DAS AUSTRITTS-THEATER
Über eineinhalb Jahre ist es jetzt her, daß bei einer Abstimmung in Großbritannien die Mehrheit der Wähler entschieden hat, der EU den Rücken kehren zu wollen.
Das löste bei den Politikern und Medien der EU einen Schock aus. Wie ist es möglich, daß jemand diese tolle Staatengemeinschaft verlassen will? Die ganze Propagandamaschinerie für dieses imperialistische Staatenbündnis hatte auf einmal Sand im Getriebe. Die Austritts-Option gab es nämlich in den EU-Verträgen – ähnlich wie in der jugoslawischen Verfassung – nur aus dem Grund, daß damit die Freiwilligkeit des Dabeiseins noch einmal unterstrichen sein sollte, aber nicht deshalb, damit sie auch wahrgemacht würde.
Ein Austritt war nicht vorgesehen, das ganze Prozedere dazu fehlte, ein Präzedenzfall war geschaffen worden.
1. Die Gründe für die Abstimmung
So eine Abstimmung muß erst einmal angesetzt werden, sie geht also auf jeden Fall zunächst von der politischen Herrschaft aus und nicht vom einfachen Wahlvolk.
Die politische Klasse bzw. die Eliten Großbritanniens sind gespalten in der Frage, ob sie mit oder ohne EU besser gefahren wären oder fahren würden. Die Träume vom Empire wurden nie aufgegeben, und sich als Gleicher unter Gleichen mit den anderen großen Mächten der EU zu begegnen, war schon manchen zuwenig. Noch weniger gefiel Politikern der Abstieg in die zweite Reihe, der trotz der City und des Militärapparates aufgrund des fortgeschrittenen und noch weiter fortschreitenden Verlustes der produktiven Basis droht. Manche rechneten sich anscheinend in einer Rückkehr zum Commonwealth und einer Neuauflage gesonderter Beziehung zu den ehemaligen Kolonien einen Vorteil aus, mit dem ein Austritt aus der EU wettgemacht werden könnte.
Aber die umgekehrte Befürchtung, daß die bereits weit gediehenen Abhängigkeiten nicht mehr ohne größeren Flurschaden rückgängig gemacht werden könnten und vor allem der Londoner Finanzsektor durch eine Abkoppelung von der Eurozone leiden würde, war genauso vorhanden und wohlbegründet.
Als der Premierminister eine Volksabstimmung ansetzte, war er von der festen Überzeugung beseelt, daß das werte Volk ein Einsehen haben und ein sattes Ja! zu Europa zurückschallen würde, ähnlich wie sich bei dem schottischen Referendum 2014 eine relativ klare Mehrheit von 55% für den Verbleib bei Großbritannien ausgesprochen hatte. Womit er wiederum bei Verhandlungen punkten könnte, so in der Art: unsere Bürger haben trotz alledem Vertrauen in die EU, und deshalb wollen wir …
2. Das unerwünschte Ergebnis
Daß sich die Mehrheit, wenn auch sehr knapp, gegen die EU positionieren würde, hatten weder der Premier selber noch die lauten Marktschreier des Brexit erwartet, die in den Tagen nach der Abstimmung von ihren Posten zurücktraten. Das Ergebnis überraschte und verstörte alle: die Politiker, die Geschäftswelt, die Propagandisten der EU im Medien und Umfrage-Instituten.
Vor allem die in den letzten Jahren populär gewordene Methode, Wahlkampfprognosen quasi als Aufforderung an die Wählerschaft zu formulieren, der sie gefälligst nachzukommen hätte, blamierte sich gründlich.
Die Publikumsbeschimpfung ließ nicht auf sich warten, und alle überboten sich in Deutungen, welchen finsteren Gefühle und heimtückischen Slogans, nicht zu vergessen die immer präsente machiavellische Hand Russlands, dieses Ergebnis hervorgerufen hätten. Von einem Generationskonflikt war die Rede, von gemeinen Rentnern, die den hoffnungsfrohen Jugendlichen ihre Zukunft verbauen, usw..
Niemand wollte zur Kenntnis nehmen, daß es genug Gründe geben kann, diese EU satt zu haben, mit der schrankenlosen Konkurrenz, der die arbeitende Menscheit dort ausgesetzt ist, und ausufernden Immobilienpreisen, die steigende Verarmung und Obdachlosigkeit verursachen.
Nein, wer gegen diese ständig schön- und alternativlos geredete EU etwas hat, muß verrückt oder dämonischen Einflüsterungen erlegen sein.
3. Die Folgen
Es folgten eineinhalb Jahre Verhandlungen, bei denen absolut nichts herausgekommen ist. Treffen werden veranstaltet, Drohungen ausgesprochen, Brexit-Themen heizen die Parteienkonkurrenz Großbritanniens an. Irgendwelche Fristen werden gesetzt – wofür? Die Freihandelsabkommen sollen erst gekündigt werden und dann auch wieder nicht, weil die Firmen auf dem Kontinent das auch nicht wollen, für die GB ein wichtiger Markt ist. Es stellt sich heraus, daß die Rest-EU mindestens genausoviel, wenn nicht mehr durch einen Austritt Großbritanniens verlieren würde.
Dann soll GB einen Haufen Geld zahlen, um austreten zu dürfen. Warum eigentlich? So genau erfährt das die Öffentlichkeit nie. Die Zahlen sind offensichtlich frei erfunden. Die Verhandler sagen einmal: kommt nicht in Frage! das nächste Mal: gegen verschiedene Vergünstigungen würden wir schon was springen lassen, das dritte Mal wieder: nein, wir zahlen keinen Cent!
Die Märkte reagieren inzwischen ziemlich indifferent. Das Pfund ist um 15% gefallen, was Großbritannien Entschuldung und Wettbewerbsvorteile gebracht hat. Eine Flucht des Finanzkapitals aus London wurde nicht registriert. Alle warten ab, was denn passieren möge – sofern etwas passiert.
Schon gibt es Bewegungen in Großbritannien, die eine neue Abstimmung veranstalten wollen, um das Votum von 2016 rückgängig zu machen.
Das wäre natürlich ganz im Sinne und auch der Tradition der EU, bei ungewünschten Abstimmungsergebnissen einfach so lange neu abstimmen zu lassen, bis das Ergebnis paßt.
Diese Tendenzen Anti-Brexit werden von den Medien sehr euphorisch begrüßt, ihr Erfolg wird sich daran bemessen, wie die politischen Eliten entscheiden.
Vielleicht beschäftigt GB die nächsten 10 Jahre sowohl die EU als ihre eigene Bevölkerung mit dem Brexit-Schmäh.
Morgen, morgen, nur nicht heute!
Kategorie: Imperialismus
Das syrische Schlachtfeld – Fortsetzung
WER GEGEN WEN?
Eine Zeitlang sahen sich die Medien nolens volens zu dem Eingeständnis genötigt, daß dank des Eingreifens Russlands die Tage des IS in Syrien gezählt zu sein scheinen.
Aber der syrische Bürgerkrieg hat ja noch andere Akteure, und die halten die Sache spannend.
Die USA hat ihre Militärpräsenz in Syrien kräftig ausgebaut und zwar anscheinend die Dschihadisten fallen gelassen, aber sich in den „autonomen“ Kurdenbezirken breit gemacht.
Während hierzulande linke Sympathisanten die Selbstverwaltung in Rojava feiern, findet dieses soziale Experiment inzwischen unter einer Art Besatzung der US-Streitkräfte statt.
Die USA hat offensichtlich nie ihr Ziel einer Teilung Syriens aufgegeben. Als sich der IS und andere islamistische Gruppierungen entweder zusehends als Ärgernis für die US-Interessen erwiesen, oder als kriegerische Fraktion nicht bewährten – wozu natürlich auch Russlands militärische Präsenz beitrug – wurden die Kurden Nordsyriens zusätzlich wichtiger. Als nützliche Idioten für US-Präsenz und -Einmischung.
Zu der Kurdenfrage an sich sei auch noch an das in die Hose gegangene Referendum im Nordirak erinnert. Gegen alle Ratschläge aus den eigenen Reihen, und unmißverständliche Drohungen aus Bagdad und Teheran, ein unabhängiges Kurdengebiet im Nordirak nicht zuzulassen, zogen die Barzani-Partie und ihre Klientel das Referendum durch. Sie verließen sich dabei offensichtlich auf die zugesicherte Unterstützung Israels und auf das Wohlwollen der USA, das sie als gegeben voraussetzten.
Das führte zum Verlust Kirkuks und der angrenzenden Ölfelder an die schiitische Allianz und die irakische Armee, einer de-facto Aufhebung der Selbstverwaltung im Norden und einer ziemlich bösen Diskreditierung der Führungsclique um Barzani, die auch von der Türkei fallengelassen wurde.
Die Führung der syrischen Kurden, die sowieso starke Differenzen mit Barzani & Co. hatte, las zwar vielleicht die Zeichen an der Wand, verließ sich aber weiterhin auf den Schutzschirm der USA – gegen die Beschwerden aus Damaskus, und die Drohungen aus Ankara.
