DER IWF, TEIL 4: DIE AUFLÖSUNG DES OSTBLOCKS
Vor 1989 waren nur 4 sozialistische Staaten Mitglieder des IWF: Jugoslawien, seit seiner Gründung; Rumänien, seit 1972; Ungarn, seit 1982; und Polen, seit 1986. (Der IWF-Beitritt wurde von der SU nicht gern gesehen, und Frontstaaten wie der Tschechoslowakei verboten.)
Jugoslawien wurde ab 1987 verstärkt unter IWF-Aufsicht gestellt, und durch die vom IWF verordneten Maßnahmen praktisch in die Selbstzerstörung getrieben, da sich im Interesse des Schuldendienstes alle Ausgleichszahlungen innerhalb der Teilrepubliken aufhören mußten und überhaupt das ganze System der Selbstverwaltung – also eigentlich die Staatsraison des sozialistischen Jugoslawien – nach den IWF-Vorgaben aufzulösen und durch Privateigentum zu ersetzen war. Die Zwänge des Schuldendienstes lieferten in Jugoslawien, ähnlich wie mehr als ein Jahrzehnt zuvor in Afghanistan, den Zündstoff zum Bürgerkrieg.
Rumänien ruinierte sich in den 80-er Jahren durch die Schuldenrückzahlung. Seine Regierung machte sich im Westen und beim IWF total unbeliebt mit diesem praktisch gemachten Entschluß, sich der Einflußnahme durch die Weltfinanzbehörde zu entziehen, und wurde schließlich von ihren eigenen Gefolgsleuten in Militär und Partei gestürzt.
Ungarn hatte zum Zeitpunkt der Wende 1989 die höchste pro-Kopf-Verschuldung aller sozialistischen Staaten. Seine Regierung zog aber daraus den umgekehrten Schluß, nämlich noch mehr Marktwirtschaft, und noch mehr Schulden, um endlich damit eine ordentliche Kapitalakkumalation à la Westeuropa hinzukriegen. Die ungarische Regierung wurde zur Vorreiterin der Auflösung des Ostblocks. (Man erinnere sich an Gyula Horn, wie er demonstrativ den Stacheldraht zerschnitt, um die DDR-ler in die Freiheit zu entlassen.)
Polen schließlich hatte seinerzeit mit der Solidarnosc-Bewegung einiges zur Zerstörung der sozialistischen Völkerfamilie geleistet. Es war aber schon vorher bei privaten Banken verschuldet und seine Ökonomie war von westlichen Importen abhängig, was eine bedeutende Rolle für das Aufkochen des Volkszorns und die Bildung dieser Gewerkschaft spielte. Nach Aufhebung des 1981 verhängten Kriegsrechts bettelte Polen förmlich um den Beitritt zum IWF, um seine Schuldenprobleme zu lösen und aus der internationalen Isolation herauszukommen, und der Beitritt wurde 1986 gnädig gewährt.
In allen Fällen hatte sich der IWF also als eine wirkungsvolle Waffe der Propagierung und Durchsetzung von Marktwirtschaft und Freiheit erwiesen.
Anläßlich einer Konferenz 1990 wurde die bereits in Lateinamerika und anderen Ländern der „Peripherie“ oder „3. Welt“ – wohin manche Länder eben durch die Betreuung durch den IWF abgestiegen waren – bewährte Strategie im sogenannten Washington-Konsens zum Leitfaden der Behandlung der ehemals sozialistischen Länder durch den IWF, und darüberhinaus auch zum ökonomischen Glaubensbekenntnis der Politiker Europas und der USA.
Die in diesem Konsens entwickelten Methoden zielten darauf ab, daß der Staat sich möglichst aus allen Bereichen der Wirtschaft, also auch aus den bisher als staatliche Domäne anerkannten Infrastrukturunternehmen wie Post, Telefongesellschaften oder Eisenbahnen, oder Institutionen des Sozialstaates zurückzuziehen und alles dem privaten Unternehmertum zu überantworten habe. Nur in Privateigentum könne das alles „effizient“ betrieben werden, würde schließlich zum Aufblühen „der Wirtschaft“ und zu „Wachstum“ führen.
