DIE KRISE UND DIE REGIONALVERWALTUNGEN
Die Krise der letzten Jahre hat den Kredit von Staaten erschüttert und diese zahlungsunfähig gemacht, sodaß dann „Rettungsprogramme“ gestartet wurden, deren Wahrheit die ist, daß damit eben die Kreditwürdigkeit des Euro und der EU sowie die Funktionsfähigkeit ihres Banksektors gerettet werden soll und dafür beinahe alles, was dese Staaten so an Ausgaben haben, als unnötige Verschwendung besprochen wird. Das betrifft die vor allem die Verwaltung und die sozialen Ausgaben, macht aber, wie man an Griechenland derzeit beobachten kann, sogar vor der Finanzierung des Gewaltapparates nicht halt. Im Grunde wird die ganze Gesellschaft als eine finanzielle Last besprochen. Die Menschen und ihre Bedürfnisse sind Kosten, die sich nicht rechnen. Die Folgen auf der lokalen Ebene können sich sehen lassen.
Beispiel 1: Jerez de la Frontera, Spanien
Die Gemeinden Spaniens haben sich ähnlich wie alle Gemeinden der EU hauptsächlich über Gemeindesteuern und -abgaben, Vermietung oder Verpachtung von gemeindeeigenen Immobilien und Schulden bei Geldinstituten finanziert. Sie hatten kein Recht auf Ausgabe von Obligationen. Über den Finanzlastenausgleich und über EU-Projekte kam manchmal vielleicht auch der eine oder andere Geldbetrag in die Gemeindekasse. Die Haupt-Einnahmequelle des vergangenen Jahrzehntes waren die Grundsteuer und die Gebühren, die für Umwidmung von Grundstücken in Baugrund eingehoben wurden. Auf diese Aktiva nahmen die Gemeinden fest Schulden auf, die ihnen auch gerne gewährt wurden, weil für die lokale Bank oder Sparkasse natürlich die eigene Gemeinde der allersolideste Kunde war. Das ganze erhielt noch zusätzlichen Treibstoff durch die Einführung des Euro: Ein solider Schuldner und Schulden in hochsolider Währung!
Spätestens seit 2007, aber teilweise auch vorher klaffte die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben bzw. Schulden immer mehr auseinander. Genauso wie Staaten oder Provinzregierungen hielten die Lokalverwaltungen ihre Verschuldungsfähigkeit für unbegrenzt und dachten sich nichts dabei, daß die Gemeindeschulden ständig stiegen. Bis im Laufe der Krise der Kredit versiegte, da erstens der Immobilienmarkt zusammenbracht und zweitens, in Folge dessen, die Geldinstitute ihre Kreditvergabe einschränkten und plötzlich ein Mißtrauen gegenüber Schuldnern entwickelten, die – wie die Gemeinden eben auch – über keine steigenden oder zumindest verläßlich gleichbleibenden Einkünfte verfügten.
Seither kamen zu den Bank- und Sparkassen-Schulden eine neue Art von Schulden hinzu: Für diejenigen Gemeinde-Services, die nach gut marktwirtschaftlichen Prinzipien privatisiert worden waren und nun von Privatfirmen wahrgenommen werden, wurde das Geld knapp. Bei Müllabfuhr- und Straßenreinigungsfirmen, bei der Elektrizitätswirtschaft und ähnlichen Unternehmen häuften sich die unbezahlten Rechnungen. Im Falle derjenigen Tätigkeiten, die noch von gemeindeeigenen Institutionen wahrgenommen wurden, zahlte die Gemeindeverwaltung die Gehälter der Angestellten unregelmäßig aus uns blieb ebenfalls die Stromrechnung schuldig.
Jerez de la Frontera ist die fünftgrößte Stadt Andalusiens und hat 212.000 Einwohner. Sie hat das Pech, nicht am Meer zu liegen und erfreut sich daher nur eines begrenzten (vor allem Wein-)Tourismus’.
Die Gemeindeangestellten haben heuer noch kein Geld erhalten, manche sogar seit Herbst kein Gehalt gesehen. Das betrifft 2.400 Personen. Die Totengräber und die Heimhilfe-Angestellten sind daher in den Streik getreten. Die private Firma, die den öffentlichen Verkehr abwickelt, hat ihre Tätigkeit um die Hälfte reduziert, weil ihr aufgrund nicht bezahlter Rechnungen das Geld für Treibstoff fehlt. Manche Gemeindeeinrichtungen wie Sportstätten sind seit einem Jahr geschlossen, weil ihnen die E-Werke den Strom abgedreht haben. Die städtische Beleuchtung ist um ein Drittel reduziert, nicht nur wegen nicht bezahlter Stromrechnungen, sondern auch wegen dem europaweit immer beliebter werdenden Diebstahl von Kabeln und anderen Metallteilen, die aus Geldmangel nicht ersetzt werden können.
Ende 2010 hatte Jerez beinahe eine Milliarde Euro Schulden, bei projektierten Einnahmen von 222 Millionen. Für 2011 liegen noch keine Zahlen vor, man kann aber annehmen, daß das Verhältnis sich weiter verschlechtert hat.
Aus dem Finanzlastenausgleichs-Topf ist ebenfalls nichts zu erwarten, da die Gemeinde ihren Teil an die Kasse der Provinz nicht abgeliefert hat und daher auch von dort nichts erhält. Die Provinzverwaltung ist natürlich in einer ähnlichen Lage und benützt jede Gelegenheit, sich vor Zahlungen zu drücken, da die Schulden der meisten spanischen Provinzen noch unter der spanischen Staatsschuld auf Ramschstatus gestuft wurden oder sich zielstrebig dorthin bewegen.
Pressespiegel: Russland und Syrien
„NUR EIN SCHRITT NOCH BIS ZUM CHAOS
Russland und China haben vorgeschlagen, die Resolution der UNO bestmöglich der Realität anzupassen.
Ich meine, daß die Position Russlands und Chinas im Sicherheitsrat sehr gut begründet war.
Erstens, die Ereignisse in Syrien – ebenso wie in Libyen – paßten von Anfang an nicht zu den weitverbreiteten Vorstellungen vom „arabischen Frühling“ als von den breiten Massen getragene Demonstrationen gegen autoritäre Regimes in der arabischen Welt. In beiden Staaten waren das von vornherein bewaffnete Aktionen gegen die Macht. Wer ihnen die Waffen gab und sie zu deren Anwendung aufstachelte, wird die Zeit erweisen.
Zweitens. Die Berichterstattung der Massenmedien eines Teils der westlichen und arabischen Staaten nahm von Anfang an eine nicht objektive Position ein. Völlig einseitig stellten sie das Geschehen in Syrien als gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstranten, die nach Demokratie lechzten, dar. Die syrische Regierung verkündete die Aufhebung des Ausnahmezustandes, den künftigen Verzicht der Baath-Partei auf das Machtmonopol und die Einführung eines Mehrparteiensystems, sie versprach freie Wahlen sowohl für die Besetzung des Parlamentes als auch des Präsidentenamtes, usw. Von Seiten der Opposition gab es keinen einzigen entgegenkommenden Schritt. Gleichzeitig läßt sich darauf schließen, daß ein beträchtlicher, wenn nicht überwiegender Teil der Bevölkerung auf der Seite der syrischen Regierung Bashir al-Assads steht.
Drittens. Russland und China waren nicht prinzipiell gegen eine Resolution der UNO – sie sollte nur der tatsächlichen Lage in Syrien entsprechen, da ihre Wirkung wesentlich davon abhängen wird. Es ging darum, auf die in der Resolution vorgesehene und vom Standpunkt des Völkerrechts unannehmbare Forderung des sofortigen Rücktritts der gesetzlich gewählten Regierung Bashir al-Assads zu verzichten, und nicht die Schuld am Blutvergießen einseitig der syrischen Staatsführung anzulasten, während die andere Seite der Konfliktparteien jeder Verantwortung entbunden würde. Ebenso sprachen wir uns gegen die Verhängung von Sanktionen aus. Auch einige andere, von einer Reihe westlicher und arabischer Staaten eingebrachte Behauptungen des Resolutionsentwurfes riefen unsere Bedenken hervor. Solche Behauptungen könnten, wie sich bereits am Beispiel Libyens gezeigt hat, Vorwand für eine bewaffnete Intervention in Syrien sein. China und Rußland haben nicht die Absicht, sich ein zweites Mal täuschen zu lassen. Vor nicht allzulanger Zeit ersuchten die USA die beiden Mächte, kein Veto gegen die Resolution zu Libyen einzulegen – es handle sich ja nur um die Einrichtung einer Flugverbotszone, um Ghaddafi daran zu hindern, die friedliche Bevölkerung zu bombardieren. Damals wurde der „amorphe“ Teil der Resolution dazu ausgenützt, den Sturz von Ghaddafis Regime herbeizuführen.
Was steht hinter der jetzigen antisyrischen Kampagne? Die USA und ihre NATO-Verbündeten wollen die seit dem Frühjahr 2011 in der arabischen Welt über die Bühne gehenden Ereignisse dazu verwenden, mißliebige Regimes loszuwerden. Syrien fiel dieser Strategie in erster Linie deshalb zum Opfer, weil es dem Iran nahe steht. Der Sturz der derzeitigen syrischen Führung ist Teil eines Plans zur Isolierung des Irans. Aber die ganze Annäherung Syriens an den Iran erfolgte seinerzeit nur deshalb, weil der arabisch-israelische Konflikt bis heute nicht beigelegt ist. Ich erinnere mich, wie Hafiz al-Assad, der Vater des jetzigen Präsidenten mir einmal gesagt hat: „Wir werden alles unternehmen, um Israel nicht alleine gegenüberzustehen.“ Da der Nahostkonflikt nicht gelöst ist und ständig explosive Tendenzen aufweist, versicherte Syrien sich der Rückendeckung durch den Iran.
Aber warum stellt sich die Mehrheit der arabischen Staaten gegen die Regierung Assad? Ich denke, daß der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten hier eine bedeutende Rolle spielt. Dieser Gegensatz verschärfte sich nach der Intervention der USA im Irak. Die syrische Führung stürzt sich auf die Alawiten, die den Schiiten näher stehen. Die arabische Liga ist von sunnitisch regierten Staaten dominiert, die die Errichtung eines „schiitischen Gürtels“ Libanon-Syrien-Irak-Iran befürchten.
Was für Folgen hätte ein etwaiger Sturz der jetzigen syrischen Führung? Es wäre gut, wenn die Autoren der abgelehnten UNO-Resolution darüber nachdenken würden. Es gibt genug Anschauungsbeispiele dafür, was verantwortungslose Politik im Nahen Osten und Nordafrika anrichten kann. Dem muß man unbedingt die vereinten Kräfte entgegensetzen, um zu verhindern, daß die Ereignisse ins Chaos abgleiten, zu Bürgerkriegen führen und eine Lösung des arabisch-israelischen Konfliktes vollends verunmöglichen.“
Jevgenij Primakov in: Rossijskaja Gazeta, 6.2.
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Aus Primakov spricht ein Kenner der arabischen Welt, aber auch der Vertreter einer Großmacht, die seit dem Ende der Sowjetunion einiges an Rückschlägen in ihrem Streben als gleichberechtigter Partner des „Westens“ hinnehmen hat müssen. Rußland wollte keinen offenen Konflikt im Nahen Osten oder wegen Jugoslawien riskieren, mit dem Ergebnis, daß es zu einem Statisten der Weltpolitik degradiert wurde, der zu den imperialistischen Kriegen und Interventionen nur Ja und Amen sagen darf. Putin hat unlängst einmal bemerkt, daß Rußland sich dafür nicht länger hergeben wird.
Einmal sehen, was das für Folgen hat.
Griechenlands Schuldenschnitt
WER HAT DEN SCHWARZEN PETER?
Vor ein paar Monaten hatte das alles noch ganz anders geklungen. Die Financial Times Deutschland feierte, wie sehr ihre Regierungschefin auf den Tisch gehaut und die widerspenstige Bankenwelt zur Räson gebracht hatte:
„Der jüngste Euro-Krimi endete um 4 Uhr in der Früh. Die Banken mussten schließlich nachgeben, weil Angela Merkel und Nicolas Sarkozy knallhart verhandelten: Sie hatten ein Angebot gemacht, das die Geldinstitute nicht ablehnen konnten. … Die jetzt vereinbarten 50 Prozent Schuldenschnitt waren zugleich »das einzige Angebot«, das auf Ebene der Regierungschefs unterbreitet wurde. Es war wie im schönsten Mafia-Film ein Angebot, dass man nicht ablehnen kann. Denn sonst wäre ein erzwungener Schuldenschnitt fällig gewesen. „Dazu ist es ja nun nicht gekommen“, merkte Merkel süffisant an.
So gibt es nun also einen freiwilligen Schuldenschnitt, der Banken und Versicherungen 100 Mrd. Euro kostet.“ (27.10. 2011)
Die FTD merkte dazu noch an, daß es noch andere Beiträge zu diesem Schuldenschnitt geben sollte:
„Allerdings ist der Deal auch für die Regierungen und den Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht ganz billig. Im Juli sollte das zweite Griechenland-Paket bis 2014 noch 109 Mrd. Euro kosten, jetzt werden es 130 Mrd. Euro. Die Banken, da immerhin hat Merkel recht, mussten ihren Anteil aber stärker erhöhen als der öffentliche Sektor. 15 Mrd. Euro der 130 des öffentlichen Sektors sollen irgendwann aus zusätzlichen Privatisierungserlösen der Griechen kommen.“ (ebd.)
Man hätte damals, entgegen oder gerade angesichts der nationalistisch angehauchten Jubelmeldungen des Wirtschaftsblattes fragen können: hmmm, wie hätten die Regierungschefs eigentlich einen Schuldenschnitt erzwingen können? Wenn die EU sagt: Na, dann kriegt ihr eben gar nichts! – so wäre es einem Staatsbankrott Griechenlands gleichgekommen, mitsamt der Entwertung aller griechischen Schulden, also nicht nur der Staatsschuldverschreibungen, sondern in der Folge auch aller privaten Verbindlichkeiten, die griechische Firmen und Private mit dem Ausland eingegangen wären. Ein Szenario, das auf jeden Fall vermieden werden sollte, und weshalb dieser Gipfel auch einberufen worden war.
Jetzt, 2012 wirds ernst, und alle vermeintlichen Versprechungen vom Oktober sind Schall und Rauch. Die Banken mögen damals einiges unverbindlich zugesagt haben, was sie inzwischen überdacht haben. Es ist schließlich in den letzten Monaten einiges geschehen: Ungarn hat sich als nächster Problemfall in den Vordergrund gespielt, und Italien zeigt vermehrte Anfälligkeit für eine „Ansteckung“ durch Griechenland. Und die Ratingagentur S&P hat seither gemeldet, daß sie jede Reduktion der Schuld als Zahlungsausfall bewerten würde.
Und siehe da, weg ist der so gefeierte Konsens vom Oktober:
„Der IWF hat bei den Verhandlungen mit den Gläubigern Griechenlands begonnen, die EZB zu einer Schuldenstreichung zu drängen. Die EZB, die der erste Gläubiger Griechenlands ist (mit geschätzten 50 Milliarden €, die sie in Form von Anleihen und Schatzscheinen hält), hat sich bisher geweigert, sich an dieser 50%-igen Streichung, die Athen mit den internationalen Kreditinstituten verhandelt, zu beteiligen.“ (El País, 26.1.)
Es gibt noch andere herbe Enttäuschungen gegenüber dem Enthusiasmus vom Oktober vergangenen Jahres: Die eingeplanten 15 Milliarden aus Privatisierungserlösen sind auch nicht erlöst worden – nicht deshalb, weil die griechische Regierung da so geschlampt hat, wie die Medien vermelden, sondern weil diese Unternehmen der Infrastruktur Griechenlands (Telefongesellschaft, Autobahnen) niemand kaufen will.
Und so soll jetzt die EZB mit gutem Willen vorangehen und auf geschätzte 50 Milliarden Euro verzichten.
Gut, so könnte man jetzt sagen, wo ist das Problem? Sie verbrennt einfach diese Papiere, die sie bei sich im Keller lagern hat (und kriegt damit Platz für die gleiche Menge fauler Staatsanleihen aus Portugal, Spanien und Italien, die sicher auch schon in der Warteschlage stehen). Und wenn sie Geld für neue Ankäufe braucht, so druckt sie es einfach!
Aber die Abschreibung von 50 Milliarden auf Euro lautender Anleihen würde natürlich erstens wieder ein „negatives Signal“ an die „Märkte“ senden, und die Banken, die von den Problemstaaten ohnehin nur mehr kurzfristige Anleihen aufkaufen, weiter zur Reduktion dieser Tätigkeit veranlassen.
Aber auch Euro-Staaten wie Deutschland und Holland, oder die auch die bereits etwas angekratzten Frankreich und Österreich, würden einer neuen Bewertung unterzogen werden, ob Anleihen in Euro überhaupt noch sicher sind, und die Kapitalflucht aus dem Euro-Raum würde sich verstärken.
Die EZB, diese Hüterin der „Währungsstabilität“ des Euro würde langsam zu einer Art Geldwäschemaschine, oder einer Art moderner Variante des Steins der Weisen, wo vorne entwertete Staatsschuldverschreibungen hineinkommen und hinten gutes Geld herauskommt.
Was der Güte dieser von der EZB bedruckten Zettel nicht gut bekommen würde.