DIE ÜBERNAHME DES BANCO POPULAR
1. Vom Ideal, Krisen zu vermeiden
Die 2014 gegründete Europäische Bankenunion hat das erklärte Ziel, durch Aufsicht und Richtlinien eine Wiederholung der Finanzkrise zu verhindern.
Erstens ist die Finanzkrise nicht vorbei, ganz im Gegenteil, sie schleppt sich inzwischen ins 10. Jahr. Sie ist sozusagen latent geworden.
Bemerkenswert ist auch die interessierte Betrachtungsweise bzw. völlige Ignoranz gegenüber den Gründen der Krise. Die Kreditschöpfung des Finanzkapitals oder das Prinzip des Gewinns überhaupt, das die Finanz-„Dienstleister“ erst dazu bringt, zu machenden Profit bereits vorwegzunehmen, werden gar nicht Gegenstand der Überlegungen der Politiker und „Experten“ der EU. Sondern das Urteil steht schon fest: Menschliches Versagen soll wie bei Zugunglücken die Ursache gewesen sein, warum Banken krachen und Wertpapiere sich entwerten. Selbstherrlichkeit von einzelnen leitenden Angestellten, allgemein Gier und andere niedrige Gefühle, von denen man gar nicht weiß, wo die in unserer Wertegemeinschaft eigentlich herkommen, haben so wunderbare Gebilde wie den Euro ins Strudeln gebracht. Seither sind jede Menge Verantwortliche bei Notenbanken, Gesetzgeber und Juristen damit beschäftigt, den Euro mit Geldspritzen zu behandeln und mit weiterem Kredit zu füttern, damit er sich auf den Beinen halten kann.
Bei einer solchen Diagnose nimmt es dann auch nicht wunder, wie die Therapie aussieht: Kontrolle und noch einmal Kontrolle soll vermeiden, daß „einzelne“ „Fehlentscheidungen“ wieder eine Entwertungs-Lawine ins Rollen bringen. Der demokratisch geschulte Verstand betrachtet die gesamte gesellschaftliche Verfaßtheit, die kapitalistische Einrichtung der Welt mit Geld, Eigentum, Staat und Gesetzen als eine Art höhere Gewalt, die von gewöhnlichen Sterblichen irgendwie gebändigt und handhabbar gemacht werden muß.
Die Europäische Bankenunion folgt von ihrer Logik her also ähnlichen Prinzipien wie die Wildbachverbauung, womit aber den Aufgaben, die sie sich gestellt hat, und überhaupt dem Gegenstand ihres Handelns – dem Finanzkapital – nicht gerecht wird.
2. Die Banco Popular-Bank und ihr Ende
Die Bank wurde 1926 unter dem klingenden Namen „Volksbank der um die Zukunft Besorgten“ gegründet und erfreute sich der besonderen Gunst des damaligen spanischen Königs, der gleich demonstrativ die ersten Aktien zeichnete.
Unter Franco war die Bank wie andere Banken auch ein Instrument der wirtschaftlichen Steuerung, im Vorstand befanden sich viele Mitglieder des Opus Dei.
Zu einer „richtigen“ Bank wurde die Banco Popular erst nach dem Ende des Franco-Systems, als sie erstens ein umfassendes Filialnetz in Spanien aufbaute und dann ins Ausland expandierte – erst innerhalb der EG, und dann auch in Übersee, in den USA und in Mexiko.
An der Schwelle zur Finanzkrise, im Jahr 2008, führte sie noch eine Vereinheitlichung ihres Filialnetzes durch.
Als sie 2017 an die Bank Santander um einen symbolischen Euro verkauft wurde, war sie nach Vermögen die fünft- oder sechstgrößte Bank Spaniens.
Banco Popular saß natürlich, wie alle spanischen Banken, mit einem Haufen entwerteter Hypothekarkredite und anderen Überresten der großflächig gescheiterten Immobilienspekulation da.
Über die weiteren Gründe ihres Scheiterns und der Übernahme gehen die Ansichten auseinander. Eine eigene Untersuchungskommission wurde eingesetzt, und Aktionäre und Einleger haben rechtliche Schritte gegen Santander als Rechtsnachfolger eingeleitet.
Die Popular war die erste Bank, bei der die Bankenaufsicht eingriff. Aus den Protokollen der Untersuchungskommission geht hervor, daß die Beamten der EU-Bankenunion eigentlich keine Ahnung haben, wie sie mit dergleichen Fällen umgehen sollen. Die Wildbachverbauungs-Logik führt ins Nichts.
