Pressespiegel El País, 18.2.: Gesundbeten mit viel Mühe

„DIE STAATSVERSCHULDUNG SPANIENS STEIGT 2020 AUF 117,1% DES BIP, DEN HÖCHSTEN STAND SEIT DEM KRIEG IN KUBA

Die Verschuldung der öffentlichen Hand nahm im vergangenen Jahr mit der höchsten Geschwindigkeit der Demokratie (also seit 1977) zu

Die Schulden der öffentlichen Institutionen schlossen 2020 mit 1,311 Billionen Euro ab, was 117,1% des BIP entspricht. Dies geht aus der am Mittwoch von der Spanischen Nationalbank veröffentlichten Bilanz hervor.
Die Pandemie hat der Wirtschaft einen brutalen Schlag versetzt, der durch einen starken Anstieg der öffentlichen Ausgaben und damit der Verschuldung ausgeglichen wurde. Dank der ERTE (Entlassungen mit staatlicher Unterstützung für die Abfindungen) und Arbeitslosenunterstützung betrug der Rückgang der privaten Haushaltseinkommen weniger als die Hälfte der Schrumpfung des BIP. “
D.h., der Einkommensverlust der Bevölkerung wurde teilweise durch die öffentliche Verschuldung aufgefangen.
„Dem steht jedoch eine explodierende öffentliche Schuldenlast gegenüber: In nur einem Jahr ist sie um 122 Milliarden Euro gestiegen, praktisch das, was die Sozialversicherung in einem Jahr für Pensionen ausgibt. Laut der Aufzeichnungen der Spanischen NB ist dies der drittgrößte Anstieg der Schulden in Euro, der seit 1977 produziert wurde.
{Im Jahr 2012 stieg die Verschuldung mitten in der Eurokrise und anläßlich des finanziellen Rettungspakets um 146 Milliarden.
Im Jahr 2009, mit dem Ausbruch der Finanzkrise, dem Zusammenbruch der Bautätigkeit und dem Plan E (Spanischer Plan zur Belebung von Wirtschaft und Beschäftigung 2008), stiegen die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand um 128 Milliarden Euro.}
Mit einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität um 11% im vergangenen Jahr macht die Verschuldung im Verhältnis zum BIP den größten Anstieg seit 1977 durch. Sie steigt um 21 BIP-Punkte. …
Die Verschuldung wird normalerweise im Verhältnis zum BIP gemessen, da auf diese Weise die Zahlungsfähigkeit des Landes beurteilt werden kann. Die Verschuldung der öffentlichen Hand erreichte seit 1902 nicht mehr die Höhe von 117% des BIP. Damals war sie aufgrund der Folgen des Krieges um Kuba und der globalen Krise der Agrarpreise 128% des BIP gestiegen. Im folgenden Jahr, 1903, fiel sie auf 114%, nachdem ein Teil der Schulden, die der Staat bei der Spanischen Nationalbank hatte, gestrichen worden war, erklärt der Wirtschaftshistoriker Francisco Comín.“

Daran sieht man den Unterschied zwischen interner und internationaler Staatsverschuldung: Bei ersterer ist eine Schuldenstreichung möglich – international wäre es eine Art Kriegserklärung.

„Entwicklung der spanischen Staatsschuld:

Renommierte Wissenschaftler wie der frühere Chefökonom des IWF, Olivier Blanchard, argumentieren nun jedoch, dass angesichts der Aussicht auf längerfristige Niedrigzinsen eine höhere Verschuldung nachhaltig sein könnte.“

Das ganze Blabla um „Nachhaltigkeit“ von Schulden lebt vom Ideal eines plan- und steuerbaren BIPs und Wachstums, was in die Welt der Wunschträume von Ökonomen und Finanzministern gehört.
Entweder »invisible Hand« oder Planwirtschaft!

