Ungarns Staatsschuld und ihre Besprechung in den Medien
Ungarns Staatsschuld macht nach verschiedenen Berechnungsweisen heute zwischen 80 und 90% des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Zahlungsunfähigkeit des Landes wurde durch einen IWF-Kredit abgewendet. Eine Besserung der Lage ist nicht abzusehen.
Das Rating des Landes liegt bei BBB, und da weist die Tendenz eher nach unten als nach oben.
So weit, so schlecht.
Man muß einmal die Begrifflichkeit des Jargons der diversen Wirtschaftsblätter verlassen, um zu verstehen, um was es da geht und was das für den ungarischen Staat, die ungarischen Unternehmen und die ungarischen Normalverbraucher heißt.
Ungarn hatte zum Zeitpunkt der Wende 1989/90 die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Staaten des COMECON. Die ungarischen sozialistischen Politiker der 80-er Jahre hatten also überhaupt keine Bedenken gehabt, ihr Land bis über die Ohren zu verschulden, um die wirklichen oder eingebildeten Mängel ihres Wirtschaftssystems durch mittels Kredit finanzierte Einkäufe auf dem Weltmarkt zu kompensieren.
Die postsozialistischen Regierungen sahen gar die Verschuldung als eine Art Garantie an, daß ab jetzt „ordentlich“ gewirtschaftet würde, und die internationalen Experten von Weltbank, IWF, und anderen Instituten ihnen schon das Profitmachen beibringen würden.
Und Ungarns Schuldenberg wuchs, während seine Wirtschaftsleistung zurückging.
Die einzige Regierung, die von einer von Fidesz geleiteten Koalition unter Viktor Orban (1998-2002), die diesen Schuldenberg als höchst problematisch ansah und sich bemühte, die Wirtschaftsleistung zu befördern und Schulden abzubauen, bekam im Westen gar keine gute Presse. Sie wurde als nationalistisch und voluntaristisch beschimpft, und ihre politische Ausrichtung, die in etwa der der CSU entsprach, in die Nähe des Neofaschismus gerückt. (Es schadet nicht, daran zu erinnern, weil diese Partei die nächsten Wahlen gewinnen wird.)
An dieser Behandlung und Besprechung kann man einmal eines sehen: Die internationalen Finanzinstitutionen und die Medien wollen, daß Ungarn hohe Schulden hat. Sie wollen nicht, daß dieses Land (und übrigens andere auch) sich aus dem Teufelskreis der Verschuldung befreit. Das Anhäufen und die Bedienung von Schuld um jeden Preis werden als Zeichen von Botmäßigkeit angesehen. Mit solchen Ländern kann man Schlitten fahren, sie gefährden das eingespielte Gleichgewicht der imperialistischen Konkurrenz nicht, sondern fügen sich in die Rolle, die ihnen von den Welt- und Wirtschaftsmächten zugewiesen wird: Verlängerte Werkbank, billiges Arbeitskräftereservoir, und Geschäftsmittel für westliche Banken und exportorientierte Unternehmen. Die Aufgabe der Staatsgewalt in diesen Ländern ist, ihre Bevölkerung so zu verwalten, daß sie sich das alles gefallen läßt und keine Unruhe verursacht. Dafür werden diese Staatsgewalten auch weiter mit Kredit alimentiert und ihre Vertreter dürfen sich in internationalen Gremien mit den Großen an einen Tisch setzen.
Ein guter Teil der heutigen Schulden Ungarns dient der Bedienung der vorherigen, ist also kein Geld, das der ungarischen Wirtschaft, dem Staatsapparat oder der Bevölkerung (Beamtengehälter, Pensionen usw.) zugutekommt.
Es wird heute in Ungarn als großer Erfolg bejubelt, wenn es eine Anleihe auf internationalen Märkten plazieren kann. Denn nur so ist sichergestellt, daß Ungarn überhaupt weiter als zahlungsfähig angesehen wird. Und alles so weitergeht wie bisher.
Mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit im vorigen Jahr und dem IWF-Stützungskredit ging ein einiges Raunen durch den Blätterwald, daß die ungarische Regierung jetzt Sparmaßnahmen ergreifen müsse, da sie bisher „schlecht gewirtschaftet“ hätte.
Auch seltsam.
Sonst heißt es doch immer, Staaten können nicht wirtschaften, das können nur private Unternehmer.
Aber wenn ein Staatshaushalt zu hohe Verschuldung aufweist, so wird immer der betreffende Staat quasi als Wirtschaftssubjekt entdeckt.
Das heißt gemäß der Vernunft der Nationalökonomen: Er hat zu viel ausgegeben und zu wenig eingenommen.
Schauen wir einmal die Seite der Einnahmen an.
Während in der Eurozone 2009 mehrheitlich Deflation oder zumindest Preisstabilität herrschte (das wird nicht an die große Glocke gehängt, um nicht die Wirtschaft „krankzureden“, de facto war es jedoch so), gibt es in Ungarn eine Inflation, also Preissteigerungen. Der IWF hat nämlich Ungarn als eine der Bedingungen seines Stützungspaketes verordnet, seine Einnahmen zu erhöhen. Also wurden in Ungarn diverse Steuern und Abgaben erhöht, wie z.B. die Mineralölsteuer. Und die Preise stiegen, ohne daß sich Unternehmergewinne oder Gehälter erhöht hätten. Auf gleichbleibende oder sinkende Einnahmen der Bürger wurden also höhere Abgaben verordnet und dadurch die Bevölkerung fest weiter verarmt. Die Zahlungsfähigkeit geht also weiter zurück, was wieder für die Wirtschaft negative Folgen haben wird: der Markt schrumpft.
Als nächstes die Ausgaben.
Da sind zunächst einmal die Staatsangestellten. Beamte, Lehrer, Wissenschaftler, Eisenbahner, Richter, Müllabfuhr usw. dürfen nicht mehr verdienen als bisher, oder werden sogar abgebaut.
Infrastruktur-Investitionen dürfen nicht vom Staat, sondern können nur über weitere Kredite finanziert werden. Damit wächst die Staatsverschuldung.
Gemeinden müssen schauen, wo sie bleiben. Wenn sie ihre Ausgaben nicht aus ihren Einnahmen finanzieren können, müssen sie auf dem Kreditmarkt Schulden aufnehmen, und wo das nicht mehr geht, Konkurs anmelden. Schulen, Kindergärten, Sozialhilfeempfänger, Straßen, Krankenhäuser, Rettungsdienste in der Provinz stehen also auf dem Spiel.
Agrarsubventionen und Exportstützungskredite fallen flach, und der ganze Sozialstaat wird einer Revision unterzogen: Arbeitslosenunterstützung und Krankenversicherung, und das Pensionssystem – vor Jahren teilprivatisiert, als eine Art Pilotprojekt in den ehemaligen sozialistischen Staaten, inzwischen wurde diese Privatisierung wieder teilweise zurückgenommen, weil diverse private Pensionsfonds aufgrund der Krise zahlungsunfähig geworden sind – wie geht es hier weiter? Wo kann man da eigentlich noch „sparen“?
Wenn im Frühjahr in Ungarn eine neue Regierung an die Macht kommt, mit der bei demokratischen Wahlen üblichen Versprechung, alles besser zu machen – was hat sie für einen Spielraum? Entweder sie übernimmt die bisherigen Maßnahmen 1 zu 1, bricht also alle Wahlversprechen und nimmt den weiteren Abwärtstrend der ungarischen Wirtschaft in Kauf. Oder sie dringt auf neue Konditionen, setzt die Maßnahmen der Vorgänger-Regierung außer Kraft und verhandelt z.B. den IWF-Stützungskredit neu.
Was dann geschieht, steht in den Sternen. Aber das wäre auf jeden Fall wieder einmal eine Erschütterung des internationalen Kreditsystems.
Werden ungarische Schulden gestundet? Wenn ja, zu welchen Konditionen und in welchem Ausmaß? Und mit welchen Folgewirkungen, auf andere, ähnliche Fälle? (Lettland, Island, Griechenland?)
Verweigert der IWF und andere Institutionen solch ein Begehr?
Stürzt der Forint ab?
Verlieren dadurch westliche Unternehmen den ungarischen Markt?
Was für Auswirkungen hat das auf die Nachbarstaaten: Ukraine, Rumänien?
Und auf den Euro?