Maifeier

DER 1. MAI IN DORTMUND, TEIL 2
Nach der Demo ging es in den Westfalenpark. Dort war zunächst das typische politische Volksfestprogramm. Infotische, Würste, Volkstanz.
Der DGB hatte eine eigene Bühne und dort tat eine DGB-Funktionärin mit Mikro erst noch einmal ihren Ärger über die „unsolidarischen“ Störer, also uns, kund.
Dann stellte stellte sie nacheinander junge Leute aus Partnerstädten vor und erteilte ihnen anschließend das Wort.
Die gute Frau strahlte wie ein frischlackiertes Hutschpferdl und konnte sich fast nicht einkriegen über die Sensation, daß sie junge Leute aus anderen Ländern bei sich begrüßen konnte.
Hierzu ist erstens zu sagen, daß das Ruhrgebiet vielleicht keine sehr begehrte touristische Destination ist, aber derartig unüblich ist es nicht, daß Leute von auswärts dort hinkommen.
Noch eigenartiger ist das Aufhebens darum, daß es sich hier um junge Leute handle. Die gibt es wirklich überall.
Man sollte immer mißtrauisch werden, wenn jemand die Herkunft, das Alter oder das Geschlecht eines Menschen zum Thema macht, oder als etwas Besonderes hinstellt, weil diese Dinge sucht sich niemand aus. Es ist kein Akt des Willens oder Bewußtseins, alt oder jung, Afrikaner oder Europäer, Mann oder Frau zu sein. Es ist keine Leistung, und nichts, worauf man stolz sein sollte. Das ist einfach so, damit muß man leben.
Warum also so ein Getue um die Kids?
Diese jungen Leute kamen aus Partnerstädten, deren Dortmund 9 hat.
Das System der Partnerstädte nahm nach dem II. Weltkrieg in Deutschland und Österreich seinen Anfang. Vor allem deutsche Städte versuchten, das Stigma des Kriegsverlierers abzustreifen und Internationalismus zu pflegen. Auch der „Eiserne Vorhang“ wurde mit Städtepartnerschaften ein wenig durchlöchert.
Mit der EU erhielt die Idee der kommunalen Vernetzung neuen Schwung. Städtepartnerschaften bieten Gemeindeverwaltungen die Möglichkeit, die nationale Politik zu unterstützen, zu überflügeln oder gegen den Strom zu schwimmen. Sie ermöglicht eigenständige Außenpolitik auf Gemeindeebene, es lassen sich Wirtschaftsbeziehungen anknüpfen und Bildungsoffensiven starten. Manche Orte sind auf diesem Gebiet aktiver, andere halten sich zurück. Die Aktivität kann sich sowohl auf die Intensität der Beziehungen ausdrücken als auch in der Anzahl der Partnerstädte.
Dortmund ist mit seinen 9 Partnerstädten schon gut im Rennen, liegt aber im oberen Mittelfeld. Das österreichische Klagenfurt – Jörg Haiders ehemalige Trutzburg – bringt es bislang auf 16 Stück. Den Rekord hält Köln mit 24 Stück. Naturgemäß leidet dann die Intensität des Austausches unter der Masse der Destinationen.
Es ist ja an und für sich nicht verkehrt, einen Schüler- und Studentenaustausch zu betreiben. Damit die Welt etwas davon hat, wäre es aber gut, wenn diese jungen Leute uns etwas über die Lebensbedingungen in ihrer Stadt, über das Verhältnis von Kapital und Arbeit, Gewerkschaften oder die ökonomische Lage ihrer Stadt erzählen würden. Noch dazu an einem 1. Mai, der ja immerhin an eine Demonstration für den 8-Stunden-Tag erinnern soll.
Nichts von alledem fand statt. Die Gewerkschaftsfunktionärin ermunterte sie ausdrücklich, von sich zu reden und nicht von irgendeiner ihre Umgebung betreffenden Angelegenheit. Sie forderte sie auf, zu erzählen, was sie sich wünschen und wovon sie träumen.
Damit wird erst einmal den Kids ein eigenartiger Gebrauch des Verstandes nahegelegt. Ihre Vorstellungskraft oder Einbildung sollen sie über die Wahrnehmung stellen, und keineswegs aus ihren Erfahrungen Schlüsse ziehen über die Welt, in der sie leben. Der heute manchmal beklagte „Realitätsverlust“ einzelner Personen ist eine direkte Folge dieser Vorgangsweise.
Damit ist auch schon entschieden, welche praktische Stellung sie zur kapitalistischen Klassengesellschaft einnehmen sollen: sie sollen sie als eine Welt voller Möglichkeiten wahrnehmen, in der sie sich kraft ihrer tollen Individualität bewähren müssen. Es komme nur auf die eigene Einstellung, Tüchtigkeit und Ideen an, um erfolgreich und glücklich zu werden.
Damit wird klar, warum die Gewerkschaftstante so strahlte, daß sie da junge Leute präsentieren konnte. Ab einem gewissen Alter sind die Leute nämlich daraufgekommen, daß es so nicht läuft und man kann sie mit solchem Unfug nicht mehr in Begeisterung versetzen.
Der serbische Literaturstudent machte alles richtig. In perfektem Englisch trug er seine Utopien einer besserer Welt vor und ermunterte die Anwesen dazu, ihre eigene Moralität zu überprüfen, ob zu sie einer solchen besseren Welt überhaupt fähig und ihrer würdig wären.
Aus seinem Beitrag, dem aufgeregten Belanglosigkeiten des französischen Mädchens und der in perfektem Deutsch vorgetragenen Rede einer jungen Frau aus Großbritannien erfuhr man jedenfalls nichts über Amiens, Leeds und Novi Sad, was aber das spärliche und ziemlich gelangweilte Publikum nicht zu stören schien.
Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich hier um eine Art Ausbildung für künftige Politiker handelt, die hier üben können, wie man sein Lampenfieber überwindet, vors Mikrofon tritt und ein Publikum mit klingenden Phrasen und moralischen Belehrungen versieht.
Man kann abschließend über den DGB nur das Urteil fällen, daß der arbeitende Mensch nicht nur an der Klassenkampf-Front schlecht mit ihm bedient ist, sondern auch beim Feiern.