„Tatsächlich hatte die Hälfte der Schuldverschreibungen des Finanzministeriums im vergangenen Jahr negative Zinssätze, d.h., der Staat kassierte von Anlegern, die keine anderen genügend sicheren Vermögenswerte fanden, um ihre Liquidität zu plazieren.
Die EZB-Käufe aufgrund der Pandemie erklären, warum dies geschieht. Im vergangenen Jahr hat die Eurobank auf dem Sekundärmarkt einen Betrag erworben, der dem gesamten Anstieg der von Spanien registrierten Schulden entspricht.“
Mit einem Wort, die EZB hat voriges Jahr die gesamten Schuldverschreibungen Spaniens aufgekauft.
„Viele Ökonomen warnen davor, dass diese Verschuldung sehr hoch, und die spanische Wirtschaft einem Schock oder Turbulenzen auf den Märkten ausgesetzt ist.“
Es fragt sich, warum das den besorgten Ökonomen jetzt auffällt? Die Verschuldung war vorher ja auch sehr hoch.
„Es würde ausreichen, wenn die EZB aufhören müsste, so viel zu kaufen, um dies an den erhöhten Zinsen für die neu ausgegeben Anleihen zu spüren.“
Warum sollte die EZB das Gegenteil dessen „müssen“, was sie seit Jahren tut?
Die besorgten Ökonomen nehmen nicht zur Kenntnis, daß die Finanzierung durch die EZB notwendig ist, um Staatspleiten zu verhindern und dadurch den Euro zu retten.

„Daher haben sowohl die Spanische NB als auch die Steuerbehörde wiederholt gefordert, dass ein mittelfristiger Plan zum schrittweisen Abbau der öffentlichen Schuld erstellt werden muß, sobald die Pandemie vorbei ist.“
Abgesehen davon, daß die Pandemie vielleicht nie ganz vorbei sein wird, aber wie sollten denn die Schulden abgebaut werden? Das ginge nur, wenn auf alle neu ausgegebenen Anleihen Negativzinsen verlangt würden, und es ist unwahrscheinlich, daß die Finanzinstitute das mitmachen.
Aber wer weiß …

„Die Zinsen für die Staatsschuld belaufen sich auf rund 26 Milliarden Euro und stellen nach Renten und Gehältern der Beamten den drittgrößten Budgetposten des Staates dar. Vor acht Jahren lag die Rechnung bei 35 Milliarden und drohte noch mehr zu explodieren. Daher waren Sparmaßnahmen erforderlich.“
Da ist ja – vermutlich vor allem durch Null- und Negativzinsen – schon einiges abgebaut worden, Hut ab.
„Bis Mario Draghi mit seinem Satz »Ich werde tun, was nötig ist« intervenierte und die Zinsdifferenzen zwischen den Ländern, die sogenannten Risikoprämien, verringerte.
Die Regierung hat alles getan, dass die Verschuldung nicht 120% des BIP erreicht.“

Das ist offenbar eine magische Zahl, obwohl nicht abzusehen ist, warum 3% mehr den Unterschied ums Ganze machen sollen.
Man könnte doch sagen: Jetzt ist es auch schon wurscht!

„Und das erklärt die Zögerlichkeit beim Anfordern direkter Hilfe. Allein die Kosten für ERTE (Entlassungen mit Abfindung, siehe weiter oben) und die Zuschüsse für Selbstständige beliefen sich im vergangenen Jahr auf fast 40 Milliarden Euro. Trotzdem gab es vor Covid-19 bereits ein Problem mit öffentlichen Bilanzen. Diese schlossen 2019 mit einem Defizit von rund 3% des BIP nach sechs Jahren ununterbrochenen Wachstums. Weder Rajoys Steuersenkung noch Sánchez’ „soziale Freitage“ (= soziale Maßnahmen, die am Freitag nach Schließung des Parlamentes beschlossen werden) oder die Erhöhung der Renten haben dazu beigetragen, die Haushaltslücke zu schließen.“
Dafür waren diese Maßnahmen auch alle nicht gedacht.
Der Verfasser dieses Artikels hält Erhöhung von Pensionen und Mindestlöhnen anscheinend für schädlich und verantwortungslos.

