Pressespiegel: Izvestija, 14.9.

INTERVIEW MIT PJOTR GETSKO; DEM „ZUKÜNFTIGEN REGIERUNGSCHEF“ DER AUTONOMEN KARPATOUKRAINE
Der ruthenisch-ungarische Kongreß faßte den Beschluß, sich an das ungarische Parlament zu wenden mit dem Ansuchen, die Karpatoukraine als autonome Republik anzuerkennen – auf Grundlage der Volksabstimmung von 1991. Nächste Woche wird das Dokument bereits den Komitees des Parlaments vorgelegt, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer positiven Beurteilung gelangen werden. Der Anführer der Ruthenischen Nationalbewegung und Premierminister der nicht-offiziellen Republik „Podkarpatskaja Rus” (Russisches Land am Fuße der Karpaten), Pjotr Getsko, erzählt der Izvestija, wie es dazu kam und was sich die Betreiber dieser Bewegung erwarten.
Iz: „Wieso war dieser Beschluß gerade jetzt möglich und wieso kam es nicht bereits im Frühjahr dazu, wie ursprünglich geplant?
P.G.: Das ist in erster Linie auf den langwierigen Prozeß der Verhandlungen zurückzuführen. Eine Sache ist die, allein die Macht zu ergreifen, eine andere, sich dafür der Unterstützung einiger Staaten zu versichern – Rumäniens, Ungarns und Rußlands. Heute sind wir sicher, diese Unterstützung zu erhalten, deshalb schreiten wir zur Tat. Ich denke, nächste Woche legen wir die Resolution unseres Kongresses dem ungarischen Parlament vor, wo die Autonomie unserer Region unterstützt wird. Ich bin davon deshalb so überzeugt, weil uns zwei große Parteien in Ungarn unterstützen, die zusammen mehr als 70% der Sitze im ungarischen Parlament innehaben.“ (D.h., Fidesz und Jobbik)
„Nachdem diese Frage vom ungarischen Parlament behandelt wurde, werden wir sie dem Parlament Rumäniens vorlegen. In einer anderen Formulierung, aber im Wesentlichen geht es um das gleiche: Die Anerkennung der Ergebnisse des Referendums von 1991 und die Beendigung des Krieges und des mit ihm verbundenen Genozids an den Ungarn, Rumänen und Ruthenen.
Wenn beide Parlamente unseren Beschluß unterstützen, werden wir Kiew mit dem Faktum konfrontieren, die dieser Beschluß darstellt.
Iz: Wie steht die Bevölkerung zu diesem Schritt? Ist sie bereit, diesen Beschluß zu unterstützen?
P.G.: Bei dem Referendum (von 1991 über die Autonomie der Karpatoukraine) wurde er von 70% der Bevölkerung unterstützt. Wenn sie auch vom ungarischen Parlament angenommen wird, so wird sie von 99% der Bürger unterstützt werden. Daran, daß dieser Beschluß unterstützt wird, zweifle ich nicht.
Iz: Wie gedenkt Ihr euch zu verteidigen? Kiew hat ja schon verkündet, sein Staatsgebiet gewaltsam schützen zu wollen.
P.G.: Das sollen sie nur versuchen. Immerhin gehen wir auf den Winter zu und über unser Gebiet verläuft ein Fünftel der ukrainischen Gasleitungen: ein Zweig nach Ungarn, einer nach Rumänien, einer in die Slowakei. Sobald auch nur eine Granate auf dieses Gebiet fällt, wird Ungarn seine Armee zum Schutz der ethnischen Ungarn und Bürger Ungarns einmarschieren lassen. Mehr als 200.000 Bewohner haben bereits einen ungarischen Paß. Der Schutz der Bürger Ungarns ist in der ungarischen Verfassung verankert. Das wird Kiew anerkennen müssen. Im Unterschied zu Rumänien ist Ungarn in dieser Frage sehr entschlossen.
Iz: Meinen Sie nicht, daß die USA und die EU, die die Kiewer Führung unterstützen, gegenüber Ungarn tätig werden würden?
P.G.: Dergleichen Gerede gab es auch damals, als Ungarn die Verhandlungen mit dem IWF abbrach. Wenn das geschieht, so wird es sofort Sanktionen geben und Ungarn wird sich wieder dem IWF zuwenden. Und dennoch brach Ungarn mit dem IWF und schloß sein Büro, und verweigerte alle weiteren Verhandlungen über seine Staatsschulden. Ungarn vertritt jetzt seine Interessen. Angesichts der Tatsache, daß ihm mit jedem Jahr der Zugang auf die Märkte der EU erschwert wird, ist die einzige Richtung, in die es sich entwickeln kann, Rußland. Ungarn hat das begriffen.
Iz: Gestern kam es in Ungarn zu Problemen mit den Tochterbanken der Sberbank, wegen der Sanktionen?
P.G.: Das ist vor allem deshalb, weil die ungarische Nationalbank keine volle Autonomie hat.
Es war ein Schritt gegen Rußland, als der ungarischer Premier Viktor Orbán ein Dokument über die Einrichtung von Stützpunkten für Drohnen im Baltikum unterschrieb. Aber in diesem Falle, das will ich betonen, geht es um die nationalen Interessen Ungarns.

