Präsidentschaftskandidaten in der Ukraine

DEMOKRATIE ALS KASPERLTHEATER
Die Ukraine hat derzeit, man erinnere sich, eine Regierung von Usurpatoren, die von einer Minderheit im Parlament mittels getürkter Abstimmung ins Amt gehievt wurde. Auf was für einer Grundlage diese Regierung eigentlich Verträge unterschreiben und Verfassungsänderungen vornehmen darf, ist unklar. Schon ihre Existenz und ihre Anerkennung durch die Weltmächte, die sonst – in Venezuela oder Argentinien – mit der Lupe nachschauen gehen, ob es auch demokratisch zugeht, ist eine deutliche Auskunft darüber, worum es bei dem ganzen Demokratie-Gesäusel eigentlich geht: eine stabile Herrschaft soll zustande kommen, die uns zu Diensten ist.
Was letzteres betrifft, so lassen die neuen Hampelmänner nichts anbrennen und bitten in vorauseilendem Gehorsam westliche Politiker, Geheimdienst-Agenten und Militärberater ins Land: Bitte kommt, kolonialisiert uns und beschützt uns vor den bösen Russen!
Aber was ersteres angeht, so hapert es. Diese ohnmächtigen Machthaber haben ihr Volk nicht wirklich im Griff, wie man täglich an Demonstrationen, Schießereien und Gebäude-Besetzungen sehen kann. Um dagegen Abhilfe zu schaffen, soll auf das altbewährte Mittel der Wahl zurückgegriffen werden. Wie es im Demokratie-Lehrbuch steht: die aufrechten und selbstbewußten Staatsbürger schreiten zu den Urnen und wählen sich eine Herrschaft, von der sie sich dann für die nächste Legislaturperiode alles gefallen lassen. Ob und wie das in der Ukraine funktionieren kann, wird sich erst noch erweisen.
Der Andrang ist, was man so liest, gewaltig: Bisher haben 46 Kandidaten ihr Interesse auf den Präsidentenposten angemeldet. Nur die Hälfte von ihnen wurde bisher auch registriert, vor allem, weil manche der Aspiranten das vorgeschriebene Pfand in der Höhe von zweieinhalb Millionen Hriwna (ca. 160.000 €) bisher nicht hinterlegen konnten.
Man erinnere sich an die ersten Wahlen in Polen nach der Wende: Damals zogen 17 oder mehr Parteien in den Sejm ein. Darauf ging in den westlichen Medien ein Geschrei und Gejammer los: Diese Polen haben da was mißverstanden! Pluralismus und Mehrparteiensystem heißt doch nicht: möglichst viele! Zwei Parteien, wie in Großbritannien, im Idealfall 3, um etwas Leben in die Bude zu bringen – das sorgt für stabile Verhältnisse! Aber doch nicht 20! Das ist ja das reinste Chaos, wie sollen da Gesetze erlassen und regiert werden?!
Die polnische Führung nahm sich diese Kritik zu Herzen, zog eine Wahlrechtsreform durch und erhöhte die Prozent-Schwelle für den Eintritt ins Parlament. Seither herrschen dort „normale“ Verhältnisse, mit im Durchschnitt 6 Parlamentsparteien.
Man fragt sich angesichts des Andrangs in der Ukraine, warum so viele Leute unbedingt dieses Land regieren wollen, das pleite und von Separatismus zerrissen ist, und gar nicht über ein Gewaltmonopol verfügt, mittels dessen regiert werden kann. Ein Arbeitsplatz auf 5 Jahre, mit der Option, sich die Taschen zu füllen und eine Villa zu bauen? – obwohl der Karriereknick des letzten Amtsinhabers deutlich zeigt, daß weder Villa noch Bankkonten eigentumsmäßig geschützt sind und auch von einer Arbeitsplatzgarantie keine Rede sein kann …
Unter den 46 Aspiranten finden sich unter anderem der Führer des „Rechten Sektors“, Dimitro Jarosch, der schon einmal übers Internet die Anhänger des Kaukasus-Emirats dazu aufgerufen hat, die Vorgänge in der Ukraine durch Steigerung der Attentate in Rußland zu unterstützen, und deshalb von Rußland auf die terroristische Fahndungsliste gesetzt wurde. Von Jarosch stammt auch die Drohung, gegebenenfalls Öl- und Gaspipelines zu sprengen, um den Gas-Transit nach Westeuropa zu unterbinden.
Die Anhänger des „Rechten Sektors“ befinden sich in offener und gewalttätiger Opposition zu der Regierung und würden am liebsten alle Institutionen – Medien, Gericht, Parlament – von allen Vertretern der bisherigen politischen Klasse säubern und mit ihren Leuten besetzen, damit ihrem Terror niemand mehr etwas entgegensetzen kann.