Ein interessanter Aspekt des Zustandekommens dieses Konsenses ist der, daß er vor allem von lateinamerikanischen Ökonomen ausgearbeitet worden war. Es war dem IWF und der USA-Entwicklungspolitik also gelungen, im Rahmen ihrer Politik des „Containment“, der Kommunismusbekämpfung in Lateinamerika die Eliten dieser Länder auf den Standpunkt der Privatinitiative gegenüber demjenigen des nationalen Interesses zu verpflichten. Sicher gab es da jede Menge Stipendien für Harvard und ähnliche Institute. Es ist dennoch bemerkenswert, wie sich Staatsmänner und Wirtschaftslenker zu einer Überzeugung durcharbeiteten, derzufolge die zerstörerischen Folgen des kapitalistischen Handels und Wandels auf Land und Leute nur eine Art Strafe für die Sünden der Vergangenheit, den „Etatismus“ oder staatlichen „Dirigismus“ darstellen. Infolgedessen gingen sie mit unerschütterlichem Gleichmut rücksichtslos gegen ihre eigene Bevölkerung vor, deren existenzielle Bedürfnisse gegenüber den „Regeln“ des Marktes für nichtig erklärt wurden.
Diese Gehirnwäsche wurde nach 1989 auch auf die Politiker der postsozialistischen Staaten angewendet, mit durchschlagendem Erfolg. Manche osteuropäischen Politiker, z.B. der Tscheche Václav Klaus, versuchten sich sogar als Vorreiter des marktwirtschaftlichen Denkens zu präsentieren, indem sie ihre westlichen Kollegen im Klopfen von neoliberalen Sprüchen noch übertrafen.
Der IWF wurde überall mit offenen Armen aufgenommen – bitte kommt und bringt uns das Wirtschaften bei! – und seinen Mitarbeitern wurden Schlüsselpositionen in Ministerien eingeräumt. „Berater“ aller Art propagierten die neue Heilslehre: Staat – schlecht, privat – gut! in Seminaren und Symposien und Universitäten.
Und die Politik des Zusperrens und Entlassens, des Privatisierens um jeden Preis, manchmal auch mit Gewalt, nahm ihren Lauf. Osteuropa wurde desindustrialisiert und teilweise auch agrarisch stillgelegt, durch das Verbot von Subventionen – Etatismus! – und verwandelte sich dadurch zu einem aufnahmefähigen Markt für die Produkte des „alten“ Europa.
Lateinamerika verfolgte diesen „Erfolgsweg“ ebenfalls weiter. Das Ergebnis war die beinahe-Zahlungsunfähigkeit Mexikos 1994. Diese sogenannte Tequila-Krise wurde vom Kreditsektor unter der Leitung des IWF mit den inzwischen schon fast reflexartigen Methoden abgewendet: Stützungskredite gegen weitere Privatisierungen und Kürzungen im Unterrichts- und Sozialbereich. Der Zustand, in dem sich Mexiko heute befindet, ist eine direkte Folge dieser Maßnahmen.
Der nächste Kandidat für Zahlungsunfähigkeit wäre Ungarn gewesen. Diese Krise wurde bereits im Vorfeld durch weitere Stützungskredite abgewendet, da der IWF und die gesamte Finanzwelt – zu Recht! – einen Dominoeffekt befürchtete, wenn das erste postsozialistische Land, noch dazu ein absoluter Musterschüler des IWF, bereits 6 oder 7 Jahre nach der Wende einen solchen Mißerfolg vorweisen müßte. Der weltweit aufgehäufte Schuldenberg brach dann woanders ein – erst in Südostasien, und dann in Rußland.