DIE VOLKSZÄHLUNG
In letzter Zeit werden vor allem von Corona-Dissidenten die Statistiken zu Todeszahlen, Tests usw. angezweifelt. Da würde falsch gezählt, so meinen viele, und sogar, oh Schreck, absichtsvoll manipuliert.
Aber wie viele dieser Leute haben sich eigentlich bisher Gedanken gemacht darüber, was sonst alles an Daten erhoben wird, in welcher Form, mit welcher Genauigkeit und vor allem: Zu was für einem Zweck?
Eine der grundlegenden, wenngleich nicht häufigen Datenerhebungen ist der Zensus.
1. Der Staat braucht sein Volk …
Es ist nämlich die Quelle seines Reichtums, neben dem Territorium. Diese beiden Voraussetzungen machen einen Staat aus, und je nachdem, wie er beides benützt bzw. benützen kann, ist er ein „reicher“ oder ein „armer“ Staat.
Wieviel davon da ist und wer eigentlich alles dazugehört, ist jedoch eine Frage, die hin und wieder überprüft werden muß. Die Volkszählung ist daher das ureigenste Interesse jeden Staates. Daß sie nicht öfter stattfindet, liegt daran, daß es da viele rechtliche Einschränkungen gibt – von wegen Privatsphäre und so – aber vor allem, daß das Verfahren sehr aufwendig und kostspielig ist. Und wenn es nicht mit der nötigen Gründlichkeit durchgeführt und ausgewertet wird, für die Katz ist.
2. … und muß es deshalb erfassen
Da die Ergebnisse der Volkszählung auch Grundlage für Besteuerung bilden, waren die Volkszähler nie sehr beliebt. Die Menschen kamen sich überwacht vor. Bei der letzten analogen bzw. händischen Volkszählung in Österreich – also mit Personen, die von Tür zu Tür gingen, die Fragebögen aushändigten und wieder einsammelten – sorgte vor allem die Frage nach der Religionszugehörigkeit für Unmut.
Bis zu Zeiten des Internets gingen diese Volkszählungen in den meisten Staaten der EU ähnlich vonstatten. In allen wollte der Gesetzgeber wissen, wieviele Menschen welches Geschlechtes, welchen Alters und welcher Staatszugehörigkeit auf seinem Territorium, und wo genau dort lebten.
Seit den Zeiten des Internets wird die Volkszählung in Österreich als Registerzählung durchgeführt. Keine Volkszähler werden mehr ausgeschickt, dafür werden die bereits vorhandenen Daten von Arbeitgebern, Sozialversicherung, Schulen, Kindergärten und vor allem dem Melderegister miteinander verglichen und dann ein Gesamtregister erstellt, dessen Ergebnis dem der händischen Volkszählung gleichkommt oder es sogar an Genauigkeit übertrifft.
Die heutigen Volkszähler sitzen also hinter Computern und bearbeiten dort die Daten.
Vermutlich wird das in anderen EU-Staaten genauso gehandhabt. Problematisch wird es in angelsächsischen Ländern, in denen keine Meldepflicht besteht und es daher auch kein Melderegister gibt.
(Beim Brand des Grenfell Towers 2017 in London dauerte es eine Weile, bis die Anzahl der Todesopfer feststand, weil nirgends aufschien, wie viele Leute zum Zeitpunkt des Brandes dort gewohnt hatten.)
Wenn es jedoch kein Melderegister gibt, so bleibt eben nur die Möglichkeit der händischen Volkszählung, kombiniert mit einer Art digitaler Umfrage durch Zuschicken der Fragebögen per Email. Das Verfahren ist daher aufwendiger und unzuverlässiger.
3. Schwierigkeiten anderswo
In Großbritannien wurde ebenso wie in Österreich die letzte Volkszählung 2011 durchgeführt. Schon damals war nicht nur die Frage, wie die Daten zu erheben seien, sondern auch, welche Behörden das zu planen und durchzuführen hätten, Gegenstand von Debatten, da das UK sehr föderal ausgerichtet ist. Und schließlich: Wers macht, muß es auch zahlen. Jeder versucht, den anderen die Kosten umzuhängen.
Seit 2011 beruhen alle Angaben zur Bevölkerung des UK auf Schätzungen. Aufgrund der illegalen Einwanderung und der nichtexistenten Meldepflicht ist die Bevölkerung in den Städten sehr schwer schätzbar. Der nächsten Volkszählung im Jahr 2021, die die Regierung unbedingt durchführen will, stehen wegen des Brexits und Uneinigkeit zwischen London und Schottland gröbere administrative und rechtliche Schwierigkeiten bevor.
In den USA wäre heuer, inmitten von Coronavirus-Problemen, Demos und Streit zwischen den Gouverneuren, dem weißen Haus und dem Kongreß, wieder ein Zensus fällig.
