ÜBER GETREIDE UND HUNGER
„PUTINS KRIEG IN DER UKRAINE LÖST EINE GLOBALE NAHRUNGSMITTELKRISE AUS
Der Konflikt in der Ukraine verschärft den Anstieg der Lebensmittelpreise, der eine Krise des Mangels an Nahrungsmitteln, politische und soziale Turbulenzen, neue Migrationsströme und geopolitische Spannungen auszulösen droht.
Die russische Offensive hat die angespannte Lage in einem Markt verschärft, der auch vorher schon bedeutende Preissteigerungen verzeichnet hat.“
Eine seltsame Ausdrucksweise. Erstens „Putins Krieg“, als ob er ihn alleine führen würde und nicht eine ganze Armee. Zweitens, Spannungen allerorten, die durch den Krieg „verschärft“ werden, also offenbar nicht durch ihn hervorgerufen werden.
„Die Konsequenzen sind schwerwiegend.“
Na sowas!
„Zunächst einmal für Millionen von Personen, die neu in den Teufelskreis von Hunger und Unterernährung geraten.“
Bodenlos.
Vorher war noch von einem Markt die Rede, also einer von Menschen gemachten und betriebenen Einrichtung. Jetzt ist es auf einmal ein „Teufelskreis“, also etwas völlig Selbsttätiges.
Diese Vernebelung ist notwendig, damit dann der Ukraine-Krieg und Putin für den Hunger verantwortlich gemacht werden können und nicht etwa die Marktwirtschaft, die jedem das Hinlegen von Geld aufnötigt, um an Nahrung zu kommen.
„Im Weiteren wegen der Perspektive sozialer Proteste und politischer Instabilität, die in fragilen Staaten (???) mit solchen Umständen einherzugehen pflegen;“
Was macht eigentlich diese „fragilen Staaten“ so empfindlich für dergleichen soziale Proteste und welche Staaten fallen unter diese Einstufung?
Wie es aussieht, täglich mehr.
„sowie wegen der Zunahme von ungeordneten Flüchtlingsbewegungen;“
Welche Fluchtbewegungen sind eigentlich „geordnet“?
„und den Reibungen (?) zwischen Staaten, die in einer Position der Stärke sind und denen, die der Krise inmitten protektionistischer Manöver, internationaler Sanktionen und anderen Hochspannungs-Bewegungen ausgesetzt sind.“
Dümmer gehts kaum mehr. Alle möglichen verhatschten Bilder werden aufgewendet, um die Sanktions-Politik der EU und der USA als eine Art Sachzwang darzustellen, der die Staaten in Form einer Naturkatastrophe trifft. Schuld daran ist natürlich Putin.
„Der Anstieg der Lebensmittelpreise hat mannigfaltige Gründe, viele von ihnen waren schon vor der (russischen) Invasion zugegen. Aber diese spielt eine entscheidende Rolle bei der Zuspitzung der Krise wegen zweier grundlegender Faktoren: Sie hat den Energiemarkt erschüttert, was starke Auswirkungen auf die Landwirtschaft hat, und hat die Exportströme von Rußland und der Ukraine verändert, die zwei wichtige Player auf dem Agrarmarkt sind. Diese ungünstige Entwicklung tritt noch dazu in einem Augenblick auf, in dem sich viele Staaten und ein guter Teil der Weltbevölkerung aufgrund der Auswirkungen der Pandemie geschwächt sind.
(…) So bemerkte Antonio Guterres anläßlich der Präsentation einer Studie zu dem Thema: »Die Lebensmittelpreise waren noch nie höher, wir sehen einer Hungerkatastrophe von ungeahntem Ausmaß entgegen.« Die Studie zeigt auf, daß die Zahl der Personen in kritischer Ernährungssituation“
Was das wohl heißen mag?
„in den meistbetroffenen 50 Staaten von 155 Millionen 2020 auf 193 Millionen 2021 angewachsen ist. Eine an und für sich schon schlimme Tendenz, die jedoch die Auswirkungen des Krieges noch nicht wiedergibt.
Und diese Auswirkungen haben es in sich. Die Weltbank schätzt, daß für jeden Prozentpunkt in der Erhöhung der Lebensmittelpreise 10 Millionen Menschen in extreme Armut geraten.“
Wirklich eine Rechnerei der Art Handgelenk mal Pi.
Ein Prozentpunkt in der Erhöhung welcher Lebensmittelpreise? Getreide? Gemüse? Hülsenfrüchte? Man müßte einmal präzisieren, um welche Lebensmittel es sich handelt. Auch die 10 Millionen und der schwammige Begriff „extreme Armut“ machen zwar auf hysterisch, sagen aber nicht viel aus über die Anzahl und Lage der Betroffenen.
Ähnlich schwammig und hysterisch sind die Angaben der FAO, die von 20 und 30 Prozent Steigerung schreibt, aber man erfährt nicht, wovon.
„Die in Deutschland versammelten Außenminister der G7 gaben eine Erklärung ab, in der sie den Ernst der Lage betonen und Rußland auffordern, Bombardements der ukrainischen Infrastruktur zu unterlassen, um Exporte zu ermöglichen. Die deutsche turnusmäßige Präsidentin spricht von einem von Moskau losgetretenen „Krieg des Weizens“, der eine globale Hungerkrise auslösen könnte.“
Um diese Weizenexporte gibt es sehr widersprüchliche Meldungen.
Rußland exportiert sehr viel mehr Weizen als die Ukraine. Ob die Weizenexporte Rußlands zurückgegangen sind, läßt sich derzeit noch nicht feststellen. Es könnte sein, daß Rußland Beschränkungen erläßt, um die Ernährungssicherheit im Land sicherzustellen. Es kann auch sein, daß manche Staaten Bedenken haben, Rußland Weizen abzukaufen, weil sie dann den Zorn der USA oder der EU und etwaige Sanktionen auf sich ziehen.
Die Weizenexporte aus der Ukraine haben erst in den letzten Jahren die derzeitigen Ausmaße erreicht, nachdem Agrarkapital aus der EU, hauptsächlich aus Deutschland und den Niederlanden, dorthin geflossen ist. Einerseits gibt es viel Land Grabbing, wo regelrechte Plantagen mit hohen Zäunen betrieben werden. Man fragt sich, wie das eigentumsrechtlich aussieht – immerhin wurde erst vor ein paar Jahren und gegen viel Widerstand in der Rada ein Gesetz zum Verkauf von Agrarland an Ausländer erlassen. Möglicherweise Pacht auf 50 oder 100 Jahre, mit Option auf Verlängerung?
Andererseits ist aber auch viel EU-Fördergeld in die Landwirtschaft geflossen und auf Basis von Agrarkredit à la Raiffeisen sind dort mittelgroße bäuerliche Wirtschaften entstanden, die jetzt als Opfer der russischen Invasion durch die Medien gehen: Fleißige Landwirte, um die Frucht ihrer Bemühungen gebracht. Dabei ist vermutlich der größte Teil ihrer Ernte bereits an den Kreditgeber verpfändet.
Schließlich ist das Haupt-Export-Outlet der Hafen von Odessa. Abgesehen davon, daß der sofort am Anfang der Invasion von den ukrainischen Verteidigern vermint und gesperrt wurde, um seine Einnahme vom Meer zu verhindern, hat sich die Region um Odessa aufgrund ihrer Grenznähe zum NATO-Staat Rumänien zum Haupt-Import-Loch für Waffen und Treibstoff entwickelt. Deswegen wurde im Laufe des Krieges die dortige Infrastruktur durch russische Angriffe in Mitleidenschaft gezogen, mit Ausnahme der noch immer funktionierenden Eisenbahn.
Exporthäfen öffnen hieße also Waffenimport erleichtern.
Nach einer Reportage des Ukraine-Korrespondenten Wehrschütz im österreichischen Fernsehen waren damals im April das Hauptproblem der ukrainischen Getreidehändler die vollen Speicher. Man müsse die leerkriegen, meinte ein vom Reporter befragter Agraringenieur, bevor die nächste Ernte kommt. Die ukrainische Agrarwirtschaft baut hier vermutlich noch auf dem Erbe der sowjetischen Kolchosenwirtschaft auf, oder es wurde von westlichen Firmen noch in zusätzliche Speicherkapazitäten investiert, um die Fülle der Erträge der fruchtbaren Schwarzerdeböden des Wilden Feldes zu fassen.
Der von Wehrschütz befragte Agrarier erwähnte in dem Gespräch auch noch, daß Odessa als Exporthafen eigentlich nicht ersetzbar ist, weil der Transport über Land mit dem Zug viel zu teuer ist, und auch von den Kapazitäten her nie die Mengen aufnehmen kann, die der ukrainische Boden hergibt. Immerhin fahren die Züge ewig lang bis zur polnischen Grenze und müssen dann auch noch zu einem polnischen Hafen gelangen, weil die näher gelegenen russischen will man ja keinesfalls verwenden, übrigens auch schon vor dem Krieg nicht. Außerdem bestehen die ukrainischen Lebensmittelexporte nicht nur aus Getreide, sondern auch aus leichter verderblichen Gütern.
Schließlich wird den russischen Besatzungsbehörden vorgeworfen, Getreide in großen Mengen zu klauen und über Sewastopol in die große weite Welt zu verschippern. Die russischen Experten für Katastrophenschutz (!) wollen auch möglichst schnell den Hafen von Mariupol wieder in Gang kriegen, um von den von ihnen eingenommenen Territorien Getreide und andere Agrarprodukte zu verschieben.
Na, so werden wenigstens die Speicher leer, könnte man sagen.
Man merkt an dieser Klage, daß die vorgeschobenen verletzten Eigentumsrechte der Ukraine bzw. der Ukrainer nur die tatsächlich verletzten Eigentumsrechte der westlichen Agrarfirmen verdecken, die durch den Krieg zu Schaden gekommen sind.
Dabei ist der von den Russen geklaute Weizen nur ein Klacks. Durch den Krieg selbst wird an vielen Orten nicht gesät und geerntet, nicht bewässert und das Unkraut und die Schädlinge nicht vertilgt. Die kommenden Ernten werden also auch wesentlich magerer ausfallen, sofern sie auf weder umkämpften noch verminten Gebieten überhaupt eingefahren werden können.
Die russische Seite weist darauf hin – jeder sieht den Splitter im Auge des anderen – daß auch von den in ukrainischer Hand verbliebenen Gebieten Getreide exportiert wird, eben über Polen. Die russischen Medien machen sich deshalb Sorgen um die Lebensmittelsicherheit in der Ukraine selbst.
Damit ist ein weiteres Problem des ukrainischen Agrarsektors angesprochen: Die reichen Ernten der Ukraine sind nicht für die Ukraine selbst gedacht. Die ohnehin relativ geringe Kaufkraft der ukrainischen Geldbörsen gibt nämlich nur die schwachbrüstige Hriwna her. Die gewinnorientierten Agrarfirmen verkaufen deshalb lieber gegen Devisen in das immer von Unterernährung gezeichnete Afrika. Dort brauchen sie den Importweizen tatsächlich wie das liebe Brot, weil die eigenen landwirtschaftlichen Flächen für Cash Crops wie Baumwolle, Kakao, Ananas oder Avocado benutzt werden. Die landwirtschaftliche Produktion dieser Staaten ist nämlich auch nicht für die eigene Bevölkerung da, genauso wie in der Ukraine!
Marktwirtschaft allerorten.
Ein weiterer zahlungskräftiger Kunde ist inzwischen die Hungerhilfe der UNO. Deshalb macht sich Guterres solche Sorgen. Afghanistan, Somalia, der Irak, der Libanon u.a. – lauter Staaten, die sich einige Jahrzehnte und auch einige Kriege früher selber ernähren konnten, hängen jetzt am Tropf der UNO, um großflächiges Verhungern zu vermeiden. (Kleinflächig wird übrigens vielerorten ge- und verhungert.) Und die UNO zahlt Weltmarktpreise, ist also durchaus marktwirtschaftkompatibel.
In der Ukraine wiederholt sich teilweise die Geschichte. Einer der Gründe für den Holodomor war nämlich der Export von konfisziertem Getreide gegen Devisen, um damit eine Industrie mit Hilfe von westlichem Know-How und Maschinenimporten aufzubauen, u.a. in der Ukraine.
Diese Einkäufe von Maschinen durch die SU kamen Europa und den USA in der Zeit der Weltwirtschaftskrise sehr gelegen, weshalb sich ihre Eliten nicht sehr für die – durchaus vorhandenen – Berichte über den Hunger in der SU interessierten …
Heute wird damit der Krieg finanziert, auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung.