DER IWF, TEIL 3: DIE ZURICHTUNG LATEINAMERIKAS
Zu den ersten 29 Unterzeichnern der IWF-Satzungen, also Gründungsmitgliedern im Dezember 1945 gehörten Bolivien, Kolumbien, Honduras, die Dominikanische Republik, Ecuador, Paraguay, Guatemala, Chile, Mexiko und Peru. Im Laufe des folgenden Jahres folgten Costa Rica, Brasilien, Uruguay, Kuba (das nach der Revolution wieder austrat), El Salvador, Nicaragua, Panama und Venezuela. Alle Staaten Mittel- und Südamerikas mit Ausnahme der Guayanas und Argentiniens waren also Mitglieder der ersten Stunde.
Eine Leistung der Einrichtung des Dollars als Weltgeld und die Bindung anderer Währungen an ihn war die Propagierung des Freihandels bzw. die Nötigung zu demselben. Auch andere Teile der Welt, ehemalige Kolonien wurden so für die Bedürfnisse des amerikanischen Kapitals erschlossen. In Lateinamerika wurde damit die Forderung der Monroe-Doktrin „Amerika den Amerikanern!“ endgültig verwirklicht. Die Ökonomien Lateinamerikas wurden zu Rohstofflieferanten für die Erfordernisse der US-Wirtschaft eingerichtet, und zu Märkten für US-Waren – sie wurden entwickelt, nicht gemäß irgendwelchen eigenen nationalen Bedürfnissen, sondern gemäß denen des US-Kapitals. Unter der Flagge des „Handels und Wandels“, der ja angeblich beiden Seiten zugute kommen würde, wurden mit amerikanischem Kapital Transportwege ausgebaut, Ölquellen gebohrt und Agrarflächen für Exportbedürfnisse hergerichtet – nach Vertreibung der Einheimischen, die sich bisher davon ernährt hatten.
Bei aller Freude der lateinamerikanischen Regierungen über die „Modernisierung“ und „Entwicklung“, – der manchmal auch mit US-Geheimdienst-Aktionen zur Beseitigung widerspenstiger Regierungschefs nachgeholfen wurde –, entging den Politikern des Subkontinents nicht, daß sie aufgrund der Kapitalarmut im eigenen Land bei den Investitionen in Infrastruktur und Produktion wenig mitzureden hatten.
Deshalb wurde die Umgestaltung des IWF in den Jahren 1969-73 in Lateinamerika als Chance wahrgenommen, die angestrebte Kapitalisierung ihrer Nationalökonomien endlich in Angriff nehmen zu können. Mit dem Ersatz der Goldbindung durch Sonderziehungsrechte wurde nämlich ein sehr elastisches Verrechnungsmedium geschaffen, dessen Schranken nur durch die Entwicklung der Handelsströme und die Beschlüsse des IWF-Vorstandes gesetzt, also beliebig dehnbar sind.
„Mit der Einführung der SZR wurde zusätzliche Liquidität für das internationale Finanzsystem geschaffen.“ (Wikipedia, Sonderziehungsrecht)
Und diese Liquidität wollte genutzt werden. Die „Entwicklungsländer“, wie sie inzwischen offiziell genannt wurden, begannen, Kredite beim IWF aufzunehmen. Der IWF verteilte sie bereitwillig, weil er sich davon eine Belebung des Welthandels erhoffte. Die privaten Banken stiegen in der Folge gern in dieses Geschäft ein, weil der internationale Kreditmarkt durch die steigenden Ölpreise mit Petrodollars überschwemmt wurde und sich Kredite an Entwicklungsländer als Geldanlage anboten.
Die Vorstellung der Politiker der sich verschuldenden Staaten war die, daß diese Kredite durch mit ihnen angeleierte Produktion und daraus folgende Exporte bedient und abgezahlt werden könnten. Dafür wurden jede Menge Staatsbetriebe eingerichtet. Der Staat trat als Ersatz für das im Lande nicht vorhandene produktive Kapital auf. Der erwartete Exportschub trat aber nicht ein, oder nicht in dem erwarteten Maße, vor allem deshalb, weil die Weltmarktpreise derjenigen Güter, die diese Staaten für den Export anzubieten hatten: Rohstoffe und Agrarprodukte – beständig sanken. So wurden die alten Kredite durch neue bedient, in der Hoffnung, daß sich einmal ein Durchbruch ergeben würde.
„Hatte die Auslandsverschuldung (Mexikos) 1970 noch bei nur 3,7 Milliarden US-Dollar gelegen, so lag sie 1982 bei über 86 Milliarden US-Dollar.“
Dazu fielen die Ölpreise stark, und die internationalen Zinssätze machten einen Sprung nach oben. Im Gefolge der 1982 von Mexiko angemeldeten Zahlungsunfähigkeit gerieten auch andere Länder ins Strudeln, da das gesamte Lateinamerika-Engagement für die Banken und den IWF fragwürdig geworden war. Auch in Lateinamerika selbst trat eine Ernüchterung bezüglich der Segnungen des Schuldenmachens für Wirtschaftswachstum und nationalen Erfolg ein. Die Schulden waren jedoch da und mußten bedient werden. Die lateinamerikanischen Staaten verwandelten sich in Nettozahler: Von 1982 an zahlten Brasilien, Argentinien, Mexiko mehr an Zinsen zurück, als sie an Neuschulden aufnahmen.
Für den IWF bedeutete die Krise von 1982 eine weitere Wende: Erstmals seit dem Bestehen dieser Einrichtung war Zahlungsunfähigkeit eines Landes, sogar einer ganzen Region eingetreten. Der Rest der 80-er Jahre stand im Zeichen der Entwicklung von Strategien, um diese Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Das Rezept für die Garantie des Schuldendienstes, das sich in Zusammenarbeit von Mitarbeitern des IWF und Ökonomen der betroffenen Länder entwickelte, lautete: Verkauf oder Schließung von Staatsbetrieben, verstärkte Investitionen in exportorientierte Wirtschaftszweige, völlige Freiheit des Kapitalverkehrs und Abbau aller noch aufrechter Zollschranken. Die Produktion für den Binnenmarkt ging zurück, die Importabhängigkeit wuchs, und der Traum von „Entwicklung“ war zu Ende, er wich dem harten Zwang zum Schuldendienst, um weiterhin am Welthandel teilnehmen zu können.
Diese an Lateinamerika entwickelte und in Lateinamerika praktizierte Strategie des Zusperrens und Entlassens, des knappen Geldes und des Sich-Zurückziehens des Staates aus der Wirtschaft wurde die Strategie, mit der sich der IWF seinem nächsten großen Aufgabenfeld widmete: Der Abwicklung des Realen Sozialismus.