Pressespiegel El País, 5.3.: Griechenland erntet die bitteren Früchte der Kürzungen im öffentlichen Dienst

KOSTEN DER EURORETTUNG

„Das Zugunglück in Tempe am Dienstag – die größte Eisenbahntragödie in der griechischen Geschichte, bei der 57 Menschen ums Leben kamen – hat den prekären Zustand der griechischen öffentlichen Dienste deutlich gemacht.
Gewerkschaften und Opposition führen die Verschlechterung auf mehr als ein Jahrzehnt Sparpolitik zurück. Die konservative Regierung von Kyriakos Mitsotakis hingegen definiert sie als „chronische Pathologien“.

Griechenland wurde ganz offiziell gezwungen, von 2010 bis August 2022 Sparmaßnahmen zu ergreifen.
2009, nachdem die wichtigsten Ratingagenturen das Schuldenrating des Landes herabgestuft hatten, brach der Athener Aktienmarkt ein. Im Jahr 2010, kurz vor dem Bankrott, nahm das Land einen Kredit der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF) an, als Gegenleistung dafür, dass die griechische Regierung eine harte Sparpolitik und tiefe Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben anwendet.
Zur Überwachung der Anpassungen wurde die als Troika bekannte Gruppe gebildet, die sich aus der Europäischen Kommission, dem IWF und der Europäischen Zentralbank zusammensetzte. (…) 2012 einigte sich die griechische Regierung mit der Troika darauf, 15.000 Beamte zu entlassen, um Zugang zur 2. Finanzrettung zu erhalten. Die Schulden wuchsen weiter.

Soziale Unzufriedenheit führte im Januar 2015 zum Sieg der linken Formation Syriza, die versprach, die Sparpolitik zu beenden und die Privatisierung öffentlicher Unternehmen rückgängig zu machen.
Syriza hat sich in Folge nicht nur geweigert, die Privatisierungen zu reduzieren oder rückgängig zu machen, sondern unterzeichnete nur sechs Monate nach dem Wahlsieg das 3. Rettungspaket. Im Rahmen desselben kürzte sie weiter Löhne und Renten und schloss Privatisierungen wie die des Hafens von Piräus, dem wichtigsten des Landes, oder der öffentlichen Eisenbahngesellschaft TrainOSE, heute Hellenic Train, ab.
Die Rettungspakete wurden 2018 beendet, aber bis 2022 unterlag Griechenland einer »verstärkten Überwachung« durch die Europäische Kommission.

Nach der Eisenbahntragödie von Tempe haben die Gewerkschaften des Sektors zahlreiche interne Mitteilungen veröffentlicht, in denen sie davor gewarnt hatten, dass der schlechte Zustand der Infrastruktur die Sicherheit von Arbeitern und Reisenden gefährdet.
Der Fernsehsender Open TV hat enthüllt, dass die Geschäftsführung der Hellenic Train damit gedroht hat, die Vertreter der griechischen Zugführer-Gewerkschaft, die sich aus Lokführern zusammensetzt, wegen Verleumdung anzuzeigen.
Diese Gewerkschaft hatte am 31. Oktober des Vorjahres ein außergerichtliches Verfahren gefordert, um von der Unternehmensleitung »die sofortige Wiederherstellung der seit Jahren verschlechterten Bahninfrastruktur, Fernsteueranlagen, Lichtsignale und Netzsicherheit« zu fordern, um durch diese Maßnahmen die »Gesundheit und Sicherheit« der Arbeitnehmer zu gewährleisten.
Die Unternehmensleitung erklärte, die Vorwürfe seien verleumderisch und die Urheber der Vorwürfe hätten mit Konsequenzen zu rechnen.

Der Ingenieur Athanasios Ziliaskopoulos wurde von der Regierung als Mitglied des Expertenkomitees ausgewählt, das die Ursachen des Tempe-Unfalls untersuchen soll. Syriza als Oppositionspartei hat in einer Erklärung darauf hingewiesen, dass eine solche Ernennung »ein Hohn ist«, weil Ziliaskopoulos im Zeitraum 2010-2015 Vorstandsvorsitzender von“ (der damals staatlichen Eisenbahngesellschaft) „TrainOSE war – das heißt, als das Unternehmen seinen Privatisierungsprozess mit dem Verkauf von 49% seiner Vermögenswerte begann. Anschließend leitete der Ingenieur das TAIPED (»Verwertungsfonds für das öffentliche Privatvermögen«, das Gremium, das das Privatisierungsprogramm in Griechenland verwaltet).
Allerdings wird aus dem Schreiben von Syriza auch klar, dass die Privatisierung von TrainOSE, obwohl sie 2010 begann, 2016 abgeschlossen wurde, also als die Linkskoalition regierte.“

Syriza war also genauso an dieser Privatisierung beteiligt, oder sogar in wichtigerer Position, als der ominöse Ingenieur, der jetzt offenbar zwecks Verwischens von Spuren eingesetzt wird.