Der syrischen Regierung und ihren Verbündeten Russland und Iran können diese Abspaltungstendenzen eines Teiles des Staatsgebietes und das militärische Sich-Festsetzen der USA nicht recht sein, so viel ist klar. Solange es aber um den IS und um seine Liquidierung ging, wurde diese Problematik in die zweite Reihe verdrängt.
Der IS ist inzwischen großflächig geschlagen und hat auch jegliche finanzielle Unterstützung verloren. Weder Saudi-Arabien noch Katar noch die USA lassen mehr etwas springen, seit Mosul und Raqqa gefallen sind. Der IS hat sich durch seine Taten und Propaganda bei allen beteiligten Akteuren unmöglich gemacht und ist als Karte im Nahost-Spiel wertlos geworden. Seinen Kämpfern bleibt nichts anderes übrig, als sich neue Aufgabengebiete zu suchen und in eine der anderen Söldnertruppen in oder außerhalb Syriens einzutreten, die sich noch einer Unterstützung erfreuen – sei es aus den Golfstaaten, der USA oder der Türkei.
Die syrische Regierung und Vertreter Russlands haben die Kurden wiederholt aufgefordert, ihre Autonomie-Erklärung zurückzuziehen und sich ausdrücklich als Teil des syrischen Staatsgebietes zu definieren, mit Damaskus als politischem Zentrum. (Das impliziert natürlich auch im weiteren, daß die USA hinauszukomplimentieren gewesen wären.) Für diesen Fall wurde Afrin auch Waffenhilfe angeboten.
Das wurde von den kurdischen Vertretern abgelehnt.
Jetzt hat die Türkei, die keinen Kurdenstaat an ihrer Grenze will, mit dem Aufräumen der kurdischen Autonomie begonnen.
Die USA hat zwei Optionen: Entweder weiter mit den Kurden packeln und eine Konfrontation mit der Türkei in Kauf nehmen, was erstens ernsthafte Kriegshandlungen und zweitens das Ausscheiden der Türkei aus der NATO zur Folge haben könnte.
Oder aber die Kurden fallenzulassen und versuchen, das ganze Kurdengebiet samt US-Stützpunkten der Türkei anbieten, als Pufferzone oder gleich als neue Provinzen.
Es sieht so aus, als ob gerade letzteres in Washington erwogen wird:
USA wollen mit türkischer Armee kooperieren
USA will Kurden entwaffnen, die gegen die Türkei kämpfen
Der Iran im Blickpunkt
WAS HEISST HIER „LIBERAL“?
Als Hassan Rohaní 2013 Präsident des Iran wurde, las man in den Medien, daß hier ein gemäßigter und liberaler Präsident den konservativen Bösewicht Ahmadinedschad abgelöst hätte.
Man stellt sich bei „liberal“ im Iran immer vor: weniger strenge Religionsvorschriften, eine lockerere Unterhaltungskultur, usw.
Außerdem verkündete Rohaní programmatisch, den Konfrontationskurs mit dem Westen mildern und in der Atomfrage zu einem Kompromiß kommen zu wollen.
4 Jahre und eine Wiederwahl später wird das Land von Unruhen und Protesten erschüttert.
Wie kam es dazu?
1. „Liberale Reformen und Pyramidenspiele führten zu den Protesten im Iran
… Hier protestieren nicht saturierte Mittelklassler, man sieht keine modischen Schuhe und Kleidungsstücke bei den Aufmärschen, wie es 2009 in Teheran oder 2011 in Moskau üblich war. Hier protestiert das einfache Volk, und es sind nicht Freiheiten, wonach es verlangt. Der Grund der Empörung ist ökonomisch und sehr gut nachvollziehbar. Gehälter werden verspätet gezahlt, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Preise steigen, das Leben wird teurer und schwieriger.
Das Volk versteht nicht, warum ihm die Existenz so schwer gemacht wird. Als die liberalen Kräfte unter Rohaní die Regierung antraten, so sagten sie, sie würden sich mit dem Westen einigen und dann ginge es bergauf. Und tatsächlich, die Einigung mit dem Westen kam zustande, einige Sanktionen wurden aufgehoben, man konnte wieder mehr Öl verkaufen, aber wirtschaftliche Erleichterungen traten nicht ein – aus mehreren Gründen.
Die liberalen Reformen halfen den Reichen, nicht den Armen. Die Regierung nahm auch den Kampf gegen illegale Banken auf, die Geld zu Wucherzinsen zur Verfügung stellten. Auch jede Menge Pyramiden-Firmen“ (wie MMM in Rußland oder Madoff in den USA) „tauchten auf, und gerade die Ärmeren begannen dort mitzuspielen“. (Komsomolskaja Pravda, 31.12. 2017)
(Offenbar handelte es sich um die gleichen Akteuere, die hier Kredite zu Wucherzinsen ausgaben, dort Einlagen mit hohen Zinsversprechen einsammelten. Zu so einer alten Geschichte siehe: Die albanische Anarchie, eine Fußnote der Weltpolitik. Diese Pyramiden-Banken im Iran wurden lange offenbar aus ähnlichen Gründen wie damals in Albanien von den Behörden geduldet, weil sie wirtschaftliche Tätigkeit ermöglichten und soziale Spannungen abfederten.)
„Aufgrund des Regierungsbeschlusses ging den illegalen Banken das Geld aus, die Pyramiden krachten zusammen und mit ihnen gingen die Einlagen der kleinen Leute flöten.
Soweit zu den inneren Ursachen. Es gibt aber auch äußere.“ (ebd.)
2. Krieg und Weltmarkt
„In den USA kam Trump an die Macht und führte das Sanktionsregime wieder ein. Der Iran schleppt auch seit Jahren den Krieg in Syrien mit, der die Iraner viel kostet. Das Auftreten der russischen Streitkräfte rettete Damaskus, verringerte aber die Ausgaben des Iran nicht. Der Iran unterstützt befreundete Kräfte im Irak, im Jemen, im Libanon und in Gaza. Auch die Kurden verursachen Kosten, da die USA versucht, sie gegen die iranische Regierung zu mobilisieren. Der Iran grenzt an das von den USA besetzte Afghanistan, aus dem Flüchtlinge, Heroin und Probleme kommen
Der allerobjektivste Grund ist, daß die Politik des Iran gegen diejenige Saudi-Arabiens, Israels und der USA gerichtet ist. Sie haben viel Geld und sind entschlossen, einen Machtwechsel im Iran herbeizuführen.
Obwohl sie die Proteste nicht hervorgerufen haben, ist es doch offensichtlich, daß sie von Anfang an versuchten, sie für sich zu verwenden. Ihre Agenten nehmen an Demonstrationen teil und schreien Losungen wie: »Schluß mit der Unterstützung für Syrien und Gaza! Erst einmal die Iraner!« Es gibt auch schärfere Sprüche: »Weg mit dem blutigen Diktator Rohaní, weg mit dem Rachbar (eine hohe religiöse Autorität)!«
Es scheint, daß es wenige feindliche Agenten gibt. Man sieht auf den vorhandenen Videos, daß solche Losungen von 30-50 Leute skandiert werden, die restlichen Demonstranten beteiligen sich daran nicht. Aber die westlichen Medien geben diesen Schreiern Öffentlichkeit und stellen damit ihren vermeintlichen Einfluß verzerrt dar.
Präsident Trump forderte, daß die Demonstranten nicht behelligt werden dürfen und übrigens sei es sowieso an der Zeit, daß das iranische Regime stürzt. (Gesetzmäßige Regierungen, die dem Willen Washingtons nicht folgen, heißen »Regimes«, Versuche des gewaltsamen Sturzes derselben nennt man »Regimewechsel«.)
Bei »Telegram«, dem meistbenutzten Messenger-Dienst des Iran, gibt es einen Kanal, der aus Saudi Arabien oder womöglich aus dem CIA-Hauptquartier in Langley betrieben wird und dazu aufrief, die Polizei anzugreifen. Er erteilte einfach gehaltene Anweisungen, wie man Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit (sog. Molotov-Cocktails) befüllen und wie man überhaupt das »Regime« bekämpfen könne. Der Betreiber von Telegram, Pawel Durow, sperrte diesen Kanal auf Aufforderung der iranischen Behörden. Das mobile Internet wurde ausgesetzt und die Regierung versucht, der Protestwelle Herr zu werden.“ (ebd.)
3. Verschiedene Wirtschaftskonzepte
Unter dem früheren Präsidenten Ahmadinedschad wurde eine Art Klientelwirtschaft betrieben, die die Inflation in die Höhe trieb. Damals wurden Sozialbauten errichtet und Lebensmittel subventioniert.
Rohaní und sein Team wollten die Inflation drücken, die Wirtschaft „sanieren“ und dabei der Marktwirtschaft zum Durchbruch verhelfen und strichen dergleichen soziale Posten. Ihre sonstigen Hoffnungen auf verstärkten wirtschaftlichen Aufschwung wurden nicht nur durch die wieder verschärften Sanktionen, sondern auch durch die niedrigen Weltmarktpreise für Erdöl zunichte gemacht.
Die Zeche für dieses Reformpaket zahlen diejenigen Einwohner mit den geringsten Einkünften.
In letzter Instanz ist also die Ursache der Unruhen im Iran nicht das restriktive religiöse „Regime“, sondern die wieder stärkere Einbindung des Iran in den Weltmarkt.