Iz: Haben Sie die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft mit einberechnet?

P.G.: Es ist eine Besonderheit der Karpatoukraine, daß sie weltweit in Sachen Transitkonzentration an zweiter Stelle steht. Das heißt, die Dichte der verschiedenen Korridore – energetische, Eisenbahnlinien usw. – ist sehr hoch. Wenn sich die internationale Staatengemeinschaft nicht so ekelhaft verhalten will wie die Ukraine, so wird sie uns verstehen. Um so mehr, als wir offen sagen, daß wir nichts unternehmen werden, was einen dieser Korridore unterbrechen würde.
Iz: Wie reagiert die Bevölkerung der Karpatoukraine auf die gegenwärtigen Ereignisse im Südosten der Ukraine?
P.G.: Es gibt eine Führungsschicht, die Kiew ergeben ist, aber die einfachen Leute leben so wie immer. Die Banderisten betrachten sie als Faschisten und Extremisten, so wie 1939. Es scheint heute so zu sein wie damals, als die Banderisten die Macht in der Karpatoukraine übernahmen. Damals wurden sie allerdings sehr schnell vertrieben. Ich denke, ein solches Szenario wäre auch heute möglich. Mehr als 80% der Bevölkerung hängt heute nicht vom Staat ab, sondern lebt von Einkünften, die außerhalb der Ukraine erzielt werden. Die einzige Verbindung zum ukrainischen Staat ist die Entrichtung der Grundsteuer. Gegenüber dem Kriegsgeschehen in der Ukraine sind die Menschen negativ eingestellt, und mit der Erklärung der Unabhängigkeit wollen wir uns davon abkoppeln. Unsere Tätigkeit wird sich auf Lokales beschränken und nur auf Rechten Sektor, SBU (Sicherheitsdienst) und Staatsanwaltschaft ausgerichtet sein.
Iz: Hin und wieder erscheinen in den Medien Berichte über ein ungarisches Genozid.“ (Vor allem die Jobbik verwenden diesen Ausdruck.) „Worauf bezieht sich das?
P.G.: Das hängt mit der Zwangsmobilisierung der Bevölkerung für die Kriegshandlungen in der Ostukraine zusammen. Mehr als 100 Personen kamen in Särgen zurück und ungefähr 200 sind spurlos verschwunden. Natürlich ist das ein Genozid, da dieser Krieg auch nicht unser Krieg ist. Die Ungarn und die Rumänen werden als Kanonenfutter verwendet. Wenn sich jemand der Einberufung verweigert, so kommen die Vertreter des Rechten Sektors zu ihnen ins Haus und drohen: wenn du nicht dort sterben willst, so stirbst du hier, mitsamt deiner Familie. Das wird natürlich nicht vergessen und nicht verziehen. Kann sein, daß sie auf Laternenpfählen aufgehängt oder erschossen werden, aber es ist 100-prozentig, daß sie umgebracht werden. Der Haß ist groß.
Iz: Was für Perspektiven gibt es für eine zukünftige Entwicklung einer autonomen Republik? Fürchten Sie keine Versorgungsschwierigkeiten, oder eine Art von Blockade?
P.G.: Vor einer Blockade muß sich die Ukraine fürchten. Das Gas fließt durch die Karpatoukraine. Die EU muß keine Befürchtungen hegen, denn wir wollen es uns mit ihr nicht verscherzen. Die Ukraine soll sich das überlegen. Wir wollen niemandem drohen. Selbst wenn wir die Autonomie sehr strikt auslegen, so heißt das nicht, daß wir gegen die Führung in Kiew sind. Wir wollen nur ein neues vertragliches Verhältnis bezüglich des Haushaltes, der Grenzen usw. Aber wenn Kiew zur Gewalt greift, so werden wir antworten …
Man muß sich auch vor Augen halten, daß die Ukraine mit jedem Tag schwächer wird. Ihre Wirtschaft kann keinen Krieg mehr tragen. Deswegen wird Poroschenko sicherlich versuchen, mit uns zu verhandeln.