14 Gedanken zu “Maifeier

  1. Blogsportige DGB-Kritik aktuell: Auf DGB-Festen wird keine kommunistische, antiimperialistische Agitation betrieben, wer hätts gedacht.

  2. Kommunistische, antiimperialistische Agitation – wer hofft denn auf sowas! – auch ein paar Stufen unterhalb hat der DGB nix zu bieten.

  3. mal 10% Lohn verlangen + streiken wie in Frankreich ist ein paar Stufen unter kommunistischer kritik – oder was meinst du?

  4. Dafür müßte man erst einmal Leute zusammenkriegen. Ist in DGB-Land nicht so einfach.
    Wenn 5 Maxln mit einem Transpi streiken und 10% mehr verlangen, so schaut das irgendwie matt aus.

  5. Off topic
    #fairLand SPD-Altlinker unterstützt linke Sammlungsbewegung
    Das Projekt von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine nimmt Konturen an: Mit Rudolf Dreßler spricht sich der erste prominente Sozialdemokrat für die Sammlungsbewegung aus. Seine Partei hält er für “todkrank”.
    Wagenknecht und Lafontaine – #fairLand als Motto für linke Sammlungsbewegung
    Es geht um Umverteilung und Abrüstung, aber auch um mehr Polizei und “die Wahrung kultureller Eigenständigkeit in Europa”: Nach SPIEGEL-Informationen werden die Planungen für eine linke Sammlungsbewegung konkreter.

  6. Veranstaltungen von Gruppe K und Kommunistisches Kollektiv Ruhr – KKR am 5. November in Bochum und 7. November in Dortmund:
    “100 Jahre Novemberrevolution – eine marxistische Bilanz”
    Im Unterschied zwischen vielen anderen Ereignissen spielt die November-Revolution keine große Rolle in der nationalen Geschichtsschreibung. Zu Unrecht. Denn die damalige Auseinandersetzung zwischen reformistischer und revolutionärer Arbeiterbewegung hat das gesamte folgende Jahrhundert geprägt. Grund genug, sich damit einmal zu befassen…
    Mit einer Flut von Veröffentlichungen, Gedenkveranstaltungen und Feuilletonbeiträgen erinnert man zur Zeit an die Revolution von 1918/19.
    Politiker, Historiker und Gewerkschafter loben die Novemberrevolution, indem sie die BRD loben. Um den “wahren Beginn unserer Demokratie” und den “Startschuss” für das Erfolgsmodell Sozialpartnerschaft soll es sich dabei gehandelt haben.
    Aus dieser Art Äußerung lässt sich weniger über die Geschichte erfahren, als über die Versuche von Gewerkschaften und Sozialdemokratie die eigene, kontinuierliche Erfolgsstory zu verfassen.
    Die Gruppe K lädt ein zu Vortrag und Diskussion, wir wollen:
    – besprechen, wie es dazu kam, dass die deutsche Arbeiterbewegung in (mindestens) zwei ziemlich verfeindete Lager zerfiel
    – klären, was die Revolution an der Gesellschaft tatsächlich änderte
    – erinnern, mit welcher linken, rätekommunistischen Konkurrenz die Mehrheits- SPD zu dieser Zeit konfrontiert war und mit welchen blutigen Maßnahmen sie es schaffte, diese Konkurrenz aus dem Weg zu räumen
    – Bilanz ziehen und fragen, ob es sich für die Arbeiterschaft in Deutschland wirklich gelohnt hat, auf die Karte Demokratie und Sozialpartnerschaft zu setzen

  7. Veranstaltung der Gruppe am
    Mittwoch | 08.05.2019 | 19 Uhr im Bahnhof Langendreer (Raum 6) | Wallbaumweg 108 | 44894 Bochum
    “Zum 1. Mai: Europa und der DGB – kritische Anmerkungen”
    Offener Brief der Gruppe K
    Hallo DGB! Wie pfeifen auf Deine EU-Wahlpropaganda!
    Und wir pfeifen auf die deutsche Alternative von Guido Reil!
    und
    Flyer
    Weder Deutschland noch EU!
    Klassenkampf statt Vaterland und EU-Patriotismus!
    Produktionsmittel vergesellschaften – Gesellschaft entstaatlichen!
    Nieder mit dem Lohnsystem!

  8. Gruppe K zum 1. Mai in Essen:
    Das ND schreibt über unsere Aktion, gemeinsam mit der Anarchistischen Gruppe Dortmund:
    “Eine Gruppe von Linksradikalen legte ihren Fokus bei der Mai-Demonstration des DGB auf die Kritik am sozialpartnerschaftlichen Kurs des Gewerkschaftsbundes und die mangelnde Kritik an der EU im diesjährigen Aufruf zu der Demo. Die EU sei ein »supranationales kapitalistisches Staatenbündnis, dessen Mitgliedsländer mit den USA, China und Russland um Weltmarkt und Weltmacht konkurrieren«, hieß es auf einem Flugblatt. Zweimal enterten die Linksradikalen die Spitze des Demozugs”

  9. Ein Workshop der Gruppe K beim Antinationalen Sommercamp (31.07. – 04.08.2019, bei Hannover) der Gruppen gegen Kapital und Nation:
    “Warum gegen Kapital und Nation: Grundsätzliches zu Freiheit, Eigentum und Staat”
    Uns fällt auf, dass in dieser Wirtschaftsweise, dem Kapitalismus, zwar jede Menge Reichtum in Form aller erdenklicher Waren hergestellt wird, die allermeisten Menschen aber herzlich wenig davon haben. Ausgerechnet diejenigen, die all den Reichtum herstellen, die Lohnabhängigen, kommen offensichtlich am schlechtesten dabei weg: Miese Arbeitsbedingungen, lange Arbeitszeiten, schlechter Lohn und trotzdem reicht es nicht zum Leben (Kinder- und Altersarmut!).
    Das ist ein Skandal – aber gerade nicht in dem Sinne, dass das alles eigentlich gar nicht sein müsste und die Armut weiter Teile der Bevölkerung ein Ausdruck staatlichen Versagens wäre. Es verhält sich genau umgekehrt: Kinderarmut, Altersarmut, prekäre Beschäftigungsverhältnisse usw. sind die notwendigen Begleiterscheinungen des Wirtschaftswachstums.
    Wer sie aus der Welt schaffen will, kommt um die folgenden Fragen nicht herum:
    • Was zeichnet eine kapitalistische Produktionsweise aus?
    • Was hat das Prinzip der Freiheit damit zu tun und was ist daran kritikabel?
    • Was hat es mit dem Eigentum auf sich?
    • Was meint der Vorwurf Klassengesellschaft?
    Der Workshop behandelt die Grundlagen der Kapitalismuskritik – anders gesagt: Warum wir gegen Kapital und Nation sind. Es sind keine Vorkenntnisse erforderlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert