Neues vom Coronavirus

LEBEN MIT CV-19
Während in Nord- und Lateinamerika die Zahlen weiter in die Höhe schnellen, scheint sich in Europa eine Art neue Normalität eingebürgert zu haben, täglich in den Medien mit Corona-Briefings und über „Cluster“ und Vorsichtsmaßnahmen informiert zu werden.
Die meisten Politiker scheinen nach wie vor etwas ratlos zu sein, wie mit dieser nicht enden wollenden Pandemie umzugehen ist.
Außer sie heißen Trump, Bolsonaro oder Áñez und es ist ihnen wurscht, wie viele ihrer Mitbürger dabei draufgehen oder schwere Schäden davontragen. Sie verlassen sich offensichtlich auch darauf, daß es nur die ärmeren Bevölkerungsschichten hart treffen wird und bei mit dem nötigen Kleingeld ausgestatteten Personen die Medizin einer allfälligen Erkrankung schon Herr werden wird.
Zunächst einmal die von mir erstellten Statistiken zu den Todesraten (Gemeldete Coronavirus-Tote zu Bevölkerung) weltweit:
0,000860174155305 Belgien
0,000690052238598 UK
0,000603646729425 (seit 3 Tagen gleiche offizielle Todeszahl), oder
=> 0,000952603455818 Spanien
0,000582855402026 Italien
0,000555115041855 Schweden
0,000450972489663 Frankreich
0,000370443093200 Irland
0,000356261127377 Holland
0,000229895744953 Schweiz
0,000162452830189 Portugal
0,000109719380390 Deutschland
0,000093091442554 Rußland
0,000080485168660 Österreich
0,000589614015386 Peru
0,000522760807541 Chile
0,000448518181818 USA
0,000413616322215 Brasilien
0,000342185377774 Mexiko
0,000323372712532 Ecuador
0,000245472986284 Bolivien
0,000236048223926 Kanada
0,000197395438883 Iran
0,000188029075255 Kolumbien
0,000121720899027 Südafrika
0,000071127800526 Argentinien
0,000067885276937 Türkei
0,000024208625482 Indien
Zuwachsraten:
Peru + 0,000154910534285
Bolivien + 0,000040340597378
Chile + 0,00002902013844
Brasilien + 0,00002252878142
Iran + 0,000018496271693
Mexiko + 0,000017882215164
USA + 0,000017810953529
Ecuador + 0,00001262450776
Rußland + 0,0000075709562
UK + 0,000006728325422
Schweden + 0,000003873120822
Indien + 0,000003388395975
Frankreich + 0,000000656785037
Obwohl in einigen europäischen Staaten die Ansteckungszahlenwieder ansteigen oder, wie z.B. in Rußland und Portugal, trotz relativ rigoroser Maßnahmen unvermindert angestiegen sind, drückt sich das nicht in einer parallel ansteigenden Todesrate aus, woraus man entweder schließen kann, daß das Virus inzwischen zu einer harmloseren Art mutiert ist, oder die Behandlungsmethoden besser und sicherer geworden sind.
In Spanien gibt es keine Einigkeit zwischen Gesundheitsbehörden und Lokalpolitikern. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie soll Spanien über 44.000 Coronavirus-Todesfälle zu verzeichnen haben, was sich aus dem Zusammenzählen lokal registrierter Verdachtsfälle und generell sehr dezentralen Statistiken ergibt. Man hat den Eindruck, in Spanien weiß die eine Hand nicht so recht, was die andere tut, und sehr viel wird ad hoc entschieden – keine gute Perspektive für ein Land mit derzeit stark ansteigenden Infektionszahlen und vielen leerstehenden touristischen Unterkünften.
Schlimm sieht es in Lateinamerika aus. Dort werden ständig ansteigende Infektions- und Todesraten gemeldet, die die meisten Beobachter – Epidemologen und andere Mediziner mit internationaler Erfahrung – für zu niedrig halten.
Peru hat bisher nur als Verdachtsfälle geführte Verstorbene inzwischen auch in die Statistik aufgenommen, deshalb die abrupte Zunahme der Todesfälle seit voriger Woche. Außerdem wurde Anfang Juli die Quarantäne in 18 Provinzen aufgehoben und die Restaurants wieder geöffnet, was zu einem rapiden Anstieg der Infektionen geführt hat. Nach einem New York-Times-Artikel, der sich auf die mittels einer Studie gemessene Übersterblichkeit von 136% beruft, liegen die gesamten gemeldeten Coronavirus-Zahlen von Peru weit unter unter den tatsächlichen. Auch so, mit diesen angeblich zu niedrigen Zahlen liegt Peru derzeit in Lateinamerika an 3. Stelle hinter Brasilien und Mexiko.
In Bolivien, wo die Pandemie weiter um sich greift, wurden die längst fälligen Wahlen wieder um einen Monat verschoben. Das ist zwar seuchenpolitisch argumentierbar, kommt aber der Putschistenregierung gerade recht, weil keine der Putschparteien sich Chancen auf einen Wahlsieg ausrechnen könnte. Die stärkste Partei in allen Umfragen ist die MAS. Die Putschisten und der CIA beten jetzt zum Coronavirus, daß sie bis zu einem endgültigen Wahltermin eine Möglichkeit finden werden, diese Partei oder ihre aussichtsreichsten Kandidaten zu verbieten, ähnlich wie es den Eliten und der mit ihnen kooperierenden Justiz in Ecuador oder Mexico gelungen ist.
Generell verlieren sich alle Gewißheiten um tatsächlich Infizierte oder Verstorbene in Lateinamerika in einem Netz von Kriminalität, Regionalismus, medizinischer Unterversorgung und unverläßlicher Datenerfassung. Manche Regionalbehörden melden Opfer von Schießereien oder Entführungen als Coronatote, oder umgekehrt, um mehr Mittel von der Zentralregierung zu erhalten. Andere verbergen das Ausmaß der Betroffenheit, weil sie um ihre Wiederwahl fürchten. Dazu kommt noch die Situation mit den Tests, die ja schon den Behörden in Österreich und Deutschland zu teuer sind (von den reichen Leuten kann man das Sparen lernen), erst recht in krisengeschüttelten lateinamerikanischen Staaten.
Auch die Vergleiche mit der „Übersterblichkeit“ helfen nur bedingt, da in Staaten wie Mexiko, Brasilien, El Salvador, Honduras u.a. die Rate der gewaltsamen Tode von Jahr zu Jahr ansteigt, wodurch der Durchschnitt der letzten 10 Jahre gegenüber den heutigen Mordzahlen niedrig wirkt.

Die politischen und rechtlichen Folgen der Coronakrise

WER DARF WAS? – DIE REISEFREIHEIT, DIE GRUNDRECHTE, DIE VERFASSUNGEN UND DIE EU
Es stellt sich heraus, daß die Coronavirus-Pandemie auch in und zwischen den Staaten einiges durcheinanderbringt.
Der Schengenraum und die Reisefreiheit in der EU müssen neu definiert werden.
Muß man frische CV-Tests mitbringen, um wo einreisen zu können?
Mit was für Recht werden Einreisende unter Quarantäne gestellt?
Wer sorgt für im Ausland gestrandete Bürger?
Dürfen die einreisen, mit oder ohne Test?
Wer trägt die Kosten für Tests und Quarantäne?
Welche Tests werden anerkannt? Welche Behörden verfügen das, und was für Anforderungen stellen die?
Entscheidet das die EU oder die regionale Regierung?
Oder wird ab einem Stichtag alles aufgehoben? Wer ist dann für die Risiken verantwortlich?
Gegen die Gemeinde Ischgl und die Tiroler Landesregierung wurden Klagen eingereicht. Da werden Präzedenzfälle geschaffen, weil wer kann für was verantwortlich gemacht werden?
Für alle diese Themen gibt es hier eine eigene Pinnwand.

Überlegungen zum Coronavirus – 4.: Zu viele Alte?

WARUM ITALIEN? – TEIL 4

Hier wird die Serie der Erklärungen fortgesetzt:
1. Der Mailänder Flughafen ist der wichtigste europäische Flughafen für Ostasienflüge
2. Die italienische Mode wird seit geraumer Zeit von Chinesen in Sweatshops in Norditalien hergestellt
3. Der Karneval in Venedig + die Kreuzfahrten nach Venedig haben als Verteiler gewirkt
4. Es gibt halt so viele alte Leute dort
5. Die Einrichtungs-Messe Homi in Mailand im Jänner wurde vor allem von chinesischen Arbeitern aufgebaut.
6. Das Gesundheitswesen in Italien war auch vor der Epidemie schlecht beinander

1. Vom Altern in der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft

Unser – europäisches – Gesundheitssystem, das stets gepriesen wird als flächendeckende Versorgung, kennt eine breite Liste der Berufskrankheiten. „Typische Berufskrankheiten sind Lärmschwerhörigkeit, Hautkrankheiten, Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats sowie Erkrankungen durch anorganische Stäube (Asbestose und Silikose).“ (Wikipedia, Berufskrankheit)

Die Anerkennung dieser Krankheiten bedeutet zweierlei: Erstens ist anerkannt, daß diverse Tätigkeiten krank machen. Zweitens werden sie dennoch nicht verboten oder durch mechanisierte Abläufe ersetzt, sondern weiterhin werden Menschen diesen schädigenden Tätigkeiten ausgesetzt. Und drittens, wenn es sie dann erwischt hat, so haben sie Anspruch auf Entschädigung, Frühpension, Invalidenrente oder andere Einkünfte, die nicht besonders berauschend sind. Den Nachweis muß das Individuum aber erst einmal erbringen, mit Arztbesuchen, Untersuchungen, Amtswegen usw.
Damit ist natürlich keineswegs alles erfaßt, was krank macht: „Psychische Erschöpfungszustände, wie das Burnout-Syndrom, psychische Störungen oder psychiatrische Erkrankungen zählen bislang nicht zu den Berufskrankheiten.“

Dazu kommt, daß oftmals aus Angst um den Arbeitsplatz und das daraus erzielte und oftmals sehr knapp verplante Einkommen trotz Krankheit weiter dort gearbeitet wird. Auch normale Infektionskrankheiten werden nicht einfach mit Abwarten und Teetrinken auskuriert, weil das verlängert den Krankenstand, sondern mit Antibiotika aller Art bekämpft. Andere Schädigungen, wie Schmerzen, Verdauungs- und Schlafstörungen werden ebenfalls mit Pillen beschossen. Zu den legalen Tabletten gesellen sich Alkohol und Drogen, die oft auch noch zu Mangelernährung führen, weil die Konsumenten dann beim Essen sparen, um sämtliche Rechnungen zahlen zu können.

In Zeiten der prekären Beschäftigung und der Ich-AGs ist überhaupt die Ernährung ein beliebter Sparposten, weil das Immobilienkapital fordert immer höhere Teile des Gehaltes, und sich kleiden und heizen muß man in unseren Breiten ja auch noch. Die Lebensmittelindustrie hat sich darauf eingestellt und produziert jede Menge Billigfutter, in dem Nährstoffe und Vitamine durch dubiose Zusätze und Reste von Unkrautvertilgungsmittel und Kunstdünger ersetzt werden. Und mit viel Zucker, der Glücksdroge der Armen.
Die regelmäßig eingenommenen Medikamente und das miese Essen führen dann zu Nebenwirkungen und anderen Beschwerden, die auch wieder mit Medikamenten bekämpft werden, und so erreicht der arbeitende Mensch sein Pensionsalter meistens in einem Zustand, der nicht als beneidenswert eingestuft werden kann. Zur möglicherweise steigenden Lebenserwartung gesellt sich dadurch eine schlechte Lebensqualität, die sich aufs Gemüt schlägt und zur Einnahme weiterer Pillen führt, die einem das Leben rosiger erscheinen lassen und einen guten Teil der Lebensrealität ausblenden helfen.

Zu dem allen kommt auch noch eine sehr gesteigerte Geschwindigkeit des täglichen Lebens, alle möglichen flotten Fortbewegungsgeräte auf dem Gehsteig, Telefone, mit denen man immer und überall erreichbar ist und jede Menge weiterer Streß, ob man mit der Pension über die Runden kommt und nicht womöglich dem noch mehr gestreßten Nachwuchs zur Last fällt. Sofern man überhaupt einen hat und sich nicht mit Katzen und Hunden über die Vereinsamung hinwegtröstet.

Es gibt zwar jede Menge Ratgeber, wie man gesund und fit bleibt. Was immer man davon halten mag: Es ist bemerkenswert, daß sie sich alle auf das Funktionieren des Körpers beziehen. Weitaus weniger Wert wird darauf gelegt, wie man seinen Verstand fit halten und gezielt einsetzen könnte. Im Gegenteil, in den Medien gibt es jede Menge Verblödungsangebote, genannt „Unterhaltung“, die aus den oben genannten Gründen auch gerne angenommen werden, um sich von der tristen Wirklichkeit abzuwenden.

Die Demenz ist dann die Endstation, das endgültige Abschalten von Menschen, die einen Weltkrieg erlebt und den Wiederaufbau bewerkstelligt haben – und nicht begreifen können, wie sich Menschen um I-Phones über Nacht anstellen oder in einer Schlange stehen, um auf den Mount Everest zu kommen, während sie selbst schon froh sind, wenn sie sich hin und wieder einen Ausflug mit dem Seniorenklub unternehmen.
Dazu gibt es noch eine Menge öffentliche Schelte, daß sie der Gesellschaft auf der Tasche liegen, über das Umlagesystem der Pensionskasse.

2. Die Bevölkerungspyramide und das Pensionssystem

Immer wieder erklingt das Wehgeschrei der Demographen (= Bevölkerungswissenschaftler), daß die Graphik, die die Altersverteilung anzeigt, zusehends kopflastig und instabil ist. Das ist deshalb, weil das Pensionssystem über die Einzahlungen der Arbeitenden, die sogenannten Arbeitgeberbeiträge, über die die Unternehmer klagen, finanziert wird. Obwohl sie formell als Zahlung des Unternehmers abgewickelt werden, sind sie tatsächlich ein Teil des Gehalts. Die Arbeitenden zahlen ein, um einmal in den Genuß einer Pension einer Pension zu kommen, und das Geld tropft auf der anderen Seite auf diejenigen, die bereits in Pension sind. Es ist klar, daß da ein Mißverhältnis eintritt, wenn auf der einen Seite immer weniger in das Gefäß hineingeleert und auf der anderen Seite immer mehr entnommen wird.

Die Bevölkerungswissenschaftler, die das in ein reines Problem der mangelhaften Reproduktion – zuwenig Kinder! – verwandeln, lassen dabei einen wichtigen Umstand weg: In Zeiten großer Jugendarbeitslosigkeit gibt es gar kein Deckungsverhältnis der Arbeitsfähigen mit den tatsächlich Arbeitenden und Einzahlenden. Die kapitalistische Wirtschaft kann immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter brauchen, und das Mißverhältnis ist dadurch noch größer, weil auf Pensionsberechtigte aus Zeiten der Fast-Vollbeschäftigung treffen Prekäre, Niedriglohnsektoren und auch immer weniger tatsächlich Einzahlende.

Dieses Mißverhältnis sollte durch die Schaffung von privaten Pensionsfonds ausgeglichen werden, in die die besser Verdienenden einen Teil ihres Gehalts einzahlen sollten. Die Idee war von Haus aus rein arithmetisch nicht sehr gut, weil damit wurden der staatlichen Pensionskasse erst einmal Gelder entzogen.

Diese Pensionsfonds sollten, so die Idee, mit Spekulationen auf dem Wertpapiermarkt eine wundersame Geldvermehrung erzielen und damit dann ihrer Kundschaft ein sorgenfreies Alter ermöglichen. Dieser schöne Plan wurde spätestens durch die Finanz- und Eurokrise 2008 ff. in ganz Europa (und auch außerhalb) zunichte. Wertpapiere wurden entwertet, sichere Anlagen sind mit Null- und Negativzinsen belastet, aus den Einnahmen der privaten Pensionsfonds wurde nichts, und sie müssen jetzt oft wie die staatliche Pensionskasse bezuschußt werden, um nicht den Geist aufzugeben und damit womöglich einen Bankencrash auszulösen.
Das schafft eine mißliche Lage für viele Staatshaushalte, die ihrerseits ein Problem haben, sich zu finanzieren und sich und anderen Schuldenbremsen verordnet haben, um nicht durch muntere Verschuldungstätigkeit wieder eine Neuauflage der Eurokrise von 2012 ff. hervorzurufen.

Manche Staaten, wie Nachfolgestaaten Jugoslawiens oder Rumänien müssen Kredite aufnehmen, um ihre Pensionsfonds zu stützen.

Diese eigentlich ausweglose Lage wird mit ständigen besorgten Artikeln, Belangsendungen und Interviews immer wieder thematisiert: Wie werden wir die Pensionen weiter zahlen? – was eine sehr unerfreuliche Stimmung für die Betroffenen erzeugt. Erstens erfahren sie in einem fort, daß sie zu viele sind, zu lange leben, lästig sind, unnütz sind, und den kommenden Generationen die Butter vom Brot essen. Zweitens schwebt über ihnen auch das Damoklesschwert, daß eines Tages das Konto leer sein könnte, weil die Überweisung der Pensionskasse nicht mehr kommt.

Immerhin wurden z.B. in Griechenland die Pensionen seit 2014 zehnmal oder noch öfter gekürzt, und auch in Spanien stehen die Pensionsfonds kurz vor dem Kollaps, weil durch die Finanzkrise eine große Abwanderung eingesetzt hat, die Arbeitslosigkeit gestiegen ist und immer weniger an Einzahlungen hereinkommt.
Obwohl also die Überalterung der Gesellschaft nicht der wichtigste Grund für die Schwierigkeit der Finanzierung des Pensionssystems ist, ist sie doch eine Tatsache.
Wie kam es dazu?

3. Italien: Von der Bambinifreudigkeit zum Großelternüberhang

a) Die „Scala Mobile“

In Italien war bis 1990 die Kommunistische Partei sehr stark, vor allem in der 1944 im Pakt von Rom gegründeten Einheitsgewerkschaft CGIL. Ihrem Einfluß, und auch dem Entgegenkommen der italienischen Eliten war es zu danken, daß 1945 die „Scala Mobile“ eingeführt wurde. Die Gegenseite, Industrielle und Politiker, sahen damals ein, daß die Lohnpolitik einen entscheidenden Einfluß auf den „sozialen Frieden“, also den Gehorsam der Arbeiterklasse haben würde.
Nach der Scala (ww.: Rolltreppe) wurden den Arbeitern jährlich die Preissteigerungen durch eine nationale Lohnerhöhung abgegolten. Zunächst war das ein höchst kompliziertes Verfahren, wo sich diese Erhöhungen nach Berufsgruppe, Alter, Geschlecht und Qualifikation unterschieden. In den Jahren 1975-77 wurde das Verfahren vereinfacht. Unter der sozialistischen Regierung Craxi fand 1984 per Dekret eine Verringerung der Lohnsteigerung statt, und 1992 wurde sie unter der ebenfalls sozialistischen Regierung Amato abgeschafft. Die Sozialdemokraten bewährten sich hier, ähnlich wie Schröder & Co. in Deutschland, als die wahren Diener des Kapitals, indem sie die Arbeiterklasse auf einen Schlag verbilligten.
Die Scala Mobile spielte eine bedeutende Rolle in den Klassenkämpfen der 60-er und 70-er Jahre. Die militanten Organisationen der Linken, die wilde Streiks organisierten, proletarische Einkäufe veranstalteten und sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, wurden in den späten 70er und 80-er Jahren durch die Justiz aufgerieben. Es gelang ihnen nicht, das italienische Proletariat zu mobilisieren, weil es u.a. durch die Lohnpolitik von Staat und Kapital bei der Stange gehalten wurde.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges fiel der italienische Eurokommunismus in sich zusammen. Obwohl sie sich als nationalstaatlich orientierte Sozialisten im Schulterschluß mit der herrschenden Klasse gegen den Ostblock präsentierte, hatte die PCI ihre Bedeutung doch nur als Schwesterpartei des Realen Sozialismus gehabt. Damit fiel jeder Widerstand gegen die Ansprüche des Kapitals und die Scala Mobile wurde abgeschafft.
Dank der im europäischen Vergleich hohen Löhne war es in Italien bis in die 80-er Jahre nicht üblich, daß beide Elternteile arbeiten gingen. Die Mamma war Hausfrau und versorgte Mann und Kinder, und oft auch noch die im Haushalt mitlebenden und mithelfenden Eltern. Unter diesen Bedingungen war es üblich, daß in Italien mehr Kinder pro Familie geboren und aufgezogen waren, im Unterschied zur Zweikinderfamilie, die damals in Mitteleuropa Standard war.

Das Reproduktionsverhalten einer Gesellschaft hängt nämlich von den Einkommen ihrer Mitglieder ab.

b) Das Pensionssystem

Ein allgemeines Pensionssystem wie oben beschrieben, mit Einzahlungen der arbeitenden und Berechtigung einer Alterspension wurde in Italien erst 1969 eingeführt. Vorher gab es zwar allgemeine Pensionskassen, wo Alterspensionen beantragt werden konnten, und spezielle Pensionskassen für einige Berufe. Im Großen und Ganzen war es aber bis dahin die Aufgabe des Familienverbandes gewesen, die Alten und Arbeitsunfähigen zu erhalten.

Damals war die Arbeitsmarktsituation gut, die Löhne und Gehälter vergleichsweise hoch und es gab viele Einzahlungen, die einen Grundstock für die Pensionskasse schufen, die die damals geringfügigen Auszahlungen locker verkraften konnte.
Die damaligen (zahlreichen) Einzahler sind jedoch die Pensionisten, also die Bezieher von heute.

c) schwindende Einnahmen

Ab dem Jahr 1992, dem ersten Jahr der EU und nach dem Zerfall der Sowjetunion, wurde das ganze Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit neu definiert, was Löhne, Gehälter und Sozialauszahlungen betraf. Das Kapital hatte gewonnen, die Arbeitermacht gab es nicht mehr, die Unternehmer mußten keine Rücksicht mehr nehmen, weil auch die ausgesteuerten Staatsbürger der ehemals sozialistischen Staaten auf den Arbeitsmarkt drängten und die industrielle Reservearmee schier unendlich anwuchs.

Italien war zudem Vorreiter der Ausweitung des informellen Sektors. Um die per Scala Mobile geregelten Löhne zu umgehen, war Schwarz- und Teilzeitarbeit dort seit den 70-er Jahren üblich und verhinderte auch viele Familiengründungen.

Das heißt auch, daß die Einzahlungen in die Pensionskasse nicht nur nach Höhe, sondern auch nach Anzahl zurückgegangen sind.

Als dann die Löhne und Gehälter der Fix-Angestellten auch noch fielen – seit 1996 stagnieren sie, bei gleichzeitig bedeutenden Preisanstiegen, vor allem nach der Einführung des Euro – blieb nur mehr die Verschuldung, um z.B. überhaupt zu Wohnraum zu kommen, und die Geburtenrate fiel noch schneller als in anderen europäischen Staaten, da sie ursprünglich von einem höheren Niveau ausgegangen war.
Italien hat heute die niedrigste Geburtenrate der EU.

Daß in Italien heute häufig mehrere Generationen unter einem Dach leben, hat nicht nur mit Traditionen zu tun, sondern vor allem damit, daß die meisten Menschen sich getrennte Haushalte gar nicht mehr leisten können.

Fortsetzung folgt: Messestadt Mailand