3. Ursachenforschung im Nebel
Die Diagnose der Tageszeitung El País gibt die Richtung vor, in die man in Zukunft denken soll:
„Sie (= die Bank) war das letzte Opfer der schlechten Leitung durch die Verantwortlichen während der Finanzkrise.“
Man entnehme dem Satz: 1. Die Finanzkrise war einmal. 2. Sie wirkt immer noch nach. 3. Bei guter Leitung wäre kein Schaden entstanden.
Der eine der ehemaligen Direktoren beschuldigte seinen Nachfolger, die Bank in den Bankrott getrieben zu haben, damit die Bank Santander sie übernehmen könne, ohne einen Cent dafür zu zahlen, und auch noch 2 Milliarden Euro dafür einzustreifen. (Das waren staatliche Zahlungen, damit Santander das gekenterte Schiff bei sich aufnehmen sollte.) Der Nachfolger hingegen konterte, die Bank sei bereits pleite gewesen, als er in die Direktion gekommen sei, das sei nur von seinem Vorgänger versteckt worden.
Zu dieser Praxis der geschönten Bilanzen gab er allerdings zu, daß sie weit verbreitet sei, da ja der Kredit der Bank um jeden Preis aufrechterhalten werden sollte. Also wurden überall nach dem Platzen der Immobilienblase in Spanien die nicht mehr bedienten Kredite und entwerteten Immobilien in den Bilanzen versteckt, so gut es nur ging. So auch bei der Popular.
Zunächst wurde das Filialnetz „verschlankt“ und Leute entlassen. Das verringerte zwar Kosten, brachte die Bank aber nicht in die Gewinnzone und löste das Problem der problematischen Aktiva nicht, die nach wie vor bei der Bank herumlagen.
Dann wurden Kapitalaufstockungen durch Börsengänge unternommen. Vorher wurde natürlich die Lage der Bank in den rosigsten Farben in Hochglanzprospekten und Werbespots ausgemalt – die Leute sollten die Aktien ja kaufen.
Diese Praxis wurde inzwischen von den spanischen Gerichten als Betrug eingestuft, sodaß saftige Entschädigungszahlungen an geprellte Aktionäre ausgezahlt werden mußten und auch weiterhin müssen.
Bei dieser Kapitalaufstockung kamen mexikanische Aktionäre in die Bank, die dachten – offenbar im Unklaren über den tatsächlichen Zustand der Bank – ein echtes Schnäppchen gemacht zu haben. Jetzt schauen sie durch die Finger und wollen ihr Geld zurück. Auch aus New York wurden Klagen gegen die Bank eingereicht, die sich inzwischen eben an die Santander als neuen Besitzer richten. Der Fall der Popular geht also auch über die EU hinaus.
Eine beliebte Form der Kapitalerhöhung bei Banken und Sparkassen in Spanien bestand auch darin, den betuchteren Kunden Anteilsscheine an der Bank aufzuschwatzen, die sich mit einem Bankrott oder Verkauf der Bank in Luft auflösen, oder eben doch nicht, weil dieser Umstand eine Flut von Klagen nach sich zieht.
Im Falle der Popular wurde auch diese Praxis sehr verdeckt gehandhabt, weil diese Anteilsscheine bei anderen Banken bereits öffentlich in Mißkredit geraten waren. Es ist in den Medien immer nur von „Investoren“ die Rede, aber nicht davon, welcher Art die „Investition“ eigentlich war, da aufgrund der Schwierigkeiten der Bank auch der Börsengang gar nicht oder nur teilweise öffentlich war.
4. Santander als Bankenretter
Die Bank Banco Santander ist das Herzstück des Grupo Santander, einem internationalen Netz von Finanzdienstleistern rund um den Globus.
Gegründet wurde die Bank im 19. Jahrhundert als Handelsbank für den Export und Import aus dem Hafen von Santander. Später war sie eine der Banken, die Papiergeld druckten und in Umlauf brachten, bis dieses Geschäft der Nationalbank exklusiv übertragen wurde. Erst im 20. Jahrhundert begann sie, sich über Kantabrien hinaus zu einer gesamtspanischen Bank zu entwickeln und andere Banken einzuverleiben. Einen echten Wachstumsschub brachte der Fall des Rumasa-Imperiums, einer vertikalen Unternehmensgruppe aus der Franco-Zeit, die 1984 von der damaligen Regierung zerschlagen wurde, wobei Santander den Banksektor übernahm.