„Wie Comín erklärt, hatte Spanien immer Probleme, Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Mit Ausnahme einiger Perioden der Franco-Diktatur und mit Fernández Villaverde als Minister zu Beginn des letzten Jahrhunderts hat der spanische Staat fast nie Überschüsse in Folge verzeichnen können. Die Regierung von Zapatero war einige Jahre lang erfolgreich, aber die Krise von 2008 zeigte, dass sie auf den durch die (Immobilien-)Blase angeschwollenen Einnahmen beruhte.
Die schwierige Aufgabe, Einnahmen und Ausgaben auszugleichen
In der neueren Geschichte Spaniens war der Abbau der Verschuldung gegenüber dem BIP auf vier Arten möglich:
Erstens, durch Abstimmung mit der EU und Privatisierungen, wie dies die Regierungen von Felipe González und José María Aznar taten. Heute ist allerdings das Wachstumspotenzial der Wirtschaft ohne Reformen recht gering, und der Staat kann nur noch sehr wenig zum Verkauf anbieten.“

D.h., Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, von der EU gewollt und in Staaten wie Spanien mit Entlassungen und Arbeitsplatzverlusten verbunden, wie z.B. bei den Werften und beim Bergbau. Damit wurden zwar Schulden abgebaut, aber die Wirtschaft schrumpfte.

„Zweitens durch die Erhöhung der privaten Verschuldung, die das BIP erhöhte und die Schuldenlast verringerte, wie dies während der Amtszeit von José María Aznar und José Luis Rodríguez Zapatero der Fall war. “
Man schwatzt also den Menschen Kredite für Wohnbau und Konsumakte auf, die das Wirtschaftswachstum erhöhen, zu Lasten der Kreditnehmer. Dieses System platzte 2008, was nicht heißt, daß die private Verschuldung zurückging:
„Derzeit ist die private Verschuldung jedoch so hoch, dass für diese Option kein Platz mehr bleibt.
Der dritte Weg besteht darin, Banknoten zu drucken und Inflation zu erzeugen, was von Madrid aus nicht mehr möglich ist, da diese Macht in Frankfurt in den Händen der Europäischen Zentralbank liegt.“
Sehr altmodisch, die Ausdrucksweise, und dümmlich auch.
Erstens wird die Geldmenge heute durch Mausklicks erhöht, oder durch die Tastatur, aber nicht mehr durch die Druckerpresse, also mittels Bargeld. Zweitens macht das die EZB seit Jahren und jammert gleichzeitig, daß sie dabei keine nennenswerte Inflation zustandebringt.
Der Verfasser ruft Textbausteine aus Ökonomielehrbüchern ab und argumiert gegen die Tatsachen.

„Und die vierte Möglichkeit besteht darin, die Schulden … umzustrukturieren. Eine Praxis, die bei weiterer Staatsverschuldung die Zinsen erhöht, und die ebenfalls der spanischen Regierung nicht mehr möglich ist, da Spanien dem Euro-Club angehört.
Dort erhielt die deutsche Doktrin Gültigkeit, die zum Ausgleich der Konten von Südeuropa eine Haushaltskonsolidierung und eine interne Abwertung verlangt, die die Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellt und es nach und nach ermöglicht, Schulden abzuzahlen. Natürlich ist es ein Prozess, der viel mühsamer und langsamer erscheint
– aber der Schein trügt, weil die Schulden ja nicht abgebaut werden, sondern steigen.
„und der vorübergehend durch die Pandemie unterbrochen wurde.“
Wenn die Pandemie nicht wär, so wär Spanien Millionär! Der Autor bedient sich des Verweises auf die derzeitigen Umstände, um an seinen Illusionen über Schuldenabbau festzuhalten.
Außerdem ist hier zu bemerken, daß gegen die deutsche Doktrin auch nichts gesagt werden soll, ganz im Gegenteil, sie wird indirekt sogar gelobt.

„Allerdings verfügt Spanien dank der europäischen Solidarität diesmal über finanzielle Mittel, um die Investitionen zu erhöhen und das Wachstum zu steigern mit dem Ziel, diese Schulden zu finanzieren. Aus diesem Grund warnen Experten, dass Spanien diese Ressourcen gut investieren muss, um seine Chancen nicht zu verspielen.
Es ist wichtig, die Glaubwürdigkeit zu wahren
Das Wirtschaftsministerium ist erfreut darüber, dass die Verschuldung unter den im Haushaltsplan geschätzten 118,8% geblieben ist.“
Das ist bei etwas Bilanzkosmetik nicht schwierig, macht aber nur auf Leute Eindruck, die die Spiegelfechterei für das wichtigste Instrument der Finanzpolitik halten.
„Und er führt dies auf die Tatsache zurück, dass sich die Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 besser entwickelt hat. Er betont auch, dass der größte Teil des Anstiegs durch gesamtstaatliche Zahlungen aufgrund von Beihilfen wie ERTE (Abfindungen, siehe oben) und den 16 Milliarden, die an die Gemeinden überwiesen wurden, erfolgt ist, zur Deckung der durch die Pandemie entstehenden Kosten.“
Das Wirtschaftswachstum entstand also durch staatliche Zahlungen, die auf Schulden beruhen.
Der Unterschied zur vorherigen Krise besteht darin, dass Europa diesmal schnell reagierte. Dennoch ist es wichtig, die Glaubwürdigkeit der Anleger aufrechtzuerhalten. »Der bloße Eintritt von Draghi in die italienische Regierung hat die Risikoprämie Italiens erheblich gesenkt. Es hilft jedoch nicht, Nachrichten des Inhalts nach draußen zu senden, daß sie Schulden nicht bezahlen wollen, wie die Aufforderung an die EZB, sie zu streichen«, betont Comín.

Der Schein muß also unbedingt gewahrt bleiben, daß alle Schulden gültig bleiben und ordnungsgemäß bedient werden.

Pandemie und Finanzwelt, Teil 2

NULLZINSEN – FÜR WEN UND WOFÜR?
Zum Artikel von S. Kaufmann in der FR
„Erreichten die Zinsen in den Industriestaaten real – also abzüglich Inflation – in den 80er-Jahren im Durchschnitt noch sieben Prozent, so bringen sie inzwischen fast keine Rendite mehr. Ein Ende ist nicht abzusehen. In den USA stehen »auf Jahre hinaus« Nullzinsen an, so die Commerzbank, und in Europa und Japan dürfte das nicht anders sein.“
Soso. „Die Zinsen“ stehen auf Null.
Man muß einmal fragen: Welche Zinsen? Also welche Schuldner zahlen welchen Gläubigern Null Zinsen?
Weil daß nicht alle Nullzinsen zahlen, ist jedem wohlbekannt, der nur entfernt etwas mit Bank oder Krediten zu tun hat.
„Die durchschnittlichen Zinsen für Wohnbaukredite an private Haushalte in Euro waren im September 2020 mit 1,28 % um 29 Basispunkte niedriger als vor Jahresfrist.“ (ÖNB, 22.11.)
Bei diesem „Durchschnitt“ muß man folgendes in Betracht ziehen:
1. Bei einem Wohnbau– oder sonstigem Immobilienkredit sind die Zinsen höher oder niedriger nach dem Anteil der Eigenmittel. Je mehr Geld jemand selber hat, um so weniger muß er oder sie Zinsen zahlen. Wie ärmer jemand also ist, um so höhere Zinsen muß er brennen.
2. Dieser Durchschnitt bezieht sich auf eine bestimmte Laufzeit. Bei längerer Laufzeit verringert sich der Zinssatz, aber die zu bezahlende Zinssumme erhöht sich.
3. In einen Kreditvertrag für Immobilienerwerb fließen viele Faktoren ein, sodaß sich meistens der Laie überhaupt nicht auskennt. Im Rahmen dessen kommen Gebühren aller Art hinzu, die nicht als Zins ausgewiesen sind, vom Standpunkt des Schuldners aber genau das sind: Preis für das geliehene Geld.
Vermutlich ist es noch zu niedrig gegriffen, wenn 5-7% als normale Zinsen für einen Immobilienkredit angesetzt werden. Dennoch kriegen sich die Kreditportale der mit Kunden nicht allzu reich gesegneten Kreditinstitute kaum ein, wie günstig die Gelegenheit ist, und wie Kreditkunden „aus dem Vollen“ schöpfen können!
Bei Kontoüberziehung werden zwischen 7 und 13% berechnet, wie man dem Internet entnehmen kann.
Eine andere Sache sind Autokäufe. Hier ist das Leasing ein bewährtes Mittel, den Zinssatz zu verschleiern und mit Kaskoversicherung usw. zu vermischen.
Aber auch die berühmten Klein- und Mittelbetriebe (KMU) kommen nur äußerst mühsam an halbwegs tragbare Kredite, was man so liest.
Die Null- und Negativzinsen sind also den oberen Sphären des Finanzkapitals und den öffentlichen Schuldnern vorbehalten. Sie sind sozusagen das Schmiermittel für den Kreislauf des Geldes und der Währungen zwischen den souveränen Schuldnern und den an der Geldschöpfung beteiligten Geldinstituten.
„Nur so lassen sich die staatlichen Defizite und die hohen Schulden der Unternehmen finanzieren.“
Dieser lapidare Satz hat viel Inhalt. Er heißt nämlich: Die Defizite der Staaten und die Schulden der Unternehmen haben Dimensionen, die den Akteuren selbst nicht geheuer sind, und es gibt keine Perspektive, daß sie sich je wieder verringern werden. Sie sind da, um zu bleiben.
Aber wenn man für dieser (Un)Summen die Zinsen abschafft, so kann man noch eine Zeitlang weitermachen.
„Diese Kombination – die Regierungen machen Schulden, die Zentralbanken kaufen sie auf und verwandeln sie im Zusammenspiel mit den Privatbanken in zusätzliches Geld – beruht darauf, dass die Inflation nicht anzieht.“
Die Inflation „zieht nicht an“, d.h., es gibt praktisch keine.
Warum nur?
Die Inflation – also Preissteigerungen –, setzt Kaufkraft voraus. Waren werden erzeugt, nachgefragt, verkauft, die Kassen klingeln, und deswegen können Preise auch erhöht werden, und die Waren bleiben dennoch nicht liegen.
Davon kann schon seit geraumer Zeit keine Rede sein. Die ganzen Billionen schwappen eben nur in den oberen Etagen herum, und kommen nie zu den Normalverbrauchern. Diese wiederum verfügen über eine begrenzte Kaufkraft, die für ein „robustes“ Wachstum nichts hergibt.
Und so dümpelt die Inflation seit geraumer Zeit in der 1%-Zone herum. Vor Jahren, in der Ära Draghi, der diesen Zustand mit seinen Aufkaufprogrammen der EZB für Anleihen erst dauerhaft gemacht hatte, wurde dies noch beklagt. Inzwischen hat die Finanzwelt ihren Frieden damit gemacht und sieht das als gute Grundlage dafür an, mit den Nullzinsen in der oberen Etage doch noch irgendwelche schwindligen Geschäfte mit Wertpapieren und Derivaten zu machen.
„So sieht es aus, das »befremdliche Gleichgewicht« der Weltwirtschaft: Ihr Potenzialwachstum ist schwächlich, die Finanzpolitik bleibt daher expansiv angesichts der sozialen Probleme und der Notwendigkeit öffentlicher Investitionen in Energieversorgung, Greentech und Digitalisierung. Die stärkere Rolle des Staates, so die Schweizer Bank Credit Suisse, werde die Pandemie weit überdauern.
Was wohl „Potenzialwachstum“ sein soll?
Das reale Wachstum ist schwach bis gar nicht vorhanden, aber irgendwo gibt es Oasen, wo findige Leute noch Geld machen können, indem die sichtbare Hand der schuldenmachenden Staatsgewalten dort für Zahlungsfähigkeit sorgt.
Bemerkenswert, wo die ganze volkswirtschaftliche Lehre des Wohlstands durch Privatisierung, Wachstum durch Eigeninitiative, freie Konkurrenz der Kapitale usw. gelandet ist: Wie Lieferanten stellen sich Bankiers und Finanzmagnaten bei der Hintertür der Nationalbanken und der EZB an, um dort Garantien, Liquidität und sonstige Rettungsreifen zu erhalten, wegen der vielen Miesen, die sie in den Bilanzen stehen haben. Sie sind ja – und das ist richtig – systemwichtig.
Vorne hingegen treten sie als Financiers und Geschäftsleute mit dicken Koffern auf (in die von den bei ihnen verschuldeten Staaten Geld hineingestopft wurde) und ermöglichen als eine Art Wohltäter den Fortschritt, den Straßenbau, den sozialen Wohnbau, die Entwicklung der Zukunftsindustrien usw. usf.
Auch mit dem Auspressen anderer Kontinente zur eigenen Bereicherung scheint es vorbei zu sein:
„Die großen Gewinne der Integration Chinas und anderer Schwellenländer mit ihrer billigen Arbeit sind im Wesentlichen ausgeschöpft“, urteilt die Berenberg Bank. Der KOF Globalization Index zeigt laut Credit Suisse, dass die wirtschaftliche Globalisierung bereits seit 2007 stagniert.“
Das verflixte Jahr 2007 – der Anfang der Finanzkrise, der die Kreditschöpfung aus dem Nichts auf ihre ökonomischen Grundlagen zurückverwies – leitete den Niedergang der Alten Welt ein. Die Finanzierung der Kaufkraft durch Kredit kam an ihr Ende.
„»Manchmal«, schrieb der US-Ökonom Branko Milanovic, »glaube ich, dass das Virus auch gekommen ist, um uns zu lehren, dass die Hälfte aller selbstverständlichen Wahrheiten in politischer und ökonomischer Wissenschaft schlicht falsch sind.«“
Die Hälfte?

