DER PAPST BESUCHT DEN IRAK
Franziskus hat wirklich in Sachen Eigenwerbung oder Schlagzeilen den Vogel abgeschossen.
Während sich die Medien in mehr oder weniger belanglosen Corona-News wälzen, Feindbildpflege gegen China, Rußland und die Militärs in Myanmar pflegen und ihre Spalten ansonsten häuslicher Gewalt, Prominenten und Kultur widmen, macht sich der Pontifex auf in dasjenige Land, das vom imperialistischen Westen in den vergangenen 2 Jahrzehnten tatsächlich in eine Art Steinzeit gebombt worden ist.
Man wundert sich oft, daß es den Irak als territoriale Einheit überhaupt gibt, obwohl es damit in der Tat nicht weit her ist. Der kurdische Teil ist de facto getrennt von der Metropole Bagdad, wo ein Konglomerat zwischen iranisch orientierten Schiiten, den USA-Militärs, schiitischen Milizen und iranischen Militärhelfern den Ton angibt, während ein großer Teil der Bevölkerung von der Hand in den Mund lebt, als Flüchtlinge in Ruinen haust und sich um die Brosamen keilt, die von irgendwelchen Militärstützpunkten und ähnlichem für sie abfällt.
Was bewegt den argentinischen Papst dazu, dieses mehr als exquisite Reiseziel aufzusuchen?
1. Christentum heute
Für Leute, die nicht religiös sind, mag sich das Christentum als eine verhältnismäßig einheitliche Angelegenheit darstellen.
Aber das ist völlig verkehrt.
Vor allem die katholische Kirche ist seit Jahrzehnten auf dem Rückzug. Der polnische Papst hat dadurch, daß er sich mit den weltlichen Herren, vor allen den USA, mehr oder weniger ins Bett gelegt hat, viele katholische Gläubige vergrausigt, sowohl in Europa als auch in anderen Teilen der Welt. Die katholische Kirche hat u.a. deswegen ziemliche Nachwuchsprobleme, wovon verödete Klöster und Diözösen Zeugnis ablegen. Einige Priester-Export-Länder wie Kroatien, Polen oder die Philippinen trotzen dem allgemeinen Trend, aber in den meisten Teilen der Welt fällt es aufgrund des starken Personalmangels schwer, irgendwie einen flächendeckenden Normalbetrieb aufrechtzuerhalten und Taufen, Begräbnisse, Firmungen und Trauungen termingerecht abzuwickeln. Zieht sich die Kirche jedoch aus einer Gegend zurück, weil sie vakante Priesterstellen nicht nachbesetzen kann, so führt das zu weiterem Mitgliederschwund. Die herrenlosen Schäfchen laufen dann notgedrungen zur Konkurrenz und wickeln dort ihr religiöses Leben ab.
Ständig hier und dort auftauchende Mißbrauchs-Geschichten tragen weiter zur Unattraktivität der katholischen Kirche bei, und schließlich fällt auch das Zölibat schwer ins Gewicht: Nicht nur, daß das Eheverbot junge Gottesfürchtige von der katholischen Kirche abschreckt und das weibliche Reservoir ungenützt bleibt, so kann diese Konfession auch nicht für natürlichen Nachwuchs sorgen.
Demgegenüber haben die verschiedenen orthodoxen Kirchen im ehemals sozialistischen Osten regen Zulauf. Sie werden auch von ihren verschiedenen Staatsgewalten gefördert, gegen entsprechende reziproke Dienstleistungen, wie zum Beispiel Wahlwerbung – es beflügelt den politischen Erfolg einer Partei oder Person enorm, wenn der Pope am Wahltag von der Kanzel den einen oder anderen Kandidaten empfiehlt, wie das in Rumänien, der Ukraine, Bulgarien und dem sonstigen Balkan gang und gäbe ist. Viele Arbeitslose aus dem Geheimdienst oder dem restlichen sozialistischen Staatsapparat kamen in den seither eifrig errichteten Klöstern unter, ohne sich mit Arbeit einen Haxn auszureißen oder groß ihre Ideologie zu ändern. Familiengründung ist möglich und oftmals sogar erwünscht.
Die Verpflegung dürfte auch nicht schlecht sein, weil diese ganzen Institutionen werden halbwegs regelmäßig mit dem Nötigsten versorgt, und nehmen sich auch der Witwen und Waisen an, machen sich durch Suppenküchen beliebt und bewähren sich dabei auch als Institutionen der Geldwäsche. Sie sind im postsozialistischen Raum also bestens integriert und werden von der Politik hofiert, ganz anders als die römische Kirche, die mit wenigen nationalen Ausnahmen als ultramontane Fremdlinge betrachtet werden, denen eine Staatsführung mit gewisser Vorsicht begegnen muß.
Um so mehr, als nach der Wende 1990 viele katholische und evangelische Gruppen im Osten eine rege Missionstätigkeit entfalteten, um dort Anhänger zu gewinnen.
Dem schob z.B. Jelzin in seltener Einigkeit mit der Duma und sogar den Kommunisten Sjuganows Ende der 90-er Jahre einen Riegel vor, indem er der katholischen und den evangelischen Kirchen den Status einer autochtonen Kirche Rußlands verweigerte, im Unterschied zum orthodoxen Christentum, dem Islam und dem Buddhismus.
Als nächstes befinden sich in dem Raum, in den sich der Papst jetzt begeben hat, jede Menge von christlichen Kirchen, die im Zuge des morgenländischen Schismas irgendwie übriggeblieben sind, und sich seither in Ermangelung des byzantinischen Gegenpols mehrheitlich der römischen Kirche angeschlossen haben, wie die maronitischen Christen, die armenische Kirche, die Chaldäer (1) oder die Assyrische Kirche des Ostens. Letztere ist zwar schwer dezimiert, aber als isolierte Kirche vielleicht empfänglich für Lockrufe aus Rom, vor allem, wenn es dazu materielle Unterstützung gibt.
Der Papst sucht also in den Trümmern des Irak nach Anhängern, mit denen er seine schrumpfende Herde wieder etwas aufpäppeln kann. Um so mehr, als die Christen Syriens, des Irak und der umliegenden Staaten durch Krieg, Terror, Pogrome und die jahrelange Drangsalisierung durch den IS inzwischen als Flüchtlinge über die ganze Welt verstreut sind. Die gute Figur, die der Papst inmitten des Schutts und der Trümmer von Mossul macht, schlägt sich möglicherweise als Zulauf der Dependancen Roms in Österreich, Deutschland, Kanada oder Australien nieder. Immerhin wird das medial in alle Winkel der Erde verbreitet, unter dem Motto: Der Heilige Vater vergißt seine Kinder im Elend nicht!
Schließlich, und nicht als letztes, existieren zahlreiche evangelische und evangelikale Kirchen und Sekten rund um die Welt. Die sind, mit kräftigen materiellen Zuwendungen versehen, als Stoßtrupp der USA, sozusagen deren Talibane, in der Heimat des Papstes, in Lateinamerika unterwegs, um dort die Monroe-Doktrin wieder etwas fester zu implantieren. Unter den Eliten wie unter den Armen versuchen sie, die angestrebte Führungsmacht populär zu machen und etwaigen lokalen Souveränitätsbestrebungen entgegenzuwirken.
Auch dieser Abteilung gegenüber möchte der Papst möglicherweise zeigen: Die römische Kirche ist hier wie dort zuständig, um seinen Getreuen auch in Lateinamerika den Rücken zu stärken.
Abgesehen von der Absicht, seine Scharen zu stärken und zu vergrößern, möchte der Papst natürlich auch Weltpolitik betreiben.
(1) Der Außenminister Saddam Husseins, Tarik Aziz, entstammte z.B. einer chaldäischen Familie.