Pressespiegel Izvestija: Interview mit Marija Sacharova, der Sprecherin des russischen Außenministeriums, 3.9. 2015

„DAS PROBLEM MIT DEN FLÜCHTLINGEN HÄNGT MIT DER NAHOSTPOLITIK DER EU ZUSAMMEN

Das russische Außenministerium ist der Ansicht, daß die EU von Rußland einiges über den Umgang mit Flüchtlingen lernen könnte

»Jeden Tag betrachte ich erschreckende Bilder über die Entwicklung des Flüchtlingsstroms nach Europa. Heute sah ich, wie einige der Ankommenden begannen, auf der Straße zu gebären – man kann sich vorstellen, unter was für Bedingungen. Wie sie Züge erstürmen. All das erinnert an die Lage nach dem II. Weltkrieg, natürlich nur beinahe, da die Ausmaße unterschiedlich sind, aber die Dynamik ist ähnlich.«

Außerdem erwähnt sie, daß das Flüchtlingsproblem mit der Nahost-Politik der westlichen Staaten im Zusammenhang steht. Als Beweis führt sie die Äußerungen des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann und des bulgarischen Außenministers Daniel Mitov über die Notwendigkeit der Terrorismusbekämpfung im Nahen Osten an.

»Mit Verwunderung und großer Beunruhigung beobachte ich die offenkundige und sichtbare Hilflosigkeit der EU angesichts der Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Diese alles bisherige in den Schatten stellende Flüchtlingskrise ist die direkte Folge der absoluten Veranwortungslosigkeit und unbedachten Politik der Regimewechsel in dieser Region. Langsam beginnt manchen zu dämmern, was diese Flüchtlingstragödie ausgelöst hat. Die Leute flüchten nicht aus eigenem Antrieb nach Europa, sondern ihre Staaten sind zerstört oder stehen am Rande des Zerstörtwerdens.«

Ebenso erwähnt Sacharova die Besorgnis Moskaus darüber, daß einige EU-Staaten den Ausdruck »illegale Einwanderer« verwenden. Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Zusatzprotokoll von 1967 gäbe es angesichts der Situation im Nahen Osten und Nordafrika hinreichende Grundlagen, um diese Personen als Flüchtlinge einzustufen.“
(Hier täuscht sich die Dame, oder formuliert den Passus absichtsvoll so, um die EU aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik an den Pranger zu stellen. Weder die Konvention noch das Zusatzprotokoll erwähnen Krieg als Grund für die Zuerkennung des Flüchlingsstatus. Die Betroffenen müssen Verfolgung aufgrund religiöser, politischer, ethnischer Zugehörigkeit geltend machen, um als Flüchtlinge eingestuft zu werden. Die Möglichkeit, morgen aufgrund von Kriegshandlungen ausgelöscht zu werden, oder zu verhungern, ist zuwenig für dieses angeblich so menschenfreundliche UNO-Gesetzwerk.)

„Das heißt, die EU-Staaten haben hier internationale Verpflichtungen gegenüber diesen Leuten.

»Ich drücke der EU gegenüber mein Bedauern aus über ihre Unfähigkeit – und ich denke, es handelt sich um Unfähigkeit, nicht um Unwillen –, diese Leute medizinisch zu betreuen und mit Nahrung zu versorgen. Ich bin der Ansicht, daß die Staaten der EU im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen keine weitere Verletzung der Flüchtlingsrechte zulassen dürfen und sich mit gebührendem Ernst an die Beseitigung der Ursachen der derzeitgen Krise machen müssen.«

Sacharova meint, daß sich die EU von Rußland einiges bezüglich des Umgangs mit Flüchtlingen abschauen könnte. Rußland hat nämlich 900.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, von denen 400.000 Flüchtlingsstatus erhalten haben. Diese Leute haben wir mit Wohnraum, Einkommen und Nahrung versorgt.

»Wir sind offen für den Dialog mit unseren europäischen Kollegen, die bereits mehrfach die Frage nach Zusammenarbeit in dieser Richtung an uns gestellt haben. Was immer die russische Seite tun kann, um die Leiden der Flüchtlinge zu lindern oder den Europäern bei der Lösung dieser Frage zu helfen, werden wir auf jeden Fall tun.« … “
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2 Gedanken zu “Pressespiegel Izvestija: Interview mit Marija Sacharova, der Sprecherin des russischen Außenministeriums, 3.9. 2015

  1. Rußland hat nämlich 900.000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, von denen 400.000 Flüchtlingsstatus erhalten haben.

    Wieso denn “nur” die Hälfte? Welchen Status haben den die anderen und warum?

  2. Das geht aus dem Artikel nicht hervor.
    Man darf nicht vergessen, daß das Asylrecht in den postsozialistischen Staaten anders gestrickt ist als in den seit jeher kapitalistisch-imperialistischen Staaten.
    Rußland hat nach dem Zerfall der Sowjetunion Millionen Umsiedler aufgenommen, und wahrscheinlich im Laufe der Zeit verschiedene Flüchtlings-Statuse ausgearbeitet.
    Ich kenne nur die Unterscheidung Serbiens, das ja auch im Rahmen der Jugoslawienkriege ca. 800.000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Da gab es Umsiedler, die nur aufgrund der allgemeinen Situation und weil sie begründete Befürchtung hatten, als ethnische Serben oder Mischlinge umgebracht zu werden, umgesiedelt sind nach Serbien. Das waren die „Aussiedler“. Die konnten vielleicht noch etwas mitnehmen, wenngleich sie Immobilien zurücklassen mußten.
    Dann gab es welche, die vertrieben worden sind, also irgendwann standen Bewaffnete vor der Tür und sagten: haut ab, ihr habt eine halbe Stunde Zeit, und die mußten dann mit ein paar Plastiksackln abhauen, das waren die „Vertriebenen“. Und dann gab es welche, wo ein oder mehrere Familienmitglieder umgebracht worden sind, das war die dritte Kategorie der „Verfolgten“.
    Für den Flüchtlingsstatus hatte es auch große Bedeutung, ob sich diese solchermaßen Herübergemachten in eine Uniform stecken und in den nächsten Krieg schicken lassen wollten – das waren dann echte „Volksgenossen“.
    Natürlich war es eine Definitionssache, wen man welcher Kategorie zuordnete, und welche Loyalität man sich von denen erwartete. Da hatten die Behörden viel Spielraum.
    Auch was die Rückkehr-Chancen angeht, waren diese unterschiedlichen Statuse wichtig. Umsiedler kann man vielleicht wieder einmal, wenn die Rauchwolken sich verzogen haben, zurückschicken und sie bewähren sich dann als kleine serbische Fähnchen im „nahen Ausland“.
    Ich nehme an, Rußland wird das ähnlich handhaben bzw. sogar mit Serbien in dieser Frage zusammengearbeitet haben.

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