Die Pandemie und die Finanzwelt

NORMALITÄT ODER AUSNAHMEZUSTAND?
Zum Artikel von S. Kaufmann in der FR
In einem bemerkenswerten Artikel weist Kaufmann auf die Widersprüche in der Berichterstattung zur angestrebten wirtschaftlichen Erholung „nach Corona“ hin. Manche Gedanken sind es wert, weitergedacht zu werden.
Er zitiert die optimistische Prognosen der UBS, immerhin einem Global Player mit gewisser Betriebserfahrung:
„Dies mache 2021 zum „Jahr der Erneuerung“, so die Schweizer Bank UBS. Die Unternehmen fassten wieder Vertrauen und investierten mehr. Einen Schub erhält der private Konsum, da die Menschen im vergangenen Jahr hohe Ersparnisse aufgebaut hätten und dieses Geld nun in die Geschäfte tragen würden.“
Die UBS meint also, durch die Lockdowns sei Kaufkraft geschaffen worden.
In Wirklichkeit ist es doch umgekehrt: Kaufkraft wurde vernichtet. Die Arbeitslosenzahlen sind angestiegen, auch die in Österreich übliche Kurzarbeit bedeutet teilweisen Einkommensverlust.
Das kann der UBS nicht unbekannt sein.
Das Märchen von dem vielen Geld in den Matratzen ist erstens ein volkswirtschaftlicher Dauerbrenner, demzufolge es keine armen Menschen gibt, sondern nur zu sparsame. Menschen ohne Geld bzw. ohne Kaufkraft existieren nämlich in der Volkswirtschaft nicht.
Zweitens kann das Märchen dennoch wahr werden, indem Wohltäter wie die UBS einspringen und Konsumentenkredite erteilen. Da helfen sie erstens den Konsumenten, ihren in Lockdown-Zeiten aufgestauten Kaufdrang zu befriedigen. Gleichzeitig stellen sie sicher, daß König Kunde auch seiner – vom Standpunkt der Wirtschaft – Kaufpflicht nachkommen kann, weil sonst wäre nämlich auch das „Vertrauen“ der Unternehmen futsch und sie würden nix investieren!
„Ende des Jahres dürfte die Wirtschaftsleistung in den großen Industriestaaten wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben.“
Das hat was von einem Wiegenlied an sich, mit dem die UBS sich und andere Akteure der Börsen in den Schlaf singt.
„Eine Fortsetzung des Booms wird nicht erwartet, das potenziell mögliche Wachstum hat sich durch die Corona-Krise eher noch weiter abgeschwächt.“
Also erst erfindet man einen möglichen Boom, dann ist man damit beschäftigt, die Prognose etwas zu dämpfen, damit sie nicht ganz unglaubwürdig wird. (Für wen?)
„Die Staaten sind daher weiter als Finanziers und Stützen des Aufschwungs gefragt.“
Das heißt, der Aufschwung – zumindest in der EU und den USA – war die letzten 10 Jahre aus Staatskredit finanziert.
Das ist zwar kein Geheimnis für Brancheninsider und Finanzexperten, wird aber selten offen ausgedrückt.
Nicht ganz klar ist dieser Satz:
„Bereits 2020 hat sich weltweit die Staatsschuldenquote um 20 Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung erhöht.“
Man kann ihm zumindest entnehmen: Die Staatsschulden sind gestiegen.
„2021 geht es weiter: In den USA steht ein neues Konjunkturpaket über 900 Milliarden Dollar an, in Europa geht der 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbaufonds an den Start, die Bundesregierung plant mit einem Defizit von 180 Milliarden. »In den meisten anderen Euro-Ländern dürften sich die Fehlbeträge gemessen an der Wirtschaftskraft in einer ähnlichen Größenordnung bewegen«, prognostiziert die Commerzbank.“
Wieso eigentlich „Fehlbeträge“? Als der Euro aus der Taufe gehoben wurde und bis 2008 galten die Staatsschulden eigentlich nicht als etwas, wo etwas fehlt. Sie waren Ausweis der Verschuldungsfähigkeit der Staaten. Freude war angesagt: Das internationale Finanzkapital vertraut uns und dem Euro!
Daß die Staatsschuld inzwischen als „Fehlbetrag“ angesehen wird, deutet darauf hin, daß den Akteuren der Verschuldung und auch ihren Kreditgebern nicht so wohl in ihrer Haut ist. Die Commerzbank hat nämlich im letzten Jahrzehnt ziemliche Geldsummen aus der deutschen Staatskasse und von der EZB bekommen, sie weiß genau Bescheid, daß der Staatsverschuldung eine Bankverschuldung gegenübersteht, eine Art leerer Kreislauf – ein Blinder stützt sich auf einen Lahmen. Oder, ein besseres Bild: Zwei Übergewichtige halten einander mit ihrem Fett über Wasser.
„Möglich und finanzierbar bleiben die steigenden Schulden wegen der niedrigen Zinsen.“
Das ist irreführend. Natürlich sind die niedrigen Zinsen besser als hohe, wenn man sich schon verschulden muß. Möglich wird das alles aber nur, weil die heutigen Währungen auf Schulden beruhen und die politische Macht und das Finanzkapital einander beglaubigen. So entsteht eine Art perpetuum mobile der Geldschöpfung, immer mehr losgelöst von tatsächlichen Gewinnen aus der nationalen und internationalen Geschäftssphäre. Die Betreiber dieser eigenartigen Zusammenarbeit, die Politiker, Notenbanker und Privatbanker, haben begründete Zweifel, daß diese sich unbegrenzt fortsetzen läßt.
„Bereits 2020 brachte eine »nie dagewesene Fusion von Fiskal- und Geldpolitik«, so die UBS.“
Es mag ja sein, daß die Verschränkung der beiden Seiten vorher geringer war, aber vom Himmel ist sie nicht gefallen. Das „nie dagewesen“ bezeichnet nur eine Steigerung der jeweiligen Geldflüsse und Garantien, aber das System selbst ist nicht neu.
„Die Defizite der Regierungen summierten sich auf elf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung, während allein die bedeutendsten Zentralbanken zwecks Zinssenkung fünf Billionen Dollar in den Markt pumpten.“
5 Billionen sind, nur der Information halber, 5000.000,000.000 oder 5000 Milliarden. Die oben erwähnten 3stelligen Milliardensummen für Konjunkturpakete passen da gut dazu.
Was die 11 % betrifft, so sind darin nur die Summen versammelt, die offiziell sind, durch die Parlamente gehen und in die Statistiken eingehen. Daneben gibt es aber auch noch jede Menge Bürgschaftskredite, Regionalschulden, als Gebühren verbuchte Zahlungen, als Zahlungen getarnte Subventionen und ähnliches, was dann bei Rettungsaktionen à la Griechenland oder Argentinien plötzlich in irgendwelchen Bilanzen auftaucht und schnell wieder in einem anderen virtuellen Kasten versteckt werden muß, bevor diese Zusatz-Schulden die ohnehin angeschlagene Bonität des Schuldners endgültig kippen könnten.
„Dies bewerkstelligten sie, indem sie Massen an Staatsanleihen und anderen Schuldscheinen aufkauften und sich so indirekt als Finanziers betätigten.“
Warum eigentlich „indirekt“?
Die Zentralbanken – also die Fed, die EZB, die Bank of Japan – finanzieren die Staaten, indem sie ihre Anleihen aufkaufen.
Die Fed macht das ganz direkt, wobei die dezentrale Struktur der Fed die Unterschiede zwischen Schuldner und Gläubiger oft verwischt.
Die Bank of Japan stellt eine Art Stützung der Unternehmensbanken sicher, die immer von oben mit Liquidität ausgestattet werden und daher auch problemlos im Gegenzug die Staatsanleihen aufkaufen. Lange war das ein geschlossenes System, aber inzwischen hat sich eingebürgert, daß die japanischen Anleihen auch von US-Banken, in Zusammenarbeit mit der Fed, aufgekauft werden, als eine Art politökonomische Hilfeleistung – um Japan gegen China enger an die USA zu binden und gleichzeitig dem Dollar durch den Yen zusätzliche internationale Stützung zu verschaffen.
Die EZB hat es sich in ihre Statuten geschrieben, daß sie keine Staatsanleihen direkt aufkaufen darf. Das „indirekt“ gilt also strenggenommen nur für die EZB. Durch das Aufkaufen von Staatsanleihen über die kommerziellen Banken verschafft sie denen durch den Aufschlag auf den Einkaufspreis ein Geschäft, was diese Banken gut brauchen können, da es bei ihnen seit geraumer Zeit gar nicht rund läuft.
„Ende kommenden Jahres wird die EZB voraussichtlich 43 Prozent der deutschen Bundesanleihen halten und zwei Fünftel aller Anleihen des italienischen Staates.“
Das heißt, daß die EZB mehr Prozent an deutschen Staatsanleihen als an italienischen hält, weil zwei Fünftel sind 40%.
Deutschland, das sich als Vorbild und solide schwäbische Hausfrau hinstellt, finanziert sich also zu einem höheren Prozentsatz aus der EZB als das krisengeschüttelte Italien.
Vermutlich nach dem Motto: Wer hat, dem wird gegeben.
„Ihre Politik hat die Zinsen so weit gedrückt, dass mittlerweile auch Staatspapiere des ehemaligen Euro-Krisenlandes Portugal unter null Prozent gefallen sind.“
Portugal konnte bereits im Frühjahr 2019 Negativzinsen verlangen, das wurde allerdings von den internationalen Medien nicht groß aufgegriffen. Vermutlich verstanden sie erstens nicht, warum und wollten zweitens durch eine solche Meldung nicht Zweifel an der allgemeinen Fiskal- und Sparpolitik der EU nähren.
Der Artikel Kaufmanns gibt noch einiges her, aber lassen wir es einmal gut sein.