Iz: Wie wollt ihr die Autonomie finanzieren?

P.G.: Der Haushalt der Karpatoukraine würde heute faktisch 4 Milliarden Euro aus dem Gastransit einnehmen. Aber Kiew überläßt uns daraus nicht einmal 2 Milliarden Hrywna (118 Millionen Euro) und behauptet, daß die Karpatoukraine sowieso ein Zuschußbetrieb ist und mit dieser Summe begünstigt wird. Wären wir autonom, so könnten wir über diese Summen aus dem Gastransit verfügen. Wir würden dann nur mehr maximal 10% an Kiew abführen.
Sogar dann, wenn das Gas durch die South Stream Pipeline fließen würde, so bliebe uns immer noch der Güter- und Passagier-Transit. Außerdem besitzen wir eine entwickelte Landwirtschaft und Roboter-Industrie, und haben große Wasserreserven, auch was Mineralwasser betrifft. Deshalb kann man sagen, daß unsere Perspektiven und Potentiale für eine eigenständige Existenz bedeutend sind.”
Quelle
________________________________
Wahrscheinlich ist dieser ruthenisch-ungarische Kongreß lediglich eine Gruppe von Leuten, die sich hin und wieder im Hinterzimmer eines Wirtshauses trifft. Das Interview zeigt, wie Rußland versucht, sich in die ukrainischen Belange einzumischen. Es wirft aber auch ein Licht auf die Zustände in der bettelarmen Karpatoukraine und in die Berechnungen, die lokale Politiker angesichts der gegenwärtigen Situation entwickeln. Außerdem könnte der Typ nicht solche großen Töne spucken, wenn er sich nicht der Unterstützung ungarischer Politiker sicher wäre.
Die erwähnte angebliche Abstimmung von 1991, von der auch nicht klar ist, in welchem Umfang sie stattgefunden hat, bzw. die damals in der Karpatoukraine vorherrschende Stimmung dienten dem damaligen MDF (Demokratisches Forum)-Politiker István Csurka als Anlaß, im ungarischen Parlament die Unterzeichnung eines Grenzvertrages mit der Ukraine zu beeinspruchen und stattdessen die Einverleibung der Karpatoukraine auf die Tagesordnung zu setzen. Er gründete dann eine eigene Partei, die Partei der Wahrheit und des Lebens, und gilt als der geistige Ziehvater der Jobbik.

2 Gedanken zu “Pressespiegel: Izvestija, 14.9.

  1. Wenn es im Artikel heißt,
    “Unsere Tätigkeit wird sich auf Lokales beschränken und nur auf Rechten Sektor, SBU (Sicherheitsdienst) und Staatsanwaltschaft ausgerichtet sein.”
    könnte da statt “Rechter Sektor” das Justizwesen gemeint sein?

  2. Dort steht jedenfalls: “Rechter Sektor”, und es könnte sein, daß dieser inzwischen in der Westukraine das Justizwesen repräsentiert.
    Man erinnere sich, die wollten ja vor einiger Zeit in Kiew die Staatsanwalt oder den Obersten Gerichtshof stürmen und alle Richter hinauswerfen. Die Justiz ist offenbar ihre erste Interessenszone.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert