„ASSADS SICHERHEITSKRÄFTE ÜBERGEBEN IHRE WAFFEN, HOFFEND AUF EINE AMNESTIE
Polizisten, Soldaten und Armeeoffiziere, die dem alten Regime gedient haben, registrieren sich bei den neuen Behörden, um ihre Distanz zur Diktatur zu demonstrieren
Der Neuanfang in Syrien hat den Warteschlangen vor Bäckereien und Bushaltestellen kein Ende gesetzt. Aber die Warteschlangen sind an neuen, ungewöhnlichen Orten aufgetaucht: Vor Polizeistationen und anderen Gebäuden der Sicherheitskräfte, die zuvor als Zentren brutaler Folter gefürchtet waren.
Nun sind diejenigen, die diese Räumlichkeiten besetzen, die Kämpfer von Hayat Tahrir al-Sham (HTS), der Miliz, die vor ein paar Wochen die Blitzoffensive anführte, die Diktator Baschar al-Assad stürzte, und diejenigen, die sich vor ihren Türen anstellen, sind Polizisten, Soldaten und Armeeoffiziere, die dem alten Regime gedient haben und nun auf eine Art Amnestie hoffen.
Wenige Tage nach seinem triumphalen Einzug in Damaskus appellierten die Verantwortlichen der von HTS eingesetzten neuen Übergangsregierung über soziale Netzwerke und das Fernsehen an alle ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte, darunter auch medizinisches Personal, ihre Ausweise, Waffen und Fahrzeuge abzugeben.
Die Zentren, in denen sie sich registrieren müssen, sind über das ganze Land verteilt, und in den Hochburgen des alten Regimes wie der Stadt Latakia wurden in den letzten Tagen Hunderte Menschen beobachtet, die eine Regelung ihrer Situation anstreben.
Wo der Andrang am stärksten ist, müssen Soldaten stundenlang im Freien warten, um eine Nummer zu bekommen. Sobald man sich in den Einrichtungen befindet, ist der Vorgang immer derselbe. Zunächst registriert ein Polizeibeamter der neuen Regierung den Namen jeder Person und erstellt, nachdem er sie vor einer weißen Wand fotografiert hat, einen neuen Ausweis für sie. Anschließend gehen sie in einen anderen Raum, wo sie ihre Waffe abgeben müssen. Auf einigen von Presse und Nachrichtenagenturen veröffentlichten Fotos dieser Zentren sind Dutzende gestapelte Pistolen und Kalaschnikows zu sehen. Als Höhepunkt und um den Verzicht auf ihre Vergangenheit im Dienste Assads zu symbolisieren, müssen die Kandidaten ein Porträt des Diktators mit den Füssen treten.“
Eine eigenartige, aber sehr symbolträchtige Geste, mit der man sich vom alten Regime verabschieden muß.
„Dies ist eine der ersten Maßnahmen, die darauf abzielen, die zehntausenden leichten Waffen, die nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg im Land im Umlauf sind, einzusammeln, um das Land zu befrieden.“
Es handelt sich mit Sicherheit um Hunderttausende.
„Die ersten, die sie abgeben müssen, sind vorerst Angehörige der formell aufgelösten Armee. Dann wird die Konstellation der Oppositionsmilizen an der Reihe sein, die gegen Assad gekämpft haben. Tatsächlich einigten sich am Dienstag bei einem von HTS einberufenen Treffen mehr als ein Dutzend Oppositionsmilizen darauf, sich aufzulösen und in die neue Armee zu integrieren.“
Ob das so einfach gehen wird, wird sich erst zeigen.
Diesen Milizen wurden vermutlich Posten und Ressorts versprochen, um sie für die HTS-Regierung zu gewinnen.
„»Wir werden auf keinen Fall Waffen im Land zulassen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen, sei es von revolutionären Fraktionen oder denen, die im SDF-Gebiet (Syrische Demokratische Kräfte) anwesend sind«, erklärte Ahmed al Schaara, der Anführer von HTS – bis vor Kurzem bekannt als »Al Julani« – letzten Sonntag auf einer Pressekonferenz nach dem Besuch des türkischen Außenministers Hakan Fidan.“
Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger als ein Ende der kurdischen Autonomie im Nordosten. Man wird sehen, ob das auch so glatt geht wie die Waffenübergabe der syrischen Armee, die sich ja bereits vor Wochen praktisch aufgelöst hat.
Die Armeeangehörigen haben ohnehin keinen Stern mehr, dem sie folgen können und können nur auf Milde hoffen.
Die Kurden hingegen können alles verlieren und riskieren sogar einen Einmarsch der türkischen Armee, wenn sie nicht die Waffen strecken. Außerdem können sie auch die USA mit gutem Gewissen fallen lassen, weil ihre Entwaffnung dient ja nur der Einigung und Befriedung Syriens, also durch und durch guten Zwecken.
Die kurdische Selbstverwaltung präsentiert sich daher als der große Verlierer des Sturzes von Assad.
Die Leute, die jetzt das Sagen in Damaskus haben und – von der westlichen Welt und der Türkei unterstützt – wieder das Gewaltmonopol in Syrien einrichten wollen, sind eine Nachfolge-Organisation des IS.
Erinnert sich noch wer an das Video von der Enthauptung syrischer Soldaten – in orangen Gewändern, in Palmyra? Oder an die Schreckensherrschaft des IS in Rakka, die auch durch die Medien ging?
Rakka wurde nach langen Kämpfen von den kurdischen Milizen und deren Verbündeten vom IS erobert.
Jetzt sollen sie die Waffen abgeben und sich der Hoheit der HTS unterstellen?
„Diese Reise, die erste eines ausländischen Kanzlers seit dem Sturz von al-Assad am 8. Dezember, hat Ankaras Einfluss im neuen Syrien gezeigt, das seit Jahren im Norden des Landes tätige Oppositionsmilizen unterstützt hat.“
Fidan dürfte Al-Schaara darauf gedrängt haben, Rojava aufzulösen, gegen Drohungen bezüglich Abdrehen der türkischen Unterstützung, materiell wie politisch.
Leicht haben es die neuen Machthaber in Damaskus nicht.
„Die Übergabe der Waffen an die neuen Behörden garantiert keine Amnestie. Diese kann nur erfolgen, nachdem eine Untersuchung durchgeführt wurde, um sicherzustellen, dass der ehemalige Agent oder Soldat keine Kriegsverbrechen“
was ist mit gewöhnlichen Verbrechen? Ist Folter ein „Kriegsverbrechen“?
„begangen hat. In diesem Falle könnte er im Prinzip sogar seine alte Position wieder einnehmen.“
Auch das ist irgendwie seltsam ausgedrückt.
Man könnte es auch so formulieren: Wenn er glaubhaft machen kann, daß er den neuen Herren genauso treu dienen will wie den alten, so könnte er seine Methoden auch unter der neuen Regierung praktizieren …
„Vorerst werden alle registrierten Personen dringend gebeten, nach 2 bis 3 Monaten in die gleichen Einrichtungen zurückzukehren, um Neuigkeiten über ihre Zukunft zu erfahren. »Wenn wir sozialen Frieden erreichen wollen, muss es Gerechtigkeit geben, und ohne die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wird es keine Gerechtigkeit geben. Diejenigen, deren Hände mit Blut befleckt sind, werden keine Amnestie erhalten«, erklärte Obeida Arnaut, eine Sprecherin der neuen Regierung, in diesem Zusammenhang.“
Diese Leute werden sich vermutlich auch nicht melden und die Waffen abgeben, sondern entweder flüchten oder in den Untergrund gehen …
„Obwohl es sich bei der Mehrheit derjenigen, die sich für diesen Versöhnungsprozess registriert haben, um niederrangige Soldaten handelt, haben dies auch einige Mitglieder der ehemaligen Militärführung getan, wie etwa Talal Machluf, General der Republikanischen Garde, dem vorgeworfen wird, zahlreiche friedliche Proteste im Jahr 2011 mit äußerster Härte unterdrückt zu haben.
Machluf, ein Mitglied der Familie von Baschar al-Assads Mutter, steht neben anderen auf der Liste der von der EU und anderen Ländern sanktionierten Funktionäre des Regimes.“
Der Mann hat sich für Kooperation mit den HTS entschieden und stellt damit die westlichen Moralhüter vor ein Dilemma: Von der Liste nehmen oder nicht?
Die HTS hingegen dürften erfreut sein, jemand mit all den Kenntnissen darüber, wie man die Opposition plattmacht, auf ihre Seite ziehen zu können.
„Die Tatsache, dass Machluf seinen Amnestieantrag ohne Verhaftung einreichen konnte, hat unter Aktivisten und Angehörigen der Opfer eines Konflikts, der mehr als einer halben Million Menschen das Leben kostete, große Kontroversen ausgelöst.“
Man merkt, daß jetzt alle Toten „des Konflikts“ auf das Konto der Assad-Familie oder seines „Regimes“ gehen sollen.
Der IS mit allen seinen Taten und Videos scheint gänzlich vergessen zu sein. Und alle anderen waren sowieso gut, weil gegen Assad.
„Darüber hinaus gibt es immer noch mehr als 100.000 vermisste Menschen, von denen befürchtet wird, dass sie in den grausamen Gefängnissen des alten Regimes gestorben sind, sodass die Zahl noch erheblich steigen könnte.“
Man merke: Zum Zeitpunkt der Machtübernahme der HTS und der Jubelmeldungen darüber war die Rede von 150.000 Personen, die in Assads Foltergefängnissen umgekommen sein könnten.
Später wurde eine Zahl von 130.000 kolportiert.
Jetzt sind wir auf „mehr als 100.000“ angelangt.
Es empfiehlt sich, diese dynamische Zahl im Auge zu behalten.
„»Was mit Machluf geschieht, ist für all diejenigen besorgniserregend, die sich eine Übergangsjustiz wünschen.“
Mit einem Wort, ein ordentliches Aufräumen mit den alten Eliten, also eine Art Fortsetzung des Bürgerkrieges.
Da muß man ja froh sein, daß die HTS und Al-Schaara die Sache pragmatischer angehen.
„Machluf ist eine Person, die allen Syrern bekannt ist, die wissen, dass er an Folter und der Bombardierung von Städten beteiligt war«, warnte Rami Abdurrahman, Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, im Fernsehen Al Arabiya.“
Der Mann sitzt in Coventry, hat also leicht reden, gibt aber dennoch den neuen Machthabern gute Ratschläge.
„Wird jetzt das Ende der kurdischen PKK eingeleitet?
Erdoğans neue Doppelstrategie: In Nordostsyrien lässt die Türkei kurdische Milizen bekämpfen – und umwirbt gleichzeitig den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan.
Der türkische Staatsfeind Nummer eins ist auf einer Insel im Marmarameer eingesperrt. Seit einem Vierteljahrhundert sitzt Abdullah Öcalan in Isolationshaft auf Imrali ein. Der türkische Staat achte streng darauf, dass es dem Gründer der Terrororganisation PKK gut gehe, heißt es seit Jahren aus Sicherheitskreisen. Denn Öcalan wird als Schlüsselfigur angesehen, um eines Tages den jahrzehntelangen Konflikt mit den kurdischen Extremisten beizulegen.
Der Zeitpunkt dürfte nun gekommen sein. Öcalan sei bereit, den »notwendigen Schritt für einen Aufruf zur Niederlegung der Waffen zu gehen«, hieß es vor wenigen Tagen von den beiden Abgeordneten der prokurdischen DEM-Partei, Sırrı Süreyya Önder und Pervin Buldan. Die türkische Justiz hatte ihnen erlaubt, Öcalan zu besuchen. Das Treffen ist historisch, der letzte Besuch von Vertretern der DEM ist etwa zehn Jahre her. Die Parteiführung bestritt stets, Verbindungen zur PKK zu haben. Unbestritten ist dagegen der Kultstatus Öcalans in der DEM. Seine Worte haben Gewicht.
Nach dem Besuch erklärten Önder und Buldan, dass der PKK-Chef einen Friedensprozess unterstützen wolle. Details nannten sie nicht. Dafür sei der Prozess zu sensibel, sagte Buldan. Die DEM-Abgeordneten seien aber hoffnungsvoller als bei früheren Prozessen. Öcalan selbst habe von einer »Ära des Friedens, der Demokratie und der Brüderlichkeit für die Türkei und die Region« und einer Stärkung der »türkisch-kurdischen Geschwisterschaft« gesprochen.
Die Türkei unterdrückt die Kurden seit Jahrzehnten
Die Wortwahl ist wichtig und hat eine internationale Dimension. Denn in der Türkei ist die PKK seit Jahren kaum noch aktiv. Vereinzelte Anschläge gehen in der Regel auf ihre Ableger im Nordosten Syriens zurück. Dort ist von Öcalans "Ära des Friedens" bisweilen nichts zu spüren. Kurdisch geführte Milizen kämpfen seit etwa drei Wochen gegen Brigaden der sogenannten Syrischen Nationalarmee, die von der Türkei unterstützt wird.
Die Lage in Nordostsyrien ist kompliziert. Im Kampf gegen den Islamischen Staat sind die USA offiziell mit der Einheit der »Syrisch Demokratischen Kräfte« (SDF) verpartnert. Die vor allem arabische Bevölkerung im Nordosten Syriens berichtet seit Jahren, dass kurdische Militärs sie anwerben und ihnen die Lehren Öcalans beibringen würde. Diese fußen auf einer streng marxistisch-leninistischen Ideologie, weshalb Länder wie Russland oder China die PKK nie als Terrororganisation eingestuft haben.
Der türkische Staat verbindet mit Öcalans Ideologie dagegen die Gefahr, dass sich das Land spaltet. Sie unterdrückte die Kurden jahrzehntelang, ganz gleich, ob sie für oder gegen die PKK waren. Nach etwa einem halben Jahrhundert Krieg mit mehr als 40.000 Toten halte sich die Zahl der kämpfenden Frauen und Männer in der PKK konstant bei rund 10.000, heißt es aus türkischen Sicherheitskreisen. Ein Ende der Terrororganisation könne nur aus der Gruppe selbst kommen. Dafür brauche es Öcalan.
Der war 1999 vom türkischen Geheimdienst mithilfe der CIA in Kenia gefasst und in der Türkei wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung, Mordes und Hochverrats zum Tode verurteilt worden. Ausgerechnet die rechtsnationalistische Partei MHP trug mit ihren Stimmen dazu bei, dass die Todesstrafe abgeschafft wurde. Öcalans Strafe wandelte sich in lebenslangen Freiheitsentzug um. Seitdem trat er vor allem dann in Erscheinung, wenn der türkische Staatspräsident ihn benutzte, um sich die Unterstützung der Kurden im Land zu sichern. Vor Wahlen ließ Recep Tayyip Erdoğan etwa Briefe veröffentlichen, in denen der PKK-Führer indirekt für ihn warb. Als Öcalan 2015 die PKK aufforderte, die Waffen abzulegen, hoffte Erdoğan, zum Friedensfürst zu werden. Doch die Milizen widersetzten sich. Ihre Ableger in Syrien waren beseelt von selbsterklärter Autonomie und der Partnerschaft mit den USA.
Danach wurde es ruhig um Öcalan. Erst vor drei Monaten brachte MHP-Chef Devlet Bahçeli ihn wieder auf die Tagesordnung. »Er soll ins Parlament kommen und erklären, dass der Terror beendet und die PKK aufgelöst ist«, forderte Bahçeli und überraschte damit Nationalisten wie Anhänger der prokurdischen DEM-Partei gleichermaßen. Einen Tag später gab es einen Terroranschlag in Ankara. Ein Flügel der PKK bekannte sich dazu, die alte Ordnung schien wieder hergestellt. Doch Bahçeli ließ nicht locker und sagte Ende Oktober: »Ein Türke, der die Kurden nicht liebt, ist kein Türke und ein Kurde, der die Türken nicht liebt, ist kein Kurde.« Erdoğan wiederholte den Satz daraufhin, während sein Außenminister die Türkei zur einzigen Beschützerin Kurden in der Region erklärte.
Wenige Wochen nach der Charmeoffensive stürzte Syriens Diktator Baschar al-Assad. Kurdische Milizen hatten bis dahin mit ihm kooperiert. Seitdem das Regime nicht mehr ist und die USA über einen Teilrückzug aus dem Land nachdenken, gibt es ein heimliches Gerangel um die kurdische Führung. Israels Regierung hat sich Anfang Dezember deutlich zu den Kurden Syriens bekannt.“
Die Logik ist offenbar die: Schulterschluß mit den Kurden, um freie Hand zur Annexion der Golanhöhen und Umgebung zu haben – an denen die Kurden kein Interesse haben.
Man vergesse nicht, daß Israel das einzige Land war, das die einseitig ausgerufene Unabhängigkeit Irakisch-Kurdistans auch formell anerkannt zu haben.
Israel ist also auch jenseits der Grenze präsent, weil verbündet mit der Barzani-Partie.
„Die Türkei fürchtet nun, dass diese zu Proxys für israelische Interessen werden und will selbst ein neues Verhältnis zu ihnen aufbauen. Die Regierung zeigte sich sogar bereit, eine neue, autonome Region der Kurden in Syrien zu akzeptieren – nur nicht unter der Führung von PKK-nahen Funktionären.
Um das zu erreichen, setzt die Türkei auf eine Doppelstrategie: militärischer Druck in Syrien und Dialog mit Öcalan zu Hause. Im Hintergrund wird seit Wochen verhandelt. Mitte Dezember teilte SDF-Chef Mazlum Abdi in Syrien mit, ausländische Kämpfer würden das Land verlassen, wenn es mit der Türkei eine Einigung gebe. Parallel sucht die kurdische Militärführung einen Schulterschluss mit der syrischen Interimsregierung, die der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Scham nahesteht. Deren Führer Ahmed al-Scharaa wiederholte bisher aber nur die Forderungen der Türkei: Ausweisung der ausländischen Kämpfer, Trennung von PKK-nahen Funktionären und Niederlegung der Waffen.“
Man merkt hier, was auf dem Spiel steht – kommt es zu einer Einigung der Türkei mit der Rojava-Verwaltung, so kann sich die Dschihadistenpartie in Damalskus von Nordsyrien verabschieden.
Eine Abgabe der Waffen haben die Kurden Syriens jedenfalls nicht vor.
„Der Höhenflug kurdisch geführter Milizen in Syrien scheint vorbei zu sein. In ihren Gebieten protestieren Teile der mehrheitlich arabischen Bevölkerung seit Wochen gegen sie.“
Gegen was konkret?
Man vergesse nicht, daß der IS viele Schläferzellen in Rakka und anderen kurdisch dominierten Gebieten hat.
„Auch jenseits der Grenze wünschen sich viele Kurden und Türken ein Ende des jahrzehntelang politisch geschürten Hasses. Sollte Öcalan seine aktuelle Ankündigung umsetzen und ein de facto Ende der PKK fordern, dürfte seine Stimme mehr Gewicht haben als vor 9 Jahren.“
(Zeit, 31.12.)
Die Autorin des Artikels scheint selbst nicht ganz sicher zu sein, was von dieser Verhandlungs-Offensive der Türkei zu halten ist, deshalb die teilweise widersprüchlichen Aussagen.
Nach wie vor unklar ist, was aus den mehr als 50.000 IS-nahen Gefangenen in kurdischen Lagern werden soll.
„Die Türkei setzt sich in Syrien fest
Ankara geht nach dem Sturz Assads als Gewinnerin hervor und entfaltet ihren Einfluss in Damaskus. Erdogan festigt seine geostrategische und wirtschaftliche Vorteilsposition in der Region.“
Zumindest ist das die Absicht. Ob es gelingt, ist noch nicht heraußen.
„Nur 4 Tage nach der nächtlichen Flucht von Präsident Baschar al-Assad aus Syrien am 8. Dezember fuhr der neue starke Mann des arabischen Landes, der islamistische Führer Ahmed al Schaara … zusammen mit Ibrahim Kalin, dem Direktor des türkischen Nationalen (= Inlands-)Geheimdienstes (MIT) auf dem Co-Pilotensitz ein Fahrzeug durch das Zentrum von Damaskus.
6 Tage später wurde vor der seit 12 Jahren geschlossenen Botschaft in der syrischen Hauptstadt erneut die türkische Flagge gehisst.
Und nur zwei Wochen nach dem Zusammenbruch des Regimes besuchte Ankaras Diplomatiechef Hakan Fidan als erster Außenminister Al Schaara …, der hierbei erstmals in Anzug und Krawatte zu sehen war.
Er sollte damit offenbar das Bild eines gemäßigten Herrschers geben – als Chef der Miliz, der vor einem Monat in einer nur 12 Tage dauernden Blitzoffensive die Flucht Assads nach Moskau nach einem Vierteljahrhundert an der Macht verursachte.“
Wie sich seither herausgestellt hat und auch im Weiteren herausstellen wird, waren da noch andere Akteure beteiligt.
„Als Höhepunkt einer neo-osmanischen Expansionsstrategie in einem Teil seines ehemaligen Reiches hat die Türkei sich schnell in Syrien festgesetzt.
Auf den Straßen und Hotels von Damaskus ist ein beispielloser Einsatz von Spionen, Diplomaten, Sicherheitsbeamten und Leibwächtern zu beobachten.
Ankara schickte außerdem 120 Mitglieder der Notfallrettungsteams des Innenministeriums, um zu versuchen, versteckte unterirdische Kerker im finsteren Saidnaja-Gefängnis zu finden, einem Symbol für die Gräueltaten eines halben Jahrhunderts der Diktatur der Assad-Familie in Syrien.“
Wie man inzwischen weiß, erfolglos. Es fanden sich keine geheimen Keller-Verliese.
„Dutzende türkische Reporter haben ihre Schritte bei einem der größten internationalen Medieneinsätze des Landes aufmerksam verfolgt, mit der massiven Präsenz von Live-Fernsehteams an interessanten Orten in der syrischen Hauptstadt. Der oberste politische Führer der Türkei seit 2002, der derzeitige Präsident Recep Tayyip Erdogan, musste nach mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg und Barbarei darauf warten, dass seine Unterstützung der syrischen Opposition gegen das Assad-Regime Früchte trägt.
Für die Türkei war es schwierig, die Zurückstufung umzukehren, die ihr durch den Verlauf des Krieges zugewiesen worden war.“
Ein etwas eigenartiger Satz.
Die Türkei war nie aus dem Spiel, hat 2 Provinzen Syriens dauerhaft besetzt und war immer einer der Player in Syrien.
Daß jetzt ihre Geschöpfe Damaskus beherrschen, ist demgegenüber zweifellos ein Aufstieg. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob das für die Türkei weiterhin nach Plan weitergeht.
„Der Abschuss eines russischen Su-24-Kampfflugzeugs durch die türkische Luftwaffe im November 2015 an der syrischen Grenze, den Präsident Wladimir Putin als »verräterischen Angriff« bezeichnete, löste Spannungen mit Moskau aus, das harte Wirtschaftssanktionen gegen Ankara verhängte. 7 Monate später musste sich Erdogan entschuldigen und die Dominanz Rußlands – und seiner Verbündeten Iran und der schiitischen Milizen – auf den Schlachtfeldern des arabischen Landes akzeptieren.
Er stimmte auch zu, sich dem Astana-Verhandlungsprozess zu unterwerfen, der von Russland gemeinsam mit Iran in der Hauptstadt Kasachstans überwacht wird, zum Nachteil der von den UNO in Genf geförderten Friedensgespräche,“
die allerdings stets ergebnislos waren.
„Ein Führer, der Euphemismen so abgeneigt ist wie Donald Trump, der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten, hat schnell darauf hingewiesen, dass »die Türkei jetzt den Schlüssel zu dem hat, was in Syrien passiert.« Der republikanische Führer, der in seiner ersten Amtszeit eine reibungslos funktionierende Beziehung zum türkischen Präsidenten aufgebaut hatte, scheint bereit zu sein, diese nun zu festigen.“
Man merkt der ganzen Wortwahl dieses Artikels an, daß der Autor erstens den Sieg der Türkei als eine Niederlage Rußlands feiern will.
Dabei ist weder Ersteres noch Letzteres ausgemacht.
Außerdem soll die Beziehung zwischen den USA und Rußland als gut dargestellt werden, in einer Art Hoffnung, daß jetzt klare Verhältnisse herrschen und die Türkei sich wieder gegen Rußland positionieren wird – auch das ist reines Wunschdenken.
»Ich verstehe mich sehr gut mit Erdogan«, sagte Trump, »der eine sehr starke und schlagkräftige Armee aufgebaut hat.«“
Das kann man auch so verstehen, daß Trump der Türkei freie Hand läßt.
„»Die Syrienkrise hat die regionale und internationale Rolle der Türkei neu definiert«, heißt es in einem aktuellen Bericht des Royal Institute of International Studies in London, besser bekannt unter dem Namen seines Hauptsitzes, Chatham House. Die Analyse dieses britischen Forschungszentrums zeigt, dass Erdogans feste Unterstützung der syrischen Opposition die Erwartungen verstärkt hat, seinen Einfluss in Damaskus zu erhöhen. »Aber der Sturz Assads wird sich auch auf die Beziehungen der Türkei zu Russland und Iran auswirken und wahrscheinlich zu einer Annäherung an den Westen beitragen«, bemerkt Chatham House.“
Man merkt, woher der Wind weht.
„Im Beisein der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, die ihn mit einem zusätzlichen Scheck über eine Milliarde Euro zur Linderung der Belastung der syrischen Flüchtlinge in Ankara besuchte, forderte Erdogan »eine sofortige und spürbare Verbesserung der Beziehungen« zwischen der Türkei und der EU.
Nachdem sich die türkische Kandidatur für die EU-Mitgliedschaft 25 Jahre lang im Winterschlaf befand, fordert Ankara vorerst ein neues Zollunionsabkommen als Ersatz für das Abkommen von 2005 und die Abschaffung der Visapflicht für seine Staatsangehörigen im Schengen-Raum.“
Oho!
Die Türkei winkt hier mit ihrer alten-neuen Stellung als Flüchtlings-Türsteher der EU …
„Der Einfluss der Türkei in Syrien scheint mit dem Zusammenbruch des Assad-Regimes seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Bereits zu Beginn seiner aufeinanderfolgenden Amtszeiten – als Premierminister und dann als Präsident, immer mit voller Exekutivbefugnis – hat Erdogan den neo-osmanischen diplomatischen Weg in Syrien über verstärkte wirtschaftliche Beziehungen mit den Ländern eingeleitet, die Teil seines ehemaligen Reiches waren. Mit einer 900 Kilometer langen gemeinsamen Grenze entlang der historischen Seidenstraße blühten die Handelsbeziehungen, der Tourismus und die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern bis 2011, als sich Erdogan nach Ausbruch des Arabischen Frühlings auf die Seite der Oppositionskräfte stellte und die Beziehungen zu Damaskus abbrach.“
Man sieht, eine Zeitlang konnte die Türkei mit Assad und Gesamt-Syrien sehr gut.
„Die Türkei unterstützte insbesondere die islamistischen Milizen im politischen Einflussbereich der Muslimbruderschaft, einer vor einem Jahrhundert in Ägypten entstandenen Bewegung, die schließlich die sogenannte Syrische Nationalarmee (ENS, früher Freie Syrische Armee) bildete. Diese Gruppen wurden zur Stoßkraft Ankaras gegen die an der gemeinsamen Grenze stationierten kurdischen Kämpfer, die mit den USA im Kampf gegen den IS-Dschihadismus verbunden sind.
Sie wurden auch im Süden des Landes eingerichtet, an der Grenze zu Jordanien und auf den syrischen Golanhöhen,“
So so. Ob die südliche Abteilung ganz mit der nördlichen zusammenarbeitet, wird sich auch erst weisen.
„die seit 1967 von Israel besetzt sind, das den Sturz des Regimes ausnutzte, um das von ihm kontrollierte Gebiet zu erweitern.“
Und was sagen die südlichen Assad-Gegner dazu?
„Obwohl Ankara Hayat Tahrir al-Sham (HTS) aufgrund seiner Herkunft aus dem Al-Qaida-Netzwerk als terroristische Gruppe betrachtete, behielt es während des Krieges die Kontrolle über die Grenze für Waffenlieferungen und humanitäre Hilfe nach Idlib, der letzten großen Hochburg der islamistischen Opposition Nordwestsyrien. (…)“
Statt „kontrollieren“ lies „unterstützen“ und schon löst sich das „obwohl“ in Wohlgefallen auf. HTS hat eben auch gemerkt, daß sie mit der Türkei zusammenarbeiten müssen, um ihren Kampf weiterführen zu können.
Im Zuge dessen hat sich auch der Gegner etwas modifiziert und nicht alle wurden vernichtet, die nicht brav dem Islam ihrer Leseart folgten.
Dazu haben auch die USA beigetragen, die IS-Führer durch Drohnenschläge töteten. Damit wurde eine klare Grenze gezogen, gegen wen man Waffen erheben durfte.
„Inmitten des Bürgerkriegs schickte Ankara Streitkräfte in die Enklave Idlib, die jahrelang von der Regierungsarmee und ihren Verbündeten belagert wurde.
Aus der Türkei stammen auch die brandneuen Fahrzeuge und Uniformen der neuen syrischen Sicherheitskräfte, die nun im Raum Damaskus und Homs (Mitte) patrouillieren. Und neben den hochrangigen Beamten, die sich um die normale Verwaltung der lokalen Verwaltungen kümmern, ist es nicht ungewöhnlich, die Anwesenheit von politischen Beratern zu beobachten, die aus Idlib in ihre Herkunftsstädte zurückgekehrt sind und elegant in italienisch inspirierter Istanbuler Mode gekleidet sind.
Um jedoch den Sack voller Wiederaufbaugold für seine großen Unternehmen zu sammeln, muss die Türkei, während sie auf internationale Hilfsprogramme wartet, einen Sack Silber ausgeben.“
Es ist ja gar nicht gesagt, daß so viel Wiederaufbauhilfe fließen wird. Immerhin ist die Welt voller Krisenherde, die auf Geld warten.
Es ist ganz gut möglich, daß das der Türkei überlassen wird, als Preis für Einfluß und Gebieterweiterung.
„Die an der Istanbuler Börse notierten Baugiganten eröffneten in der ersten Sitzung nach dem Sturz von El Assad mit Kursgewinnen von bis zu 10 %. Das Verkehrsministerium hat bereits einen Plan für die Reparatur von Straßen und Brücken sowie die Inbetriebnahme von Flughäfen entworfen, von denen nur die in Damaskus und Aleppo (Norden) prekär in Betrieb sind.
Die Konsolidierung der syrischen Stabilität ist für die Türkei, ein Land, das mehr als 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt, eine dringende Notwendigkeit.
Alternativer Weg zur kurdischen Frage
In den letzten drei Wochen haben die Türkei und ihre syrischen Verbündeten den Rückzug der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) östlich des Euphrat erzwungen.
Dabei handelt es sich um kurdische Milizen, die mit der separatistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Verbindung stehen, die seit 4 Jahrzehnten im Südosten der Türkei gegen die Zentralmacht Ankara operiert.
Das neue Szenario, das sich in Syrien ohne Assad abgezeichnet hat und aus dem die Kurden des Landes offenbar geschwächt hervorgehen, öffnet jedoch die Tür zu einer möglichen politischen Lösung der alten Kurdenfrage in der Türkei.
Der Vorschlag des ultranationalistischen Führers Devlet Bahçeli, Erdogans Koalitionspartner (MHP), den 1999 zu lebenslanger Haft verurteilten Chef der PKK, Abdullah Öcalan, freizulassen, wenn er das Ende des bewaffneten Kampfes anordnet und die Auflösung der Guerilla anordnet, weist auf die geplante Richtung hin, in die die Türkei gehen will.
Zum ersten Mal seit dem gescheiterten Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der als Terrorgruppe eingestuften PKK im Jahr 2013 konnten kurdische-türkische Abgeordnete den 76-jährigen Öcalan im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmarameer besuchen. »Ich bin bereit (…), den Aufruf [zur Auflösung der PKK] zu tun«, sagte Öcalan in einer Notiz, die letzten Sonntag auf der Website der DEM-Partei (der prokurdischen Linken der Türkei) veröffentlicht und von EFE zitiert wurde. »Die Ereignisse in Gaza und Syrien haben gezeigt, dass die Lösung dieses Problems, das durch externe Interventionen zu einem chronischen Problem geworden ist, nicht länger hinausgezögert werden kann.«
Der Kurdenkonflikt hat seit 1984 in der Türkei 45.000 Todesopfer gefordert.“
(El País, 2.1.)
Es fragt sich, welche „externen Interventionen“ hier angesprochen werden?
Der USA?
Israels?
Rußlands?
Eine andere Frage ist, ob die Kurden Syriens und der Türkei ihre Waffen abgeben oder nur in die Abstellkammer stellen werden.
„Die Familien der Vermissten in Assads Syrien fordern Gerechtigkeit: »Wer hat sie getötet? Wo sind sie?« (…)
Nach einem brutalen Bürgerkrieg,“
– gibt es „sanfte“ Bürgerkriege? –
„der mehr als 13 Jahre dauerte, übersteigt die Zahl der vom Regime willkürlich festgenommenen Personen, deren Aufenthaltsort unbekannt ist, 112.000 – nach Angaben des Syrian Network for Human Rights (SNHR auf Englisch). (…)“
Wieder eine Zahl, die man sich merken sollte.
„Die Geschichten der Opfer der Missbräuche des Regimes ähneln sich. Viele Jahre lang wurden sie nicht müde, an die Türen aller Arten von Institutionen zu klopfen, sowohl an über das ganze Land verteilte Gefängnisse als auch an die zahlreichen Sicherheits- und Geheimdienste des Regimes, um den Aufenthaltsort ihrer Angehörigen herauszufinden.
In den meisten Fällen erhielten sie als Reaktion nur Gerüchte und Erpressungsversuche. »Es gab ein ganzes Mafiasystem, das von Familien Tausende von Dollar verlangte, um Informationen über ihre Situation bereitzustellen. In vielen Fällen handelte es sich bei den Informationen um eine Lüge, es war ein simpler Betrug«, erklärt Wassen Hamdi, ein Mann palästinensischer Herkunft und in eine Kufija gekleidet, der die Zahl der in Syrien vermissten palästinensischen Flüchtlinge auf rund 3.500 beziffert.
Jede Woche werden neue Massengräber entdeckt, mehr als 20 wurden bereits gezählt. Und die Verantwortlichen für ihren Schutz haben nicht immer mit der nötigen Professionalität gehandelt. (…)“
Was immer man darunter verstehen mag.
Wer ist „Verantwortlicher“ für ein Massengrab und worin hat diese Person „professionell“ zu sein?
Der Entwaffnungsprozess der neuen Machthaber geht auch nicht gerade glatt vor sich:
„Dutzende ehemalige Beamte, die sich an diesem Prozess nicht beteiligen wollten, wurden bereits festgenommen. In einigen Fällen leisteten sie Widerstand gegen die Festnahme, was zu gewalttätigen Schießereien führte.
Diese Bemühungen haben nicht verhindert, dass zahlreiche Attentate auf ehemalige Funktionäre des Assad-Regimes begangen wurden.
Die Gegner von HTS führen sie auf eine vorsätzliche Kampagne der Männer der (…) Miliz zurück, während die Verantwortlichen der neuen Regierung ihre Verantwortung leugnen und darauf verweisen, dass es sich um »persönliche Rache« handele.“
Beides ist möglich, und widerspricht sich übrigens auch nicht.
„Eine weitere Schwierigkeit in diesem Prozess wird die Aufarbeitung von Missbräuchen und Morden durch Rebellenmilizen sein, insbesondere wenn diese an der Macht bleiben.
So soll beispielsweise der bekannte Journalist Raed el Fares 2018 von HTS ermordet worden sein.“
(El País, 3.1.)
„Syrien
Droht ein Krieg zwischen der Türkei und Israel?
Die Lage in Syrien bleibt schwierig und nun berichten sowohl türkische als auch israelische Medien, ihre Staaten sollten sich auf einen Krieg vorbereiten. (…)
Türkische Medien warnen, Israel könnte Damaskus besetzen
Die russische Nachrichtenagentur TASS hat am 7. Januar gemeldet, die regierungsnahe türkische Zeitung Yeni Şafak habe in einer Analyse der Lage in der Region gewarnt, Israel könnte die Besetzung von Damaskus anstreben, um den Status quo und auch die Positionen der kurdischen Verbände in Nordsyrien zu bewahren. (…)
Der Westen und Russland
Währenddessen umgarnt auch der Westen die neue syrische Regierung und beginnt, die ersten Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Vor allem in der EU wurde aber bereits die Bedingung gestellt, dass die neue syrische Regierung dazu die Schließung der russischen Militärbasen in Syrien anordnen müsse. Dazu hat die syrische Regierung bisher jedoch keine Anstalten gemacht, sondern noch Ende Dezember erklärt, sie wolle nicht, dass Russland Syrien zum Schaden der Beziehungen zwischen den Ländern verlässt, denn Syrien habe strategische Interessen mit Russland.
(Anti-Spiegel, 7.1.)
Zum ökonomischen Zustand Syriens und der Frage der Rückkehr der Flüchtlinge:
„Der 33-jährige Machid Hamdan ist einer der Glücklichen, der die spanische Staatsbürgerschaft besitzt und für ein paar Tage nach Syrien reisen konnte, »um zu sehen, wie die Lage ist. Ich empfinde eine Mischung aus Freude, hier in Syrien zu sein, und Traurigkeit über die Armut, die ich sehe. Viele Menschen können es sich kaum leisten, Brot zu kaufen«, sagt er aus dem Norden, aus der Provinz Idlib, der Hochburg der islamistischen Milizen, die Assad stürzten.
»Hier ist es besser. Wenigstens gibt es den ganzen Tag Strom. Im Rest des Landes sind es nur ein paar Stunden … In meinem Dorf Zabadani liegen die Häuser meiner Familie und viele andere in Trümmern. Im Moment ist es für meine Familie unmöglich, nach Syrien zu ziehen«, fügt Hamdan hinzu, der mit seiner Frau und drei Kindern in Zamora lebt.
»Es gibt Leute, die hier arbeiten und ihre Verträge nicht kündigen können. Bei anderen sind ihre Häuser zerstört. Und es gibt auch diejenigen, die an schweren Krankheiten leiden«, sagt Okba Mohammed, Flüchtlingsjournalistin und Mitbegründerin des Online-Mediums Baynana.
Laut dem Augenarzt Mouafak Assad wäre es für die Kranken ein Irrsinn, zurückzukehren. »Ich habe viele öffentliche Krankenhäuser im Land besucht und nur eines gesehen, das mehr oder weniger funktioniert. Einige von ihnen ähnelten eher einem Stall als einem Krankenhaus“, beklagt Assad, Leiter der Augenheilkunde-Abteilung des Gesundheitskonsortiums Terrassa (Barcelona).
Der Grund für seinen Besuch in Syrien bestand für ihn, der seit über 40 Jahren in Spanien lebt, darin, sich einen Überblick über den Zustand des öffentlichen Gesundheitssystems zu verschaffen, um ein zukünftiges Kooperationsprojekt zu konzipieren oder die Entsendung von Hilfsgütern zu koordinieren.
»Der Krieg hat alles verändert. 2008 unterschied sich das Niveau der syrischen Krankenhäuser nicht sehr von denen in Katalonien«, erinnert er sich in einem Restaurant in Damaskus.
Schätzungsweise 90 % der syrischen Bevölkerung leben derzeit unterhalb der Armutsgrenze und nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) sind rund 16 Millionen Einwohner, also 75 Prozent der Gesamtbevölkerung, auf humanitäre Hilfe angewiesen. »Nicht nur sind die Gehälter sehr niedrig, auch die Preise sind hoch. Ein Kaffee kostet fast genauso viel wie in Barcelona«, sagt Assad.“
Viele haben auch keine oder abgelaufene Pässe, weil sich die syrischen Botschaften seit Jahren geweigert haben, neue Pässe auszustellen.
Die neuen Chefs in Syrien haben es auch nicht eilig damit.
Begreiflich, weil bei dem Zustand des Landes ist ein Zustrom von geflüchteten Syrern auch nicht erwünscht.
„Von den fast 7 Millionen Syrern, die während des Krieges ins Ausland geflohen waren, sind dem UNHCR zufolge im Monat seit dem Sturz des ehemaligen Regimes etwa 125.000 zurückgekehrt.“
– vor allem aus den Nachbarstaaten Jordanien, der Türkei und dem Libanon.
„Darüber hinaus sind fast 500.000 der 7,4 Millionen Binnenvertriebenen in ihre Heimat zurückgekehrt.“
Deutschland, Österreich, Belgien, Finnland und Schweden haben die Asylverfahren für Syrer gestoppt, was heißt, daß deren Status in den betreffenden Staaten ungelöst bleibt.
(El País, 14.1.)