Ein weiterer Aspirant auf die Präsidentschaft der Ukraine ist Oleg Tjahnibok, der Führer der „Swoboda“-Partei. Eine der Forderungen im Programm der Partei ist die völlige Säuberung aller Institutionen von allen, die in der Sowjetzeit irgendwelche Posten innehatten. In verschiedenen westukrainischen Städten, wo die Swoboda stark ist, wurde die Kommunistische Partei verboten, die meisten ihrer Mitglieder sind abgehaut bzw. untergetaucht. Ein Sieg Tjahniboks würde also eine Hexenjagd im ganzen Land entfachen, von der niemand verschont bliebe, der irgendein Familienmitglied hat, das einmal verantwortungsvolle Posten in der sowjetischen Periode innehatte und/oder bei der KP war.
Außerdem schlägt die Swoboda zwei Arten von Staatsbürgerschaft vor, für solche, die „richtige“ Ukrainer sind, und solche, die als Einwohner des Landes gerade noch geduldet werden.
Man kann sich vorstellen, was losginge oder vielleicht – ohne Medien-Scheinwerfer – bereits geschieht, wenn Mitglieder des „Rechten Sektors“ und der „Swoboda“ sich bei solchen Säuberungsaktonen und ukrainischen Echtheits-Tests überbieten wollen.
Eine weitere Lichtgestalt im Getümmel der Präsidentschafts-Anwärter ist Julia Timoschenko, die lange Zeit als arme geschundene Kranke durch die europäischen Medien geisterte, eine Art bezopfte Unschuld vom Lande, der völlig zu Unrecht Preisabsprachen und Auftragsmorde in die Schuhe geschoben wurden. Seit dem Telefongespräch mit ihrem Parteigenossen, in dem sie ihr Programm kurz und bündig dargelegt hat – alle Rußland-Sympathisanten abmurksen oder vertreiben! – hat ihr Image etwas gelitten. (Das betreffende Gespräch wurde übrigens auf Russisch geführt.) In der Ukraine war sie schon bisher nicht besonders populär, aber inzwischen ist auch die westliche Pro-Timoschenko-Werbung stark zurückgegangen. Ähnlich wie der zu den Wahlen gar nicht erst angemeldete BRD-Hampelmann Klitschko wirkt sie als Trumpfkarte verbraucht.
Um die Versammlung dieser Figuren zu vervollkommnen, hat sich ein Maidan-Aktivist unter dem Star Wars-Pseudonym „Darth Vader“ angemeldet. Seine Kandidatur wurde von der Wahlkommission aus formellen Gründen – das Datum und der Ort der Parteigründung seien nicht eindeutig angegeben worden – zurückgewiesen. Darth Vader, der hin und wieder als Wahlwerbung Happenings mit Kostüm-Auftritten veranstaltet, will dagegen berufen. Er rechnet sich gute Chancen bei der Wahl aus, weil er aus Fernsehen und Filmen bekannt ist. Er will in der Ukraine das erste galaktische Imperium errichten und auch mit Außerirdischen diplomatische Kontakte unterhalten. Regiert soll über das Internet werden, das schließt Korruption aus und ist transparent. Man kann sich einen Haufen Staatsangestellte sparen, die sich eh nur die Taschen füllen wollen.
Zwischen dieser reichen Auswahl von Faschisten und Querulanten, Politikern und Wirtschaftstreibenden kristallisiert sich inzwischen der Oligarch Petro Poroschenko als Wunschkandidat der EU heraus, nachdem den EU-Politikern ihre anderen Hoffnungsträger abhanden gekommen sind.
Die Vorschrift der beträchtlichen Pfandsumme soll offenbar die Präsidentschaftskandidaten auf die bisherige Elite eingrenzen. Mit einigen Ausnahmen ist das bisher auch gelungen. Vorsitzende von mehr als 10 Parteien, allesamt mit Politik- und Parlamentserfahrung, ein Ex-Geheimdienstchef und ein paar Unternehmer, die sich Positionen für die nächsten Jahre sichern wollen, streben dieses hohe Amt an.
Poroschenko, der im Laufe der letzten 20 Jahre neben dem Aufbau- eines Süßwaren- und Medien-Imperiums der Politik gewidmet hat – das hängt in der Ukraine besonders eng zusammen – kann Erfahrung aufweisen: Er war bereits Nationalbankdirektor, Minister für Äußeres und Wirtschaft, Leiter des Auslandsgeheimdienstes, Abgeordneter, sowie Gründer bzw. Mitglied von 4 verschiedenen Parteien.
Sein Plan scheint zu sein, durch Eroberung des Präsidentensessels seine übrigen Oligarchen-Kollegen hinter sich zu lassen, sich also in der innerukrainischen Konkurrenz durchzusetzen. Irgend so etwas wird nötig sein, wenn die Konfrontation mit Rußland in die nächste Runde geht: Mehr als die Hälfte seiner Süßwaren wird bisher nach Rußland exportiert.
Vielleicht macht er die Wahl, indem er jedem Bürger, der ihn wählt, eine Tafel Schokolade verspricht.

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