Pressespiegel El País, 1.2.: Der IWF und die Eurokrise

FALSCHE VERSPRECHUNGEN UND VON WUNSCHDENKEN BESTIMMTE PROGNOSEN

Die Tageszeitung El País hatte Zugang zu Akten des IWF, die ein aktuelles Bild der Gegensätze im imperialistischen Lager zeichnen.

„Deutschland, Frankreich und Holland hatten sich in einem der schlimmsten Momente der Eurokrise dazu verpflichtet, daß ihre Banken Griechenland unterstützen und an den griechischen Schuldtiteln festhalten würden.“

Dazu fällt dem unbefangenen Leser auf, daß Staaten solche Zusagen eigentlich gar nicht machen dürften. Schließlich sind Banken inzwischen fast überall – auf jeden Fall in den 3 genannten Staaten – Privatunternehmen, deren Kauf- und Verkaufspolitik von Schuldtiteln die jeweiligen Bankleitungen entscheiden, und nicht die nationalen Politiker.
Dieser Umstand kann auch dem IWF nicht entgangen sein. Warum ließ seine Leitung – an der Spitze der Institution stand damals Strauss-Kahn – sich dennoch auf so etwas ein?

„Es war einer der Tricks, mit denen sie“ (unter diesem „sie“ kann man jetzt alle möglichen Akteure einreihen) „spielten, um die erheblichen Widerstände innerhalb des IWF zu überwinden, damit das größte Stützungspaket in der Geschichte dieser Institution gewährt werden konnte.“

Wie sich herausstellte, kam der Widerstand aus anderen Nicht-EU-Mitgliedsstaaten des IWF. Die IWF-Leitung und die 3 genannten Staaten einigten sich daher auf dieses „Versprechen“, um mit dieser „Garantie“ den Widerstand anderer wegzubügeln.
Daß das überhaupt gelungen ist, also die anderen Länder dieses jeder Grundlage entbehrende Ehrenwort für bare Münze nahmen, liegt wahrscheinlich daran, daß sie natürlich auch kein Scheitern des Euro wünschten. Die einen schummelten, die anderen drückten die Augen zu. Ähnlich wie bei Griechenlands Euro-Beitritt …

„Aber die 3 EU-Mitgliedsstaaten hielten ihr Wort nicht ein. Kaum war der Plan für ein Land am Lande des Bankrottes genehmigt, so begannen ihre Finanzinstitute, Titel abzustoßen, die ihnen die Hände verbrannten.“

Irgendwie verständlich vom Standpunkt der Banken aus. Damit verschärften sie natürlich die Schuldenkrise Griechenlands weiter.
In diesem Artikel wird nicht erwähnt, wohin sie diese toxischen Papiere abstießen. Andere Finanzinstitute scheiden als Käufer aus: die wollen sich ja auch nicht die Finger verbrennen. Heuschrecken- oder Geier-Fonds, die entwertete Schulden kaufen, um sie dann über dem Einkaufswert abzustoßen, zahlen nur Cents für den Schrott. An solche Fonds zu verkaufen, würde heißen, ein großes Loch in der Bilanz des jeweiligen Instituts entstehen zu lassen.
Bleibt also nur ein einziger Käufer, der aus politischen Gründen einen annehmbaren Preis zahlt, das ist die EZB. Die EZB unterwanderte damit das Versprechen der 3 Staaten an den IWF, interpretierte es aber wahrscheinlich so, daß sie damit ja auch helfe, dieses Versprechen einzuhalten.
Die Frage stellt sich, was die EZB seither mit diesen Anleihen gemacht hat …

„Die vor vier Jahren in Büros in Brüssel, Frankfurt und Washington getroffenen Entscheidungen haben tiefe Spuren in Südeuropa hinterlassen. Damals wurde eine Troika der Gläubiger (Europäische Kommission, IWF und EZB) geschaffen, die Kürzungen und Reformen im Gegenzug für Kredite auferlegte, zuerst in Athen, und später in Dublin, Lissabon und Nikosia. Die Protokolle … des IWF vom Tag der Rettung zeigen, dass die Meinungsverschiedenheiten und Zweifel über den Erfolg des Plans bereits an diesem 10. Mai (2010) begannen.“

Innerhalb der EU gelang es damals offenbar, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Kritik kam von Staaten außerhalb der EU:

„Diese Dokumente sind von entscheidender Bedeutung, nicht nur, weil sie klar die Kritik zeigen, die Länder wie China, Australien, Argentinien und Brasilien von Anfang an hatten. Im Rückblick erscheinen die damals gefallenen Argumente für die Ausschüttung … von 30 Milliarden Euro in einem anderen Licht.“

Es zeigt, daß die Versprechen der 3 Staaten nichts wert waren. Natürlich nur vom Standpunkt Griechenlands oder der anderen Krisenstaaten aus. Vom Standpunkt der Banken Deutschlands, Frankreichs und Hollands hat die Versprecherei ja ihre Wirkung getan: der Euro wurde bis heute stabilisiert, und die Banken wurden ihre griechischen Anleihen zu einem annehmbaren Preis los:

„Die Banken der drei Länder hielten im ersten Quartal 2010, vor der Rettung, mehr als 122 Milliarden Dollar in griechischer Staatsschuld. Ende letzten Jahres war diese Zahl um 72% zurückgegangen, auf etwas weniger als 34 Milliarden.“

Gegen die Versprechen und Vorschläge einiger Euro-Staaten und Dänemarks entstand ein vierseitiges Memorandum:

„»Einige Vertreter (China, Ägypten und der Schweiz) betonen die Gefahr, die von dem Umstand ausgeht, daß die gemeinsame Analyse die Anwendung unterschiedlicher Kriterien zwischen den drei vertretenen Institutionen enthüllt«, stellte das von Francesco Spadafora, dem Berater des IWF-Direktors unterzeichnete Memorandum fest. Im Laufe der Zeit prallten diese verschiedenen Positionen deutlich aneinander. Als der IWF einräumte, die Auswirkungen der Kürzungen auf die griechische Wirtschaft unterschätzt zu haben, bestritt die EU-Kommission entrüstet, irgendeinen Fehler begangen zu haben.“

Vom Standpunkt der Eurokrise aus sieht sich die EU-Kommission im Recht. Der IWF hingegen ist der gesamten Weltwirtschaft verpflichtet und sieht bei Griechenland keine Aussicht auf Besserung in dem Sinne, daß dieses Land wieder als Handelspartner funktionieren könnte.

„Einer der Einwände – von China und der Schweiz – warnte vor der Möglichkeit, daß die Wachstumsprognosen für Griechenland zu optimistisch ausgefallen seien. »Schon eine geringe Abweichung von der Basisszenario könnte die Tragfähigkeit der griechischen Schuldenlast gefährden«, wird dort erklärt. Diese Befürchtungen wurden von IWF-Beamten mit der Anwort vom Tisch gefegt, daß das BIP Griechenlands genauso gut mehr als erwartet wachsen könne.“

Der Artikel führt leider nicht an, womit China und die Schweiz ihre Zweifel begründeten, und ob die IWF-Beamten ihre Antwort überhaupt begründeten.

„Gleichzeitig wiesen Argentinien, Australien, Kanada, Brasilien und Russland auf »die immensen Risiken« des Programms hin, nicht nur für Griechenland, sondern für das Prestige des IWF. Die Fonds-Beamten gaben selbst zu, daß diese Gefahren real sind.“

Der IWF garantiert nämlich die Kreditwürdigkeit seiner Beaufsichtigten. Er garantiert, daß an dieses Land vergebene Gelder sicher sind. Wenn diese Sicherheit einmal versagt, wie bei Argentinien 2002, so hat das keine unmittelbaren Folgen für den IWF.
Eine weitere schwere Fehleinschätzung jedoch könnte die Glaubwürdigkeit des IWF untergraben und damit diese ganze Institution entwerten. Was für Folgen das auf das internationale Währungssystem hätte, läßt sich nicht abschätzen. Die derzeitigen Abstürze vieler Währungen von aufstrebenden Mächten weisen jedoch darauf hin, daß der Prestigeverlust des IWF wegen der anhaltenden Probleme Griechenlands bereits eingetreten ist.

Australien erlaubte sich die Stichelei, die Forderungen der Europäischen Kommission an Griechenland hätten den Charakter einer »Einkaufsliste«.“

Sie seien also, so meinten die Vertreter Australiens damit, eine Art Wunschzettel an den Weihnachtsmann, der jeglicher Grundlage für Griechenland entbehre, diesen Anforderungen zu genügen.

Alle in diesem Artikel zitierten Dokumente datieren von 2010. Daß der IWF sie einer großen Tageszeitung zugänglich gemacht hat, weist darauf hin, wie unzufrieden seine Macher selbst mit der Entwicklung der Eurokrise sind, wie sehr ihnen die Rolle mißfällt, die sie dabei einnehmen, und weist auch auf ihre eigenen Befürchtung hin, sich mit diesem „Fall“ übernommen zu haben.
An den zitierten Dokumenten fällt die Abwesenheit der USA unter den Kritikern auf. Entweder sie hatten damals keine Kritik, sondern unterstützten das Vorgehen des IWF, um über ihn selber ihren Fuß in die Euro-Rettung hineinsetzen zu können. Oder aber den Journalisten von El País wurden nur solche Dokumente zugänglich gemacht, in denen die Position der USA nicht aufscheint.

Man kann jedoch davon ausgehen, daß diese „IWF-Leaks“ von den USA ausgehen, die mit dem Verlauf der Euro-Entwicklung sehr unzufrieden sind.

Daß es an eine spanische Tageszeitung weitergereicht wurde, geschah wahrscheinlich aus der Berechnung, daß in Spanien ebenfalls große Unzufriedenheit mit der Handhabung der Eurokrise herrscht. Schließlich ist Spaniens Staatskredit keineswegs konsolidiert, gleichzeitig ist es Garantiemacht für den Kredit der 4 „geretteten“ Krisenstaaten.

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