Trump will unbedingt den rechtlichen Status der Einwohner in den Zensus aufnehmen, der in den USA offenbar noch immer größtenteils entweder analog oder per digitalem Formular durchgeführt wird. Die Immigranten sollen also selbst und freiwillig angeben, ob sie legal oder illegal in den USA leben.
Abgesehen von der Frage, ob das nicht überhaupt verfassungswidrig ist, werden Bedenken laut, daß da viele Leute entweder den Fragebogen gar nicht ausfüllen oder aber falsche Angaben machen werden, wodurch das ganze Ergebnis verfälscht wäre und man sich den Aufwand eigentlich sparen und weiterhin schätzen könnte.
Man sieht hier, wie sich politische Entscheidungen – Wir sind kein Einwandererland mehr! – auf die Qualität der Datenerhebung schlagen.
In Ländern Lateinamerikas, Afrikas oder Asiens wiederum sind die Daten oftmals deshalb unzuverlässig, weil die mit dem Zensus beauftragten Beamten wenig Geld erhalten, oder überlastet sind, und sich dann verschiedene Zahlen einfach aus den Fingern saugen, anstatt Stapel von Fragebögen aufzuarbeiten, oder in entlegene Gegenden zu fahren, um dort Umfragen durchzuführen.
An den Daten der Volkszählung hängt jedoch auch vieles andere, was dann an UNO-Organisationen weitergeleitet und in zentralen Statistiken gelagert und in jährlichen Datensammlungen herausgegeben wird: Die durchschnittliche Lebenserwartung, die Kindersterblichkeit, Lebendgeburten pro Frau (d.h., die Reproduktionsrate), Bevölkerungsdichte usw. Diese Daten sind für jedes Land nur so gut wie die Volkszählungsdaten, die ihnen zugrundeliegen.
nächstes Mal: Die Sterblichkeit
… Nicht mehr zu zählen sind die zahlreichen Skandale, die mit Ernährung, Versorgung und Nahrungsmittelproduktion zusammenhängen.
Jüngste Beispiele, mitten in der Corona-Krise:
GSP-Serie Pandemie XIII
Der Fleischskandal
Die seuchenbedingte Neuauflage eines alten Skandals …
… und was aus ihm wird [Gliederung des Artikels]:
1. Eine Herausforderung für die Sachwalter der Volksgesundheit
2. Eine Glanzstunde für die Betreuer des gesunden Volksempfindens
3. Eine Lerneinheit über die Logik von Sozialpolitik
4. Eine Runde Muh im Kuhstall
5. Klassengesellschaftlicher Alltag eben
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/fleischskandal
Einiges zur Problematik der Volkszählung kann man in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens feststellen.
Diese Staaten haben sich vor nicht allzu langer Zeit gegeneinander konstituiert, was sowohl die Grenzen als auch die Bevölkerung betrifft.
Volkszählungen sind daher aus verschiedenen Gründen heikel.
So wählen jede Menge bosnische Kroaten, die längst in Kroatien leben und auch die kroatische Staatsbürgerschaft besitzen, weiterhin in den bosnischen Wahlen mit. Das ist im In- und Ausland erwünscht, weil es zur Fiktion des bosnischen Staates gehört, die Wahlbeteiligung in der Föderation anhebt und Kroatien Möglichkeiten der Einflußnahme auf Bosnien warmhält.
Weniger erfreut ist man in Montenegro mit montenegrinischen Staatsbürgern, die in Serbien leben und ebenfalls die serbische Staatsbürgerschaft haben. Die wurden seinerzeit beim Unabhängigkeitsreferendum dezidiert ausgeschlossen, so kam die hauchdünne Mehrheit für die Sezession zustande.
In Mazedonien und Montenegro ist die Frage der albanischen Minderheit, im Kosovo die der serbischen strittig. Ab einem gewissen Bevölkerungsanteil wachsen nämlich ihre Rechte auf Beamtenjobs und Bildungseinrichtungen, wie das in der jugoslawischen Verfassung von 1974 festgelegt war. Ähnliche Bestimmungen wurden auf relativ holprigem Weg auch in die neuen Verfassungen dieser Staaten aufgenommen, meist auf Druck der EU, die keine weiteren Flüchtlingswellen und Bürgerkriege wegen ethnischer Säuberungen wollte.
Zusätzlich ergibt sich bei jeder Volkszählung das Probem der Arbeitsemigranten, die je nach Nationalität als wahlberechtigt oder nicht wahlberechtigt anerkannt werden, wobei ihr wirklicher Wohnsitz im Ausland einmal unwichtig ist, ein anderes Mal als Beweis ihrer Nicht-Berechtigung herangezogen wird.
Um da nicht unangenehme Wahrheiten präsentiert, oder den Bevölkerungsschwund manifest vorgelegt zu bekommen, werden Volkszählungen entweder nicht angesetzt, oder von einem Bevölkerungsteil boykottiert, so daß die Ergebnisse ungültig sind.