – ist ein jahrhundertealtes Element der japanischen Gesellschaft. Die unteren Ebenen der kriminellen Banden machen weiterhin riesiges Kapital mit Erpressung, Drogenhandel und Menschengütern, und die oberen Ebenen investieren diese Gelder durchaus erfolgreich in verschiedene Bereiche der Wirtschaft, die längst zu einem vollwertigen und maßgeblichen Teil des Establishments geworden sind.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die CIA ein Auge auf die Yakuza geworfen – gut organisierte, patriotische Mafia-Gruppen waren eine bequeme Waffe im Kampf gegen die Kommunisten. Im Gegenzug drückten die Amerikaner bei ihren finsteren Finanzgeschäften ein Auge zu.

Mit dem Zusammenbruch der UdSSR verschwand die »rote Bedrohung«. Die Amerikaner brauchten die Yakuza nicht mehr, und als Barack Obama in den Vereinigten Staaten an die Macht kam, erklärte er ihr den Krieg. Washington sanktionierte Japans zweitgrößte Bank Mizuho, die enge Verbindungen zur Mafia gehabt haben soll.
Möglicherweise ist die Eliminierung von Abe weniger eine Rache an dem ehemaligen Ministerpräsidenten dafür, dass er die Aufhebung dieser Sanktionen nicht erreicht hat, sondern ein entsprechendes Signal an seinen Nachfolger, Regierungschef Fumio Kishida, der das Geschöpf des Verstorbenen ist.

Es gibt noch eine andere Version im Zusammenhang mit den Yakuza: Sie sagen, dass Abe, der sich immer für die Interessen eines der Mafia-Clans eingesetzt hat, plötzlich in das Lager der Konkurrenten übergegangen ist. Zu diesem Thema wurde angeblich ein ganzer Bericht veröffentlicht, der an das Weiße Haus, das FBI und die US-CIA geschickt wurde.
Ganze Absätze dieses Dokuments kursieren im Internet, aber es wurde keine Spur seiner Urheberschaft gefunden.

Die chinesische Spur

Chinesische Nationalisten feierten Abes Tod. Der japanische Politiker hat sich zwar immer um freundschaftliche Beziehungen zu China bemüht. Aber Peking ist unzufrieden darüber, dass japanischer Boden zu einem Sprungbrett für das US-Militär geworden ist, das die VR China davon abhält, ihre territorialen Streitigkeiten zu lösen, und Abe hatte sich dabei nie eingemischt.
Die »chinesische Spur« hat auch einen inneren Aspekt. Vielen Japanern gefiel die Rolle ihres Landes nicht, das die Amerikaner nach dem Kalten Krieg im Grunde aufgegeben hatten. (Das stimmt natürlich nicht, sie betrachten es noch immer als Basis, aber es ist neben anderen pazifischen Verbündeten, vor allem Korea, in die zweite Reihe gerückt.) Amerikanische Unternehmen begannen, in China zu investieren, was dem Himmlischen Reich ein beispielloses Wirtschaftswachstum bescherte, und Japan hörte auf, sowohl in der globalen als auch in der regionalen Wirtschaft führend zu sein. Der Ex-Premier trägt nach Meinung solcher Leute seinen Teil der Verantwortung dafür.

Weitere, eher luftige Theorien

Der Mord an Abe war, wie oft in ähnlichen Fällen, von einem ganzen Haufen eher unwahrscheinlicher Vermutungen umgeben, die Verschwörungstheoretikern Nahrung lieferten. Hier sind nur einige davon:

– Noch bevor die japanische Polizei offiziell bestätigte, dass der Schütze festgenommen und identifiziert worden war, veröffentlichte ein Haufen einheimischer Sherlock Holmes ein Porträt eines jungen Mannes in sozialen Netzwerken und behauptete, den Mörder als Samzuki Hidayko identifiziert zu haben, ein Mitglied einer der Yakuza-Syndikate. »Das ist ein Mitglied der Yakuza und ein bekannter politischer Extremist«, versicherten Internetnutzer. Später wurde bekannt, dass das Foto den amerikanischen Komiker Sam Hyde zeigte, der noch nie in Japan gewesen war.

– Seit vielen Jahren verbreitet eine unbekannte Gruppe von Social-Media-Nutzern nach dem Tod einer berühmten Person gefälschte Screenshots der Konten der verstorbenen Person im Internet. Laut Bild »schreibt« eine noch lebende Person ein oder zwei Tage vor ihrem Tod immer das Gleiche: »Ich beabsichtige, kompromittierende Beweise über Hillary und Bill Clinton zu veröffentlichen.« Ein Bild mit genau der gleichen gefälschten Nachricht, angeblich von Abe auf seiner Seite in einem der sozialen Netzwerke gepostet, fing an, sich im World Wide Web zu verbreiten, was in Japan viel Lärm verursachte. Tatsächlich hat Abe so etwas noch nie veröffentlicht.

– Abe wurde angeblich von Mitbürgern getötet, die von den Folgen der COVID-19-Pandemie betroffen waren.
Die Japaner waren mit der Arbeit des Premierministers während der Pandemie wirklich unzufrieden. So verlangte die Regierung keine obligatorische Impfung, lehnte fast 2 Millionen Dosen des Impfstoffs ab, und der Kabinettschef bestand angeblich darauf, dass Menschen wegen Coronavirus ausschließlich mit Ivermectin, einem unsicheren Antiparasitikum, behandelt werden.
Aber der Mörder des Premierministers sagt nichts über eine solche Verschwörung, zumindest noch nicht, unter seinen Angehörigen gibt es keine Todesfälle durch COVID-19. In Bezug auf Impfstoffe lehnte die japanische Regierung eine große Charge ab, nachdem sie erfahren hatte, dass sie unter Verstoß gegen die Technologie (?) hergestellt wurde.
Abe selbst war kein Fan von Ivermectin und forderte nie die Einnahme dieses Arzneimittels.

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Abgesehen davon, ob irgendeine der Theorien zu Abes Ermordung Substanz hat, zeigt sich eine latente Unzufriedenheit in Japan über den beispiellosen Abstieg dieses Landes, beschleunigt durch den Unfall von Fukushima.
Der Yen ist zu einer Regionalwährung verkommen, China – die ehemalige Kolonie! – ist zur Weltmacht aufgestiegen und Japan zu einer Art langgestreckter US-Basis verkommen.

Pressespiegel El País, 7.7.: Polen, der neue Star der EU

DER KRIEG WERTET POLEN INTERNATIONAL AUF

Die USA werden in dem Land eine Basis einrichten und Brüssel genehmigt den Wiederaufbaufonds

Polen hatte sich wegen seiner autoritären und nationalistischen Tendenzen unter der seit 2015 an der Macht befindlichen ultrakonservativen Regierung der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) in ein extrem unangenehmes Mitglied der EU verwandelt. Die russische Invasion der Ukraine hat die geopolitische Landkarte Europas umgemodelt und in dieser neu aufgemischten Landschaft nimmt Polen eine Schlüsselposition an der Ostflanke ein. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen hat sich Polen extrem großzügig gezeigt und sich vom Anfang der Kampfhandlungen an in die erste Reihe gestellt, um Moskau die Stirn zu bieten.

Damit ist das Land so vertrauenswürdig geworden, daß die Regierung kürzlich zwei Erfolge feiern konnte: Die Einrichtung einer dauerhaften US-Militärbasis und grünes Licht zur Auszahlung der Wiederaufbau-Gelder, die die Europäische Kommission wegen der angeblichen Beschädigung des Rechtsstaats bisher blockiert hatte. Die Kritiker der PiS-Regierung fordern, daß diese neue internationale Positionierung Polens die Aufmerksamkeit nicht vom Abbau der Demokratie in Polen ablenken dürfe.

Polen ist besonders besorgt über den Konflikt, der derzeit Europa erschüttert, aus historischen und vor allem geographischen Gründen: Es ist das einzige Mitglied der EU und NATO, das sowohl mit Rußland als auch mit der Ukraine gemeinsame Grenzen hat – und außerdem Moskau gut kennt.

Laut Aleks Szczerbiak, Professor für Politologie an der Universität von Sussex (GB) »warnt Warschau ja schon seit geraumer Zeit vor der Agressivität des Kreml«. Die Zeit hat Polen recht gegeben.
Mit diesem »Ich habs ja gesagt!« hat das Land an Glaubwürdigkeit in dem Ausmaß gewonnen, in dem andere daran verloren haben. Slawomir Debski, Leiter des »Polish Institute of International Affairs«, einer Denkfabrik, die die Regierung berät, meint: »In Washington, London, sogar in Berlin und Paris wurde eingesehen, daß Polen recht hatte und Deutschland sich geirrt hat«. Seiner Ansicht nach ist seit dem russischen Einmarsch Warschau die »moralische Führungsmacht der Freien Welt und der Haupt-Verbündete der Ukraine«.

In dem Land haben sich in den letzten Monaten die wichtigsten europäischen Spitzenpolitiker die Klinke in die Hand gegeben, voller Dankbarkeit für die großzügige Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge und für die Organisation von Lebensmittel- und Waffenlieferungen nach Kiew. Aus den USA kamen zuerst die Vizepräsidentin Kamala Harris und dann, am 26. März, Joe Biden.

Der polnische Präsident Andrzej Duda hatte eine Zeitlang ziemliche Mühe, die Beziehungen zu den USA wieder herzustellen, die laut Szczerbiak »schrecklich waren, praktisch existierte kein Kontakt«. Biden kündigte vergangene Woche auf dem NATO-Gipfel in Madrid an, in Polen einen ständigen Generalstab für das 5. Armeekorps einzurichten und ein Unterstützungsbatallion zu stationieren.
»Das ist ein sehr bedeutender Fortschritt«, meint Szczerbiak, den er als »außenpolitischen Erfolg« bezeichnet. »Polen ist in der gleichen Situation wie Deutschland im Kalten Krieg«. Die Ankündigung zeigt laut Szczerbiak, daß die USA die Sicherheit für wichtiger einstufen »als andere problematische Themen, wie Rechtsstaat, Abtreibung, LGBT-Rechte …«

Mit einem Wort, der ganze Demokratie-Schmarrn ist unwichtig, wenn es um einen wichtigen Allierten geht – ähnlich wie in Saudi-Arabien.

Diese neue Aufwertung Polens trifft zeitlich zusammen mit der Entscheidung vom 1. Juli, grünes Licht für die Freigabe des Pandemie-Wiederaufbaufonds an Polen zu geben: 35,4 Milliarden an Krediten und Subventionen, die angesichts der Teuerung und der allgemeinen wirtschaftlichen Bewölkung sehr gelegen kommen, angesichts von Parlamentswahlen im nächsten Jahr. Die Regierung von Mateusz Morawiecki hat sich verpflichtet, einige Aufgaben zu erledigen, im Zusammenhang mit Reformen des Justizsystems, die unter anderem die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter garantieren, um diese Gelder zu erhalten. Allerdings ist niemand mit dieser Vereinbarung zufrieden.

… außer offenbar der polnischen Regierung, weil sie das Geld erhält und die Verpflichtung wurscht ist.

Ein Teil der Opposition und der Zivilgesellschaft sind unzufrieden, weil sie meinen, die Reformen seien oberflächlich. Auch in Regierungskreisen, wo der noch rechts der PiS stehende Koalitionspartner, die Partei Solidarisches Polen, die den Justizminister Zbigniew Ziobro stellt, einige der Kompromisse mit Brüssel in Frage stellt.
In der EU sehen einige Parlamentsmitglieder die rechtlichen Abänderungen als ungenügend an und fordern, die Gelder erst freizugeben, wenn Polen wirklich den rechtlichen EU-Standards entspricht.

Diese Meinung der Parlamentarier interessiert offenbar niemand, was der Verfasserin dieses Artikels etwas unangenehm ist. Das Füllhorn ist nämlich anscheinend ohne irgendwelche Sperrklauseln über Polen ausgeleert worden.

Das allgemeine Wohnwollen hat zu einem guten Teil auch mit den fast 4 Millionen Flüchtlingen zu tun, die in Polen aufgenommen wurden, unter ganz anderen Umständen als die von der Regierung angeschlagenen fremdenfeindlichen Töne angesichts der Flüchtlingswelle von 2015. Als im Februar Hunderttausende begannen, die Grenze zu überqueren, waren keine Notquartiere erforderlich, weil die Bevölkerung sie in ihre Häuser aufnahm. Das hat auch das internationale Image von Polen verbessert.

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Das internationale „Image“ hängt natürlich nicht an den Flüchtlingen, die in Privathäusern aufgenommen wurden. Die Flüchtlinge kommen nur so ins Spiel, daß die Rest-EEU froh ist, wenn die Flüchtlinge in Polen bleiben und nicht in die restlichen EU-Staaten weiterreisen.

Es ist der Autorin sichtlich unangenehm, die Waffenlieferungen und die Kriegsgeilheit in Polen als Grund seiner sich ständig steigernden Bedeutung anzuerkennen.

Da kündigt sich eine neue europäische Großmacht an, die die alten Mächte gerne mit Rückendeckung aus den USA vom Podest stoßen möchte.  

Pinnwand zu heißen Themen

IMPERIALISMUS, NATIONALISMUS UND PROPAGANDA RUND UM DEN UKRAINE-KRIEG

Es ist wieder einmal nötig, zu diesen Themen eine Pinnwand zu erstellen, da es offenbar viel Interesse daran gibt und auch genug Material.

Ich werde mich hier wenig einbringen, aber ich bin überzeugt, andere werden das schon übernehmen.

Vor allem, da der Blog von Neo jetzt verschwunden ist, bleibt sein Fanclub offenbar mir. 🙂