Seit dem EG-Beitritt Spaniens 1986 wächst Santander unaufhörlich. In den 90-er Jahren wurde sie zur größten Bank Spaniens und einer der wichtigsten Banken Lateinamerikas. Mit der Einführung des Euro expandierte Santander so richtig in andere Staaten der EU und nach Übersee. Santander gehörte zu den Banken, die den Euro nutzten und gleichzeitig als internationale Währung in anderen Ländern etablierten.
Zu ihrem 150. Jahrestag 2007 war sie die 12-größte Bank der Welt und diejenige mit dem größten Filialnetz weltweit. Den größten Geschäftsanteil machen das Privatkundengeschäft und die Konsumentenkredite aus.
Seither hat Santander noch weitere Banken übernommen. Zunächst sah sie die Krise und die aus ihr resultierenden Bankencrashes natürlich als eine Chance, weiter zu expandieren und sich Marktanteile in ihrem Stammgeschäft zu sichern.
Mit dem Fortschreiten der Krise kam aber noch ein anderer Gesichtspunkt dazu. Santander ist nicht nur eine Systembank des europäischen Finanzsystems, sie ist auch zu einer Systembank der Bankenrettung geworden.
Sie kauft gestrauchelte Banken auf der iberischen Halbinsel auf und saniert diese, sowohl finanziell als auch, was die anstehenden Klagen und Rechtsstreitigkeiten angeht. Dafür erhält sie alle Unterstützung vom Staat und der EZB.
So sieht das Aufräumen hinter gecrashten Banken viel besser aus: Es handelt sich scheinbar um eine normale kommerzielle Operation, eine Bank kauft eine andere, und fertig. Santander stützt damit den Ruf des Euro.
Das einzige Problem ist, daß sich die Santander nicht überall einsetzen läßt, weil z.B. die italienischen Regierungen eine Übernahme ihrer großen Banken durch Santander nicht zulassen würden. Schon der Erwerb der Antonveneta und ihr baldiger Verkauf an eine italienische Bank zeigten, daß Santander in Italien nicht willkommen ist. Möglicherweise haben auch andere Staaten Vorbehalte gegen das Eindringen dieses Haifisches in ihren finanziellen Fischteich.
Es fragt sich übrigens, was Santander mit den bei ihr natürlich auch in großer Menge vorhandenen geplatzten Krediten, unbebauten Grundstücken und leeren Immobilien macht? Schreibt sie sie locker ab, oder hat sie bessere Konditionen als andere Banken, diese entwerteten Aktiva auf Bad Banks oder andere Müllschluck-Institutionen zu dumpen?
5. Der spanische Staat und seine Bad Bank
Ein großer Abwesender beim Fall der Popular ist die spanische Bad Bank, die SAREB. Sie wurde ja gegründet, um den Banken die faulen Kredite abzukaufen. Entweder sie hat der Popular zu wenig davon abgekauft, oder sie hat zu wenig dafür gezahlt.
Oder aber, das ganze Programm der Bad Bank bewährt sich bei nicht bedienten, also verfallenen Krediten nicht, sondern läßt sich nur auf entwertete Wertpapiere anwenden.
Es ist jedoch auffällig, daß die SAREB, die genau für solche Banken wie die Popular gegründet wurde, in den ganzen Verhandlungen um die Nachbereitung der Bankinsolvenz und des Kaufes durch die Santander gar nicht aufscheint.
Daraus kann man Rückschlüsse auf die Tätigkeit der SAREB und deren Dotierung aus dem spanischen Budget ziehen. Der große Schritt war offenbar die Gründung dieser Bad Bank. Seht her, wir kümmern uns um unsere Banken und deren Probleme! Das war eine Botschaft an das In- und Ausland, nachdem Spanien 2012 einen großen Kredit aus dem Rettungsfonds ESM zur Bankensanierung erhalten hatte.
Und da hat sich die SAREB ja auch bewährt, neben anderen Maßnahmen wie dem Anleihen-Aufkaufsprogramm der EZB: Das Rating der spanischen Staatsanleihen verbesserte sich.
Das Geld war offenbar bald verbraucht, und seither zahlt die SAREB fast nichts mehr bzw. kauft keine entwerteten Aktiva mehr auf. Hin und wieder gibt es Berichte über die SAREB: von den bei ihr angesammelten Immobilien und sonstigen Vermögenswerten oder Schuldtiteln wurden so und so viel Prozent „realisiert“, also irgendwie zu Geld gemacht. Ob es sich dabei um so symbolische Euros handelt oder um irgendwelche wirklichen Einnahmen, bleibt im Dunkeln.
Die zweite wichtige Aufgabe der SAREB scheint nämlich zu sein, die Immobilienpreise wieder auf ein gewinnversprechendes Niveau zu heben und den Hypothekarkredit zu beleben. Diesbezügliche Erfolgsmeldungen kann man glauben oder nicht. Ein wirklicher Durchbruch scheint bis heute nicht stattgefunden zu haben, ein großer Anteil der Hypothekarkredite bleibt uneinbringlich, weil die Schuldner sich ins Ausland abgesetzt haben, entweder nach Lateinamerika oder in andere EU-Staaten.
Damit ist auch der spanische Bausektor nicht mehr wirklich auf die Füße gekommen und hält sich mit staatlichen und Auslandsaufträgen irgendwie über Wasser.
Und deswegen ist letztlich auch die Popular gekracht: Die Hoffnung, nach einer Durststrecke wieder ins Hypothekargeschäft zu kommen, bewährte sich nicht.
Der Grund, die Bank zu übernehmen und zu verkaufen, war schließlich ein Run auf die Bank, aufgrund der sich häufenden Negativmeldungen. Da griff die Euro-Bankenaufsicht ein.
6. Die europäische Bankenaufsicht
Schon die Namensgebung der Bankenaufsicht ist eigenartig: Überall sind „Mechanismen“ zugegen, aber die Beschlüsse erfolgen nicht mechanisch, sie müssen dann schon von Menschen gefaßt werden.
Wie sich inzwischen aufgrund der Anhörungen der spanischen Untersuchungskommission herausgestellt hat, hatte der EZB-Bankenaufsichts-Ausschuß SRB im Mai 2017 die Buchprüfer-Firma Deloitte beauftragt, sich die Bilanzen und Perspektiven der Bank anzuschauen. Die Firma erstellte 3 Szenarien, ein positives und 2 negative. Außerdem hat dieser Ausschuß eine eigene Bewertung erstellt, die auch negativ war.
Auf dieser Grundlage kam es zum Entschluß des SRB-Ausschusses, die Popular an Santander für einen symbolischen Euro zu verkaufen.
Über das alles ist aber nicht viel herauszubekommen, weil sowohl die 3 Studien der Buchprüfer-Firma als auch diejenige des EZB-Ausschusses „vertraulich“ sind. An die spanischen Abgeordneten im Parlament wurde nur eine stark zensurierte und nichtssagende Zusammenfassung dieser Papiere freigegeben. Aus der geht immerhin hervor, daß der SRB-Ausschuß den Verkaufsbeschluß faßte, weil die EZB sich weigerte, der Bank weiter Liquidität über den ELA-Notfallsmechanismus zuzuschießen.
Weiters geht aus diesem Resümee der Intervention noch hervor, daß der Bankenaufsichts-Ausschuß den Geldhahn abdrehte, weil die Verantwortlichen der Popular nicht genug Aktiva vorweisen konnten, um weitere Geldspritzen zu rechtfertigen.
Die ganze Tätigkeit dieser Bankenaufsicht, die so um die 1000 Mitarbeiter beschäftigt, dreht sich also allein um die Frage, wann einer Bank definitiv der Hahn zuzudrehen ist. Und zwar dann, wenn sie nicht genug hat, um einen Liquiditäts-bzw. Überbrückungskredit auch zu bedienen und zu tilgen. Einzig und allein für diese Frage werden Studien erstellt und Gehirnschmalz eingesetzt. Diese Geistesleistungen sind dann aber „vertraulich“, weil sie entweder auf einige Akteure, oder aber auf den ganzen Banksektor kein gutes Licht werfen.
Die Bankenaufsicht bemängelte ferner die „negative Berichterstattung in der Presse“, die „die Schließung der Bank beschleunigt habe.“
Damit wird eigentlich der Bankleitung vorgeworfen, die Öffentlichkeit nicht ausreichend hinters Licht geführt zu haben. Ferner wird damit zugegeben, daß die Bank sowieso hätte zusperren müssen, nur eben etwas später. Wie auch die Geheimnistuerei mit den Studien zeigt, hält die Bankenaufsicht anscheinend das Verstecken von kompromittierenden Infos für das Um und Auf des Bankengeschäfts!
Die spanische Untersuchungskommission und mit ihr das spanische Parlament ist entrüstet, weil sie alle keine Infos kriegen. Die Bankenaufsicht ist genervt, weil die angeblich falsche „Informationspolitik“ die Kosten der Sanierung hinaufgetrieben hat. Und die über 300.000 Geschädigten beschäftigen Anwälte und Gerichte, um ihr investiertes Geld zurückzubekommen.
Das ist also das Resultat der Tätigkeit der Bankenaufsicht. Oder genauer, das bisherige.