„Die Bahngewerkschaften behaupten, unter Ziliaskopoulos sei beschlossen worden, daß die Bahngesellschaft keine »Fernleitzentrale« bauen werde – d.h., ein Bahnverkehrs-Aufsichtsamt, das die ETCS-Technologie (European Traffic Control System) integriert, ein automatisiertes System, dessen Ziel es ist, den Verkehr vor möglichen menschlichen Fehlern zu schützen.“

Es wäre ja nicht nur mit einem Bau einer solchen Zentrale getan gewesen. Jede einzelne Zugstrecke und jeder einzelne Bahnhof hätte damit verbunden werden müssen.

„Obwohl Griechenland und die Europäische Union 20 Millionen Euro für die Modernisierung der Züge und des Acharnes Railway Center (dem wichtigsten Eisenbahnknotenpunkt in der Nähe der Hauptstadt) ausgegeben haben, wurde ein solches Leitsystem nie in Betrieb genommen.“

Es wurde ja auch, wie dem Artikel zu entnehmen ist, nie installiert.

„Als Konsequenz, so die Version der Gewerkschaftsvertreter, seien die Bahnhofsvorstände gezwungen worden, manuell mit Funkgerät, Papier und Kurbel zu arbeiten – am sogenannten „Nullpunkt“, wo sich die internationalen Linien mit Nahverkehrszügen kreuzen.“

Angesichts solcher Zustände fragt man sich, was mit diesen 20 Millionen geschehen ist, die angeblich in das Zugssystem investiert worden sind?

Ähnlich sieht es in anderen Abteilungen des öffentlichen Sektors aus:

„Im Januar 2019 gab der damalige Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, zu, Griechenland »gedankenlose Sparmaßnahmen« aufgezwungen zu haben. »Wir haben Griechenland unzureichend unterstützt«, erklärte er vor der Plenarsitzung der Eurokammer. Drei Jahre später verkündet die Lehrerin Tsiftsi dem Korrespondenten von EL País: »Es gibt keine gute Bildung, es gibt keine guten Krankenhäuser, es gibt keinen sicheren Transport … Das Einzige, was wir in diesem Land haben, sind die Menschen. Wenn wir überleben, ist es pures Glück.«“

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„Der Hellenic Republic Asset Development Fund (=TAIPED) schrieb Anfang 2016 TrainOSE zum Verkauf aus. Am 14. Juli 2016 gab die Privatisierungsbehörde bekannt, das einzige vorliegende Gebot, das der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane, in Höhe von 45 Mio. Euro, anzunehmen. Am 18. Januar 2017 wurde der Verkaufsvertrag unterschrieben. Der Eigentumsübergang erfolgte zum 14. September 2017. Zum 1. Juli 2022 erhielt das Unternehmen den neuen Namen Hellenic Train.“
(Wikipedia, Hellenic Train)

Bei denen italienischen Staatsbahnen, was man so liest, sind die Zustände ähnlich. Die Privatisierung diente also nur dem Schuldendienst für Griechenland und verschaffte den italienischen Staatsbahnen eine zusätzliche Adresse für Stützungen aus der EU, die dann entweder in Verwaltungskosten oder ins laufende Geschäft (notwendigste Reparaturen) oder in private Taschen gesteckt werden konnten.

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Erinnerung an ein anderes Zugsunglück mit noch mehr Toten, auch „made in EU“:

Zeit ist Geld – Geschwindigkeit als Geschäftsmittel: DIE MOBILITÄT UND IHR PREIS

Hier kommen auch noch Geschäftskalkulationen hinzu, aber die Parallelen bei der „Bewältigung“ sind unübersehbar: Dort soll der Lokführer, hier der Bahnhofsvorstand verantwortlich gemacht werden, damit weder die Geschäfts- noch die Sparkalkulationen ins Visier geraten.

Ein Gedanke zu “Pressespiegel El País, 5.3.: Griechenland erntet die bitteren Früchte der Kürzungen im öffentlichen Dienst

  1. Zugsunglück hin oder her, vielleicht auch die harte Hand in der Flüchtlingsfrage spricht für den Amtsinhaber und schickt SYRIZA, die nichts anderes zu bieten hat, in die Opposition:

    Mitsotakis gibt sich siegessicher

    Ende Mai ist in Griechenland gewählt worden. Nachdem keine Partei die absolute Mehrheit erreicht hat, stehen heute Neuwahlen an. Es gibt kaum Zweifel daran, wer das Rennen machen wird.

    (…)

    (Tagesschau, 25.6.)

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