Ungarns Zensuropfer Nr. 1:

TILOS RÁDIÓ, BUDAPESTS FREIES RADIO
Tilos Rádió, das „verbotene Radio“, sendet mit Unterbrechungen seit 1991. Es wird aus Spenden finanziert.
Tilos hat sich von Anfang an der Alternativ- bzw. Avantgarde-Kultur verschrieben, und da in erster Linie dem Punk, Techno, Rap und ähnlichen Musikrichtungen. Laut ihrem chaotischen Programm, dem man oft die Natur der Sendung überhaupt nicht entnehmen kann, (Beispiel: Sendungen am 9.12. 2010) kann man auf Blogs mit Unsinns-Gedichten kommen, improvisierte Jazzmusik hören, oder sich über Kunst-Events auf der ganzen Welt informieren. Dreht man in Budapest im Auto am Radiosender-Knopf und gerät an das Tilos Rádió, so dröhnt einem meistens irgendein Geschrei entgegen, mit relativ störender Musik-Begleitung.
Zum Unterschied von anderen freien Radios in Österreich, Deutschland oder Spanien sucht man im Programm von Tilos Rádió vergeblich nach politischen, gesellschaftskritischen oder über die Probleme der Minderheiten informierenden Sendungen. Es ist auch unmöglich, solche dort unterzubringen, wie die Verfasserin dieser Zeilen aus eigener Erfahrung weiß. Ebenso verschließt sich die Mannschaft dieses Radios wissenschaftlichen Inhalten, seien sie jetzt geisteswissenschaftlicher Natur, oder über neuere naturwissenschaftliche und technologische Entwicklungen.
Die Betreiber des „verbotenen Radios“ repräsentieren ein Element der Subkultur, die einem eigentümlichen Begriff von Freiheit huldigt: Gerade der Nonsens, die Abwesenheit jeglichen Sinns stellt für sie die wahre individuelle Entfaltung dar. Der Geist, der sich an Inhalte bindet, Zusammenhänge festhalten und darstellen möchte, ist für sie unfrei, und bereits Teil des „Establishments“, was immer das sein mag. Das gleiche gilt für die Musik: die darf nicht auf Harmonie oder angenehmes Hören ausgelegt sein, dann ist sie schon falsch, korrupt, im Dienste fremder Gewalten. Freiheit heißt: frei sein, los von allem, keine Erklärungen, keine Annehmlichkeiten, keine Gegenwart, keine Zukunft, und das ist für das Tilos Rádió echt international, multikulturell, und fortschrittlich.
Die Leute von Tilos Rádió durchstöbern offenbar ständig das Internet, Podcast-Sendungen, Indymedia, YouTube usw. nach neuen Juwelen der Disharmonie und Protestkultur in ihrem Sinne.
Jetzt sind sie wegen eines Liedes eines amerikanischen Rappers ins Schußfeuer der Zensurbehörde geraten.
Eine Kostprobe aus dem Text des Liedes:
Turn up the mic, dog
So I can get off
Find me Charlton Heston and we might
Cut his head off
I’m not to be fucked with
Step in the range of my guage and get bucked quick
Niggas, hoes, I don’t know who you are
My friends or foes
Smile in my face
And plot to kill me behind doors
I got a new attitude
No trust
Got me in a corner
All a nigga can do is bust
It may be you
There’s gonna be a lot of dead before I’m through
I’m ’bout to break off niggas who play me and dis me
Try to switch from side to side like the ??? ???
The damage is done
Source magazine
You’re the first one
You try to dis Chuck, Cube and me
How the fuck you pick us 3?
You punk motherfuckers ain’t shit
You’re just a bunch of hoes
Makin’ money off the pros
And when I see I get you in my sights
I give yo’ ass a story to write
Cause it’s on
[Chorus:]
It’s on motherfucker
And you can’t turn the shit off
Catch you in the streets and your ass’ll get tossed
Bang! Bang! Bang! cause it ain’t no thang
To put in work and watch your head burst
(Voller Text)
Na ja. Love it or leave it.
Wegen dieses Songs hat Tilos Rádió jetzt ein Verfahren wegen der Verbreitung obszöner und jugendgefährdender Inhalte am Hals. Die Verantwortlichen rechtfertigen sich damit, daß ohnehin niemand von ihren Hörern gut genug Englisch kann, um den Text zu verstehen. Und damit haben sie vermutlich recht. Ob sie auch Recht bekommen, wird sich erst erweisen.
(Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich keiner von denen, die die betreffende Sendung gemacht haben, den Text jemals angehört hat. Es stünde ja im Gegensatz zu ihrem Subkultur-Programm, sich mit irgendwelchen Inhalten, wie dumm auch immer, auseinanderzusetzen.)
Etwas Besseres hätte diesem Insider-Klub gar nicht passieren können. So sind sie international bekannt geworden, und können sich – und das ist sehr bezeichnend für die meisten, die gegen die neue Zensurbehörde Sturm laufen – als Kritiker präsentieren und so richtig aufblasen. Diese Stilisierung zum kritischen Geist aus einem rein negativen Moment her – aus Verfolgung oder Behinderung von Seiten der Behörden – ist immer verdächtig, denn die Inhalte, die diese Leute verbreiten, geben das Etikett „kritisch“ offenbar schwer her.

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