Hochspannung

EUROPAS FOTOZELLENINDUSTRIE
Es war eine echte EU-Erfolgsstory. Deutschland entwickelte eine Solarzellenindustrie, propagierte diese umweltfreundliche Form der Energiegewinnung, subventionierte den Einbau von Solarzellen am Dach, und baute auch die Solarenergie als autarke Energiegewinnungs-Methode in das nationale Energie-Mix-Programm ein. Eine wunderbare Zusammenarbeit von Staat und Kapital fand hier statt, wo Umweltauflagen, Förderungen und Gesetze den Aufbau einer erfolgreichen Branche ermöglichten. Besonders tauglich erwies sich das Zauberwort „umweltfreundlich“, das ja jedes Geschäftsinteresse adelt und vom Verdacht des Eigennutzes auf Kosten der Allgemeinheit befreit.
Diese Erfolgsstory setzte sich dann in der EU fort. Solarenergie wurde zu einem EU-Programm, es gab Förderungen für ihren Ausbau, eine neue Zukunftsindustrie wurde gefeiert, diverse EU-Staaten begannen den Aufbau von Solarenergie-Zentren, deutsche Banken unterstützten diese Unternehmungen durch Kredit an Firmen, Regionen und Gemeinden, und alle freuten sich. So ließen sich nämlich auch bisher brachliegende Einöden kapitalistisch nutzen.
Und jetzt ist Katzenjammer angesagt, wegen der Chinesen nämlich.
„2011 exportierte China Solarzellen und andere Komponenten im Wert von 21 Milliarden Euro … Seit 2010 haben in Europa 28 Solarzellenhersteller Insolvenz angemeldet, 4 wurden von chinesischen Investoren gekauft und 11 weitere haben entweder die Produktion zurückgefahren oder dem Sektor den Rücken gekehrt.“ (El País, 30.9.)
Die EU will jetzt mit einer Anti-Dumping-Klage gegen diesen angeblich unfairen Wettbewerb vorgehen. Es stellt sich nämlich heraus. daß China tupfgleich dasselbe macht wie die EU und seine Exporte subventioniert. Das nachzuweisen wird aber erstens schwierig, zweitens wird es aber noch schwieriger, die bei solchen Anti-Dumping-Maßnahmen üblichen Sanktionen in Form von Einfuhrbeschränkungen zu verhängen. Erstens überleben manche der europäischen Solarzellen-Hersteller nur deshalb, weil sie Vorprodukte billig aus China einkaufen. Zweitens aber habe solche Sanktionen meistens Reaktionen zur Folge, und die EU kann sich gegenüber China nicht leisten, Marktanteile aufs Spiel zu setzen oder chinesisches Investment in der EU zu gefährden. Die ganze Antidumping-Gesetzgebung wurde ja im Grunde als Einsatzmittel gegen imperialistisch schwächere Nationen oder deren Unternehmen geschaffen, und versagt als Waffe der Konkurrenz gegenüber einem so dicken Brummer wie der VR China.
Der Schaden ist schon so groß genug, aber läßt auch häßliche Perspektiven für die Zukunft erkennen:
„Wenn sie eine Industrie mit solchen niedrigen Lohnkosten ruinieren können, warum sollten sie das auch nicht mit anderen europäischen Industrien tun?“ (El País, 30.9.)
In der Tat, warum nicht? Das ist ja genau das, was Deutschland innerhalb der EU gemacht hat und jetzt als seinen Erfolgsweg feiert.

321 Gedanken zu “Hochspannung

  1. Die deutsche Industrie hat in erster Linie wegen niedriger Lohn*stück*kosten ihre Exporterfolge geschafft. Dann dürfen die Lohnkosten pro Arbeiter ruhig höher sein als in Konkurrenzländern (wenn man die auch noch absolut senken kann, oder wenigstens die Verteuerung vergleichsweise geringer ausfällt, umso besser für die Konzerne). Das geht natürlich nur mit ensprechender Kapitalausstattung um die überlegene Produktivität auch herbeoorganisieren zu können.

  2. Das stimmt natürlich, aber die Verlogenheit der Beschwerde mit dem Antidumping liegt doch darin, daß man den anderen wettbewerbsverzerrende Praktiken vorwirft, wenn sie einem einen Strich durch die Rechnung machen. In Griechenland ist Lohndrücken angesagt, weil man weiß, daß von dort keine Konkurrenz droht, und in China soll es ein Skandal sein, wenn die Löhne niedrig sind?
    Außerdem soll man nicht vergessen, daß Schröder stolz mit seiner Agenda 2010 angegeben hat, Deutschland habe den besten Billiglohnsektor der EU, und Frau Lagarde, als sie noch Finanzministerin in Frankreich war, böse die Deutschen wegen ihrer „Lohnzurückhaltung“ gerügt hat, weil sie sich da einen unfairen Konkurrenzvorteil verschafft hätten. Es ist zwar die Produktivität, die in der Konkurrenz entscheidet, aber die Methoden der absoluten Mehrwertproduktion werden von Staat und Kapital deshalb keineswegs verschmäht.

  3. Mir ging es darum, deinen Schluß nicht unwidersprochen stehen zu lassen:
    “„Wenn sie eine Industrie mit solchen niedrigen Lohnkosten ruinieren können, warum sollten sie das auch nicht mit anderen europäischen Industrien tun?“ (El País, 30.9.)
    In der Tat, warum nicht?”
    Antwort: Weil nicht alle Branchen in der VR China mit solcher Kapitalausstattung gegen die euopäischen Konkurrenten antreten können. Dort, wo sie das schaffen, weil der Staat das so will und dementsprechend finanzieren läßt, da ist die Kombination aus hohem Kapitaleinsatz, aktuellen Technologien und obendrein noch erheblich niedriegeren Löhnen natürlich fast schon eine Erfolgsgarantie.

  4. Es behauptet ja auch niemand, daß ALLE Industrien ruiniert werden sollen. Aber, wie du sagst, die Befürchtung, daß der chinesische Staat die eine oder andere Branche ins Visier nimmt, ist begründet. Und dann gibts auch die notwendige Kapitalaustattung.
    Die Verlogenheit ist doch das mit den niedrigen Löhnen. Als ob Lohndrückerei allein der Witz der kapitalistischen Konkurrenz wäre, und nachdem auch aus dem Artikel hervorgeht, daß es gerade die staatliche Unterstützung ist, die die Solarzellen-Firmen so konkurrenzfähig gemacht hat.

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