Pressespiegel: Rußland und Nordafrika

„RUSSLAND ZIEHT NUTZEN AUS DEN ARABISCHEN REVOLUTIONEN“
(Titel eines Artikels in El País)

Erstens ist Rußland wirklich Nutznießer insofern, als der Anstieg der Öl- und Gaspreise seine Exporteinnahmen erhöht. Es kann sich als verläßlicher Lieferant präsentieren, bei dem „sowas nicht passieren“ kann wie in diversen arabischen Ölstaaten, und damit auch noch an politischem Einfluß gewinnen. Außerdem sieht Rußland jetzt Aufwind für seine eigenen Gas-Pipeline-Projekte (North Stream und South Stream), es kann dafür Investoren anlocken und die Energiepolitik der EU kritisieren, die auf Verringerung der Abhängigkeit von Rußland zielt, und lieber auf unsichere Kantonisten wie Gaddafi setzt(e).

Auch in Rußland selbst hilft die stabile Lage, Investoren anzulocken: Die französische Firma Total (immerhin die 4-t-größte Mineralölfirma der Welt), die auch in Libyen tätig ist, will zusammen mit russischen Firmen Ölfelder im Nordmeer erschließen, und ExxonMobil hat Ähnliches im Schwarzen Meer vor.
Allerdings gibt es auch auch in dieser Sphäre mögliche Nachteile: Gazprom ist selbst in Libyen engagiert, und generell könnte ein Ansteigen der Energepreise das weltweite Wachstum bremsen und Rußlands Exporte einschränken.

Ansonsten sehen die meisten Kommentatoren der Ereignisse Rußlands Interessen auf lange Sicht gefährdet.

Gegenüber der Parteinahme für die Aufständischen, wie sie in der europäischen Öffentlichkeit stattfindet, betrachten russische Politiker und Medien die Sache eher distant. Einer Intervention in Libyen von Seiten der NATO oder einzelner Staaten stehen sie ablehnend gegenüber. Ähnlich wie die Interventionen in Jugoslawien und dem Irak würde es dem „Weltgleichgewicht“, also dem Einfluß und Gewicht Rußlands in der Welt Schaden zufügen. Allerdings hat die USA inzwischen zwei Endlos-Kriege am Hals, und eine solche Intervention halten russische Politiker dadurch für wenig wahrscheinlich.
Bezüglich der Ursachen gehen die Meinungen auseinander. Manche, wie der Arabist und Nahost-Experte Primakov, sehen eine vom Gerechtigkeitsgefühl angetriebene Eigendynamik der Aufstände. Die Mehrheit, wie der Vizepremier Setschin, hängen eher Verschwörungstheorien an, in deren Zentrum die USA stehen. Medvedjew ging bei einem Auftritt in Vladikavkaz sogar noch weiter und sieht Rußland im Visier künftiger dunkler Kräfte, die ähnliches in Rußland anstreben könnte. Er erinnerte dabei an die „Farb“-Revolutionen in der Ukraine, in Georgien und in Kirgistan. Putin warnte in Brüssel vor dem Erstarken des Islamismus in Nordafrika und verwies auf das Beispiel der Hamas, die ja auch demokratisch gewählt wurde.

Russische Politiker befürchten ein Übergreifen von dergleichen Aufständen auf die mittelasiatischen Nachbarrepubliken, vor allem auf das sehr verarmte, aber bevölkerungsreiche Usbekistan, wo ein bereits absehbarer Anstieg der Lebensmittelpreise die sozialen Spannungen erhöhen würde. Diese Besorgnis wird von einigen usbekischen Kommentatoren geteilt.

Ein paar russische Politologen äußern sich auch zu Libyen. Einige halten Gaddafi für erledigt. Es sei nur mehr eine Frage der Zeit, wann er gehen muß. Man sollte das jedoch den Libyern selber überlassen. Andere sind da nicht so sicher. Sie verweisen auf die überlegene Bewaffnung der Gaddafi-treuen Truppen – zu einem guten Teil aus russischer (bzw. sowjetischer) Produktion. Und wenn, was nicht ganz auszuschließen ist, sich Gaddafi doch gegen seine Gegner durchsetzen könnte, so stünde jeder, der ihn jetzt verteufelt, extrem blöd da.

Rußland hat sich dem UNO-Beschluß unterworfen, der Waffenexporte nach Libyen untersagt. Das bedeutet für Rußland einen Verlust von 2.880 Millionen Euro an Waffenlieferungen. Aber da sind Insider zuversichtlich: Sobald sich dort in Libyen eine neue Macht durchsetzt, sind das wieder unsere Kunden!

Ein paar liberale Seufzer gibt es auch in Rußland, die meinen: Ach, wenn es hier doch endlich einmal Aufstände gegen Korruption gäbe!

4 Gedanken zu “Pressespiegel: Rußland und Nordafrika

  1. Eine neue antirussische Front?

    Sudan: Schauplatz eines weiteren Stellvertreterkriegs

     „Im Sudan sind heftige Kämpfe mit vielen zivilen Opfern zwischen zwei Generälen ausgebrochen, die das Land gemeinsam regiert haben. In den Medien wird die Angelegenheit als einfache Rivalität zwischen zwei Militärs dargestellt, die nach ungeteilter Macht streben. Eine Tatsache, die in den Berichten auffallend wenig Erwähnung findet, könnte jedoch eine Rolle spielen: Russland war im Begriff, mit dem Sudan ein Abkommen über die Einrichtung eines Marinestützpunkts an der sudanesischen Küste des Roten Meeres zu schließen. (…) [Es] wird in so gut wie keinem der vielen Berichte über den Krieg im Sudan, die uns in diesen Tagen serviert werden, diese für NATO-Interessen so bedrohliche Aussicht erwähnt. (…) Die Darstellung eines von ausländischen Einflüssen weitgehend unabhängigen internen Machtkampfes, die uns geboten wird, ist ziemlich sicher falsch.“

  2. Nachdem du mich darauf aufmerksam gemacht hast, bin ich der Sache nachgegangen.

    Es ist übrigens bemerkenswert, daß die russischen Zeitungen sich nicht wirklich auf dieses Thema stürzen.

    „Putsch im Sudan: Wie wichtig ist die Militärbasis in dem afrikanischen Land für Russland?

    »Wir sollten jetzt definitiv für keine Seite Partei ergreifen«

    Das russische Außenministerium sagt, es beobachte die Situation im Sudan genau. Dort sind seit dem Beginn der Kämpfe zwischen den Kriegsparteien am 15. April bereits 270 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 2600 verletzt worden.
    Es mag den Anschein haben, dass für Rußland, das mit der Spezialoperation in der Ukraine beschäftigt ist, die Ereignisse in dem afrikanischen Land nicht von besonderem Interesse sind, wenn es nicht ein »aber« gäbe.

    Hinter dem Konflikt im Sudan stehen nach Meinung einiger Politiker die USA, die unzufrieden darüber sind, dass Russland sich mit der sudanesischen Regierung auf die Stationierung einer russischen Militärbasis in diesem Land geeinigt hat.

    »Moskovskij Komsomoljetz« bat Maxim Schapovalenko, den stellvertretenden Direktor des Zentrums für die Analyse von Strategien und Technologien (ZAST), Spezialist für Afrika und Kapitän des 2. Ranges in der Reserve, zu diesem Thema Stellung zu nehmen.

    Bereits im Jahr 2020 unterzeichnete der Sudan ein Abkommen mit Russland über den Bau einer Basis für die russische Marine, was sowohl in den USA als auch in Europa negative Reaktionen auslöste. Der Chef der europäischen Diplomatie Josep Borrell beklagte, dass Russland zu einem Schlüsselspieler auf dem afrikanischen Kontinent werde.
    Washington hat sich dazu nicht offen ausgesprochen. Aber durch einen seltsamen Zufall fand im Oktober 2021 ein weiterer Staatsstreich in diesem afrikanischen Land statt, und die neuen sudanesischen Behörden beschlossen, das Abkommen mit Russland zu überarbeiten, um günstigere Bedingungen auszuhandeln.“

    Dazu muß man allerdings bedenken, daß angesichts der unerfreulichen wirtschaftlichen Situation vieler afrikanischer Staaten dergleichen Putsche häufig und daher auch leicht zu organisieren wären – sofern das tatsächlich jemand wollte.

    „Bis Februar 2023 gelang es allen Parteien schließlich, eine Einigung zu erzielen. Die sudanesischen Behörden haben trotz der Proteste der USA bestätigt, dass das Abkommen in Kraft bleibt. Russland konnte aufgrund dieses Akommens damit rechnen, am Roten Meer eine eigene Basis mit bis zu 300 Servicekräften zu haben, in die bis zu vier Schiffe gleichzeitig einlaufen können.

    Dies wurde am 11. April bekannt, und bereits am 15. April kam es in der Stadt Meroe im Norden des Landes zu Zusammenstößen zwischen Teilen der regulären sudanesischen Armee und der schnellen Eingreiftruppe SRF. Nach Berichten aus dem Land zu urteilen, gehen die Kämpfe jetzt mit unterschiedlichem Erfolg weiter.

    Können die Ereignisse im Sudan in direktem Zusammenhang mit den Plänen Russlands stehen, dort einen Militärstützpunkt für die russische Marine einzurichten? »Die Diskussion über die Schaffung eines Bezugspunkts für unsere Marine in Form eines Stützpunkts im Roten Meer wird schon lange geführt«, erklärt Maxim Schapovalenko. »Zuerst schien es, als ob sie sich einig waren, sich die Hand schüttelten, aber dann begannen die Verhandlungen. Die Sudanesen haben ein paar Mal neue Gegenforderungen an uns gestellt. Wir wollten natürlich, dass unsere Schiffe die Möglichkeit haben, diesen Basispunkt anzulaufen, um ihre Vorräte an Treibstoff, Wasser und Lebensmitteln aufzufüllen und kleinere Reparaturen durchzuführen. Als Gegenleistung haben wir den Sudanesen vorgeschlagen, das Luftverteidigungssystem der nordsudanesischen Region einschließlich der gesamten Küste zu stärken.«

    MK: Das heißt, eine ernsthafte Ausweitung der militärisch-technischen Zusammenarbeit stand im Raum?

    MSch: Ja. Wir beliefern die sudanesische Armee z. B. schon lange mit Hubschraubern. Wir könnten auch andere Waffen liefern. Im Allgemeinen begann die Geschichte unserer militärisch-technischen Zusammenarbeit in den 1960er Jahren, in den Tagen des vereinigten Sudan.

    MK: Benutzt die sudanesische Armee immer noch einige unserer Waffen?

    MSch: Alles, was zu Sowjetzeiten dort stand, ist längst ausgemustert. Im Sudan hatten sie  Ausrüstung von uns für die Bodentruppen, Panzer, Artillerie … Aber wie viele Jahre sind inzwischen vergangen!
    Obwohl, glaube ich, auch jetzt noch unsere und chinesische Ausrüstung dort zu finden sind. Die Chinesen lieferten auch dorthin. Für uns und für die Chinesen ist der Sudan das Tor nach Afrika. Sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke. Außerdem nach Zentralafrika, wo wir bereits in der Zentralafrikanischen Republik Fuß gefasst haben.
    Aber um ehrlich zu sein, ist für uns das Vorhandensein einer solchen Basis am Roten Meer (oder im Prinzip in der Nähe des Golfs von Aden) nicht sehr wichtig. Es war bis vor kurzem relevant, als wir und die ganze Welt aktiv gegen Piraten kämpften. Jetzt hat sich dieses Problem stark reduziert. Das kann man zumindest an der Zahl der Vorfälle beurteilen, die sich dort ereignen. Piraterie im Golf von Aden und den angrenzenden Gebieten des Indischen Ozeans ist inzwischen selten geworden.

    MK: Wollen Sie damit sagen, dass die aktuellen Ereignisse im Sudan nichts mit unserem Wunsch zu tun haben, dort eine eigene Militärbasis zu errichten?

    MSch: Es besteht kein direkter Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen. Dort bekämpfen sich zwei Gruppen, die Zivilisten von der Macht entfernt haben und nun untereinander herausfinden wollen, wer die Oberhand behält.

    MK: Sind wir im Sudan militärisch präsent? Zum Beispiel durch Anwesenheit von Vertretern des privaten Sicherheitsdienstes »Wagner«?

    MSch: Soweit ich weiß, ist dies nicht der Fall. Die Sudanesen haben selbst genug Einheiten und Waffen.
    Aus irgendeinem Grund werden diejenigen, die rebelliert haben, Spezialeinheiten genannt, obwohl dies in diesem Fall der falsche Begriff ist. Tatsächlich handelt es sich um eine paramilitärische Miliz mit viel Erfahrung – viel mehr als die Armee – im Jemenkrieg. In diesem Sinne können sie, diese Milizen, Spezialeinheiten sein.“

    Sieh da, sieh da. Sudanesische Einheiten kämpfen im Jemen. Auf welcher Seite wohl?

    „MK: Können wir sagen, dass uns eine dieser Gruppen von unseren Interessen her näher steht?

    MSch: Nein. Ägypten steht hinter dem regulären Heer. Hinter den Rebellen steht Saudi-Arabien.“

    Alles klar. Saudi-Arabien benützt Sudanesen als Hilfstruppen bzw. Söldner im Jemenkrieg. Die waren froh über den Zusatzverdienst, haben möglicherweise auch zusätzliche Waffen erhalten und bilden sich jetzt ein, sie können sich im Sudan eine bessere Position erkämpfen.

    MK: Kurz gesagt, in dieser Situation verfolgen wir einfach die Ereignisse und sprechen dann mit denen, die gewinnen?

    MSch: Genau. Ich denke nicht, dass wir jetzt Partei ergreifen sollten. Es wäre unklug und vor allem unrentabel.

    MK: Und wenn der Gewinner sich weigert, eine Flottenbasis an seiner Küste zu errichten, wird das ein schwerer Verlust für uns sein?

    MSch: Ich glaube nicht. Anfang des Jahres besuchte unser Außenminister Lawrow Eritrea. Die Eritreer stehen uns sehr positiv gegenüber. Sie unterstützen uns stark in Bezug auf die Durchführung der Spezialoperation und stimmen bei der UN-Generalversammlung immer für uns. Nachdem die Vertreter der Emirate den Hafen von Assab verlassen haben, ist dieser Stützpunkt leer. Warum gehen wir nicht dorthin?
    Außerdem ist in Eritrea die Stabilität des Regimes viel sicherer als die innenpolitische Situation im Sudan. Wenn wir uns in einer solchen Situation ausschließlich auf den Sudan verlassen, können wir unser Geld und vor allem Zeit verlieren.“

    (Moskovskij Komsomoljetz, 19.4.)

    Was man dem Artikel entnehmen kann, ist, wie sehr inzwischen die Alte Welt bzw. der „Westen“ ausgemischt ist in dieser Gegend: Eritrea, Ägypten, Saudi-Arabien machen, was sie wollen und fragen nirgends mehr um Erlaubnis.

  3. Die Einmütigkeit des Westens und Russlands, diesen Krieg als "inneren Konflikt" darzustellen ist aber schon auffällig. Gerade in westliche Ländern, wo sonst keine Gelegenheit ausgelassen wird, Russland (Putin) für jede gerade stattfindende Metzelei verantwortlich zu mache.

  4. Er wird nicht als rein innerer Konflikt dargestellt, zumindest in dem obigen Interview nicht. Der russische Militär sagt ja, daß Ägypten und Saudi-Arabien da mitmischen.
    Der Sudan ist auf der anderen Seite zu unwichtig, als daß sich da irgendeine Großmacht zu sehr engagieren würde.
    Und von seiner Ökonomie her ist er so prekär, daß das Machtgefüge leicht kippen kann.

    Nur zur Erinnerung, wegen was der Sudan früher einmal in den Schlagzeilen war:
    1. Darfur
    2. Präsident vor den Internationalen Strafgerichtshof?

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